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"Die Bundesregierung duldet in Deutschland keine Parallelgesellschaften"

Bundeskanzler Schröder will "Toleranz und Integrationsbereitschaft fördern und fordern". Rede im Jüdischen Museum in Berlin

Samstag, 20.11.2004

Toleranz und Integrationsbereitschaft fördern und fordern

Toleranz ist ein universeller Wert der Demokratie und der Aufklärung. Sie ist die Basis für das Zusammenleben verschiedener Kulturen sowohl in Deutschland als auch in der ganzen Welt: Einen Kampf der Kulturen darf und wird es nicht geben. Die Bundesregierung duldet in Deutschland weder Fremdenfeindlichkeit, noch rechtsfreie Räume oder Parallelgesellschaften, sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einer Preisverleihung im Jüdischen Museum in Berlin.

"Wir werden jeder Form von Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus weiter mit aller Entschiedenheit entgegentreten", sagte Bundeskanzler Schröder am 20. November in seiner Laudatio auf den ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Verliehen wurde Rau der Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin für sein beispielhaftes Engagement als Mensch, Politiker und Staatsoberhaupt im Kampf gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Leider konnte Rau aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Veranstaltung teilnehmen, weshalb seine Gemahlin, Christina Rau, die Ehrung entgegennahm.

Aufstand der Anständigen

Die Basis von Zivilisation, so Schröder, ist der sorgsame Umgang miteinander, geprägt von Anstand und Achtung vor sich selbst und vor anderen. Dabei kommt der Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte, die Garantie von Meinungs-, Glaubens- und Religionsfreiheiten elementare Bedeutung zu. Aber diese Werte müssen immer wieder aufs Neue errungen und verteidigt werden, und zwar nicht nur von der Politik oder der Polizei. Vielmehr betrifft diese Auseinandersetzung die ganze Gesellschaft.

Gefordert sind Bürgerinnen und Bürger, die nicht wegschauen, wenn Unrecht geschieht, die Zivilcourage im Alltag beweisen und die ihre Stimme erheben: "Nichts anderes war mit dem Begriff vom Aufstand der Anständigen gemeint", betonte Schröder.

Vielfalt der Kulturen in Deutschland ist eine Tatsache

Nach Schröders Worten haben die furchtbaren Ereignisse in den Niederlanden diese Werte zum Gegenstand einer notwendigen Debatte gemacht. Dabei hält der Bundeskanzlers zwei Punkte für besonders wichtig:
  • Durch derartige Verbrechen dürfen sich die Menschen nicht in einen Kampf der Kulturen drängen lassen. Es gibt keinen Bedarf an "Kreuzzügen", wie auch immer sie motiviert sein mögen. Extremismus und Terrorismus sind Herausforderungen für jede Gesellschaft. Europa muss die Gedanken der Aufklärung als Leitlinien für die Politik verteidigen.
  • Die vielen Muslime, die in Europa leben und leben wollen, dürfen nicht teilnahmslos beiseite stehen. Sie müssen sich klar und unmissverständlich zur Rechtsordnung und den demokratischen Spielregeln bekennen.
Nicht ohne Grund werden die Werte der Demokratie und der Aufklärung als universelle Werte bezeichnet, die auch diejenigen akzeptieren und verinnerlichen müssen, die aus einer anderen Kultur stammen. Die Vielfalt der Kulturen in unseren Gesellschaften sei eine Tatsache, die sich nicht zurückdrehen lässt, und die man auch nicht zurückdrehen wolle. Aber keine Kultur dürfe sich aus dem gesellschaftlichen Gefüge herauslösen, sagte Schröder.

Integrationsbemühungen müssen von beiden Seiten kommen

Die Bundesregierung wird darauf bestehen, dass der Integrationsbereitschaft der Deutschen ein Integrationswille bei denjenigen gegenübersteht, die nach Deutschland kommen. Dazu gehört zuallererst die Bereitschaft und die Fähigkeit zur "Verständigung", und zwar durch das Erlernen der deutschen Sprache. Ohne sie kann keine Integration und kein Dialog in Deutschland gelingen.

Eine offene Gesellschaft kann nur gedeihen auf einem verbindlichen gemeinsamen Wertefundament. Dabei ist Toleranz unverzichtbar. Toleranz dürfe aber nicht mit Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit verwechselt werden, sagte der Bundeskanzler.

Schröder zitierte in diesem Zusammenhang auch aus der ersten Berliner Rede, die Johannes Rau vor viereinhalb Jahren gehalten hat: "Integration braucht langen Atem und Geduld. Sie braucht die Offenheit der angestammten Bevölkerung. Noch mehr braucht sie aber die Bereitschaft und die Anstrengung der neu Dazukommenden - die Bereitschaft, nicht nur dazu zu kommen, sondern auch dazu gehören zu wollen."



Information: Das neue Zuwanderungsrecht

Das ab 1. Januar 2005 geltende Zuwanderungsgesetz enthält erstmals Maßnahmen zur Integrationsförderung für Zuwanderer und für bereits in Deutschland lebende Ausländer und Ausländerinnen.

Das neue Zuwanderungsrecht enthält folgende Integrationsmaßnahmen:
  • Der Bund wird das gesamte Kursangebot in eigener Regie durchführen und die Kosten übernehmen.
  • Diese Aufgabe wird zentral durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg durchgeführt.
  • Die Kursteilnehmer müssen gestaffelt nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einen Eigenbeitrag zu den Kurskosten leisten.
  • Die Länder tragen die Kosten der sozialpädagogischen Betreuung und der Kinderbetreuung.
  • Alle Neuzuwanderer, die sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten, erhalten einen Anspruch auf ein staatliches Grundangebot zur Integration. Diesem Anspruch steht die Pflicht zur Teilnahme gegenüber, wenn nicht einmal einfache Deutschkenntnisse vorhanden sind. Nicht ordnungsgemäße Kursteilnahme führt zu aufenthaltsrechtlichen Sanktionierungen bei der Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Jährliche Kosten der Integrationskurse für Neuzuwanderer: ca. 188 Millionen Euro.

Bereits in Deutschland lebende Ausländer und Ausländerinnen können zur Teilnahme an Integrationskursen verpflichtet werden, wenn sie Sozialleistungen beziehen oder wenn ein besonderer Integrationsbedarf festgestellt wird. Bei Verletzung der Teilnahmepflicht können für die Dauer der Nichtteilnahme die Sozialleistungen bis zu 10 Prozent gekürzt werden.

Von dieser nachholenden Integration werden ca. 300.000 Personen betroffen sein. In den nächsten fünf bis sechs Jahren sollen dafür jährlich etwa 50.000 bis 60.000 Kursplätze zur Verfügung stehen.

Jährliche Kosten der Integrationskurse für bereits in Deutschland lebende Ausländer und Ausländerinnen: 76 Millionen Euro.

Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union können an Integrationskursen teilnehmen, wenn Kursplätze verfügbar sind.

Quelle: Originaltext von der Homepage der Bundesregierung: www.bundesregierung.de


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