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Anti-Terror-Maßnahmen sollen auf Einhaltung von Menschenrechten überprüft werden

Institut stellt Studie "Internationaler Terrorismus und Menschenrechte" vor

Im Folgenden dokumentieren wir eine aktuelle Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Thema "Internationaler Terrorismus und Menschenrechte" und eine ältere Meldung zum selben Thema sowie zwei Zeitungsberichte dazu.


Pressemitteilung 29. Juli 2003

Deutsches Institut für Menschenrechte empfiehlt systematische Beobachtung von Anti-Terror-Maßnahmen mit Blick auf die Einhaltung der Menschenrechte

Berlin. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat eine offizielle Beobachtung und Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Anti-Terror-Maßnahmen gefordert. Es sei inakzeptabel, dass professionelle, öffentliche Formen der Beobachtung der Maßnahmen und die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen behindert und Täter nicht zur Verantwortung gezogen würden, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang S. Heinz anlässlich der Vorstellung der Studie „Internationaler Terrorismus und Menschenrechte“ am Dienstag in Berlin.

In vielen Fällen sei zum Beispiel das Schicksal von Zivilisten, die im Kampf gegen den Terror verwundet oder getötet wurden, nicht aufgeklärt worden. Es müsse daher auch bei demokratischen Staaten, die Soldaten nach Afghanistan entsandt hätten, von einem gewissen „Kontrollverlust“ gesprochen werden, so Heinz weiter. Staaten seien bei Kriegseinsätzen dazu verpflichtet, die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht zu achten.

Die stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Frauke Seidensticker, wies darauf hin, dass auch die Bundeswehr bei Einsätzen in internationalen Konfliktgebieten schon bei der Mandatierung der Missionen auf Klärung dringen müsse, wie und an wen Beobachtungen zu Menschenrechts-verletzungen weiterzugeben seien. Das Thema „Terrorismus und Menschenrechte“ bleibe weiter auf der Agenda des Instituts. Ende des Jahres solle ein „Policy-Paper“ zu „Terrorismusbekämpfung und innere Sicherheit“ veröffentlicht werden, kündigte Seidensticker an.

Die Studie:
Wolfgang S. Heinz, Stephanie Schlitt, Anna Würth: Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte (Oktober 2001-April 2003), Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2003, ISBN 3-9808112-3-9


Schon im September 2002 hatte sich das Institut mit derselben Problematik beschäftigt und seinerzeit folgende Presseerklärung veröffentlicht:

DEUTSCHES INSTITUT FÜR MENSCHENRECHTE

Berlin, 10.09.2002

Pressemitteilung
Menschenrechtsverletzungen bei der Terrorismusbekämpfung aufklären

Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert eine umfassende Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen bei der Terrorismusbekämpfung. "Unabhängige Untersuchungen werden behindert, es fehlt ein ausreichender Wille, Taten aufzuklären und Täter zu bestrafen", sagte Percy MacLean, Direktor des Instituts. Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert deshalb Bundesregierung, Bundestag und Parteien auf, für Menschenrechte keinen Terrorrabatt zu geben und sich entschieden und öffentlich für die rückhaltlose Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen einzusetzen.

Angesichts des schwersten Terroranschlags der Geschichte bedürfe es unstreitig einer harten Bestrafung der Täter und einer effektiven Vorbeugung gegen die Begehung weiterer Gewalttaten, wobei auch ein entschiedenes Engagement zur Beseitigung der Ursachen der Entstehung von Terrorismus geboten sei, so MacLean weiter. Aber es sei inakzeptabel, dass professionelle, öffentliche Formen der Beobachtung und Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen behindert und Täter nicht zur Verantwortung gezogen würden.

Betroffen seien zum einen zahlreiche unaufgeklärte Fälle in Afghanistan, z.B. die mutmaßliche Tötung von mindestens 1.000 Kriegsgefangenen im Herbst 2001 unter Kontrolle von General Dostum, die in Containern erstickt sein sollen; die blutige Niederschlagung eines Aufstandes von Taliban-Gefangenen in Qala-i Jhangi in der Nähe von Mazar-i-Sharif (Nov. 2001) mit geschätzten 400 Toten; gezielte Bombenangriffe auf eine Hochzeitsgesellschaft am 1. Juli 2002 mit etwa 48 Toten und 117 Verwundeten; und schließlich die "versehentliche" Tötung mehrerer Tausend Zivilisten z.B. durch den Einsatz von Splitterbomben.

Es gebe kein transparentes Verfahren, um in Erfahrung zu bringen, was in all diesen Fällen wirklich geschehen sei, obwohl sich der jeweilige Tatort unter Kontrolle der afghanischen Regierung und der Anti-Terror-Koalition befinde. Die beschuldigten Akteure entschieden selbst, ob eine Untersuchung stattfinden solle. An rechtsstaatlich zwingend gebotenen unabhängigen Untersuchungen fehle es völlig. Zudem hätten alle Staaten, die Soldaten nach Kabul entsandt haben, - einschließlich Deutschland - mit der afghanischen Regierung ein Immunitätsabkommen abgeschlossen, das eine Überstellung ihrer Staatsangehörigen an den Internationalen Strafgerichtshof von ihrer eigenen vorherigen Zustimmung abhängig mache und damit das gerade erst in Kraft getretene Statut des Gerichtes in höchst bedenklicher Weise unterlaufe.

