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"Die von der Regierungskoalition getroffene Unterscheidung zwischen "gefährlicher" und "ungefährlicher" Streumunition ist für uns nicht tragbar" (Paul Schäfer)

Zu Protokoll gegebene Reden im Bundestag zum Thema Streumunition - Heimtückische Waffen, die zuletzt massenhaft im Libanon eingesetzt wurden

Am 28. September 2006 beriet der Deutsche Bundestag über drei Anträge, die sich mit Streumunition befassten. Anträge hatte die Regierungskoalition eingebracht - dieser Antrag wurde auch angenommen -, die Bündnisgrünen zogen mit einem längeren Antrag nach (er wurde an die Ausschüsse verwiesen) und die FDP stellte einen eigenen Antrag - der abgelehnt wurde. Die Fraktion DIE LINKE begründete in einem schriftlich eingereichten Debattenbeitrag (Paul Schäfer), warum sie gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen würde, warum sie keinen eigenen Antrag eingebracht hatte und warum sie den Antrag der FDP unterstützen wollte.
Im Folgenden dokumentieren wir die zu Protokoll gegebenen Reden der Abgeordneten

Die Anträge befinden sich hier:
Drucksachen 16/1995, 16/2749, 16/2780;
und hier geht es zu einem weiteren aktuellen Beitrag zum Thema Streumunition:
Streubomben: Die anonymen Killer!.



Aus dem Protokoll der 54. Sitzung des Deutschen Bundestags (28.09.2006)

Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b sowie Zusatzpunkt 5:

17 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD
Gefährliche Streumunition verbieten - Das humanitäre Völkerrecht weiterentwickeln
- Drucksache 16/1995 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Zivilbevölkerung wirksamer schützen - Streumunition ächten
- Drucksache 16/2749 -

Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Rechtsausschuss, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Verteidigungsausschuss, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Haushaltsausschuss

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian Toncar, Harald Leibrecht, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für die Ächtung von Landminen und Streumunition
- Drucksache 16/2780 -

Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Rechtsausschuss, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, Verteidigungsausschuss, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Haushaltsausschuss

Auch hier haben die Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Kollegen Hans Raidel, Andreas Weigel, Florian Toncar, Paul Schäfer und Winfried Nachtwei.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/1995 mit dem Titel "Gefährliche Streumunition verbieten - Das humanitäre Völkerrecht weiterentwickeln". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/ Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 17 b. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 16/2749 zu überweisen, zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie an den Haushaltsausschuss. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Zusatzpunkt 5. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2780 mit dem Titel "Für die Ächtung von Landminen und Streumunition". Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der FDP-Fraktion.




Anlage 9: Zu Protokoll gegebene Reden

Hans Raidel (CDU/CSU):

Mit unserem Antrag "Gefährliche Streumunition verbieten - Das humanitäre Völkerrecht weiterentwickeln" greifen wir ein äußerst wichtiges abrüstungspolitisches Thema auf, das durch viele Krisenherde in der Welt, insbesondere aber durch aktuelle Kampfhandlungen im Libanonkonflikt, uns erneut seine Brisanz eindringlich ins Bewusstsein ruft. Jedermann weiß, gefährliche Blindgänger von Streumunition hemmen die Wiederaufbauanstrengungen und erschweren den Transport von Hilfssendungen sowie die Nutzung oder Urbarmachung land- und forstwirtschaftlicher Flächen. Sie erschweren an vielen ehemaligen Schauplätzen bewaffneter Konflikte die Rückkehr der Zivilbevölkerung in ihre angestammten Wohngebiete.

Andere Fraktionen haben eigene Anträge gestellt. Um es klarzustellen: Wir achten jede Auffassung und Meinung, die hilft, die Ächtung und letztlich die Beseitigung dieser scheußlichen Kriegsmittel herbeizuführen und völkerrechtlich möglichst rasch verbindliche Formen mit Verträgen, Vereinbarungen oder Protokollen zu erreichen. Dass wir dabei die Respektierung unserer Auffassung ebenso erwarten, ist selbstverständlich. Es geht also nicht um das Ob, da sitzen wir im selben Boot, sondern um das Wie. Welche Wege sind erfolgreich? Welche Maßnahmen sind geeignet, das Thema zu befördern? Welche sind eher schädlich? Und es geht trotz aller Sympathien für das Thema auch darum, welche Sicherheitsinteressen für das eigene Land, für die EU, für die NATO und andere Regionen berücksichtigt werden müssen.

Wir wissen aus Erfahrung, wie mühsam es ist, Abrüstungserfolge zu erzielen. Betrachten wir nur das Ottawa-Minenprotokoll und das damit verbundene jahrelange Tauziehen. Deutschlands Regierung und Parlament haben sich dabei besonders engagiert und erfolgreiche Schrittmacherdienste geleistet. Das Ottawa-Minenprotokoll wirkt. Diplomatisches Fingerspitzengefühl für das politisch Machbare, verbunden mit einem realistischen Schrittfolgekonzept der praktischen Schritte und des Zeitmaßes für die Ächtung und Beseitigung sind auch hier das Gebot der Stunde. Ein langer Atem und die Bereitschaft zum Bohren dicker Bretter sind auch hier Voraussetzungen für den Erfolg. "Alles oder nichts"-Konzepte" und Betrachtungen vom hohen moralischen Podest führen erfahrungsgemäß nicht zum Erfolg.

