Ein Kontinent schottet sich ab - Australien behandelt Flüchtlinge wie Aussätzige
Trotz internationaler Kritik: Wieder ein Flüchtlingsschiff abgefangen
Am 4. September 2001 nahm das UNO-Hochkommissariat für
das Flüchtlingswesen (UNHCR) Stellung zum Flüchtlingsdrama, das sich vor den Küsten Australiens seit August abspielte. Australien hatte sich geweigert, 433 afghanische, pakistanische und ceylonesische Flüchtlinge, die mit dem norwegischen Containerfrachter "Tampa" unterwegs waren, an Land zu lassen. Die Flüchtlinge wurden auf das australische Kriegsschiff
"Manoora" verfrachtet und nach Papua-Neuguinea gebracht. Von hier sollen sie nach Neuseeland und in die Mini-Inselrepublik Nauru im Pazifik geflogen werden. Beide Länder hatten sich bereit erklärt, die
Menschen bis zur Klärung ihres Asylbegehrens
aufzunehmen. "Wir sind besorgt, und das UNHCR hätte
eine andere Lösung bevorzugt", sagte ein Sprecher
in Genf. Das UNHCR hatte am Wochenende davor (1./2. September) in Gesprächen mit Vertretern Norwegens, Australiens, Indonesiens und Neuseelands in Genf vergeblich versucht, die Schiffbrüchigen zunächst auf die zu Australien gehörende Weihnachtsinsel zu schaffen. Dies wäre die "humanste Lösung" gewesen, sagte der
Sprecher. Die Behandlung des Dramas könnte
Auswirkungen auf die Haltung anderer Staaten haben. Er erinnerte dabei etwa an Pakistan, das bereits Hunderttausende von
Flüchtlingen vor allem aus Afghanistan
aufgenommen hätte.
Doch die australische Regierung ließ sich von solcher Kritik bisher nicht beeindrucken. Im Gegenteil: In der Nacht vom 7. auf den 8. September fing die australische Marine ein Schiff mit 200 Flüchtlingen vor der Nordwestküste des Landes ab. Das Schiff mit den 200 Flüchtlingen habe am Freitagabend das australische Ashmore-Riff angesteuert. Die Marine sei an Bord gegangen, als es sich geweigert habe, seinen Kurs zu ändern und umzukehren. Anschließend wurden die Flüchtlinge auf den Truppentransporter "Manoora" gebracht, der schon mit den 433 "Tampa"-Flüchtlingen nach Papua-Neuguinea unterwegs ist. Laut Ministerpräsident John Howard befand sich das Schiff in internationalen
Gewässern. Es habe die Hoheitsgewässer
Australiens nicht erreicht, weswegen sich die Frage
gar nicht stelle, ob das Land die Menschen als
Asylsuchende akzeptiere. Über die Herkunft des aufgebrachten Schiffes und die Flüchtlinge wurden bisher keine Angaben gemacht.
Die linke schweizerische Wochenzeitung WoZ bracht in ihrer Ausgabe vom 6. September 2001 einen Hintergrundartikel zum Flüchtlingsdrama, in dem vor allem auf die menschenverachtende Asylpraxis Australiens abgehoben wird. Wir dokumentieren den Beitrag leicht gekürzt.
Die australische Nauru-Lösung
Export von Internierungslagern
Von Max Watts, Annandale
...
Er schütze Australien vor den «illegalen Immigranten», versichert
Premierminister John Howard seinen Landsleuten wieder und wieder. Und
alle wissen, dass er damit, unausgesprochen, den Schutz vor «braunen,
mohammedanischen Horden» meint. Dabei kamen gerade mal 4.141
Asylsuchende zwischen Juli 2000 und Juli 2001 in Australien an, 30
weniger gar als in den zwölf Monaten zuvor. Die allermeisten Flüchtlinge
reisten per Schiff und legten auf der Weihnachtsinsel oder am Ashmore
Reef an. Nur ein einziges Boot erreichte das Festland. Die Asylsuchenden
haben keine Gesetze gebrochen, sie sind keineswegs «illegal».
