Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kleinbauern fordern mehr Schutz

Im UN-Menschenrechtsrat wird heute über eine Konvention mit festgeschriebenen Rechten diskutiert

Von Marc Engelhardt, Genf *

Durch eine Deklaration des UN-Menschenrechtsrats wollen mehrere Staaten die Rechte von Kleinbauern stärken, die von der Nahrungsmittelkrise besonders betroffen sind.

Henry Saragih hat es eilig. Der Generalkoordinator von La Via Campesina, dem globalen Netzwerk von Kleinbauern, kann gar nicht so schnell reden wie er möchte, wenn er auf sein derzeit größtes Anliegen zu sprechen kommt. »Das Leben im ländlichen Raum wird von Tag zu Tag schlimmer«, warnt der Indonesier. »Wir Bauern sind die am schlimmsten betroffenen Opfer der Nahrungsmittelkrise – unsere Menschenrechte werden mit Füßen getreten.« Um das zu ändern, streitet Saragih in diesen Tagen in Genf für eine völkerrechtlich bindende Erklärung, die die Rechte von Kleinbauern und ländlicher Bevölkerung festschreiben soll. Am heutigen Dienstag diskutiert der Menschenrechtsrat über einen entsprechenden Antrag, den Bolivien eingebracht hat.

Die bolivianische Botschafterin bei den UN stützt sich darin auf eine Studie, die ein Beratungskomitee des Rates im Zusammenhang mit dem Recht auf angemessene Ernährung verfasst hat. »Darin wurde festgestellt, dass von den gut eine Milliarde Hungernden in der Welt 80 Prozent im ländlichen Raum leben«, erklärt Angélica Navarro Llanos. »Davon wiederum sind die Hälfte Bauern – 20 Prozent sind Landlose, 10 Prozent traditionelle Jäger, Sammler oder Fischer.« Es gehört zu den Absurditäten der gegenwärtigen Nahrungsmittelkrise, dass davon diejenigen am schlimmsten betroffen sind, die Nahrungsmittel produzieren. 70 Prozent der Hungernden sind Frauen. »Es ist ja schön, dass man uns immer wieder dafür lobt, dass wir Kleinbauern beispielhafte Produktionsmethoden anwenden«, ärgert sich Henry Saragih. »Aber wenn unsere Rechte nicht besser geschützt werden, dann können wir mit dieser beispielhaften Produktion schlicht nicht weitermachen.«

Zu den essenziellen Rechten, die Saragih und seine Unterstützer in einer Erklärung festgeschrieben haben wollen, gehören neben dem Recht auf angemessene Ernährung auch die Rechte auf Zugang zu Land, zu Wasser und zu Saatgut. Die meisten dieser Rechte existieren bereits in anderen Konventionen. Doch die Zusammenführung existierender Normen in einer Erklärung für die Rechte der Kleinbauern würde sie völkerrechtlich aufwerten – und für Kleinbauern und ihre Interessenvertreter zugänglich machen, hofft Saragih.

Das vielleicht drängendste Problem der Kleinbauern ist Land. Eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation FIAN ergab, dass in mehr als einhundert untersuchten Verstößen gegen das Recht auf angemessene Ernährung die meisten auf Enteignung, gewaltsame Vertreibung und Umsiedlungen zurückgehen. Viele davon sind Teil einer langen Geschichte von Vertreibungen. Das vergleichsweise neue Phänomen des Landraubs (Landgrabbing) aber habe den bekannten Problemen eine neue Dimension gegeben, warnt FIAN.

Beispiel Sierra Leone: Im Distrikt Pujehun im Süden des westafrikanischen Staates bestimmen Regenwald und Mangrovensümpfe die Szenerie. Die Bauern bauen traditionell auf jährlich wechselnden Feldern Maniok, Reis oder Erdnüsse vor allem für den eigenen Verbrauch an. Doch seit einem Jahr wird in Pujehun eine riesige Ölpalmplantage angelegt. Ein Viertel des Malen genannten Stammesgebiets, gut 6600 Hektar, wird dafür gerodet und mit Palmen bepflanzt. Die Früchte sollen in fünf bis sieben Jahren Palmöl liefern, das in der Kosmetik, in der Lebensmittelproduktion und zunehmend für die Verbrennung in Kraftwerken und Biotreibstoffen genutzt wird. »Wir befürchten, dass die Plantage die Nahrungsversorgung der Bevölkerung gefährden wird«, warnt Constanze von Oppeln von der Welthungerhilfe. Denn alternative Anbauflächen für die Bauern gebe es nicht.