Mit unserem Antrag stützen und unterstützen wir den eingeschlagenen Weg der Bundesregierung und befürworten die diplomatischen Initiativen des Auswärtigen Amtes und die praktischen Schritte im deutschen Beseitigungskonzept der Bundeswehr.

Inzwischen verstehen immer mehr Regierungen die Dringlichkeit des Themas. Um die Diskussion voranzubringen, haben wir im März 2006, als erster Staat überhaupt, eine Definition von Streumunition vorgestellt. Unsere Definition wird auf den nächsten Sitzungen weiter diskutiert werden, wobei wir natürlich auch zusätzliche bilaterale Gespräche, so unter anderem mit Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und anderen, führen. Damit sind wir unserem Ziel, eine substanzielle internationale Diskussion über Streumunition anzustoßen, ein gutes Stück näher gerückt. Eine Reihe von Mitgliedstaaten, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und die in der Thematik führende Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch haben unsere Vorstöße ausdrücklich begrüßt.

Als langfristiges Ziel der Diskussionen streben wir ein Protokoll zu Streumunition an, das Regelungen zu Verlässlichkeit, aber auch zum Einsatz umfassen sollte. Dabei setzen wir uns für ein Verbot solcher Streumunition ein, deren für Personen gefährliche Blindgängerrate bei über einem Prozent liegt.

Bis dahin ist aber noch ein langer Weg. Wir sind davon überzeugt, dass wir behutsam agieren müssen, um möglichst viele Staaten auf diesem Weg mitzunehmen. Wir glauben daher, dass der von einigen Staaten wie der Schweiz oder Schweden erhobene Ruf nach einem Verhandlungsmandat über Streumunition verfrüht ist und die Gefahr eines abrupten Endes der Diskussionen im Rahmen des UN-Waffenübereinkommens in sich birgt.

Wichtig ist vor allem, das Thema überhaupt international zu behandeln und ein Forum für den Vergleich nationaler Anstrengungen zu bieten. Schon dadurch werden sich viele Änderungen ergeben. So sind wir davon überzeugt, dass die wegweisende deutsche Entscheidung, Streumunition durch alternative Munition zu ersetzen, einen profunden Einfluss auf die Rüstungsentscheidungen anderer Länder haben wird.

Bislang hat nur Belgien im Februar/März 2006 ein gesetzliches Verbot von Streumunition erlassen, das auch den vollständigen Abbau der nationalen Bestände einschließt. Norwegen hat im Sommer 2006 bekannt gegeben, dass ein Moratorium zu Streumunition entsteht, bis die nationalen Tests zur Blindgängerrate abgeschlossen sind. Kein weiterer Mitgliedstaat der Europäischen Union und der NATO ist bisher diesem Beispiel gefolgt.

Gradmesser für das Erreichbare zur Weiterentwicklung der humanitären Rüstungskontrolle bei Streumunition ist das UN-Waffenübereinkommen, CCW, mit seinem globalen Konsultationsmechanismus. Die bisherigen Erörterungen des Themas in diesem Rahmen, zuletzt Anfang September in Genf, haben gezeigt, dass derzeit keine Aussicht besteht, dass der überwiegende Teil der Staatengemeinschaft einem kurzfristigen Verzicht auf Streumunition zustimmt. Etliche Staaten sperren sich bereits gegen ein Erörterungsmandat zu Streumunition.

Die Bundesregierung ist dagegen nachhaltig bemüht, dass die CCW-Überprüfungskonferenz im November 2006 ein Mandat für das Jahr 2007 verabschiedet, das Erörterungen zur Funktionszuverlässigkeit und zum Einsatz von Streumunition vorsieht, um so die Grundlagen für ein von uns angestrebtes Verbot solcher Streumunition zu legen, deren für Personen gefährliche Blindgängerrate über einem Prozent liegt. Der noch weiter gehenden Forderung einiger weniger Vertragsstaaten, bereits jetzt ein Verhandlungsmandat zu beschließen, wurde gerade von solchen Staaten eine Absage erteilt, die über erhebliche Bestände an Streumunition verfügen. Doch gerade diese Staaten gilt es in unsere Bemühungen zum schrittweisen Verzicht auf Streumunition einzubinden. Die Position der Bundeswehr beurteile ich folgendermaßen:

Im Rahmen des UN-Waffenübereinkommens - Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können - hat Deutschland stets das Ziel verfolgt, die Auswirkungen bewaffneter Konflikte in ihrem Verlauf und nach ihrer Beendigung vor allem auf die Zivilbevölkerung zu minimieren.

Das Protokoll über explosive Kampfmittelrückstände - Protokoll V vom 28. November 2003 zum UN-Waffenübereinkommen - trägt der Erkenntnis Rechnung, dass explosive Kampfmittelrückstände, unter anderem Blindgänger, nach Konflikten schwerwiegende humanitäre Probleme verursachen. Neben allgemeinen Regelungen zur Reduzierung der Gefahren durch explosive Kampfmittelrückstände enthält das Protokoll V auch die Verpflichtung zur Kennzeichnung und Beseitigung konventioneller Blindgänger und Fundmunition. Außerdem soll die Funktionszuverlässigkeit von Munition auf freiwilliger Basis verbessert werden.

Das Gesetz zum Protokoll V zum UN-Waffenübereinkommen ist am 11. Februar 2005 in Deutschland in Kraft getreten. Deutschland hat am 3. März 2005 als fünfter Vertragsstaat die Ratifizierungsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen als Verwahrer des UN-Waffenübereinkommens hinterlegt. Das Protokoll wird absehbar am 12. November 2006 für rund 22 Staaten völkerrechtlich in Kraft treten, die es bereits ratifiziert haben.

