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Menschenrechte: Jämmerliche Entschuldigung

"Firmen dürfen nie Komplizen werden": Interview mit Kenneth Roth, Generaldirektor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch


Interview: Daniel Stern *

WOZ: Sie haben gerade am Welt­wirtschaftsforum in Davos teilgenommen. Weshalb sollen sich die Topmanager dieser Welt mit Menschenrechten auseinandersetzen?

Kenneth Roth: Es ist im Interesse der Geschäftsleute, dass sie in einer berechenbaren Umgebung arbeiten können. Sie sind auf Rechtsstaatlichkeit angewiesen, darauf, dass die Behörden für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können. In einem Land, wo es an grundlegenden Freiheiten fehlt, wo es keine freie Presse gibt, die Regierung machen kann, was sie will, in so einem Land lassen sich auf Dauer keine guten Geschäfte machen.

Ist das auch im Bewusstsein der ManagerInnen?

Viele Geschäftsleute interessieren sich sehr für die Menschenrechte. Unsere Organisation wird etwa in der Schweiz von zwei lokalen Gruppen in Zürich und Genf unterstützt, die aus Geschäftsleuten besteht. Auch CEOs von Grosskonzernen verstehen, dass wir im Grunde ähnliche Ziele verfolgen. Es ist nicht in ihrem Interesse, für Diktaturen zu arbeiten oder in einer Umgebung produzieren zu lassen, wo Gewalt und Krieg herrschen.

Soll ein multinationaler Konzern in einem Land produzieren, in dem die Menschenrechte missachtet werden?

Wir sagen nicht, dass Unternehmen davon die Finger lassen sollen. Wir fordern die Firmen jedoch auf, nicht zu Komplizen zu werden. Sie müssen also auf jeden Fall freie Gewerkschaften in ihren Betrieben zulassen, Diskriminierung ausschliessen oder etwa der Polizei nicht erlauben, in ihren Betrieben Beschäftigte mit Gewalt festzunehmen. Wenn ein Unternehmen in einem Land Förderanlagen betreibt, so hat es darauf zu achten, dass die erzielten Gewinne nicht in die Taschen von korrupten Politikern verschwinden oder für missbräuchliche Militäraktionen benutzt werden. Sie müssen um Transparenz und Verantwortlichkeit besorgt sein.

Wie soll sich eine Firma in China verhalten?

Sie muss so weit wie möglich die Freiheit am Arbeitsplatz gewährleisten. Sie soll unabhängige Gewerkschaften erlauben. Klar, es gibt in China Gesetze, die das einschränken. Aber Unternehmen können auch die Behörden unter Druck setzen, damit sie den Beschäftigten mehr Freiheit zugestehen.

Multinationale Konzerne haben doch kein Interesse an freien Gewerkschaften.

Sie müssen sie ja nicht einladen, in ihrem Betrieb aktiv zu werden. Aber wir insistieren, dass die Arbeiter das Recht haben, einer Gewerkschaft beizutreten und diese mit dem Unternehmen verhandeln zu lassen. Das müssen die Unternehmen erlauben. Sonst betreiben sie Schwitzbuden. Auf lange Sicht schadet sich ein Unternehmen so, und sein Image leidet.

Aber, was ist jetzt konkret zu tun, wenn wie in China unabhängige Gewerkschaften verboten sind?

Die chinesische Regierung erlaubt nur die Monopolgewerkschaft, den offiziellen chinesischen Gewerkschaftsbund. Allerdings gibt es verschiedene Unternehmen, die ihren Beschäftigten auch andere Organisationsformen zugestehen. Sie erlauben in ihren Betrieben informelle Arbeiterorganisationen, die mit dem Management über die Gehälter und die Arbeitsbedingungen verhandeln. Auch wenn sie sich nicht Gewerkschaft nennen, übernehmen sie doch gewisse gewerkschaftliche Funktionen. Wir dringen darauf, dass auch andere Firmen diese Praxis übernehmen.

Halten Sie es auch für zulässig, in Burma zu produzieren?

In Burma ist es extrem schwierig, ein Geschäft zu führen, ohne sich zum Komplizen des herrschenden Systems zu machen. Wir raten den Unternehmen von einem Engagement in Burma ab.

Und was, wenn sie trotzdem dort Geschäfte machen?

Gegen die Engergiekonzerne Unocal und Total haben wir eine Kampagne geführt. Sie haben in Burma eine Gaspipeline gebaut und wurden dabei von den burmesischen Militärs unterstützt, die die lokale Bevölkerung terrorisierten. Das war eindeutig Komplizenschaft.

