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Zensur findet nicht statt

Uwe Krügers Buch "Meinungsmacht" - "Ein großartiges Buch"

Von Peter Strutynski *

Es gibt Bücher, auf die man irgendwie schon lange gewartet hat. Das vorliegende Buch des jungen Wissenschaftlers Uwe Krüger – es handelt sich um seine an der Universität Leipzig angenommene Dissertation – fällt eindeutig unter diese Kategorie. Beklagen sich nicht alle gegen die herrschende Wirtschafts-, Sozial-, Außen und Sicherheitspolitik gerichteten alternativen Bewegungen seit Urzeiten darüber, dass ihre Ansichten gar nicht oder nur sehr unzureichend oder verfälscht in den Medien auftauchen? Das Wort von der „Gleichschaltung“ der großen Zeitungsverlage, aber auch der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten macht genauso die Runde wie der Vorwurf, wir hätten es hier zu Lande mit „Zensur“ zu tun. Von beidem kann indessen nicht die Rede sein – und dennoch funktioniert der Mainstream-Journalismus als ob.

Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Berichterstattung sog. Leitmedien über die Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie über die Münchner Sicherheitskonferenz. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Mainstream-Zeitungen die Sicherheitspolitik der Bundesregierung oder der NATO durchweg positiv beschreiben und kommentieren – ganz im Gegensatz zur überwiegend ablehnenden Haltung der Bevölkerung. Man erinnere sich nur einmal an den jahrelangen politischen und journalistischen Eiertanz um die Meidung des Begriffs „Krieg“, wenn über die Militärintervention in Afghanistan nach dem 11. September 2001 gesprochen wurde. Die Regierenden waren recht kreativ bei der Suche nach positiven Umdeutungen des Kriegs in eine „Stabilisierungs-“ oder „Friedensmission“ – und die Leitmedien fügten sich in aller Regel solcher Sprachregelung. Einleitend schildert der Autor ein paar Beispiele für die Unterdrückung, das Verschweigen oder das Zurechtbiegen unliebsamer, weil von der Politik nicht gewollter journalistischer Recherche-Ergebnisse, etwa die schädlichen Wirkungen der in den Balkan-Kriegen von der NATO eingesetzten Uranmunition. Als Anfang 2001 die ersten Berichte darüber den damaligen Verteidigungsminister Scharping in die Defensive brachten, reagierte er wie es Politiker in brenzligen Situationen gern tun: Er setzte eine Expertenkommission ein, welche die Vorwürfe überprüfen sollte. Die Leitung des Gremiums übertrug er Theo Sommer, dem ehemaligen Chefredakteur der ZEIT, der das Vertrauen des Ministers genoss, weil er in seinem ersten Leben einen Planungsstab auf der Hardthöhe geführt hatte und später Mitglied der Wehrstrukturkommission der Bundesregierung gewesen war. Ein halbes Jahr später gab die Kommission Entwarnung; Uranmunition wurde als unbedenklich eingestuft und in der ZEIT erschien ein Aufmacher mit dem Titel „Die Blamage der Alarmisten“. Damit war das Thema vom Tisch und Theo Sommer erhielt aus der Hand von Scharping das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold überreicht (S. 21).

Auch die uniforme Reaktion der Medien auf bestimmte politische Signale und Ereignisse steht in einem merkwürdigen Kontrast zum angeblichen Meinungspluralismus der freien Presse. Krüger erinnert an den Medien-Hype, der hier zu Lande um die „orangene Revolution“ in der Ukraine 2004 ausbrach. Die deutschen Medien übersahen in ihrem „Demokratie-Taumel“ (S. 26) geflissentlich die massive Unterstützung der ukrainischen „Revolutionäre“ durch US-amerikanische Stiftungen, deren Nähe zur Regierung in Washington mit den Händen zu greifen war. Abweichungen von dem publizierten Schema: hier der „gute“ pro-westliche Kandidat – dort der „böse“ pro-russische Kandidat, hat es in den Medien kaum gegeben. Und als der SPIEGEL einige Monate später in einer aufwändig recherchierten Titelgeschichte die amerikanische Hilfe thematisierte, geschah dies „nach dem unkritischen Erzählmuster, dass selbstlose US-Organisationen den unterdrückten Völkern Osteuropas die ‚Fackel der Freiheit‘ brächten“. Geostrategische Interessen der USA in dieser Region blieben vollständig „ausgeblendet“ (S. 27).

Nun können diese Beispiele – genannt werden noch einige andere (S. 19ff) – pars pro toto stehen. Für Marxisten ist der Fall relativ klar: Die großen Medien sind Teil jener Bewusstseinsindustrie, welche die Massen im Interesse des Systemerhalts ideologisch beeinflusst. Der amerikanische Reporter und Romancier Upton Sinclair hat schon vor knapp 100 Jahren den Journalismus ein Instrument des Klassenkampfes genannt; er „diene den Reichen und verachte die Armen“ (zit. n. dem Vorwort des Herausgebers, S. 16). Es kann sich aber auch nur um Einzelfälle handeln, als „Auswüchse“ oder Verstöße gegen die journalistische Ethik, die dem Leitbild des neutralen Beobachters verpflichtet ist. Uwe Krüger schlägt demgegenüber einen „Mittelweg“ ein, indem er nach Zusammenhängen zwischen den Einzelfällen und „eventuell dahinter liegenden Gesetzmäßigkeiten“ sucht, „ohne marxistische Axiome zugrunde zu legen, durch die die Medien von vornherein als Instanzen des Massenbetrugs gelten und die den Journalisten jegliche Autonomie absprechen“ (S. 28).

