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Unsichtbare Killer auf der Anklagebank

Minen-Gegner fordern eine Neuorientierung der weltweiten Opferhilfe

Von Wolfgang Kötter *

Auf zahlreichen Veranstaltungen zeigten bereits am Wochenende in Cartagena Minengegner aus aller Welt Flagge. Bis Freitag (4. Dez.) beraten nun die 156 Mitgliedstaaten der Konvention über das Verbot von Anti-Personenminen unter Vorsitz von Susan Eckey aus Norwegen über die Vertragserfüllung und zukünftige Aufgaben.

Unsichtbare Killer sitzen in der kolumbianischen Karibik-Metropole Cartagena auf der Anklagebank. Sie lauern auf Wiesen, Feldern und im Wald. Kein Weg, keine Straße und kein Bahndamm ist vor ihnen sicher. Menschen verlieren in Sekundenschnelle Füße, Hände oder das Leben. Denn Minen gehören zu den heimtückischsten Tötungsmitteln, und oft trifft es Unschuldige noch lange nach den Kämpfen.

Rechtzeitig vor Konferenzbeginn erschien der »Landmine Monitor Report 2009«. Darin gibt die rund 1000 Organisationen in über 70 Ländern vereinende Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (International Campaign to Ban Landmines - ICLM) den Vertragsmitgliedern und der Weltöffentlichkeit einen eindrucksvollen Überblick über Erfolge und Schwierigkeiten bei der Befreiung der Welt von diesen grausamen Waffen.

Das Fazit: Seit der Ottawa-Vertrag vor zehn Jahren in Kraft trat, ist ihr Einsatz deutlich zurückgegangen. Landminen werden nicht nur weniger eingesetzt, auch viele betroffene Regionen konnten von Minen und Blindgängern befreit werden. Insgesamt wurden über 41 Millionen Minen geräumt, allein im Vorjahr 200 000. Auch die Zahl neuer Opfer ging zurück, dennoch sind für 2008 noch etwa 5200 Minen-Vorfälle zu beklagen. Fast 500 000 Menschen müssen als Überlebende von Unfällen mit Landminen und Blindgängern medizinisch und materiell versorgt werden.

Das Aktionsbündnis Landmine.de forderte bereits im Vorfeld der Überprüfungskonferenz eine Neuorientierung der humanitären Hilfe, denn gerade bei der Opferhilfe hat es die geringsten Fortschritte gegeben. Umfassendere Konzepte für Wiederaufbau und nachhaltige Entwicklung müssten fest im »Cartagena Action Plan« verankert werden. »Es reicht nicht aus, lediglich einige technische 'inputs' wie Minenräumung und Prothesenanpassung bereitzustellen«, kritisiert François De Keersmaeker, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Handicap International. »Wir müssen auch auf physische und psychische Verwundungen und soziale Erschütterungen angemessen reagieren.« Neben der Räumung explosiver Kampfmittel und der Opferhilfe sollten umfassendere Bemühungen um Rehabilitation in Nachkriegsgesellschaften angestrebt werden.

Auf der Konferenz »Eine minenfreie Welt ist möglich« diskutierten deutsche, französische, österreichische und belgische Helfer und Politiker Anfang des Monats in Berlin über neue Herausforderungen für die Opferhilfe. Obwohl durch verschiedene internationale Abkommen neben dem Verbot dieser Waffen auch die Versorgung ihrer Opfer verbindlich geregelt ist, schätzt Handicap International ihre praktische Verwirklichung immer noch als unzulänglich ein. Auch die deutsche Unterstützung von Betroffenen kritisiert Landmine.de als mangelhaft und unzureichend.