Von Oppeln ist gerade aus Pujehun zurückgekehrt – und entsetzt über die Bedingungen, unter denen dort Palmöl gewonnen werden soll. »Die Jobs, die durch die Ölpalmplantage geschaffen wurden, sind prekär – die Leute werden als Tagelöhner beschäftigt und haben keine ordentliche Schutzkleidung. « Zudem gebe es auf der Plantage nicht genug Arbeitsplätze, um die verlorenen Nahrungsmittel auf dem Markt zu erwerben. »Der kleine Pachtanteil, der zudem nur einmalig ausgezahlt wird, hilft da auch nicht.« Zwar fordern die Bauern ihr Land zurück. Doch ihre Chancen stehen schlecht: Die Regierung des ehemaligen Bürgerkriegsstaats begrüßt das Investment eines luxemburgischen Agrarkonsortiums ausdrücklich. Während sie von den Steuereinnahmen profitiert, müssen die Bauern von Pujehun sehen, wie sie überleben.

Juristisch ist Sierra Leones Regierung womöglich sogar im Recht. »Wir haben gerade auf der Südhalbkugel konkurrierende Rechtssysteme «, erklärt FIAN-Sprecherin Ana María Suàrez Franco. »Traditionell gehört ein Stück Land vielleicht einem Bauern, aber formaljuristisch jemand anderem – es ist wichtig, dass wir solche Widersprüche völkerrechtlich auflösen. «

Ob der Menschenrechtsrat sich dazu durchringen wird, ist allerdings ungewiss. Die Industrieländer sind skeptisch, wohl auch, weil sie befürchten, dass mehr Rechte für Kleinbauern weniger Rechte für die global agierenden Agrarkonzerne bedeuten werden. Die Schweiz, die bisher als einziges Industrieland den Vorstoß offen unterstützt, hat deshalb bereits einen Kompromiss ins Spiel gebracht: die Einsetzung eines UNSonderberichterstatters, der die Lage von Kleinbauern und ländlicher Bevölkerung untersuchen soll.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012


EU setzt Afrika Pistole auf die Brust

Von Martin Ling **

Im Ausland Märkte öffnen, um im Inland Beschäftigung zu schaffen. Dieser alten merkantilistischen Regel hat sich die EU nun ganz offen verschrieben: Kommissionspräsident José Manuel Barroso ließ bei seiner Rede zur Lage der Union vergangene Woche keinen Zweifel: »Darin liegt das Potenzial der europäischen Wirtschaft. Das ist die Goldgrube, aus der wir noch einiges zutage fördern können.«

Die Ersten, die sich mit der neuen proaktiven Handelsoffensive konfrontiert sehen, sind die afrikanischen Staaten. Seit 2002 verhandelt die EU mit regionalen Staatenbündnissen auf dem afrikanischen Kontinent über sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), die laut ursprünglichem Zeitplan längst in trockenen Tüchern sein müssten. Das sind sie nicht, weil sich in Afrika immer mehr Widerstand regt. Der geht vor allem von den Bauernverbänden aus, die zu Recht fürchten, ein weiteres Mal einem Liberalisierungstsunami ausgesetzt zu werden.

Unter neutralen Entwicklungsexperten aus Nord und Süd gibt es keinen Zweifel daran, dass die EPAs vor allem der EU nützten. Bereits jetzt können sich afrikanische Länder nicht ausreichend vor Billigimporten aus der EU wie Hähnchenschenkel, Milchpulver oder Tomatenmark schützen. Millionen Bauern hat das ihre Existenzgrundlage gekostet.

Der EU ist das freilich egal. Staaten, die die EPAs mit der EU noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, sollen ab 2014 vom bevorzugten Zugang zum europäischen Markt ausgeschlossen werden, beschloss das Europäische Parlament im Sinne Barrosos und des Handelskommissars Karel De Gucht vor wenigen Tagen. Wer sich den EU-Interessen nicht fügt, wird bestraft. Selten hat die EU so offen gezeigt, was sie unter Partnerschaft versteht: bedingungslose Vorfahrt für die eigene Wirtschaft. Ein entwicklungspolitisches Armutszeugnis.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012


Zurück zur Menschenrechts-Seite

Zur Armuts-Seite

Zurück zur Homepage