Kleinbauern fordern mehr Schutz
Im UN-Menschenrechtsrat wird heute über eine Konvention mit festgeschriebenen Rechten diskutiert
Von Marc Engelhardt, Genf *
Durch eine Deklaration des UN-Menschenrechtsrats
wollen mehrere
Staaten die Rechte von Kleinbauern
stärken, die von der Nahrungsmittelkrise
besonders betroffen sind.
Henry Saragih hat es eilig. Der Generalkoordinator
von La Via Campesina,
dem globalen Netzwerk
von Kleinbauern, kann gar nicht
so schnell reden wie er möchte,
wenn er auf sein derzeit größtes
Anliegen zu sprechen kommt.
»Das Leben im ländlichen Raum
wird von Tag zu Tag schlimmer«,
warnt der Indonesier. »Wir Bauern
sind die am schlimmsten betroffenen
Opfer der Nahrungsmittelkrise
– unsere Menschenrechte
werden mit Füßen getreten.« Um
das zu ändern, streitet Saragih in
diesen Tagen in Genf für eine völkerrechtlich
bindende Erklärung,
die die Rechte von Kleinbauern
und ländlicher Bevölkerung festschreiben
soll. Am heutigen
Dienstag diskutiert der Menschenrechtsrat
über einen entsprechenden
Antrag, den Bolivien
eingebracht hat.
Die bolivianische Botschafterin
bei den UN stützt sich darin auf eine
Studie, die ein Beratungskomitee
des Rates im Zusammenhang
mit dem Recht auf angemessene
Ernährung verfasst hat. »Darin
wurde festgestellt, dass von den
gut eine Milliarde Hungernden in
der Welt 80 Prozent im ländlichen
Raum leben«, erklärt Angélica Navarro
Llanos. »Davon wiederum
sind die Hälfte Bauern – 20 Prozent
sind Landlose, 10 Prozent
traditionelle Jäger, Sammler oder
Fischer.« Es gehört zu den Absurditäten
der gegenwärtigen Nahrungsmittelkrise,
dass davon diejenigen
am schlimmsten betroffen
sind, die Nahrungsmittel produzieren.
70 Prozent der Hungernden
sind Frauen. »Es ist ja schön,
dass man uns immer wieder dafür
lobt, dass wir Kleinbauern beispielhafte
Produktionsmethoden
anwenden«, ärgert sich Henry Saragih.
»Aber wenn unsere Rechte
nicht besser geschützt werden,
dann können wir mit dieser beispielhaften
Produktion schlicht
nicht weitermachen.«
Zu den essenziellen Rechten,
die Saragih und seine Unterstützer
in einer Erklärung festgeschrieben
haben wollen, gehören neben dem
Recht auf angemessene Ernährung
auch die Rechte auf Zugang
zu Land, zu Wasser und zu Saatgut.
Die meisten dieser Rechte
existieren bereits in anderen Konventionen.
Doch die Zusammenführung
existierender Normen in
einer Erklärung für die Rechte der
Kleinbauern würde sie völkerrechtlich
aufwerten – und für
Kleinbauern und ihre Interessenvertreter
zugänglich machen, hofft
Saragih.
Das vielleicht drängendste
Problem der Kleinbauern ist Land.
Eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation
FIAN ergab,
dass in mehr als einhundert
untersuchten Verstößen gegen das
Recht auf angemessene Ernährung
die meisten auf Enteignung,
gewaltsame Vertreibung und Umsiedlungen
zurückgehen. Viele davon
sind Teil einer langen Geschichte
von Vertreibungen. Das
vergleichsweise neue Phänomen
des Landraubs (Landgrabbing)
aber habe den bekannten Problemen
eine neue Dimension gegeben,
warnt FIAN.
Beispiel Sierra Leone: Im Distrikt
Pujehun im Süden des westafrikanischen
Staates bestimmen
Regenwald und Mangrovensümpfe
die Szenerie. Die Bauern bauen
traditionell auf jährlich wechselnden
Feldern Maniok, Reis oder
Erdnüsse vor allem für den eigenen
Verbrauch an. Doch seit einem
Jahr wird in Pujehun eine
riesige Ölpalmplantage angelegt.
Ein Viertel des Malen genannten
Stammesgebiets, gut 6600 Hektar,
wird dafür gerodet und mit Palmen
bepflanzt. Die Früchte sollen
in fünf bis sieben Jahren Palmöl
liefern, das in der Kosmetik, in der
Lebensmittelproduktion und zunehmend
für die Verbrennung in
Kraftwerken und Biotreibstoffen
genutzt wird. »Wir befürchten,
dass die Plantage die Nahrungsversorgung
der Bevölkerung gefährden
wird«, warnt Constanze
von Oppeln von der Welthungerhilfe.