Entsprechend vorurteilsfrei und behutsam geht er ans Werk. Neben einer kritischen Inhaltsanalyse einschlägiger Leitartikel und Kommentare aus den vier führenden Prestigeblättern Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt und die Zeit fragt er vor allem danach, inwieweit sich in ihnen eine Elitenorientierung widerspiegelt und durch welche Mechanismen bzw. soziale Zugehörigkeiten bzw. Einbettungen diese Orientierung ermöglicht wird.

Ausführlich widmet sich Krüger vier kritischen Theorieansätzen aus den USA (S. 46ff), die alle auf unterschiedliche Weise eine Elitenorientierung der US-Leitmedien begründen. Herangezogen werden neben dem vor allem auf Herman und Chomsky u.a. zurück gehenden „Propaganda-Modell“ (die Medien als bewusster Verstärker der Meinung der politischen Klasse) die „Indexing-Hypothese“ (die kritiklose Übernahme der Regierungsmeinung im Großen und Diskussion taktischer Unterschiede in Detailfragen), die „Guard Dog Perspective“ (Medien als wehrhafte Hüter des bestehenden Systems – Schutzhund – „guard dog“ - in Abgrenzung zum bissigen Wachhund – „watchdog“ - oder zum lammfrommen Schoßhund – „lapdog“) sowie das „Protest Paradigm“ (Medien sind Instrumente der sozialen Kontrolle und reagieren auf systemkritischen Protest ähnlich feindselig wie die herrschende Politik). Die vier Theorie werden anschließend auf ihre Tauglichkeit für die Analyse der deutschen Medienlandschaft geprüft, wobei ganz klar die Indexing-Hypothese und das Propaganda-Paradigma das Rennen machen. Erst hier (S. 84ff) kann Krüger dann seine Hypothesen über die Muster und Ursachen der Berichterstattung deutscher Leitmedien formulieren. Ich möchte drei herausgreifen:
  1. Die Leitmedien bilden hauptsächlich die Diskussion innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Eliten ab; sie sind eingebettet in den „aktuell laufenden Elitediskurs“ und hinterfragen dessen Prämissen nicht. Kritiker der Eliten sowie systemkritische Ideen werden „ignoriert, marginalisiert oder durch den Kontext delegitimiert“ (S. 84).
  2. Kritik in den Leitmedien spiegelt in der Regel nur Argumente wider, die in den Kreisen der Elite kursieren. „Die Kritik ist somit tendenziell konservativ.“ (S. 84) Daraus folgt auch, dass die ausführlichste und kritischste Berichterstattung dann zu erwarten ist, wenn es bei einem Thema einen Streit innerhalb der Elite gibt.
  3. Dies alles gilt umso mehr, „je existenzieller das zu diskutierende Thema ist“. Das heißt, die geschilderten Mechanismen greifen am stärksten bei Fragen von Krieg und Frieden, Militäreinsätzen eigener Soldaten oder verbündeter Staaten oder der Sicherheitspolitik. (S. 85)
An dieser Stelle beginnt ein weiterer spannender Teil der Arbeit von Krüger. Entsprechend seiner Leitfrage, woher es denn kommt, dass die führenden Journalisten (sog. Alpha-Journalisten) auch ohne Druck und Zensur denselben politischen Zielen verpflichtet sind wie die wirtschaftliche und politische Elite, untersucht er die Netzwerke, in denen die von ihm definierten Elite-Journalisten sich vorwiegend bewegen oder deren Teil sie sind. Und hier kommt er zu interessanten empirischen Ergebnissen, die zeigen, dass eine Reihe von leitenden Journalisten (es sind 64) zum Teil mehrfache Verbindungen zu einer größeren Zahl von Organisationen (Stiftungen, Vereine, Think Tanks, Hintergrundkreise oder Körperschaften aus Politik und Wirtschaft) hat (S. 117ff). Solche Verbindungen sind verständlicherweise vorteilhaft für die Organisationen – über die ein Journalist wohl nicht allzu kritisch berichtet, wenn er ihnen angehört -, aber auch für die Journalisten, da sie sich mit ihrer Zugehörigkeit zugleich einen privilegierten Zugang zu exklusiven Informationen „aus erster Hand“ sichern können. Das ist ihr „Sozialkapital“. Diese Makroanalyse wird weiter zugespitzt auf Fallanalysen von fünf Journalisten, die besonders hohe „personelle Schnittmengen bzw. Redundanzen“ aufweisen. Es sind dies Markus Schächter vom ZDF, Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ), Stefan Kornelius (SZ), Michael Stürmer (Welt) und Josef Joffe (Zeit). Eine genauere Untersuchung von deren „Ego-Netzwerken“ ergibt etwa für den ZDF-intendanten, dass er als Beirat vieler gemeinnütziger Organisationen im Bereich Kultur und Soziales für deutsche Politiker und Manager gut erreichbar ist. Und das außenpolitisch tonangebende Personal von FAZ, SZ, Welt und Zeit ist in Organisationen und Elitezirkeln involviert, die sich mit Außen- und Sicherheitspolitik befassen „und eine Schlagseite zu den USA und der NATO aufweisen“ (S. 150).