Die Minen-Gegner warnen die internationale Staatengemeinschaft davor, wegen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise die Hilfe für Opfer von explosiven Kriegshinterlassenschaften zu vernachlässigen. »Es wäre fatal, wenn jetzt ausgerechnet Minenaktionsprogramme den milliardenschweren Rettungsaktionen für bankrotte Banken und Konzerne zum Opfer fielen«, mahnt Thomas Küchenmeister, Direktor von Landmine.de. Auch Jörn Kalinski von der humanitären Hilfsorganisation Oxfam warnt: »Gerade in den Ländern Afrikas, die zu den Verlierern der Weltwirtschaftskrise zählen und die vom Minenproblem am meisten betroffen sind, dürfen Kriegsopfer nicht doppelt bestraft werden, indem jetzt Minenaktionsprogramme reduziert oder gar gestrichen werden.«

Wie dringend notwendig die Hilfsprogramme nach wie vor sind, zeigt besonders krass das Beispiel Afghanistan. Im Vorjahr entschärften mehr als 8000 Minenräumer 82 000 Anti-Personenminen, 500 Anti-Fahrzeugminen und 1,5 Millionen Blindgänger. Für hunderte Kommunen wurde so das Land wieder nutzbar gemacht. Minenaufklärungsprogramme, die für die besonders gefährdeten Kinder überlebensnotwendig sind, erreichten in diesem Zeitraum laut UNO über 800 000 Afghanen.

Besonders verheerend sieht die Bilanz auch in anderen Staaten aus, in denen jahrzehntelang Krieg und bewaffnete Kämpfe tobten. Seit dem Ende des Vietnamkriegs vor mehr als 30 Jahren sind in dem Land über 42 000 Menschen bei tödlichen Unfällen mit Munitionsresten ums Leben gekommen. Die US-Streitkräfte setzten im Krieg gegen die nordvietnamesischen Truppen 15 Millionen Tonnen Bomben und Munition ein, von denen rund 800 000 Tonnen immer noch rund ein Fünftel des Landes verseuchen.

Neben Erfolgen bei der Minenräumung und Opferhilfe gibt es auch ernsthafte Versäumnisse. Griechenland, Belorussland und die Türkei etwa haben ihre Vier-Jahres-Frist zur Zerstörung vorhandener Lagerbestände nicht eingehalten. Der NATO-Staat Türkei lagert nach wie vor fast 1,5 Millionen deutsche Anti-Personenminen und setzt diese auch ein, beispielsweise in riesigen Minenfeldern an der Grenze zu Syrien. Schließlich konnten einige besonders betroffene Länder wie Bosnien-Herzegowina, Mosambik oder Kambodscha die Räumung noch nicht fristgemäß beenden. 39 Staaten weigern sich nach wie vor, dem Verbotsvertrag beizutreten.

Für Verwirrung sorgten jetzt widersprüchliche Signale aus Washington. Nachdem eine Erklärung des State Departments, die USA würden dem Minenverbot auch weiterhin nicht beitreten, auf heftigen Protest von Menschenrechtsorganisationen und auch aus der Demokratischen Partei getroffen war, ruderte das Außenamt zurück. Die Regierung prüfe ihre Politik zum militärischen Einsatz von Minen. Ob die Haltung geändert werde, sei noch nicht entschieden, korrigierte man sich.

Der Vertrag

Der 1999 in Kraft getretene Ottawa-Vertrag verbietet den Unterzeichnern Produktion, Lagerung, Export und Einsatz der sogenannten Anti-Personenminen. Gleichzeitig sieht er die Bereitstellung finanzieller Mittel für Minenopfer und die Räumung von minenverseuchten Gebieten vor. Nicht verboten sind bislang Anti-Fahrzeugminen, die für Menschen ebenso tödlich sein können. Die Konvention geht zurück auf das Engagement der in den 1990er Jahren auf Initiative der Vietnam Veterans of America Foundation und von medico international gegründeten Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen, die 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Die Verweigerer

156 Staaten haben bisher die Ottawa-Konvention ratifiziert. Die nachfolgenden Staaten verweigern sich noch immer:
Ägypten, Armenien, Aserbaidschan, Bahrain, Burma, China, Finnland, Georgien, Indien, Iran, Israel, Kasachstan, KDVR, Republik Korea, Kirgisistan, Kuba, Laos, Libanon, Libyen, Marokko, Marshallinseln, Mikronesien, Mongolei, Nepal, Oman, Pakistan, Polen, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Somalia, Sri Lanka, Syrien, Tonga, Tuvalu, USA, Vereinigte Arabische Emirate, Usbekistan, Vietnam.



* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2009


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