Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Leiden ein Leben lang

Im Kampf gegen Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen fordern weltweit Organisationen die Europäische Union zur Unterstützung auf

Von Stefania Bianchi (IPS)*

Mehr Engagement der Europäischen Union im Kampf gegen die Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen haben europäische Parlamentarier und eine Arbeitsgruppe führender internationaler Organisationen kürzlich auf einem Seminar in Brüssel angemahnt.

Das Netzwerk, dem unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltbank und das Weltkinderhilfswerk UNICEF angehören, appellierte an die Europäische Kommission, ihre finanzielle Unterstützung für Maßnahmen zur Beendigung der umstrittenen Praxis zu erhöhen. Zudem erneuerte es die Forderung nach einer besseren Zusammenarbeit und einer Harmonisierung bestehender Rechtsvorschriften. Auch die frühere EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe und jetzige EU-Abgeordnete Emma Bonino plädierte auf dem Seminar, der Genitalverstümmlung/Beschneidung (FGM/C) mit Nulltoleranz zu begegnen. »Wir müssen Synergien zwischen den Handlungen und dem Engagement von Politikern, Juristen, Zivilgesellschaft, Medizinern und religiösen Führern schaffen.«

EU soll handeln

»Zu Beginn unserer Arbeit hat die Europäische Kommission zwar unsere Kampagne gegen FGM/C unterstützt, aber weiter ist nichts passiert. Deshalb fordern wir die europäischen Institutionen jetzt auf, Verantwortung zu übernehmen«, so Bonino auf dem Seminar »FGM/C: A Call for EU Action«.


Bei der weiblichen Genitalverstümmelung handelt es sich um unterschiedliche traditionelle Praktiken, bei denen die äußeren Genitalien des Mädchens oder der Frau teilweise oder vollständig entfernt oder verletzt werden. In der Diskussion um eine angemessene Bezeichnung wurde die Formulierung „Beschneidung“ (Zirkumzision) von uns verworfen, um weder einen sprachlichen noch assoziativen Bezug zur Beschneidung von Jungen und Männern herzustellen. In Art und Ausmaß sind die verstümmelnden Praktiken an Mädchen und Frauen nicht mit der Beschneidung von Jungen zu vergleichen.

Um das schwere Ausmaß des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit eines Mädchens zu betonen, hat sich international der Begriff "weibliche Genitalverstümmelung", in englischer Entsprechung "Female Genital Mutilation" (FGM), durchgesetzt. Er wird auch vom Inter-African Committee on Traditional Practices Affecting the Health of Women and Children (IAC) verwendet. Einige Interessengruppen bevorzugen andere Begriffe, wie “Female Genital Cutting” (FGC) oder seltener „Female Circumcision“ (FC), die sie als weniger verletzend für die Selbstachtung und Würde der betroffenen Frauen ansehen. In der Arbeit mit der Bevölkerung in unseren Partnerländern werden häufig die einheimischen Begriffe der Lokalsprachen verwendet. (Quelle: BMZ)


Die Praxis der Beschneidung reicht von der Abtrennung der Vorhaut der Klitoris bis zu deren Entfernung gemeinsam mit den Schamlippen. Das Alter der Mädchen und die Form der Verstümmelung ist je nach Gesellschaft sehr unterschiedlich. Teilweise werden schon weibliche Säuglinge direkt nach der Geburt oder ein paar Tage später beschnitten. Laut UNICEF sind 120 bis 130 Millionen Frauen dieser schädlichen Praxis ausgeliefert, die in 28 Ländern von Senegal und Mali bis Jemen und dem Sultanat Oman durchgeführt wird. Die meisten Betroffenen leben in Afrika, in einigen Teilen Südostasiens, Europas, Nordamerikas und Australiens jedoch steigen die Zahlen auch.

Experten kritisieren, Beschneidungen gefährden massiv die Gesundheit von Frauen und Mädchen, verletzen ihre Menschenrechte. Die Genitalverstümmelung verursacht starke Schmerzen, Schockzustände und starke Blutungen. Immer wieder sterben Mädchen an den Folgen. Viele beschnittene Frauen leiden ihr Leben lang an Depressionen und Angstzuständen.

Nach Einschätzung von Laura Katzive, vom Zentrum für Reproduktive Rechte in New York kann die EU einen Beitrag zur Abschaffung von FGM leisten, indem sie die Arbeit von lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Ländern unterstützt, in denen Beschneidungen praktiziert werden. »Die Europäische Union könnte Frauen-NGOs, die sich bei ihrer Regierung für eine Beendigung der schädlichen Praxis und Gleichberechtigung einsetzen, finanzielle und technische Unterstützung zukommen lassen. Zudem könnte sie sich an Informations- und Aufklärungskampagnen beteiligen, die die negativen Auswirkungen des Eingriffs in der Öffentlichkeit bekannter machen.«

Maputo-Protokoll

Bonino drängt auch auf die Ratifizierung des Maputo-Protokolls der Afrikanischen Union (AU), das jede Form der Genitalverstümmelung verbietet. Bisher haben es nur sechs von 33 afrikanischen und arabischen Staaten ratifiziert. Anfänglich hatten viel mehr Länder ihre Unterstützung zugesagt. Das Maputo-Protokoll wurde 2003 in der moçambiquanischen Hauptstadt verabschiedet und beinhaltet neben der Ächtung der Genitalverstümmelung weitreichende Frauenrechte. In dem Protokoll sind die Regierungen aufgerufen, in der Öffentlichkeit ein größeres Bewußtsein für die schädlichen Folgen der Beschneidung zu schaffen. Zudem wird gefordert, FGM/C als Straftat einzustufen und gesetzlich zu ahnden, beschnittenen Mädchen und Frauen zu helfen beziehungsweise sie vor einem Eingriff zu schützen. Das Protokoll kann erst in Kraft treten, wenn es von 15 Ländern ratifiziert wird. Bislang haben dies nur zehn getan.

Die Arbeitsgruppe entwickelte auf dem Treffen in Brüssel einen Aktionsplan und ermittelte einige Länder, darunter Dschibuti, Somalia, Mali, Sudan, Burkina Faso, Senegal, Gambia und Kenia, in denen eine verstärkte Zusammenarbeit zu einer schnelleren Beendigung von FGM führen soll.

* Aus: junge Welt, 10. Juni 2005


Zurück zur Seite "Menschenrechte"

Zurück zur Homepage