Wenn die «Tampa» mit den
Flüchtlingen auf der
Weihnachtsinsel gelandet
wäre, hätten diese die ganze
Asylprozedur durchlaufen
müssen. Doch auf Anweisung
Howards fährt der australische
Truppentransporter Manoora
nun, mit den 438
Asylsuchenden der «Tampa»
an Bord ..., von der
Weihnachtsinsel in Richtung der Hauptstadt Papua-Neuguineas, Port
Moresby, wo er am Wochenende erwartet wird. Fast alle «im Volk»
glauben Howard, dass diese «illegalen Immigranten», die er via Port
Moresby nach Neuseeland und auf die Insel Nauru deportieren lässt,
Australiens Boden «nie betreten werden».
Das Los der 438 Asylsuchenden an Bord der «Manoora» ist in Australien
bereits wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Howard hat, so sagt
er, und viele glauben es ihm, dieses Problem gelöst. Man diskutiert nur
noch, ob die konservative Koalition in den kommenden Parlamentswahlen
von Howards Politik profitiert. Konnte Howard damit genügend
unentschlossene WählerInnen überzeugen, um die Wahlen zum dritten
Mal in Folge zu gewinnen?
Allenfalls schimpfen die meisten AustralierInnen noch auf das
Bundesgericht in Melbourne und die vier Rechtsanwälte, die weiterhin über
die Rechte dieser Flüchtlinge verhandeln. Eine der Anwaltskammer von
Melbourne nahe stehende Bürgerrechtsinitiative, die – von der
Bundesregierung finanzierte – australische Menschenrechts- und
Gleichheitskommission, Amnesty International sowie ein auf
Einwanderungsrecht spezialisierter Anwalt plädieren vor dem Melbourner
Bundesrichter Tony North für die Rechte der Flüchtlinge. North hat schon
früher für die Howard-Regierung unangenehme Urteile gefällt, etwa während
des Streiks der Hafenarbeiter und Scheuermänner der Maritime Union of
Australia. Richter wie Anwälte, aber auch Parlamentarier von Labor-Partei,
Demokraten und Grünen erhalten jetzt Drohbriefe, manche fanden sogar
Kugeln in ihrer Post.
Bei Ankunft: Stacheldraht
In Australien werden viele Asylsuchende bei ihrer Ankunft eingesperrt. Sie
bleiben es in mit Nato-Stacheldraht eingezäunten Lagern oft für Monate,
manchmal sogar für Jahre. Die meisten Flüchtlinge kommen aus
Afghanistan und Irak. Rund achtzig Prozent dieser «Asylanten» bestehen
schliesslich die gesetzliche Prüfung und werden als politische Flüchtlinge
anerkannt. Bei den AfghanInnen sind es sogar neunzig Prozent, die so
legal in Australien bleiben können. Aber während der oft langwierigen
Prozeduren für diese Anerkennung bleiben sie eingesperrt. Eine private
US-amerikanische Gefängnisfirma, Australasian Correctional Management
(ACM), verwaltet diese Lager und verdient gut daran. ACM wird von einem
ehemaligen CIA-Mitarbeiter geleitet, und ACM-Aktien werden an
amerikanischen Börsen gehandelt.
Auch manche derjenigen, denen die Anerkennung als politische
Flüchtlinge verweigert wird, dürfen nicht einfach in ihre «Herkunftsländer»
Afghanistan und Irak deportiert werden. PalästinenserInnen werden
manchmal einfach nach Syrien geschickt. Denn Israel, das alle Zugänge
zu den teilweise autonomen palästinensischen Gebieten kontrolliert, lässt
sie nicht einreisen, obwohl ihnen die halboffizielle palästinensische
Vertretung in der australischen Hauptstadt Canberra Pässe ausstellt.
Diese «Abgelehnten», manchmal ganze Familien, bleiben dann, wer weiss
für wie lange, hinter Stacheldraht eingesperrt. MenschenrechtlerInnen
fingen gerade an, sich darüber zu beschweren. Aber seit Ankunft der
«Tampa» redet man darüber nicht mehr.