Die USA gelten derzeit nicht gerade als Vorbild in Bezug auf die Menschenrechte. Stichworte dazu sind etwa Guantánamo, Geheimgefängnisse, Verschleppung von verdächtigten Terroristen und die Überstellung an Folterregimes. Ist diese Praxis der US-Regierung nur eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001?

Der 11. September ist eine Entschuldigung für die Regierung von Präsident George Bush, um ein Programm durchzudrücken, das schon vorher bestand. Sie haben die Fesseln der Macht abgelegt. Vizepräsident Dick Cheney hat sich besonders dafür stark gemacht, dass sie Einschränkungen, denen die US-Präsidenten seit dem Vietnamkrieg und dem Watergate-Skandal unterliegen, aufgehoben wurden. Das Resultat ist, dass die Glaubwürdigkeit der USA in Sachen Menschenrechten zerstört ist. Die USA glaubten lange, bei diesem Thema eine Führungsrolle zu haben. Das ist jetzt vorbei.

War denn unter der Regierung von Bill Clinton wirklich alles besser?

Auch unter Clinton wurden Menschen auf Guantánamo eingesperrt - Flüchtlinge. Aber tatsächlich haben sich die Verhältnisse unter George Bush dramatisch verschlimmert. Bush sagt immer, dass schon unter Clinton verdächtige Personen in andere Länder überstellt wurden. Das stimmt, aber diese Leute kamen dort vor Gericht. Bush hat Verdächtige überstellen lassen, um sie mit speziellen Methoden befragen zu lassen. Das ist ein grosser Unterschied. Leute wurden in Länder verfrachtet, um sie zu foltern. Das war nie die Absicht der Clinton-Regierung.

Sie sagen, die USA habe ihre Führungsrolle bei den Menschenrechten verspielt. Wäre die EU prädestiniert, diese Rolle zu übernehmen?

Die EU hat Schwierigkeiten, unter ihren 27 Mitgliedsstaaten einen Konsens zu finden. In vielen Dingen hat zurzeit ein Staat wie die Schweiz eine wichtigere Funktion als sonst. Die Regierung kann sich frei äussern. Das Land kann eine Führungsrolle übernehmen, während die EU-Staaten hinter verschlossenen Türen um Kompromisse ringen.

Michael Chertoff, der US-Minis­ter für Innere Sicherheit, hat in Davos gesagt, dass die fundamentalen Prinzipien der Menschenrechte nicht so klar festgelegt sind. Was halten Sie von dieser Aussage?

Das ist eine jämmerliche Entschuldigung für das eigene Fehlverhalten. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Uno ist absolut klar. Es ist ausgeschlossen, Menschen zu foltern. Man kann auch nicht einfach Leute zu feindlichen Kämpfern erklären, damit für sie der Rechtsstaat keine Gültigkeit hat. Hier soll die Nichteinhaltung der Menschenrechte entschuldigt werden.

Chertoff sagte auch, die USA würden sehr strenge Regeln bei Gerichtsverfahren kennen, deshalb sei es schwierig, den Terroristen den Prozess zu machen.

Das ist wieder falsch. Das US-Gesetz ist flexibel. Es erlaubt etwa Anklagen wegen Verschwörung. Der Grund, weshalb die Bush-Regierung will, dass weder zivile Gerichte noch reguläre Militärgerichte urteilen, ist ein anderer: Diese Gerichte dürfen keine Beweismittel zulassen, die durch Folter zustande gekommen sind. Deshalb sollen spezielle Gerichte urteilen, die illegale Beweise anerkennen.

Die Bush-Regierung sagt, die geheimen Gefängnisse des Geheimdienstes CIA seien jetzt geschlossen. Trifft das zu?

Die Regierung hat nur gesagt, dass alle Gefangenen aus diesen Gefängnissen verlegt worden sind. Zur Zukunft dieser Einrichtungen wurden keine Aussagen gemacht. Sie können also auch wieder in Betrieb genommen werden. Wir haben zudem eine Liste von Verschwundenen. Es handelt sich um mindestens zwölf Personen, von denen wir wissen, dass sie aus den CIA-Gefängnissen verschwunden sind, aber nie in Guantánamo auftauchten und auch nicht freigelassen wurden. Wir müssen wissen, was mit diesen Leuten passiert ist. Es stellt sich die Frage, ob sie etwa immer noch irgendwo in einem geheimen Gefängnis inhaftiert sind oder ob man sie etwa an Ägypten oder Jordanien überstellt hat und sie dort gefangen gehalten werden. Es ist auch gut vorstellbar, dass das Gefängnisse sind, die zwar nicht von der CIA geführt werden, CIA-Agenten jedoch ungehinderten Zugang haben.

