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Weder verfassungs- noch UN-konform

Forum Menschenrechte kritisiert Bundesregierung

Von Ralf Hutter *

UN-Sozialpakt und -Kinderrechtskonvention, Asylrecht und Sicherheitsgesetze - die Bundesregierung respektiert die Menschenwürde zu wenig.

Die aktuelle Bundesregierung amtiert mittlerweile eine halbe Legislaturperiode. Zeit für eine erste Bilanz: »Das Forum Menschenrechte sieht grundlegende Probleme in der deutschen Menschenrechtspolitik.« So schreibt es das aus über 50 Organisationen bestehende Netzwerk, das schon vor der Regierungsbildung »einen umfassenden Forderungskatalog« erstellt hatte, in seiner gestern veröffentlichten »Halbzeitbilanz«.

»Eine kohärente Querschnittspolitik«, bei der also »Menschenrechte eine wichtige Richtschnur für politisches Handeln auch in vermeintlich sachfremden Politikbereichen wie Energie oder Umwelt einnehmen«, könne trotz entsprechender Behauptungen seitens der Bundesregierung nicht festgestellt werden. Die zunehmenden Waffenexporte - eklatantestes Beispiel die Panzer für Saudi-Arabien, das kürzlich in Bahrain mithalf, Sozialproteste niederzuschlagen - stünden dem am offensichtlichsten entgegen.

Die Kritikpunkte sind so vielfältig wie die anklagenden Organisationen. »Wir warten seit drei Jahren auf die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt«, beschwerte sich gestern in Berlin Beate Wagner von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Dieses Zusatzprotokoll soll es Menschen ermöglichen, sich nach Ausschöpfung des staatlichen Rechtsweges mit einer Beschwerde an die UN zu wenden, damit dort ihre Fälle überprüft werden. Was die UN-Kinderrechtskonvention angeht, hat Deutschland erst recht Nachholbedarf. Zwar habe die Regierung 2010 ihren offiziellen Vorbehalt gegen die Konvention zurückgenommen, berichtet Wagner. Doch behaupte sie, dass weiterhin keine Gesetzesänderungen nötig seien. Dabei verbiete die Konvention »strengstens«, so Wagner, dass das Militär Werbeveranstaltungen für Minderjährige durchführt. Und für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gebe es in Deutschland derzeit keine ausreichenden Sonderregelungen - Terre des Hommes habe sogar von ehemaligen Kindersoldaten berichtet, die im Asylverfahren abgeschoben wurden.

»Zur Zeit geht das deutsche Ausländerrecht vor der Kinderrechtskonvention«, pflichtete Günter Burkhardt von Pro Asyl bei. »Das Asylverfahrensgesetz ist nicht kindgerecht.« Doch auch Erwachsene sind betroffen. »Die Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen 30 Prozent unter den Hartz-IV-Sätzen«, erinnert Burkhardt. »Die Regierung ändert das nicht, obwohl das Bundesverfassungsgericht das vermutlich 2012 für unrechtmäßig erklären wird.« Eine entsprechende Klage ist anhängig. Die aktuelle Rechtslage »grenzt an Rassismus«, so der Pro-Asyl-Geschäftsführer.

Doch auch die breite Masse der Bevölkerung wird nicht adäquat behandelt. Das Forum Menschenrechte wendet sich auch gegen die aus den seit 2001 zunehmenden Anti-Terror-Gesetzen erwachsenden Freiheitseinschränkungen.

* Aus: neues deutschland, 9. Dezember 2011

[08.12.2011] Das Forum Menschenrechte zieht Bilanz nach der Hälfte der Legislaturperiode. Menschenrechtspolitik der Bundesregierung weder transparent noch glaubhaft

Das Forum Menschenrechte, ein Zusammenschluss von 50 Nicht-Regierungsorganisationen, die sich für die Achtung der Menschenrechte in Deutschland und weltweit einsetzen, veröffentlicht anlässlich des weltweiten Tags der Menschenrechte am 10. Dezember eine Halbzeitbilanz zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung. Das Forum Menschenrechte erwartet von der Bundesregierung, dass sie die Menschenrechte entsprechend ihrer Zusage im Koalitionsvertrag als Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen durchsetzt. Der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung mangle es aber an Kohärenz sowie an Transparenz und Glaubwürdigkeit. Wer weltweit für die Achtung der Menschenrechte eintrete, müsse im eigenen Haus beginnen. Daran fehle es, gerade im Bereich der Innenpolitik, aber auch in der Verflechtung von Außen- und Wirtschaftspolitik.

Bekämpfung von Rassismus

Das Forum Menschenrechte kritisiert, dass es in Deutschland keinen hand­lungsorientierten Aktionsplan gegen Rassismus gebe. Diskriminierung und Erfahrungen von Rassismus gehörten in Deutschland aber zur Alltagserfahrung vieler Menschen. Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft müsse bekämpft werden - der Bundesregierung mangele es hierzu an Konzept und Willen. Konkret kritisiert das Forum Menschenrechte die Absenkung der Mittel für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die mangelnde dauerhafte Finan­zierung von Initiativen gegen Rechtsextremismus. Der Begriff Rasse sei im Grundgesetz zu streichen, das werde auch vom Deutschen Institut für Menschenrechte vorgetragen.

Mit immer neuen Sicherheitsgesetzen und weiteren Befugnissen, auch im Hinblick auf die Verflechtung von Polizei und Geheimdiensten würden Grund- und Menschenrechte ausgehöhlt. Das Versagen gegenüber rechtsterroristi­schen Aktivitäten habe mit einer fehlgeleiteten inneren Haltung in den Verfassungsschutzbehörden zu tun. Mehr Befugnisse böten nicht mehr Sicherheit, so das Forum Menschenrechte.

Vorbehaltlose und konsequente Umsetzung von Menschenrechtsabkommen in Europa und in Deutschland.

Seit vielen Jahren kritisierte das Forum Menschenrechte die Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention. Mit der Rücknahme der Vorbehalte durch die Bundesregierung hat sich die innerstaatliche Rechtslage indes nicht geändert. Im Asyl- und Ausländerrecht muss das Kindeswohl wirksam als vorrangig zu berücksichtigendes Prinzip verankert werden. Das Forum Menschenrechte kritisiert, dass der Schutz von Flüchtlingen insbesondere auch von Flüchtlingskindern verstärkt den Staaten an der EU-Außengrenze aufgebürdet werde. Kinder, Jugendliche und Traumatisierte leiden, die Bundesregierung sehe tatenlos zu. Ein reiner Abschiebestopp nach Griechenland reiche nicht aus. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssten auch in Deutschland Änderungen nach sich ziehen. Politisch müsste die Regierung ihren Willen erklären, Flüchtlinge aus den Randstaaten aufzunehmen.

Inkohärenz von Außen- und Wirtschaftspolitik

Auf ihren außenpolitischen Reisen treten Kanzlerin und Außenminister, für die Achtung der Menschenrechte ein. Menschenrechte werden leider oft nachrangig, wenn es um konkrete Wirtschaftsinteressen gehe. Das zeige zum Beispiel die Ausweitung von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien (200 Leopard II Kampfpanzer). Wenn es um ökonomische Interessen gehe, werden Menschenrechte auf die „Wertenische" abgeschoben und spielten bei außenpolitischen Entscheidungen keine Rolle.

Halbzeitbilanz des FMR zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung als PDF [externer Link]




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