Und da auf diesem Feld die Kluft zwischen der veröffentlichten Meinung und der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung besonders eklatant ist, wird im weiteren Untersuchungsverlauf getestet, inwieweit die Zugehörigkeit zu den geschilderten Netzwerken einen Einfluss auf die Berichterstattung der vier außenpolitischen Chef-Journalisten hatte oder ob sie zumindest eine Koinzidenz mit ihr aufweisen (S. 151). Krüger hat hierzu den journalistischen „Output“ der vier Journalisten im Zeitraum von 2002 und 2010 untersucht, und zwar nach deren Einstellung zum erweiterten Sicherheitsbegriff (den die NATO nach dem Ende der Blockkonfrontation für sich usurpiert hatte) und damit zum veränderten Sicherheitsparadigma nach 1991, zu den diversen Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zur Kriegs- und Krisenursachenanalyse. Das Ergebnis der Inhaltsanalyse ist eindeutig: Die Journalisten argumentieren durchweg im Sinne der außen- und sicherheitspolitischen Akteure der Bundesrepublik bzw. der NATO, sie gehen teilweise sogar darüber hinaus und mahnen die Regierung zu noch größerem militärischem Engagement und zur Pflege der „transatlantischen Partnerschaft“. „Die Argumentation der vier Journalisten ist zusammenfassend als unkritisch bis persuasiv zu qualifizieren; Gegenargumente zum offiziellen Diskurs wurden kaum diskutiert.“ (S. 220).

Überprüft wird diese Aussage in einem letzten empirischen Zugriff auf die Berichterstattung zur Münchner Sicherheitskonferenz einschließlich der Gegenveranstaltungen und Proteste. Es kommt aber auch hier zum erwarteten Ergebnis: Abgebildet wird in den Leitmedien (hier: Welt, SZ und FAZ) lediglich der Diskurs unter den versammelten Politikern, Militärs und sonstigen Sicherheitsexperten der Sicherheitskonferenz, während die Proteste dagegen ignoriert, marginalisiert oder (in der SZ) als lokales Phänomen behandelt werden mit stark negativer Bewertung. Die Elite-Journalisten der drei Zeitungen sind im Übrigen nicht nur Berichterstatter, die – wie andere Presseleute – auf der Galerie sitzen, sondern sie sind Teilnehmer der Sicherheitskonferenz und somit Teil der dort agierenden politischen Elite, geraten also notwendig in Konflikt mit ihrer Rolle als neutrale Beobachter.

Am Rollenverständnis eines ethisch definierten Elite-Journalismus knüpfen auch die Schlussfolgerungen der Arbeit an. Es geht Krüger vor allem darum, einen „Sicherheitsabstand“ zwischen Journalisten und Eliten zu definieren und – etwa in einem erweiterten Pressekodex – zu normieren. Leitende Journalisten sollten z.B. keine Aufgaben in Beiräten, Kuratorien und Politikplanungskörperschaften wahrnehmen dürfen; außenpolitische Ressortleiter haben nicht in einem Verein zur Förderung der transatlantischen Beziehungen zu suchen.

Wer mehr will, muss die Gegenöffentlichkeit zum herrschenden Politik-Konsens stärken, Alternativen erarbeiten und im öffentlichen Raum darstellen und Aufklärung im Großen wie im Kleinen betreiben. Die Linke oder die Friedensbewegung sind hierbei nicht auf sich selbst zurückgeworfen, sondern können auf eine Grundzustimmung in größeren teilen der Bevölkerung zählen. Dies zeigen derzeit die Reaktionen auf die Ukraine-Krise. Während Politik und Leitmedien einträchtig auf Russland einschlagen, gibt es im gemeinen Volk erstaunlich viele „Russlandversteher“. Das erklärt Uwe Krüger in seinem Buch nicht mehr. Aber sein Buch erklärt uns, wie es um die Medien hier zu Lande bestellt ist und warum sie auch ohne Zensur so gut im Sinne der Herrschenden funktionieren. Eine großartige Arbeit!

Uwe Krüger: MEINUNGSMACHT. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse. Herbert von Halem Verlag: Köln 2013, br., 375 S., 29,50 EUR, ISBN 978-3-86962-070-1


* Dieser Beitrag erschien in: Marxistische Blätter, Heft 3, 2014, S. 144-147

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