Universelle Menschenrechte und Globalisierung
Eine kritische Analyse anlässlich des 40 Geburtstags von amnesty international
Den nachfolgenden Text entnahmen wir der Wochenzeitung "Freitag". Der Autor, Norman Paech, ist den Besuchern unserer Website kein Unbekannter. Norman Paech ist Professor für öffentliches Recht und Staatstheorie an der
Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg. Viele Jahre war er zugleich
Vorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristen (VDJ). Mit zahlreichen
Aufrufen und Publikationen hat er sich in der Vergangenheit immer wieder
gegen die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien in der Bundesrepublik
gewandt. Er gehörte 1999 zu den prominenten akademischen Kritikern des Luftkrieges der
NATO gegen Jugoslawien. Er trat u.a. als Jury-Vorsitzender im inoffiziellen Europäischen Tribunal über den NATO-Krieg in Berlin im Juni 2000 auf.
Die "humanitäre Version" des Krieges
GLOBALISIERTES WERTE-DOGMA. "amnesty
international" begeht den 40. Jahrestag seiner Gründung im
Zeichen einer rigiden Moralisierung von Weltpolitik
Von Norman Paech
Am 28. Mai besteht amnesty international (ai) 40 Jahre, am 28. Mai 1961
hatte der britische Rechtsanwalt Peter Benenson in mehreren
überregionalen Blättern seinen Appell Die vergessenen Gefangenen
veröffentlicht, der zu einer - zunächst auf zwölf Monate begrenzten -
Kampagne für die Entlassung politischer Häftlinge aufrief. Diese Aktion
wurde zur Geburtsstunde eines Netzwerks, das heute mehr als eine Million
Mitglieder in 140 Staaten zählt. Dank seines kompromisslosen Plädoyers für
die universale Gültigkeit der Menschenrechte steht ai heute auch auf dem
Besetzungsplan des großen Schauspiels um die Globalisierung der
Menschenrechte und die Dogmen eines militärischen Humanismus.
Es könnte für ein Jubiläumsgeschenk an amnesty international gehalten
werden, dass die Mehrheit der 53 Staaten der
UN-Menschenrechtskommission die USA für die nächste Zeit aus ihrem
Gremium entfernt hat. Doch was die einen mit Genugtuung im Interesse
einer Entmilitarisierung des Menschenrechtsdogmas betrachten, erfüllt
zahlreiche Regierungen mit Irritation. Gerade hatten sie in Genf eine
Resolution verabschiedet, in der sie ihre "tiefe Sorge" über die
Menschenrechte in Kuba artikulierten. Eine knappe Mehrheit von 22
Staaten (darunter Deutschland) unterstützte zum dritten Mal nach 1999
und 2000 eine Resolution Tschechiens, aus der zuvor noch auf Intervention
der USA eine Kritik an der Wirtschaftsblockade gegen Kuba getilgt worden
war.
Der Ausschluss des Chef-Kritikers aus der weiteren Arbeit der
Kommission aber kehrt den Spieß um und richtet ihn gegen den Kritiker
selbst. Ein Hinweis auf den weiteren Zerfall eines universalistischen
Menschenrechtskonsenses - trotz eines "erfolgreichen" Krieges im Namen
der Menschenrechte vor zwei Jahren. Wir stehen daher vor der
verwirrenden Situation, dass die Menschenrechte einerseits zum zentralen
Element einer neuerlichen Moralisierung der Weltpolitik gemacht worden
sind, andererseits die Politisierung der Menschenrechte ihren normativen
Wert für eine Weltkultur eher untergraben als gefestigt hat. Wie das?
Das Projekt einer Welt-Zivilgesellschaft bleibt nur
"literarisch"
Einen Konsens über Menschenrechte hat es nie gegeben. Darauf weist die
Tatsache hin, dass sie weder in der Völkerbundsatzung noch in der
UN-Charta verankert werden konnten. Streitpunkt waren die sozialen und
ökonomischen Menschenrechte, die seit der russischen Revolution auf der
Tagesordnung standen, aber von den Westmächten nicht anerkannt
wurden. Deshalb akzeptierten Churchill und Roosevelt 1945 den Vorschlag
Stalins, es bei der allgemeinen Erwähnung in der UN-Charta zu belassen.
Die sozialen und wirtschaftlichen Rechte stehen bis heute quer zur
kapitalistischen Verfassung der westlichen Ökonomien, deren politische
Repräsentanten ihnen daher die gleiche normative Qualität wie den
politischen Rechten bestreiten. Das ist der zentrale Dissens. Neben ihm
haben alle weiteren Kontroversen um ein außereuropäisches
Menschenrechtsverständnis, das Recht auf Frieden und Entwicklung oder
die Ernennung eines UN-Hochkommissars für Menschenrechte nur
sekundäre Bedeutung.
