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"Absolut falsches Signal"

Bundesregierung kürzt Etat für internationale Minenräumprogramme von 18 auf zwölf Millionen Euro. Ein Gespräch mit Thomas Gebauer

Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von medico international und Sprecher des Aktionsbündnisses Landmine.de. Die Vereinten Nationen haben den 4. April zum "Internationalen Tag für Aufklärung über Minengefahren" erklärt. (Siehe: "Eine Erfolgsgeschichte zu Anfang dieses Jahrhunderts".)
Von Thomas Gebauer haben wir zuletzt veröffentlicht: Flutbilder, Bilderflut – Schlaglichter auf die Rolle von Hilfe heute.
Das nachfolgende Interview haben wir der Tageszeitung "junge Welt" entnommen.



F: In der Ottawa-Konvention von 1999 wurden Herstellung, Verbreitung und Einsatz von Antipersonenminen verboten. Gleichzeitig verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, die verlegten Landminen innerhalb von zehn Jahren zu räumen. Ist dieses Ziel noch erreichbar?

Die Zahl der verlegten Landminen kann nur geschätzt werden, man geht von 70 bis zu 100 Millionen aus. Niemand weiß genau, wie viele Minen tatsächlich produziert und eingesetzt worden sind. Davon sind ein paar Millionen geräumt, die Bedrohung ist nach wie vor sehr groß. Nur wenn die derzeitigen Anstrengungen enorm verstärkt werden, wird es möglich sein, dieses Ziel bis zum Jahr 2009 einigermaßen zu erreichen.

F: Im aktuellen Haushaltsentwurf hat die Bundesregierung die Mittel für Minenräumprogramme um ein Drittel gestrichen. Welche Auswirkungen werden diese Kürzungen haben?

Mit dem bisherigen Etat konnten Minenräum- und Minenaufklärungsprogramme finanziert werden. Wenn das jetzt gekürzt wird auf zwölf Millionen, ist das ein absolut falsches Signal – just zu einem Zeitpunkt, da der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, noch mal dazu aufgerufen hat, die Anstrengungen zu erhöhen und das Ziel, 2009 die Welt minenfrei zu haben, nicht aus den Augen zu verlieren.

F: Wie viele Menschen werden heute noch durch Landminen verletzt oder getötet?

Nach wie vor werden jedes Jahr um die 25000 Menschen durch Minen getötet oder verstümmelt. In bestimmten Ländern der Welt, etwa in Afghanistan oder Angola, ist die Zahl durch massives Minenräumen zurückgegangen. Aber in anderen wie in Tschetschenien oder im Kongo sind die Zahlen nach oben geschossen. Immerhin ist der Handel mit Antipersonenminen fast gänzlich zum Erliegen gekommen. In vielen Regionen der Welt wird heute mehr geräumt als neu eingesetzt. Insofern gibt es eine gewisse Tendenz der Verbesserung.

F: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen haben Landminen – neben den Gefahren für Gesundheit und Leben?

Eine Mine reicht, um das Leben eines ganzen Dorfes lahmzulegen. Das haben wir oft erlebt. Da ist die Zufahrtstraße zu einem Dorf vermint gewesen, eine Mine ist explodiert. Aus Angst wird die Straße nicht mehr benutzt, obwohl vielleicht gar keine weitere Mine dort liegt. Lebensmittel können nicht zu den Märkten transportiert werden, Kinder kommen nicht mehr zur Schule usw. Ohne Minenräumung sind auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in diesen Ländern nicht möglich.

F: Gibt es Versuche, die Ottawa-Konvention zu umgehen – etwa durch die Entwicklung sogenannter »intelligenter Waffen«, die angeblich keine Zivilisten mehr treffen können?

Verboten worden sind nur Antipersonenminen, also herkömmliche Tretminen. Fahrzeugminen sind nicht verboten. Viele dieser Fahrzeugminen werden allerdings schon bei leichtem Druck ausgelöst und können auf diese Weise Zivilisten gefährden, etwa Menschen, die mit ihrem Fahrrad darüber fahren. Hier drängen wir auf eine Nachbesserung des Vertrages, um das Verbot tatsächlich auf alle Landminen auszuweiten.

Ein besonderes Problem sind Streubomben und Streumunition. Das sind per Rakete oder Bombe verschossene Sprengkörper, die beim Aufprall eigentlich explodieren sollen. Aber viele detonieren nicht und bleiben dann als De-facto-Minen liegen. Solche Munition ist in den letzten Kriegen in Afghanistan und im Irak massiv und in hoher Stückzahl eingesetzt worden und hat dazu beigetragen, daß große Landstriche faktisch vermint sind, obwohl diese Waffen nominell nicht als Landminen gelten.

F: Welche Trends beobachten Sie bei der Entwicklung neuer Minentechnologien?

In den letzten Jahren konnte man eine Modernisierung der Waffenarsenale beobachten. Bestimmte Minen wurden aus den Arsenalen genommen und durch High-Tech-Waffen ersetzt, die nicht mehr unter der Bezeichnung Minen laufen.
Nach wie vor werden moderne Antifahrzeugminen entwickelt. In den USA arbeitet man an Waffensystemen, die mit strategischen Raketen verschossen werden – sozusagen mit Minen bestückte Interkontinental-Sprengkörper. In Deutschland, wenn ich das richtig überblicke, sind die Waffenschmieden im Augenblick nicht mit solchen Projekten beschäftigt.

Interview: Jörn Boewe

Aus: junge Welt, 4. April 2006


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