Festzuhalten gilt: Streumunition ist bislang ein völkerrechtlich zulässiges Verteidigungsmittel. Ihr Einsatz ist jedoch, genauso wie der Einsatz anderer Waffen, Einschränkungen durch das humanitäre Völkerrecht unterworfen, insbesondere ist ein Einsatz gegen die Zivilbevölkerung, zivile Siedlungsgebiete oder zivile Objekte verboten. Spezielle völkerrechtliche Regeln, so insbesondere im Rahmen des UN-Waffenübereinkommens, zu technischen Spezifikationen oder zum Einsatz von Streumunition gibt es bislang nicht.

Streumunition ist entwickelt und beschafft worden, um Flächenziele auf begrenztem Raum, aber auch verteilte Einzelziele, so zum Beispiel Ansammlungen von Panzerfahrzeugen, Raketenwerfern, Artilleriegeschützen oder Flugzeugen am Boden, auf Entfernung zu bekämpfen. Streumunition ist somit ein Mittel, um gegnerische Kräfte so frühzeitig wie möglich zu bekämpfen und damit auf Abstand zu halten, um den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten sowie die Durchhaltefähigkeiten zu erhöhen. Auch zukünftig muss sich die Bundeswehr auf Einsätze im gesamten Intensitätsspektrum einstellen, sodass auch die Fähigkeit zur Bekämpfung von Flächenzielen nicht zuletzt im Interesse des Schutzes eigener Soldaten und der von Verbündeten unverändert erforderlich bleibt.

Um die Anzahl gefährlicher Blindgänger weitestgehend zu beschränken, muss Streumunition über eine größtmögliche Verlässlichkeit verfügen. In dieser Hinsicht verfügt Streumunition der Bundeswehr über den höchsten technisch derzeitig erreichbaren Standard.

Hinsichtlich der für Personen gefährlichen Blindgängerrate strebt die Bundesregierung eine Obergrenze von maximal einem Prozent an. Streumunition, deren Verlässlichkeit nicht auf die von der Bundesregierung angestrebten Werte erhöht werden kann, wurde und wird, wo noch in Restmengen vorhanden, aus dem Bestand der Bundeswehr schrittweise mit dem Ziel der Vernichtung entfernt. Ein Beispiel hierfür ist die Streumunition BL-755 der Luftwaffe, welche die Bundeswehr bereits seit dem Jahr 2001 aussondert und umweltgerecht entsorgt. Aufgrund konzeptioneller und bündnispolitischer Verpflichtungen ist es notwendig, die erforderlichen Fähigkeiten für die Auftragserfüllung kontinuierlich bereitzuhalten. Zeitliche Lücken dürfen dabei nicht entstehen. Umstellungen können also nicht abrupt, sondern müssen in Phasen gestaltet werden, die zudem den Transformationsprozess der Streitkräfte berücksichtigen.

Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung entschieden, dass die Bundeswehr ab sofort keine Neubeschaffung von Streumunition vorsieht; dass bereits im Jahr 2008 eine zunehmende Verlagerung des Schwerpunkts der Wirkmittel zur Bekämpfung von Flächenzielen weg von der Streumunition und hin zu alternativen Kampfmitteln vorgesehen ist; dass im Jahr 2015 geprüft wird, ob die dann noch vorhandene Streumunition insgesamt durch alternative Munition ersetzt werden kann, und dass 33 Prozent des Heeres- und über 90 Prozent des Luftwaffenträgerbestandes an Streumunition bis absehbar zum Jahr 2009 ausgephast werden.

Die Vorgehensweise stellt sicher, dass Deutschland seine Bündnisverpflichtungen erfüllen und gleichzeitig anderen Staaten Orientierung geben kann, wie der stufenweise Verzicht auf Streumunition insgesamt und re-alistisch vollzogen werden kann. Der Zeitplan ist also sehr ehrgeizig. Dies alles ist auch technischen und finanziellen Zwängen unterworfen. Schneller geht es nicht. Die Bundesregierung hat sich trotz der hohen Kosten für einen Umstieg von Streumunition auf alternative Munitionen entschieden. Anderen weisen wir damit den Weg. Mit dieser Position, die einen Einsatz von Streumunition nur dann vorsieht, wenn geeignete alternative Munition nicht verfügbar ist, nimmt die Bundesregierung international eine Vorreiterrolle ein, auch unter unseren westlichen Partnern. Dies wird auch deutlich vor dem Hintergrund, dass bereits jetzt Vertragsstaaten haben erkennen lassen, dass sie ihre nationale Zielsetzung einer für Personen gefährlichen Blindgängerrate höher als ein Prozent ansetzen werden. Und nochmals, wir streben zumindest einen Wert von einem Prozent an.

Als langfristiges Ziel der Diskussionen soll die Bundesregierung auf internationaler Ebene und insbesondere im Rahmen des UN-Waffenübereinkommens ein Protokoll zu Streumunition anstreben, das völkerrechtliche Regelungen zu Verlässlichkeit, aber auch zum Einsatz umfassen sollte. Dabei sollte sich die Bundesregierung für ein Verbot solcher Streumunition einsetzen, deren für Personen gefährliche Blindgängerrate bei über einem Prozent liegt. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Wir sind davon überzeugt, dass hierbei behutsam agiert werden muss, um möglichst viele Staaten auf diesem Weg mitzunehmen. So stützen wir die Überzeugung der Bundesregierung, dass mit der deutschen Entscheidung, Streumunition durch alternative Munition zu ersetzen und diejenige, deren für Personen gefährliche Blindgängerrate bei über einem Prozent liegt, grundsätzlich nicht mehr für einen Einsatz vorzusehen, eine internationale Vorreiterrolle eingenommen wird, die einen Einfluss auf die Rüstungsentscheidungen anderer Länder haben wird.