Wird das Netz dieser Geheimgefängnisse je aufgedeckt werden?

Der jetzt von den Demokraten dominierte US-Kongress wird Hearings zu diesem Thema abhalten. Das könnte neue Informationen ans Tageslicht bringen, auch wenn die US-Regierung dem Kongress Steine in den Weg legen wird. Aber ich glaube, es wird sich nicht verhindern lassen.

Kenneth Roth ist seit 1993 Geschäftsleiter von Human Rights Watch. Der Jurist arbeitete zuvor als Staatsanwalt in New York und Washington. Er war in dieser Funktion unter anderem auch an der Untersuchung des Iran-Contra-Skandals beteiligt. Human Rights Watch ist 1988 aus dem Zusammenschluss von verschiedenen Menschenrechtsgruppen in den USA entstanden. Human Rights Watch verfolgt die Menschenrechtslage in über siebzig Ländern und verfügt neben seinem Hauptsitz in New York weltweit über neun Büros.

Verbindliche Regeln für die Multis

Grosskonzerne dürfen bei ihren weltweiten Aktivitäten nicht zu Komplizen von Menschenrechtsverletzungen werden. Das fordern die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International. Sie drängen darauf, dass sich die Unternehmen an verbindliche Standards halten. Bislang bestehen eher schwammige Übereinkünfte. Eine davon ist der sogenannte Global Compact der Uno, der bisher von 2900 Firmen unterschrieben wurde. Nichtstaatliche Organisationen (NGOs) kritisieren, dass die beteiligten Firmen ihr Image aufbessern können, ohne wirklich etwas tun zu müssen. Allerdings streicht die Uno mittlerweile diejenigen Unternehmen von der Liste, welche es verpasst haben, einen jährlichen Bericht einzureichen.

Als «Schritt in die richtige Richtung» bezeichnet Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty International, gegenüber der WOZ den sogenannten Kimberley-Prozess. Diese Übereinkunft zwischen UnternehmerInnen, verschiedenen NGOs, 46 Regierungen und der EU soll verhindern, dass Kriegsparteien Geschäfte mit Diamanten machen können. Allerdings ist es mit den Kontrollen aufgrund dieser Vereinbarung nicht zum Besten bestellt, so Khan: «Im Oktober 2006 wurde bekannt, dass Blut­diamanten aus der Elfenbeinküste in Ghana falsch zertifiziert wurden und so in den normalen Handel gelangten.» Viele NGOs haben daraufhin gefordert, dass Ghana vom Kimberley-Prozess suspendiert wird - ohne Erfolg. «Allerdings sind Regeln definiert worden, unter welchen Umständen künftig Staaten vom Prozess suspendiert werden können. Das hat Ghana stark unter Druck gesetzt.»

Heftigere Kritik übt Irene Khan an den «freiwilligen Prinzipien zur Sicherheit», die von sechzehn Öl- und Minenfirmen mit den Regierungen der USA, Britanniens, der Niederlande und Norwegens vereinbart wurden. Wie den Global Compact und den Kimberley-Prozess haben Amnesty International und Human Rights Watch auch diese Vereinbarung unterschrieben. Darin sind Standards definiert, wie sich Konzerne verhalten sollen, wenn sie es beim Abbau von Bodenschätzen mit örtlichen Armee- und Polizeikräften zu tun bekommen. Irene Khan sagt: «Einige der beteiligten Firmen bremsen. Sie wollen weder ein klares System von Berichterstattung einführen, noch überhaupt sich auf klare Kriterien festlegen.» Amnesty International beschuldigte 2005 etwa die Ölfirmen Chevron und Shell, im Nigerdelta mit Sicherheitskräften zusammengearbeitet zu haben, die sich schwerer Übergriffe gegen die örtliche Bevölkerung schuldig gemacht haben.

Irene Khan sagt, dass vom «fortschrittlichen Teil der Unternehmer» inzwischen selber der Ruf nach verbindlicheren Richtlinien kommt. Nicht zuletzt deswegen, weil etwa chinesische Firmen nach Afrika drängen. Diese würden westliche Firmen unterbieten, indem sie «die lokalen Beschäftigten schlecht bezahlen, sich nicht um deren Gesundheit kümmern und den Umweltschutz völlig vernachlässigen».

Daniel Stern



* Aus: Die Wochenzeitung WOZ, 8. Februar 2007


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