Auch in den USA würden - so der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte - durch unberechtigte Abschottungsmaßnahmen rechtsstaatliche Kontrollen staatlichen Handelns massiv behindert. So habe man in Abschiebungsverfahren gegen terrorismusverdächtige Ausländer zunächst die Öffentlichkeit pauschal ausgeschlossen, was später ein Berufungsgericht als verfassungswidrig eingestuft habe; ferner seien rund 600 gefangene Taliban offensichtlich vorwiegend zu dem Zweck nach Guantánamo auf Cuba verbracht worden, um sie einer kritischen Öffentlichkeit, einer rechtsstaatlichen Justiz und einem fairen Verfahren zu entziehen und sie auf diese Weise ohne richterliche Kontrolle unbegrenzt und unter höchst zweifelhaften Bedingungen in Haft halten zu können.

Ganz allgemein zeigten sich nur wenige Staaten in der Folge des 11. September bereit, auf Vorschläge für eine Überwachung ("Monitoring") ihrer Anti-Terrorismus-Maßnahmen seitens internationaler Menschenrechtsinstanzen (UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, UN-Sonderberichterstatter) einzugehen. Verstärkt werde vielmehr versucht, sich jeglicher Beobachtung von außen zu entziehen.


Vera Gaserow schreibt in der Frankfurter Rundschau zu der Präsentation der Studie "Internationaler Terrorismus und Menschenrechte" u.a.:

(...) Anhand von öffentlichen Quellen untersuchte das Institut für Menschenrechte die Auswirkungen der Terrorbekämpfung seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA auf die Menschenrechtssituation. Die Bilanz der 66-seitigen Studie ist alarmierend: "Eine Reihe der getroffenen Anti-Terror-Maßnahmen unterminieren grundlegende Menschenrechte, aber auch das humanitäre Völkerrecht."

Es gebe bisher bei Einsätzen zur Terrorbekämpfung keine systematische und unabhängige Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen, kritisiert das Institut, das als unabhängige Einrichtung vor zwei Jahren gegründet worden ist und von drei Bundesministerien finanziert wird.

Soldaten seien häufig erste Zeugen von Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung und Menschenrechtsverletzungen an Terror-Verdächtigen und Gefangenen, argumentiert der Berliner Politologe Wolfgang Heinz, einer der Autoren der Studie. Bisher hätten jedoch die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan weder ein klares Mandat noch eine entsprechende Ausbildung, um solche Menschenrechtsverletzungen zu registrieren. Auch fehle den Soldaten eine Ansprechinstanz.

Die Bundeswehr habe bisher auch nicht geklärt, wie Deutschland beim Anti-Terror-Kampf mit Staaten kooperiert, die "präventive Tötungen" von Terroristen oder Diktatoren für legitim halten, bemängelt die Studie. Im Hinblick auf künftige Einsätze oder ein Engagement in Irak sei eine solche Klärung nötig. Offen sei auch, ob deutsche Soldaten Gefangene an andere Staaten überstellen dürften, wenn denen dort die Todesstrafe oder "eine mit den Menschenrechten nicht vereinbare Strafverfolgung" drohten.

Vor allem die Entwicklung in den USA und Großbritannien beobachten die Autoren mit großer Sorge. "Wenn dort der Menschenrechtsschutz aufgeweicht wird, besteht die Gefahr, dass sich das auch bei uns einschleicht", warnt die Vize-Direktorin des Instituts, Frauke Seidensticker. Die USA hätten "planmäßig einen Graubereich" für Verhöre von Verdächtigen geschaffen, "in dem Misshandlungen und Folter im Austausch mit Sicherheitsdiensten angewandt wird".

Aber auch in anderen Ländern entstünden im Zuge der Terrorismusbekämpfung "regelrechte Parallelwelten der Rechtlosigkeit", in denen Verdächtige außerhalb jeder rechtsstaatlichen Kontrolle festgehalten oder Ausländer in nichtöffentlichen Verfahren abgeschoben würden. Insgesamt bestehe seit dem 11. September "eine klare Tendenz, sich auf militärische und politische Anti-Terrormaßnahmen zu beschränken und damit strukturelle Ursachen der Bereitschaft zur Unterstützung des Terrorismus außer Acht zu lassen".

Aus: FR, 30.07.2003


In der taz Max Hägler u.a.:

(...) Es bestehe die Tendenz, nur militärisch oder polizeilich auf diese Herausforderung zu reagieren, stellte das Institut fest. Beklagt wurde auch die mangelnde unabhängige Beobachtung von Krisengebieten. In Afghanistan etwa habe es "offensichtlich eine Zahl von Massakern" gegeben, allerdings gebe es von Seiten der westlichen Streitkräfte nicht einmal eine offizielle Zahl der zivilen Opfer, so der Politikwissenschaftler Wolfgang Heinz.

Die Maßnahmen gegen den Terror würden "rechtsfreie Inseln" entstehen lassen, etwa bei der Internierung von mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern in Guantánamo Bay durch die USA. Auch die Bundeswehr sei gefordert. Sie müsse vor künftigen Antiterror-Einsätzen bedenken, an welche Staaten Gefangene übergeben werden sollen. Diese Frage stelle sich gerade bei der Arbeit der Krisenreaktionskräfte, so Heinz. Auch müsse diskutiert werden, ob deutsche Einheiten künftig eigenständig über Menschenrechtsverletzungen informieren sollen, so die Studie. Heinz forderte die UN auf, in Krisenregionen ständig vor Ort zu sein und Menschenrechtsverletzungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Bisher werde darüber auf "etwa einem DIN-A4-Blatt" berichtet, so der Wissenschaftler, notwendig sei eine systematische Beobachtung.

Das Institut für Menschenrechte wird aus Bundesmitteln finanziert, arbeitet jedoch regierungsunabhängig. Am Freitag tritt der Konfliktforscher Heiner Bielefeldt als neuer Direktor sein Amt an. Vorausgegangen war eine lange Suche, nachdem sein Vorgänger, der Berliner Verwaltungsrichter Percy MacLean, nach nur einem halben Jahr zurückgetreten war. (...)

Aus: taz vom 30.07.2003


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