Wir helfen der Bundesregierung auf diesem langwierigen und steinigen Weg, zum Beispiel mit unserem heutigen Antrag.

Andreas Weigel (SPD):

Streubomben müssen verschwinden. Streubomben gehören geächtet. Dass sich die Staatengemeinschaft so schwer tut, hier entscheidend weiterzukommen, ist kaum nachvollziehbar. Streubomben sind weltweit Realität. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind sie in mindestens 25 militärischen Konflikten zum Einsatz gekommen.

Diese Bomben haben eine Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent. In Regionen, in denen Streubomben eingesetzt wurden, können Menschen sich nur noch unter hoher Lebensgefahr aufhalten. Der Landwirt kann nicht auf sein Feld, der Bauarbeiter riskiert bei der Wiederherstellung von Straßen und Gebäuden sein Leben. Wer Streubomben einsetzt, hinterlässt vermintes Gebiet. Der Einsatz von Streubomben unterscheidet sich kaum vom Einsatz der weltweit geächteten Landminen.

Das allein ist Grund genug, vehement die Ächtung von Streumunition einzufordern. Doch selbst der militärische Nutzen von Streumunition ist mehr als fraglich, hinterlässt sie doch für nicht absehbare Zeit ein Gebiet der verbrannten Erde. Militärische Operationen sind dort, wo Streumunition eingesetzt wurde, auch für denjenigen, der diese Waffe eingesetzt hat, nur noch begrenzt möglich.

Die SPD-Führung hat sich Anfang September entschieden für die Vernichtung aller Streubomben ausgesprochen. Kurt Beck hat noch einmal ein generelles, weltweites Verbot dieses Waffentyps gefordert. Wir legen heute einen Antrag vor, mit dem wir dieses Ziel im Auge haben. Dass es dabei Kritik an unserem Antrag gibt, ist nicht überraschend. Insbesondere Organisationen wie dem "Aktionsbündnis Landmine" und "Handicap International" geht der Antrag nicht weit genug.

Warum wird nicht eine sofortige Vernichtung sämtlicher Streumunitionsbestände der Bundeswehr gefordert? Warum verlangt der Antrag kein weltweites Moratorium für den Einsatz von Streubomben? Können wir nicht von unseren Verbündeten fordern, sofort alle Bestände von Streumunition zu vernichten? Schließlich ist man bei der Ächtung von Antipersonenminen im Ottawaprozess auch mit radikalen Forderungen ein großes Stück weiter gekommen. Man mag unseren Antrag kritisieren, nur sollte man nicht übersehen, dass er schon in seiner Überschrift eines unmissverständlich klarstellt: Ziel ist das generelle und uneingeschränkte Verbot von Streumunition. Der Antrag ist ein erster, zugleich aber auch ein wesentlicher Schritt, im Rahmen der Verhandlungen zum UN-Waffenübereinkommen eine Perspektive für ein Verbot von Streumunition zu eröffnen. Denn, so ernüchternd es auch ist, wir stehen in den Verhandlungen noch ganz am Anfang. China, Russland und die USA sind die größten Produzenten von Streumunition und noch weit davon entfernt, auf die Option eines Einsatzes dieser Waffen zu verzichten. Es gibt bei den Verhandlungen zum UN-Waffenübereinkommen also noch lange keine tragende Mehrheit für eine Ächtung von Streumunition. Nein, vielmehr ist Streumunition noch immer ein völkerrechtlich zulässiges Verteidigungsmittel. Allerdings ist ihr Einsatz Einschränkungen durch das humanitäre Völkerrecht unterworfen. Das klingt zynisch angesichts der bekannten Auswirkungen ihres Einsatzes. Dennoch ist der Weg über Verhandlungen innerhalb der Vereinten Nationen, der Weg über das Völkerrecht im Augenblick die einzige Möglichkeit, im Kampf gegen Streubomben überhaupt voran zu kommen.

Ich halte es für falsch, allein auf Maximalforderungen zu setzen. Maximalforderungen werden bei den internationalen Verhandlungen wenig bewegen. Vielmehr verbauen wir uns damit die Möglichkeit des Dialogs. Das Ziel einer weltweiten Ächtung von Streumunition werden wir aber nur auf dem Weg der Verhandlungen erreichen. Ringen wir den Verhandlungspartnern über das Völkerrecht mehr und mehr Einschränkungen beim Einsatz dieser Munition ab, so kommen wir einem Verbot von Streubomben Schritt für Schritt näher.

Wir wissen, selbst die Bundeswehr hat noch Streumunition. Aufgrund der integrierten Militärstruktur der NATO kann sie diese Waffen innerhalb ihrer Bündnisverpflichtungen angesichts multinationaler Operationen nicht augenblicklich abschaffen. Aber die Bundeswehr hat bereits solche Munition vernichtet, die einen hohen Blindgängeranteil hat. Die Bundeswehr plant keine Neubeschaffung von Streumunition. Durch die Bundeswehr ist Streumunition nie zum Einsatz gekommen. So ist es auch bei unseren Streitkräften das erklärte Ziel, im Rahmen der internationalen Verhandlungen einen völligen Verzicht dieser Munition zu erreichen.

