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Keine Herausgeber mehr

"Freitag"

Herausgeber. Zierde einer Zeitung? Glanz-Kopf im besten Sinne. So etwas wie die geistige Leuchtreklame am Dach einer Redaktion. Am besten noch, wenn es wahre Schreib-Kräfte sind, die eine Zeitung herausgeben. Wer‘s bei einem wahrhaft guten Herausgeber schwer hat, ist der Chefredakteur. Das ist gerecht und treibt die Dinge produktiv voran.

Der »Freitag« hatte mit Frithjof Schmidt, Friedrich Schorlemmer, Daniela Dahn und György Dalos vier Herausgeber. Jetzt regieren Geschäftsführer und Chefredakteur allein. Die Zeit des »Übergangs«, so Besitzer Jakob Augstein, sei vorüber, der »Freitag« (der aus der DDR-Wochenzeitung »Sonntag« und der bundesdeutschen »Volkszeitung« hervorging) etablierte sich als »linksliberales« Blatt; man könne von einer Normalisierung sprechen, die offenbar bestimmter quasisymbolischer Gremien nicht mehr bedarf.

Daniela Dahn und Friedrich Schorlemmer betonten gegenüber nd, es habe seit geraumer Zeit Auseinandersetzungen um die inhaltliche Beteiligung der Herausgeber gegeben. Mit einem Brief ist die geistige Beihilfe des Herausgeber-Quartetts beendet worden. Schorlemmer sieht in dem Schritt einen weiteren Versuch, die »Ost-West-Problematik« zu entschärfen; Daniela Dahn spricht von »generell nachlassender intellektueller Substanz« der Zeitung, um sich bewusst und couragiert vom Mainsteam der Medienlandschaft unterscheiden zu können. Was vielleicht gar nicht mehr so prononciert beabsichtigt sei. jh

* Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012


»Der Freitag hat intellektuell an Substanz verloren«

Kurswechsel: Verleger Augstein verzichtet auf die vier Herausgeber und richtet das Blatt »linksliberal« aus. Ein Gespräch mit Daniela Dahn **

Die Schriftstellerin Daniela Dahn war bis zum Jahreswechsel Mitherausgeberin der Wochenzeitung Freitag.


Bisher waren Sie gemeinsam mit György Dalos, Frithjof Schmidt und Friedrich Schorlemmer Herausgeberin der Wochenzeitung Freitag. Verleger Jakob Augstein will künftig auf dieses Gremium verzichten – warum?

Vorab: Ich will auch künftig für den Freitag nur das Beste. Aber eine Zeitung, die die Wikileaks-Enthüller Bradley Manning und Julian Assange als Helden feiert, muß natürlich selbst innerredaktionelle Vorgänge, nach denen Journalisten fragen, transparent halten.

Also: Jakob Augstein hat uns Herausgeber in einem ausführlichen Brief wissen lassen, daß der Freitag nach einer Zeit des Überganges, für deren Begleitung er uns ausdrücklich dankt, nun eine normale Zeitung geworden ist, für die sich das Institut der Herausgeber überlebt hat.

Immerhin hat der Freitag respektable Wurzeln – seine Vorgänger waren die pazifistische Deutsche Volkszeitung, die antifaschistische Die Tat (beide BRD) und der Sonntag (DDR). Kappt Jakob Augstein jetzt diese Wurzeln?

Diesen Wurzeln, aber auch dem alten Freitag gegenüber hat sich Jakob Augstein von Anfang an nicht sonderlich verpflichtet gefühlt, er wollte das Blatt zu einer neuen Identität führen, was als Geldgeber sein Recht ist. Und was z.T. auch nötig war – die neue online-Ausgabe, die Blogger-Community sowie ein zeitgemäßeres Layout haben der Zeitung gut getan. Dennoch empfand ich eine gewisse Herablassung gegenüber den Vorgängern. Noch in seinem Abschiedsbrief an uns hält es der Verleger für nötig, dem alten Freitag nur den »Charakter eines Projekts« zuzubilligen, während der neue endlich den einer Zeitung habe.

