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Vorbild Batista

Private Medienbesitzer Lateinamerikas beraten in Mexiko Strategien gegen den Fortschritt. Stargast ist eine kubanische Systemgegnerin, die über Pressefreiheit referieren soll

Von Volker Hermsdorf *

Am Freitag beginnt im mexikanischen Puebla die halbjährlich stattfindende Versammlung der Interamerikanischen Pressegesellschaft (Sociedad Interamericana de Prensa, SIP), des Dachverbands der privaten Medienbesitzer auf dem Kontinent. Stargast der dreitägigen Konferenz ist die kubanische Systemgegnerin Yoani Sánchez, die seit November letzten Jahres für ein stattliches vierstelliges Monatsgehalt die Interessen der SIP in Kuba vertreten soll.

Sánchez, die sich seit Mitte Februar auf einer gesponserten Tour um die halbe Welt befindet, soll am Samstag im noblen Hotel »Presidente Intercontinental« vor dem Gouverneur der gleichnamigen Provinz Puebla und den Medienmogulen über »Pressefreiheit in Kuba« referieren. Für Sonntag ist eine Pressekonferenz mit ihr zum gleichen Thema vorgesehen. In weiteren Veranstaltungen wollen die Verleger sich zur Situation in Venezuela, Ecuador, Bolivien und Argentinien äußern. Die Pressefreiheit in Mexiko, Brasilien und Honduras steht dagegen nicht explizit auf der Tagesordnung, obwohl diese Länder die Statistik der ermordeten Journalisten auf dem Kontinent anführen.

Nach einem Untersuchungsbericht der Lateinamerikanischen Journalistenorganisation Felap (Federación Latinoamericana de Periodistas) stand Mexiko 2012 mit 17 getöteten Pressevertretern an der Spitze, gefolgt von Brasilien mit zehn und Honduras mit neun solcher Morde. In der gesamten Region sind nach der Felap-Statistik allein in den fünf Jahren zwischen 2007 und 2012 insgesamt 209 Pressemitarbeiter umgebracht worden, während in Kuba in den 54 Jahren seit dem Sieg der Revolution nicht ein einziger Journalist getötet wurde. In Mexiko, so titelte deshalb die Wiener Tageszeitung Der Standard bereits vor zwei Jahren, sei »die Pressefreiheit schon lange gestorben«.

Die privaten Medienbesitzer und ­Yoani Sánchez beurteilen Pressefreiheit allerdings nach anderen Maßstäben. So ließ sich die SIP-Angestellte im April 2010 in einem Interview mit dem französischen Journalisten und Hochschullehrer Salim Lamrani zu einem entlarvenden Lob der vorrevolutionären Batista-Diktatur in Kuba hinreißen. »Das Regime war eine Diktatur, aber es gab eine pluralistische und offene Freiheit von Presse, Radio und allen politischen Richtungen«, erklärte sie ihre Sicht der Dinge, die sich mit der der SIP deckt.

Die SIP vertritt die Eigentümer von rund 1300 Publikationen des Kontinents. Die tatsächliche Macht liegt allerdings bei wenigen Konzernen. In Lateinamerika beruht die Medienkonzentration vor allem auf Vorteilen, die private Eigentümer durch Unterstützung von Diktaturen erlangt haben. Seit Jahrzehnten betätigt sich die SIP als Mitorganisator faschistischer Staatsstreiche. So etwa beim blutigen Putsch gegen die Unidad-Popular-Regierung Salvador Allendes 1973 in Chile. SIP-Mitglied Augustin Edward hatte mit seiner Tageszeitung El Mercurio eine Schlüsselrolle beim Sturz der gewählten Regierung und gehörte danach zu den Unterstützern der Pinochet-Diktatur. Auch Terror und Folterungen der Militärjunta in Argentinien waren von den in der SIP organisierten Medienbesitzern wohlwollend begleitet worden. Später waren die SIP-Pressezaren an Angriffen auf demokratisch gewählte linke Regierungen in der Region, wie bei den versuchten Staatsstreichen gegen die Präsidenten Hugo Chávez von Venezuela (2002) und Rafael Correa von Ecuador (2010) sowie den illegalen Umstürzen in Honduras (2009) und Paraguay (2012) als Drahtzieher und Helfer auf seiten der Putschisten beteiligt. Es sei nicht akzeptabel, hatte bereits der verstorbene argentinische Präsident Néstor Kirchner erklärt, »daß ausgerechnet diejenigen sich zu Lehrmeistern der Pressefreiheit aufspielen, die ihre Ziele mit Entführungen, Folter und Mord durchsetzen«.

Auch in Kuba, das als einziges Land der Region das Geschäft privater Informationsmonopole nicht zuläßt, engagieren sich die Medienbesitzer bereits seit mehr als 50 Jahren für die Konterrevolution. Nach dem Sturz des Diktators Fulgencio Batista im Jahr 1959 setzte die SIP sich für die Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse und später für die Blockade der USA gegen Kuba ein. Seit Jahren arbeitet die SIP eng mit der US-Interessenvertretung (SINA) in Havanna zusammen, in der Yoani Sánchez – wie Wikileaks-Veröffentlichungen belegen – ein- und ausgeht.

Der mexikanische Journalist Alberto Buitre, der 2009 mit dem »Nationalpreis für Journalismus gegen Diskriminierung« ausgezeichnet wurde, würde gern mit Sánchez tauschen. »Vielleicht kommt ja auch hier einmal der Tag, an dem ein einfacher Blogger angstfrei durch die Straßen laufen und sich das teuerste Bier leisten kann«, schrieb er kurz vor deren Ankunft in Mexiko in der Internetplattform Rebelión. Er wünsche sich, daß eines Tages auch ein mexikanischer Journalist mit Sponsorengeldern durch die Welt reisen kann, ohne daß ihm aus politischen Gründen die Visa verweigert werden. Auch er würde gern für illegale Aktivitäten in Dollar bezahlt werden und gegen die Verfassung verstoßen können, ohne daß die Polizei an seine Tür klopft. Er wünsche sich schließlich ein Leben, in dem »niemand dich und deine Familie mit dem Tod bedroht, nur weil du eine Meldung bei Twitter geschrieben hast«. Buitre schließt seinen Vergleich mit der Hoffnung: »Vielleicht kommt diese Diktatur ja einmal auch nach Mexiko, und ich kann als kritischer Journalist so leben wie Yoani Sánchez.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. März 2013


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