Der erwähnte Dissens aus der Entstehungszeit der UNO war die Quelle,
aus der Jimmy Carter gleich zu Beginn seiner Amtszeit 1977 die erste
regierungsoffizielle "Menschenrechtskampagne" schöpfte, um die "geistige
Krise" Amerikas zu überwinden und die USA international wieder
interventionsfähig zu machen. Sie war ein antisowjetischer Treibsatz des
Kalten Krieges und die Legitimation für neue Rüstungsprogramme, unter
anderem zum Bau der Neutronenbombe. Den Menschenrechten nutzten
diese Programme nachweislich nichts. Sah man allerdings in der
Sowjetunion die "Staat-gewordene" Menschenrechtskatastrophe, so
musste ihre Beseitigung den Menschenrechten das Reich der Freiheit
erschließen - woran nicht nur Carter und Reagan glaubten.
Nun ist die Sowjetunion verschwunden, aber die von Präsident Bush 1990
verkündete Neue Weltordnung ist bisher nicht das "Reich der
Menschenrechte" geworden, trotz gewaltiger militärischer Anstrengungen
am Golf und auf dem Balkan sowie großer politischer Projekte wie die
Straftribunale über Völkermord und ihre Krönung in einem
Weltstrafgerichtshof - die Situation der Menschenrechte hat sich nach
allen Berichten der UNO, von amnesty international oder human rights
watch keineswegs gebessert.
Nicht nur deshalb, weil Krieg ohnehin die Negation der Menschenrechte
bedeutet. Die Gründe liegen offenbar woanders. Die Universalisierung der
Menschenrechte zielt zwar auf die Vergesellschaftung grundlegender
Rechte aller Menschen zu einem Weltbürgerrecht und die Verrechtlichung
der Moral zur Befreiung der Menschen von staatlicher Unterdrückung und
ökonomischem Elend. Angesichts der politischen und historischen Realität
bleibt dieses Projekt einer Welt-Zivilgesellschaft allerdings nur literarisch.
Der revolutionäre Haushalt politischer Menschenrechte ist
erschöpft
Was uns heute in der Globalisierung des Marktes fast naturwüchsig
erscheint, spiegelt sich in der Universalisierung der Menschenrechte
politisch wieder. Ihre Mission ist die gleiche: die "humanitäre
Globalisierung" der neuen Weltordnung. Ihre Verheißungen sind identisch:
Demokratie, Zivilgesellschaft, Weltethik und global governance. Ihre
Instrumente haben sich jüngst zusammengefunden: im Krieg. Hier nur
scheuen sich die Universalisierungs-Theoretiker die Welt-Metapher auf den
Krieg anzuwenden - sie verbinden ihn lieber mit den Menschenrechten in
Gestalt der "humanitären Intervention". Doch gerade sie öffnet die ganze
Welt den militärischen Ordnungsmissionen des atlantische Machtkartells.
Krieg - zumeist als Bürger-, Guerilla- oder Bandenkrieg - ist endemisch
und überall in dieser Welt. Seine "humanitäre" Version erweitert und vertieft
ihn zum wahren Weltkrieg, in dem die zentralen kapitalistischen Mächte
ihren Herrschaftsanspruch unbeeindruckt vom geltenden Völkerrecht
entlang ihren strategischen Interessen mit der zivilisatorischen Mission der
Menschenrechte durchsetzen.
Und wo bleibt die Dialektik? Gewiss treiben Globalisierung und ihr neuer
militärischer Humanismus beachtlichen Widerstand und Aufklärung aus
sich hervor: ob in den militanten Demonstrationen gegen die mächtigsten
Institutionen, in Netzwerken von Menschenrechtsverbänden wie amnesty
international, ja selbst in den Kriegsverbrechertribunalen sind Keime der
Alternative enthalten. Doch solange die Tribunale für die Herren der Welt
selbst nicht gelten und die Menschenrechtsbewegungen nur die Hälfte ihrer
Rechte einklagen können, bleiben Demonstrationen nur Schauspiel und die
Menschenrechte den Regierungen lediglich Vorwand. Der revolutionäre
Haushalt der politischen Menschenrechte ist erschöpft, er wird zunehmend
missbraucht. Nur wenn es gelingt, ihn durch das Versprechen der
ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechte, der kollektiven Rechte auf
Frieden und Entwicklung zu erneuern, wird auch die Gesellschaft sich
soweit verändern lassen, dass aus ihr eine neue Zukunft für die
Menschenrechte erwächst.
Aus: Freitag, Nr. 22, 25. Mai 2001
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