Natürlich klingt das angesichts der furchtbaren Auswirkungen dieser Waffen nicht sehr ermutigend. Das ist richtig. Aber man darf nicht außen vor lassen, welche Dynamik sich auf dem Wege internationaler Verhandlungen entwickeln kann. Der Ottawaprozess hat hier das beste Beispiel gegeben. Auf dem Weg, im Zuge der Verhandlungen kann sich ein Bewusstsein entwickeln - ähnlich wie im Ottawaprozess, das schließlich eine weltweite Ächtung von Streumunition ermöglicht.

Indem wir in den nationalen Parlamenten nicht aufhören, die Ächtung von Streumunition zu thematisieren, indem wir damit unseren nationalen und europäischen Delegationen einen deutlichen Auftrag in die UN-Beratungen über ein Waffenübereinkommen geben, können wir Schritt für Schritt zu einem internationalen Konsens kommen, der es Staaten vor dem humanitären Völkerrecht sehr schwer macht, Streumunition einzusetzen.

Florian Toncar (FDP):

In vielen Konflikten der vergangenen Jahre wurden Streubomben eingesetzt, deren Sprengkörper teils nicht explodierten und als Blindgänger im Boden liegen blieben. Immer wieder kam es infolgedessen zu Verwechslungen von Munitionsblindgängern und etwa ähnlich aussehenden Lebensmittelpake-ten - oft mit tödlichen Folgen. Dieses Beispiel zeigt deutlich die Gefahr, die der Bevölkerung durch Blindgänger nach dem Ende von Kampfhandlungen droht. Streumunition trägt wegen der hohen Zahl an Explosivkörpern maßgeblich zu dieser heimtückischen Gefahr bei. Das bedrückende dabei ist, dass besonders oft spielende Kinder zu Opfern werden, da sie gefundene Blindgänger aus Neugierde ahnungslos aufheben. Der Kon-flikt im Libanon hat uns jüngst die grausamen Folgen dieser Waffe nochmals vor Augen geführt.

Neben Blindgängern durch Streumunition stellen auch Landminen weiterhin eine heimtückische Gefahr dar. Auch wenn Anti-Personenminen in der Ottawakonvention von 1997 verboten wurden, so gibt es weiterhin keine Regelung zum Verbot von Anti-Fahrzeugminen. Auch diese Minen töten oft wahllos. So unterscheidet eine normale Anti-Fahrzeugmine nicht zwischen einem Panzer oder einem Bus. Auch eine moderne Mine erkennt nicht, ob ein LKW mit militärischer Ausrüstung oder Flüchtlingen beladen ist. Ferner wirken viele Anti-Fahrzeugminen, die mit einem so genannten Aufhebeschutz versehen sind, faktisch wie die verbotenen Anti-Personenminen, da sie bei unbeabsichtigter Berührung detonieren.

Streumunitionsblindgänger und Landminen sind nicht nur eine Gefahr, die tötet und verstümmelt. Sie verbreiten auch Angst und Unsicherheit und verhindern so, dass nach dem Ende von Konflikten das Leben weitergehen kann. Die Bevölkerung kann nicht in Wohngebiete zurückkehren, Verkehrswege bleiben unterbrochen, Äcker bleiben unbestellt und die Menschen sind auf die humanitäre Hilfe von außen angewiesen. Das schürt neue Spannungen und Konflikte und verhindert oft eine langfristige Aufbaustrategie für frühere Kriegsgebiete.

Daher hat die FDP heute einen umfassenden Antrag zur Ächtung von Streumunition und Landminen vorgelegt. Wie die Verhandlungen über die Ottawakonvention zum Verbot von Anti-Personenminen untrennbar mit dem Namen Klaus Kinkel verbunden sind, so hat die FDP wieder eine klares Konzept vorgelegt, um der Gefahr durch diese verbleibenden Waffen zu begegnen. Wir Liberalen senden hiermit ein starkes Signal für die Schaffung einer internationalen Konvention zur umfassenden Ächtung von Streumunition und Landminen. Deutschland muss in dieser Frage eine führende Rolle einnehmen.

Denn es ist doch klar: Wenn Deutschland auf internationaler Ebene glaubwürdig und erfolgreich für die Abschaffung von Streumunition und Landminen auftreten will, muss es selbst mit gutem Beispiel voran gehen und auf diese heimtückischen Waffen verzichten. Man kann nicht von anderen Staaten die Abschaffung von Waffen verlangen, auf die man selbst nicht zu verzichten bereit ist.

Der Antrag der Regierungsfraktionen, über den wir hier auch zu entscheiden haben, geht an dieser Stelle nicht weit genug. Er sieht vor, dass Deutschland nur einen Teil seiner Streumunition abschaffen soll. Er argumentiert, dass Streumunition mit einer Blindgängerrate von unter 1 Prozent oder einer Wirkzeitbegrenzung akzeptabel sei. Aber es bleibt dabei: Solange Streumunition Blindgänger hat, stellt sie eine unkalkulierbare Gefahr für die Bevölkerung dar.