Denn alternative Anbauflächen
für die Bauern gebe es nicht.
Von Oppeln ist gerade aus Pujehun
zurückgekehrt – und entsetzt
über die Bedingungen, unter
denen dort Palmöl gewonnen werden
soll. »Die Jobs, die durch die
Ölpalmplantage geschaffen wurden,
sind prekär – die Leute werden
als Tagelöhner beschäftigt und
haben keine ordentliche Schutzkleidung.
« Zudem gebe es auf der
Plantage nicht genug Arbeitsplätze,
um die verlorenen Nahrungsmittel
auf dem Markt zu erwerben.
»Der kleine Pachtanteil, der zudem
nur einmalig ausgezahlt wird,
hilft da auch nicht.« Zwar fordern
die Bauern ihr Land zurück. Doch
ihre Chancen stehen schlecht: Die
Regierung des ehemaligen Bürgerkriegsstaats
begrüßt das Investment
eines luxemburgischen
Agrarkonsortiums ausdrücklich.
Während sie von den Steuereinnahmen
profitiert, müssen die
Bauern von Pujehun sehen, wie sie
überleben.
Juristisch ist Sierra Leones Regierung
womöglich sogar im Recht.
»Wir haben gerade auf der Südhalbkugel
konkurrierende Rechtssysteme
«, erklärt FIAN-Sprecherin
Ana María Suàrez Franco.
»Traditionell gehört ein Stück
Land vielleicht einem Bauern, aber
formaljuristisch jemand anderem
– es ist wichtig, dass wir solche
Widersprüche völkerrechtlich auflösen.
«
Ob der Menschenrechtsrat sich
dazu durchringen wird, ist allerdings
ungewiss. Die Industrieländer
sind skeptisch, wohl auch, weil
sie befürchten, dass mehr Rechte
für Kleinbauern weniger Rechte
für die global agierenden Agrarkonzerne
bedeuten werden. Die
Schweiz, die bisher als einziges
Industrieland den Vorstoß offen
unterstützt, hat deshalb bereits einen
Kompromiss ins Spiel gebracht:
die Einsetzung eines UNSonderberichterstatters,
der die
Lage von Kleinbauern und ländlicher
Bevölkerung untersuchen
soll.
* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012
EU setzt Afrika Pistole auf die Brust
Von Martin Ling **
Im Ausland Märkte öffnen, um im Inland Beschäftigung zu schaffen. Dieser alten merkantilistischen Regel hat sich die EU nun ganz offen verschrieben: Kommissionspräsident José Manuel Barroso ließ bei seiner Rede zur Lage der Union vergangene Woche keinen Zweifel: »Darin liegt das Potenzial der europäischen Wirtschaft. Das ist die Goldgrube, aus der wir noch einiges zutage fördern können.«
Die Ersten, die sich mit der neuen proaktiven Handelsoffensive konfrontiert sehen, sind die afrikanischen Staaten. Seit 2002 verhandelt die EU mit regionalen Staatenbündnissen auf dem afrikanischen Kontinent über sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), die laut ursprünglichem Zeitplan längst in trockenen Tüchern sein müssten. Das sind sie nicht, weil sich in Afrika immer mehr Widerstand regt. Der geht vor allem von den Bauernverbänden aus, die zu Recht fürchten, ein weiteres Mal einem Liberalisierungstsunami ausgesetzt zu werden.
Unter neutralen Entwicklungsexperten aus Nord und Süd gibt es keinen Zweifel daran, dass die EPAs vor allem der EU nützten. Bereits jetzt können sich afrikanische Länder nicht ausreichend vor Billigimporten aus der EU wie Hähnchenschenkel, Milchpulver oder Tomatenmark schützen. Millionen Bauern hat das ihre Existenzgrundlage gekostet.
Der EU ist das freilich egal. Staaten, die die EPAs mit der EU noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, sollen ab 2014 vom bevorzugten Zugang zum europäischen Markt ausgeschlossen werden, beschloss das Europäische Parlament im Sinne Barrosos und des Handelskommissars Karel De Gucht vor wenigen Tagen. Wer sich den EU-Interessen nicht fügt, wird bestraft. Selten hat die EU so offen gezeigt, was sie unter Partnerschaft versteht: bedingungslose Vorfahrt für die eigene Wirtschaft. Ein entwicklungspolitisches Armutszeugnis.
** Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. September 2012
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