Eigentlich wollte die Howard-Regierung drei neue Lager in Australien
aufstellen. Ob diese Pläne jetzt weiter bearbeitet werden, ist noch nicht
sicher. «Denn Howard und seinesgleichen haben einen Plan: Sie wollen
die Flüchtlingslager, die bis jetzt in Australien sind, in die Nachbarländer
exportieren», erklärt Damian Larson, ein Vertreter der Gruppe «Kein
Mensch ist illegal». «Howards ganze ‘Tampa’-Politik ist bloss
Vorwahlkampf, wie auch die Ankündigung, die australische Marine vor der
Küste Indonesiens zu stationieren, um die Boote der Flüchtlinge dort
schon bei ihrer Abfahrt abzufangen. Ja und dann? Was wollen sie dann mit
ihnen tun? Das ist völliger Blödsinn. Und man spricht nicht einmal darüber,
wie lange diese Fregatten dort bleiben sollen. Auf unbegrenzte Zeit
vielleicht?»
Die Lager in Nauru seien nur ein erster Versuch. «Nauru, diese 25
Quadratkilometer kleine Insel, ist vollständig von Australien abhängig.
Denn das Phosphat, dessen Export Nauru einst Reichtum brachte, ist
erschöpft. Der Phosphatabbau hat eine Mondlandschaft hinterlassen. Die
nauruischen Investitionen der Phosphat-Dollars, zumeist in Australien, sind
schief gegangen. Nauru ist ruiniert. Die nauruische Regierung lässt also
das erste australische Auslandslager aufstellen und wird dafür von den
australischen Steuerzahlern bezahlt. Aber Nauru ist sehr klein, und es
liegt keineswegs auf den Wegen der Immigranten.»
Über die Pläne der Regierung, diese so populäre «Nauru-Lösung» auch in
Zukunft anzuwenden, gelangte bisher fast gar nichts an die Öffentlichkeit.
Eigentlich wolle Howard, so Lawson, Lager in Indonesien errichten:
«Indonesien braucht ebenfalls Geld. Mit genügend Dollars könnte man die
Regierung dazu bringen, die Asylsuchenden abzufangen und in Lager auf
indonesischem Boden einzusperren. Wenn die Bedingungen dort, sagen
wir einmal, hart sind, schadet das nichts. Die Leute sollen ja abgeschreckt
werden.» Ob und wann dann die Asylgesuche dort «bearbeitet» werden, ist
dann nicht mehr eine australische Sorge.
Ein Handy für Megawati
Howards einziges Problem dabei ist, dass er die indonesische Regierung
noch nicht «überzeugen» konnte. Präsidentin Megawati Sukarnoputri ist
den wiederholten Versuchen Howards, sie ans Telefon zu kriegen, stets
ausgewichen.
Zum Glück gibt es ja noch Papua-Neuguinea, auch so ein Land, dessen
Regierung sowohl pleite als auch vollständig von Canberra abhängig ist.
Allerdings fällt diese Regierung derzeit auseinander. Und die Gefängnisse
dort sind nicht gerade ausbruchsicher. Die Fahrt von Papua-Neuguinea
nach Australien dauert dann in einer Nussschale bloss einige Stunden.
Und vielleicht kommen auch die Flüchtlinge der «Tampa» noch nach
Australien, Howards Behauptungen zum Trotz. Denn Richter North wird
seine Entscheidung höchstwahrscheinlich vor der Ankunft der «Manoora»
in Port Moresby treffen. Falls er die Position der vier
Menschenrechtsverteidiger akzeptiert, müsste die australische Regierung
– also in der Praxis die Militärs, die bis jetzt jeden Zugang zu den
Asylsuchenden verweigern – ihnen erklären, dass sie jetzt das Recht
haben, nach Australien weiterzureisen und dort ihr Asylgesuch zu stellen.
Falls sie aber in Port Moresby von Bord der «Manoora» gehen, um nach
Nauru oder Neuseeland weiterzureisen, verlieren sie dieses Recht. Sie
könnten jedoch in Nauru – wo sie sich kaum längerfristig aufhalten werden
– um Asyl in Australien oder Drittländern ersuchen.
Aus: WoZ, 6. September 2001
Zurück zur Seite "Menschenrechte"
Zur "Australien"-Seite
Zurück zur Homepage