Darüber hinaus ist völlig ungewiss, ob die Streumunition der Bundeswehr selbst heute oder in absehbarer Zeit über diesen Standard einer Blindgängerrate von unter 1 Prozent verfügt. Dass das BMVg bisher Informationen hierzu zurückhält, stimmt skeptisch. Andere Länder jedenfalls, die baugleiche Munition verwenden, sprechen von weit höheren Blindgängerraten. Dabei sind diese Daten oft unter Laborbedingungen ermittelt worden. In Kriegssituationen, bei weichen Bodenbeschaffenheiten oder unvorteilhaftem Aufschlagwinkel in bergigem Gelände sind die Blindgängerraten oft um ein Vielfaches höher.

Das zweite von der Regierung angelegte Kriterium für "saubere" Streumunition ist die Ausstattung mit einer Wirkzeitbegrenzung. Aber auch hier ist die Verlässlichkeit nicht immer gegeben. Außerdem sendet ein solcher Vorbehalt ein schlechtes politisches Signal, Wenn Deutschland anfängt, sich einen Teil der Streumunition mit hohem technischen Standard vorzubehalten, werden arme Staaten, die sich solche hochwertigen und teuren Waffen nicht leisten können, den Eindruck gewinnen, dass der Westen will, dass sie ihre schlechte Streumunition abschaffen, er aber selbst nicht bereit ist, auf seine hochmoderne Streumunition zu verzichten. Das wird nicht funktionieren. Ein solches Abkommen ist nicht erreichbar. Aus diesem Grund hat man sich bei den Verhandlungen über die Ottawakonvention zum Verbot von Anti-Personenminen bewusst dazu entschieden, auch Anti-Personenminen mit Wirkzeitbegrenzung abzuschaffen - ohne Wenn und Aber, ohne Kleingedrucktes. Hätte man auch hier zwischen "dummen" und "intelligenten" Anti-Personenminen differenziert, wäre das Abkommen nicht so erfolgreich durchgesetzt worden.

Die Argumentation der Bundesregierung in puncto Streumunition ist wegen der unklaren technischen Kriterien für vermeintlich akzeptable Streumunition nicht nur intransparent. Sie sendet auch kein glaubwürdiges Zeichen, das einen Impuls für eine internationale Regelung zur Ächtung von Streumunition geben kann. Belgien hat bereits erklärt, künftig auf Streumunition verzichten zu wollen. In ganz Europa tendiert die Diskussion derzeit in dieselbe Richtung - zu Recht, wie ich meine.

Im Hinblick auf die zweite Geißel - nämlich die Gefahr durch Landminen - schweigt sich der Antrag der Regierungsfraktionen völlig aus. Dabei ist dieses Problem genauso dringend. Auch hier setzt die FDP mit ihrem Antrag ein klares Zeichen, um den internationalen Verhandlungsprozess voranzutreiben.

Eines ist völlig klar: Für die FDP hat der Schutz der Bundeswehr gerade bei Auslandseinsätzen höchste Priorität. Der Verzicht auf Landminen und Streumunition kann kompensiert werden. Die FDP sieht allerdings auch, dass, mit dem Verzicht auf Streumunition einhergehend, vermehrt in den Schutz unserer im Einsatz befindlichen Soldaten investiert werden muss.

Die Opfer von Landminen und Streumunitionsblindgängern mahnen uns, neue Wege in der Politik zu gehen. Ein Verzicht auf diese schrecklichen Waffen muss auf internationaler Ebene organisiert werden. Deutschland muss hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Wie schon beim Verbot der Anti-Personenminen weist die FDP diesen Weg. Auch wenn er sicher steinig wird, so liegt es an uns, dass dieser Weg am Ende auch minenfrei wird.

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Deutschland muss sich für eine internationale Ächtung von Streumunitionen einsetzen und auch im nationalen Rahmen weitere Schritte unternehmen. Streumunition wirkt unterschiedslos und flächendeckend gegen Zivilisten und Soldaten. Der Einsatz von Streumunition ist unter humanitären Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. In der Praxis verstößt ihr Einsatz regelmäßig gegen die Prinzipien des Völkerrechts: Noch lange nach Beendigung der Kampfhandlungen bleiben die nicht explodierten Sprengkörper eine tödliche Gefahr für die Bevölkerung - wie sich derzeit im Libanon zeigt. Die UNO geht inzwischen davon aus, dass mehr als eine Million nicht explodierter Streumunitionskörper zwischen den Trümmern liegen. Täglich steigt der Blutzoll. Seit dem Ende der Kampfhandlungen starben 14 Menschen, erst gestern ein kleiner Junge. 90 Menschen wurden verletzt.

Unserer Auffassung nach wäre eine gemeinsame Initiative dieses Parlaments dringlich und notwendig gewesen, um deutlich zu machen, wie ernst es dem Bundestag ist, diese Munition aus den Waffenarsenalen zu verbannen. Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass jede Art von Streumunition gefährlich ist, Herstellung, Lagerung, Export und Einsatz verboten werden müssen.

Wir haben uns gefragt, ob eine Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen sinnvoll sein könnte. Leider sind die Mängel im Antrag erheblich und nicht schönzureden. Da die Koalition auf einer sofortigen Abstimmung über ihren Antrag besteht, werden wir diesen Antrag ablehnen müssen. Dem klareren und konsequenteren Antrag der FDP werden wir dagegen zustimmen, auch wenn wir bedauern, dass die FDP ihn nicht an die Ausschüsse überweisen wollte. Er wäre eine gute Grundlage für eine gemeinsame Initiative gewesen.