Gut, daß einstige Herausgeber wie Günter Gaus und Wolfgang Ullmann das nicht mehr hören müssen. Heribert Prantl schrieb 2004, also lange vor der Ära Augstein, in der Süddeutschen Zeitung: »Der Freitag ist heute die gescheiteste deutsche Wochenzeitung – klein, aber unverwechselbar souverän, bisweilen angenehm anachronistisch.« Ein vergleichbares Lob aus so kompetentem Munde habe ich leider lange nicht mehr gehört. Der Freitag hat an intellektueller Substanz verloren. Darüber, was diese Wochenzeitung unverwechselbar macht, gingen die Auffassungen zwischen mir und Jakob Augstein zunehmend auseinander.

Welchen Einfluß hatten die Herausgeber auf die redaktionelle Gestaltung des Blatts?

Die Herausgeberschaft war ehrenamtlich, in die tägliche Arbeit wollten und sollten wir nicht eingreifen. Die Herausgeber standen mit ihren Namen, mit den Büchern, Texten oder Aktivitäten, die sie ausmachen, für die linke Pluralität der Zeitung. Insofern haben wir schon für uns in Anspruch genommen, Mitsprache zu fordern, wenn es um das Profil der Zeitung ging. Außerdem sind Herausgeber eine Art Scharnier zwischen Verleger und Redaktion. Bei Konflikten sah ich meinen Platz bei denen, die abgesetzt, entlassen oder – was selten war, aber vorkam – aus politischen Gründen nicht gedruckt wurden. Da kommt bei Verantwortlichen auch nicht immer Freude auf.

Gab es Reibereien in der Zusammenarbeit?

Reibereien sind ja kein Makel – ein kritisches Korrektiv zu sein, gehört zu den Aufgaben von Herausgebern. Innerhalb der Redaktion ist es auf eine beinahe irrationale Weise nicht gelungen, die Kluft zwischen alter und neuer Belegschaft zu überwinden. Beide Seiten beäugen sich bis heute mißtrauisch.

Von der alten Mannschaft ist sowieso nicht mehr viel übrig. In der Chefredaktion und unter den Ressortleitern gibt es niemanden mehr, der aus dem Osten kommt. Auch insofern ist der Freitag eine normale Zeitung geworden. Vielleicht gerade deshalb war Jakob Augstein von Anfang an der Meinung, daß das Brückenschlagen zwischen Ost und West kein Kernthema im Freitag mehr sein müsse. Ich habe das für einen Fehler gehalten, weil es bis heute weder der Realität in der Redaktion noch im Lande entspricht. Und weil der Freitag ohne Not ein Alleinstellungsmerkmal aufgegeben hat. Er ist nach eigenem Selbstverständnis auf dem Weg von einer linken zu einer linksliberalen Wochenzeitung, was immer das heißen mag. Das schließt nicht aus, daß es immer wieder großartige Nummern oder zumindest hervorragende einzelne Texte gibt.

Hat Jakob Augstein das Gespräch mit Ihnen allen gesucht, bevor er seine Entscheidung verkündete?

Nein. Die Herausgeber haben im November das Gespräch mit ihm gesucht, um nachzufragen, ob wir überhaupt noch gebraucht würden. Wir fanden uns zu wenig einbezogen in die Veränderungen, die sich abzeichnen. Wir haben unsere weitere Mitarbeit davon abhängig gemacht, daß sich die Kommunikation verbessert. Zehn Tage später kam für alle Herausgeber der blaue Brief.

In gewisser Weise ist das nur konsequent. Ich war immer beeindruckt, mit wieviel Engagement Jakob Augstein den Freitag zu seiner Sache gemacht hat. Er trägt das finanzielle Risiko allein, vertritt sein Blatt in Talkshows und Veranstaltungen, hat viele Kontakte und ist auch als pointierter Autor eine Bereicherung.

Warum soll er sich da reinreden lassen? Sein Bedarf an Beratung hält sich in Grenzen. Das sage ich nicht ohne Bedauern. Die Presselandschaft ist im Umbruch, und ich wünsche dem Freitag sehr, daß er seinen Platz finden möge.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 6. Januar 2012


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