Freisprüche nicht zugelassen
Ex-Chefankläger im US-Lager Guantanamo erhebt schwere Vorwürfe
Von John Dyer, Boston *
Der frühere Chefankläger des berüchtigten kubanischen US-Stützpunkts Guantanamo packt aus: Im
Verfahren gegen den früheren Fahrer des Terrorchefs Osama bin Laden erhebt Morris Davis
schwere Manipulationsvorwürfe gegen die US-Regierung.
Der Luftwaffenoberst Morris Davis hatte bereits im vorigen Herbst nach zwei
Jahren als Chefankläger mehr als genug von Guantanamo. Unter Protest trat er damals von seinem
Posten im US-Gefangenenlager zurück und warf Spitzenfunktionären des Pentagon vor, sie wollten
die Prozesse gegen Terrorverdächtige manipulieren.
Inzwischen hat in dem Lager das Verfahren gegen Osama bin Ladens ehemaligen Fahrer Salim
Ahmed Hamdan begonnen. Dort trat Davis jetzt als Zeuge der Verteidigung auf und erklärte, der
Fahrer habe wegen politischer Einflussnahme kein gerechtes Verfahren erhalten. Genau das wollen
Hamdans Anwälte beweisen. Die Aussage lässt die rechtsstaatliche Fassade der Verfahren gegen
Terrorverdächtige auf dem Stützpunkt weiter bröckeln.
Menschenrechtsorganisationen hatten der Bush-Regierung wiederholt vorgeworfen, die
Gerichtsverfahren seien nur Feigenblätter – die Rechte der Angeklagten würden weitgehend
ignoriert.
Morris Davis, inzwischen Richter bei der Luftwaffe und kurz vor der Pensionierung, sagte, seine
Vorgesetzten hätten ihn dazu gedrängt, in den Guantanamo-Verfahren Beweise und Aussagen zu
verwenden, die durch »Waterboarding« erpresst wurden – eine Foltermethode, bei der die Verhörten
fast ertränkt werden. Seine Vorgesetzten hätten ihm auch gesagt, wen er anzuklagen habe und dass
er keine Freisprüche zulassen dürfe. Er zitierte seine Vorgesetzten mit dem Satz: »Wenn wir vor den
(Kongress-)Wahlen (2006) nicht mehr Fälle zusammenbekommen, wird das Ganze hier
implodieren.«
In der Schuldfrage war Davis allerdings genauso deutlich: Er habe keinen Zweifel daran, dass
Hamdan schuldig sei, sagte er.
In der US-amerikanischen Militärjustiz bestimmen vor allem Ankläger und Richter die Richtung eines
Verfahrens. Dabei müssen sie sich an die Gesetze halten. Dass ihnen dabei vorgesetzte
Kommandeure eine bestimmte Auslegung der Gesetze vorschreiben, ist allerdings nicht
vorgesehen.
Rund 270 Männer sind noch in Guantanamo inhaftiert. Die meisten von ihnen wurden während der
Afghanistan-Invasion festgenommen, als »feindliche Kämpfer« klassifiziert und verhaftet. Gegen
rund 80 von ihnen plant die US-Regierung Verfahren vor den Militärgerichten.
Das Pentagon schwieg zunächst zu Davis' Vorwürfen. Das US-Verteidigungsministerium hatte
ähnliche Äußerungen des Offiziers bereits früher zurückgewiesen. Davis sagte in einer Anhörung vor
dem eigentlichen Prozess gegen Hamdan aus. Der in Jemen geborene Mann war Bin Ladens
Fahrer, als der Al-Qaida-Führer als Ingenieur in einem landwirtschaftlichen Projekt in Afghanistan
arbeitete. Hamdans Verteidigung hofft angesichts der Aussagen von Davis darauf, dass die Anklage
fallen gelassen wird. Allerdings blieb unklar, ob Davis erneut und detaillierter aussagen wird, falls es
zu einem regulären Prozess kommt.
Hamdan hatte bereits 2006 einen Erfolg vor dem obersten US-Gericht errungen. Der Supreme Court
gab ihm recht, dass er entgegen den US-Militärgesetzen und der Genfer Flüchtlingskonvention als
»feindlicher Kämpfer« klassifiziert worden sei. Der Fall zwang die Bush-Regierung damals dazu, den
Kongress um Zustimmung zu den Militärtribunalen in Guantanamo zu bitten. Die kam prompt.
Zugleich entbrannte jedoch eine breite öffentliche Diskussion über die Guantanamo-Praxis.
Nach Davis' Aussage in dieser Woche meldeten sich Kritiker erneut öffentlich zu Wort. Die Aussage
zeige, dass die USA mit Guantanamo ihre eigene moralische Autorität untergrabe, indem sie den
Häftlingen dort nicht die gleichen verfassungsmäßigen Rechte zugestehe wie US-Bürgern. Jennifer
Daskal von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte, Davis' Aussage zeige,
dass die Verfahren auf dem US-Stützpunkt nie die notwendige Glaubwürdigkeit erreichen würden,
die für eine angemessene Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 nötig sei.
Der Anwalt der Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union, Ben Wizner, brachte es so
auf den Punkt: Mit seiner Aussage habe Morris Davis klar gemacht, dass die Guantanamo-
Verfahren von Anfang an »politisch« und nicht rechtsstaatlich angelegt gewesen seien.
* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2008
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