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Menschenrechte sind nicht nur für den Süden erdacht

ND befragte Mary Robinson, ehemalige UN-Menschrechtskommissarin


Die Verfassungs- und Strafrechtlerin Mary Robinson bekleidete von 1990 bis 1997 die erste Frau das Amt des Staatspräsidenten der Republik Irland. Anschließend war sie bis 2002 Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte. Heute leitet Robinson die Organisation Realizing Rights in New York (www.realizingrights.org). Am Rande der Konferenz »Global Perspectives«, einem Gipfeltreffen der globalen Zivilgesellschaft in Berlin, sprach für das Neue Deutschland (ND) Martin Lejeune mit Frau Robinson.

ND: Sie waren in Ihrer Zeit als Hohe Kommissarin für Menschenrechte sehr vertraut mit der Genfer Menschenrechtskommission der UN. Ist der 2006 an deren Stelle geschaffene Menschenrechtsrat besser als die frühere Kommission?

Robinson: Der Menschenrechtsrat hat in seiner jungen Geschichte bereits viele nützliche Dinge getan, um Menschenrechte durchzusetzen. Die wesentlichste Neuerung im Vergleich zur alten Menschenrechtskommission ist die allgemeine, regelmäßige Überprüfung aller UN-Mitgliedsstaaten. Damit soll die Menschenrechtsbilanz aller Staaten genauer untersucht werden. Das hat Auswirkungen auf den Westen, dem auf diese Weise klar gemacht wird, dass internationale Menschenrechtsstandards nicht nur bei armen Staaten problematisiert werden. Die USA beispielsweise wurden gerade regelgemäß überprüft. Menschenrechte haben weltweit Gültigkeit, nicht nur in den armen Ländern des Südens.

Hat dies in der Praxis tatsächlich eine Verbesserung der Lage bewirkt?

Ich denke schon, dass Regierungen aufgrund dieser regelmäßigen Überprüfungen dem Menschenrechtsrat zumindest ihre Aufmerksamkeit schenken. Und ich gebe auch zu, dass diese Überprüfung noch nicht streng genug ist. Man darf nicht alles allein den Regierungen überlassen. Die Zivilgesellschaften in den jeweiligen Staaten sind heute ebenfalls stark gefordert. Aber mit der Zeit wird sich dieses System verbessern, davon bin ich überzeugt.

Der Menschenrechtsrat verabschiedet auch Resolutionen. Wie wirksam sind die?

Im September beispielsweise wurde die Resolution zur »Müttergesundheit als Menschenrecht« verabschiedet. Das war wichtig und innovativ und wird meines Wissens von armen Staaten sehr ernst genommen. Die Regierung Sierra Leones hat daraufhin unentgeltliche Gesundheitsfürsorge für schwangere Frauen und Mütter mit Kindern bis zu fünf Jahren beschlossen. Weil das dank dem UN-Rat ein Menschenrecht geworden ist.

Kritiker werfen dem Menschenrechtsrat vor, dass gewisse Verfahren zu bestimmten Konflikten politisiert werden.

Tatsächlich scheiden sich insbesondere bei Menschrechtsverstößen im Nahen und Mittleren Osten die Geister. Hier teilt sich der Rat in zwei Lager, von denen eines den Vorwurf der Politisierung äußert. Solche Vorwürfe sind niemals gut für die Sache der Menschenrechte.

Gibt es auch ein Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe, wie es von deutschen Gerichten schon gefordert wurde?

Auf jeden Fall. Das Recht auf Teilhabe ist ebenso wichtig wie das auf Informationsfreiheit, das sicherstellen soll, dass alle Autoritäten zur Rechenschaft gezogen werden können. Gerade während meiner Tätigkeit als Hohe Kommissarin wurde mir klar, wie wichtig ein Recht auf gute Arbeit ist, wie es schon in Artikel 23 der Erklärung der Menschenrechte verfasst wurde, aber auch ein Recht auf Gesundheit, das Recht von Frauen auf Führungspositionen oder das Recht auf ein Leben in Frieden und Sicherheit. Auch Amnesty International kümmert sich heutzutage um das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein, nicht mehr nur um politische Gefangene.

Und was tut der Menschenrechtsrat für die Durchsetzung solcher Rechte?

Vieles. Der Rat hat 2008 einen historischen Schritt zur Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte getan. Mit der Unterzeichnung des sogenannten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt II) hat er die Grundlage für die Einklagbarkeit dieser Rechte gelegt.

Internationale Konzerne werden immer mächtiger und verletzen Menschenrechte ebenso wie Staaten. Wer zieht die Konzerne zur Verantwortung?

Das ist in der Tat ein Problem, an dem auch gerade gearbeitet wird. Regierungen müssen ihre Bevölkerung vor der Macht und der Willkür von Unternehmen schützen. Die Unternehmen sind in der Pflicht, alle Menschenrechte zu unterstützen. Der Harvard-Politologieprofessor John Gerard Ruggie arbeitet seit 2005 als UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte und erstellt gerade neue Richtlinien für Unternehmen. Weil dies alles auf freiwilliger Basis alleine nicht funktioniert, müssen wir Rechtsmittel entwickeln, die wir gegen Unternehmen anwenden können.

* Aus: Neues Deutschland, 18. November 2010


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