Wesentliche Kritikpunkte am Antrag der Regierungsfraktionen: Die Präzisierung der internationalen Bemühungen ist unzureichend und die vorgeschlagenen nationalen Bestimmungen sind einfach ungenügend. Eine Forderung wie die, dass der Einsatz von Streumitteln nur dann vorzusehen ist, wenn geeignete alternative Munition nicht verfügbar ist, ist naiv und kontraproduktiv für eine Ächtung. Es darf bei der parlamentarischen Initiative nicht darum gehen, nur einen den westlichen Munitionsproduzenten genehmen Streumunitionsstandard aufzustellen. Bestes Beispiel ist die auch von den Grünen vorgeschlagene Fehlerquote von 1 Prozent als Gradmesser für erlaubte bzw. verbotene Streumunition. Diese Fehlerquote ist irreführend. Die Testbedingungen für Streumunition entsprechen in keiner Weise der Einsatzrealität. Laut UNO funktionierten etwa 70 Prozent der von Israel über dem Libanon abgeworfenen Streubomben nicht auf Anhieb. Und selbst wenn, müssen diese 1 Prozent wie Hohn in den Ohren der betroffenen Bevölkerung klingen. 1 Prozent bedeutet zum Beispiel im Falle des Mehrfachraketenwerfers MARS (Mittleres Artillerieraketensystem), welcher mit nur einer einzigen Salve bis zu 8 000 Submunitionsgeschosse auf etwa 250 000 Quadratmetern verteilt, dass etwa 80 Stück aktiv am Boden liegen bleiben. Ein weiteres Beispiel: Bei der Bombardierung des Iraks 2003 wurden nach Angaben von Human Rights Watch 2 Millionen Stück Streumunition eingesetzt. Das heißt, dass bei einer Fehlerquote von 1 Prozent wenigstens 20 000 Stück aktiv am Boden liegen bleiben. Solche Kollateralschäden sind einfach nicht hinnehmbar!

Der glaubwürdigste und nachhaltigste Weg zu einer weltweiten, internationalen Ächtung der Streumunition ist die Durchsetzung eines kategorischen Verzichts im nationalen Rahmen. Dafür reicht es nicht, lediglich "gefährliche Streumunition" nicht mehr zu beschaffen. Es reicht nicht, zu geloben, ältere Streumunition nur im Notfall einzusetzen. Sämtliche Lagerbestände der Bundeswehr müssen vernichtet werden. Die Bundesregierung muss auch auf die Neuentwicklung von Streumunition und den entsprechenden Verlegesystemen verzichten. Derzeit beschafft die Bundeswehr neue Lenkraketen für das MARS-System. Insgesamt 600 Lenkraketen werden mit einem SMArt-Gefechtskopf ausgestattet, der jeweils vier SMArt-Submunitionen enthält. Auch dieser Munitionstyp kann nach Ausstoß nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden, ein hundertprozentiges Funktionieren kann nicht garantiert werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, diese und andere Beschaffungsvorhaben, wie das Munitionsdispensersystem TAURUS, zu stoppen. Genauso sind Exporte dieser Systeme und Technologien im Sinne einer restriktiven Rüstungsexportpolitik zu unterbinden. Aus diesen Gründen unterstützt meine Fraktion die Forderungen der im Aktionsbündnis "Landmine.de" zusammengeschlossenen Hilfsorganisationen nach einem vollständigen Verbot von Streumunition und der Bereitstellung von mehr Ressourcen für die Opferhilfe und die Räumung von Minen und Blindgängermunition.

Wir bedauern, dass es nicht möglich ist, mit einer gemeinsamen Bundestagsentschließung ein Zeichen zu setzen, dass wir für die konsequente Ächtung von Streumunitionen eintreten. Um es noch einmal klar zu sagen: Die von der Regierungskoalition getroffene Unterscheidung zwischen "gefährlicher" und "ungefährlicher" Streumunition geht an der Realität vorbei und ist für uns nicht tragbar.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Für die heutige Debatte haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, mit Ausnahme der Linksfraktion, eigene Anträge vorgelegt. Konsens ist, dass sich alle für eine Ächtung von Streumunition aussprechen, die eine Blindgängerquote von mehr als 1 Prozent hat. Damit dürfte die Ächtung für mehr als 20 der circa 30 Millionen Streumunitionen im Bestand der Bundeswehr gelten. Ich finde, dass dieser breite parlamentarische Konsens grundsätzlich zu begrüßen ist. Er weist in die richtige Richtung.

Begrüßenswert ist auch, dass mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen ein Kurswechsel dokumentiert wird, der in den vergangenen Jahren unter Rot-Grün eingeleitet wurde. Bereits damals gab es eine Übereinkunft, dass die Bundeswehr keine weitere Streumunition beschaffen wird und ihre Bestände an Streumunition, die eine Blindgängerrate von mehr als 1 Prozent hat, schnellstmöglich vernichtet. Hier ist einiges geschehen. Aber das reicht noch nicht. Außerdem hatte die Bundesregierung sich in den vergangenen Jahren bereits intensiv dafür eingesetzt, dass das Thema Streumunition im Rahmen der VN-Waffenkonvention auf der politischen Tagesordnung bleibt. Im April 2006 haben das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt in Form der 8-Punkte-Position zu Streumunition ihre Position schriftlich abgestimmt. Diese 8-Punkte-Position wurde - zum Teil wortgetreu - den Abgeordneten der Regierungsfraktionen in Antragsform vorgelegt. Eine eigene parlamentarische Handschrift ist nicht zu erkennen.

Der Antrag enthält über weite Strecken nichts, was nicht sowieso schon beschlossen ist und gemacht wird. Insofern ist er nur ein parlamentarisches Beglaubigungsschreiben der 8-Punkte-Vereinbarung. Wir hätten dem Antrag der Regierung gerne zugestimmt. Wir waren und sind bereit acht der zehn Forderungen zu unterschreiben. An einem Punkt jedoch gehen Sie in die falsche Richtung. Das zeigt sich schon im Titel "Gefährliche Streumunition verbieten". Ich weiß nicht, wer sich den Titel des Regierungsantrags erdacht hat. Rückwärts gelesen heißt das: Ungefährliche Streumunition erlauben. Abgesehen davon, dass es keine ungefährliche Streumunition gibt, wollen Sie der Bundesregierung ausdrücklich das Recht zubilligen, "den Einsatz von Streumunition ... dann vorzusehen, wenn geeignete alternative Munition nicht verfügbar ist". Das ist meines Wissens ein einmaliger Vorgang. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage mitgeteilt, dass sie "bei zwingendem Erfordernis" auch bereit ist zum Beispiel die von Israel im Libanon eingesetzte Streumunitionsrakete M 26 zu nutzen. Die Blindgängerrate der Submunition liegt Schätzungen zufolge bei bis zu 40 Prozent. Diese Ermächtigung werden wir der Bundesregierung nicht erteilen. Im Gegenteil: Wir wollen ein sofortiges Einsatzmoratorium, wie auch das Europaparlament gefordert hat. Unsere Fraktion kann und wird dem Antrag der Regierungsfraktionen beim besten Willen nicht zustimmen.

Der Koalitionsantrag soll, so wurde uns gesagt, der Regierung für die Genfer Überprüfungskonferenz den Rücken stärken. Die Frage ist, in welcher Richtung. Würden wir nicht ein viel deutlicheres Zeichen setzen, wenn wir uns bereit erklären, sofort auf den Einsatz jeglicher Streumunition zu verzichten und national diese Waffenkategorie zu ächten? Ich habe den Eindruck, dass hier einige Abgeordnete in der Fraktion sich ganz schön krumm machen und wenig Standfestigkeit zeigen. Ich frage mich, warum keine einzige Abgeordnete und kein einziger Abgeordneter der Koalitionsfraktionen bereit ist, den Antrag namentlich zu unterschreiben und Gesicht zu zeigen. Ich frage mich auch, ob dieser Antrag nicht auch deshalb spät nachts und sofort verabschiedet werden soll, damit man das Thema schnell vom Tisch hat.

Wir können Ihnen diesen Gefallen nicht tun. Wir wollen, dass das Thema auch in den Ausschüssen debattiert wird und der Bundestag die Politik der Bundesregierung in einer Anhörung näher beleuchtet. Wir wollen nicht, dass sich die Abgeordneten auf die Funktion des Notars der Regierungspolitik reduzieren lassen. Wir wollen, dass der Bundestag dem belgischen Beispiel folgt und - parallel zu den Regierungsaktivitäten in Genf - sich für eine Ächtung jeglicher Streumunition ausspricht. Wir laden in unserem Antrag alle Fraktionen dazu ein, einen solchen Gesetzentwurf im kommenden Jahr zu erarbeiten und baldmöglichst zu verabschieden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz begründen, warum wir dem FDP-Antrag nicht zustimmen. Die Forderungen kommen uns aus der eigenen Programmatik sehr vertraut vor, Wir finden es gut, wenn neben der Linksfraktion auch die FDP friedenspolitische Produktpiraterie bei den Bündnisgrünen betreibt. Das geringere Problem ist, dass die FDP notorisch mehr Geld für das mechanische statt für das humanitäre Minenräumen fordert und damit vor allem der Rüstungsindustrie den Rücken stärkt. Wenn wir uns enthalten, dann bitten wir Sie, dies als Misstrauensvotum zu verstehen. Wir trauen dem Braten nicht. Wir haben von der FDP leider schon zu viele Wendemanöver erlebt. Der eine fordert die Kürzung des Verteidigungshaushalts, die andere die Erhöhung. Die Westerwelle-FDP ist sicherheitspolitisch inzwischen so pluralistisch - manche nennen es opportunistisch oder schizophren -, dass sie keine Schwierigkeiten hat, gleichzeitig das Entgegengesetzte zu vertreten. Die Botschaft des Antrags hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wenn ich mir ansehe, wer den Antrag nicht unterzeichnet hat - die Verteidigungspolitiker -, dann werde ich hinsichtlich der Ernsthaftigkeit Ihres Anliegens mehr als skeptisch. Und. wenn ich höre, dass die FDP auch Wert darauf legt, dass ihr Antrag heute Nacht von der parlamentarischen Tagesordnung geräumt wird, macht mich das auch sehr skeptisch.

Wir werden unseren Antrag in die Ausschussberatung überweisen. Wir hoffen, dass wir nach der Genfer Konferenz auf offenere Ohren stoßen werden. Wir sollten uns bemühen, als Abgeordnete des Deutschen Bundestages auch parlamentarische Eigenverantwortung zu tragen und nicht alle Fragen an die Bundesregierung zu delegieren. Hinsichtlich eines Gesetzes zur Ächtung jeder Streumunition in Deutschland liegt mit unserem Antrag der Ball im Spielfeld des Bundestages.

Quelle: Plenarprotokoll der 54. Sitzung, 28. September 2006;
http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp/54/index.html



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