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Humanitäres Völkerrecht stärken

Zivilgesellschaft debattiert in Berlin über Krieg, Abrüstung und Entwicklung

Von Wolfgang Kötter *

Nichtregierungsorganisationen aus ganz Europa versammeln sich heute (23.1.14) im Umspannwerk Kreuzberg in Berlin, um über das Thema humanitäre Abrüstung zu diskutieren. Organisiert haben dieses internationale Forum die deutschen Sektionen der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Kernwaffen“ (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons - ICAN) und der katholischen Friedensorganisation Pax Christi in Zusammenarbeit mit der Friedrich Ebert Stiftung. Vertreter aus verschiedenen Bereichen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten wie Entwicklung, internationale Sicherheit, humanitäre Hilfe und Völkerrecht wollen ein länderübergreifendes Netzwerk gemeinsamer Kooperation knüpfen.

In diesen Tagen wird es hier deshalb um den Zusammenhang gehen zwischen humanitären und Entwicklungszielen einerseits und den verheerenden Konsequenzen, die eine Anwendung inhumaner Waffen gerade auf diese beiden existenziellen Bereiche menschlichen Lebens hat. Zu derartigen Waffen werden beispielsweise Massenvernichtungsmittel wie atomare, biologische und chemische Waffen gezählt, aber auch Minen und Streumunition, technische Neuentwicklungen bei Kleinwaffen und autonome Waffen wie Drohnen und Tötungsroboter.

Natürlich stellen sich die Diskussionsteilnehmer die Frage, ob es denn überhaupt humane Kriege geben kann, ob es möglich ist, zwischen grausamen und weniger grausamen Waffen zu unterscheiden. Die Frage mag absurd klingen. Aber das sogenannte humanitäre Völkerrecht trifft genau diese Differenzierung. Jahrhundertelang galt das Recht auf Krieg (jus ad bellum) als akzeptierte Norm des internationalen Rechts. Krieg war für Staaten ein legitimes Mittel, um ihre Ziele in der Weltpolitik zu erstreiten. Gleichzeitig setzten schon immer religiöse und kulturelle Normen wie auch Verhaltenskodexe ehrenhaften Verhaltens bestimmte Grenzen für die Waffenanwendung. Frühe zwischenstaatliche Vereinbarungen entstanden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Haager Landkriegsordnung von 1907 wie auch den später ausgehandelten Genfer Konventionen und Protokollen. Aber durch diese Abkommen sollen die Waffen nicht abgerüstet, also beseitigt werden. Statt den Krieg zu verbieten, werden Regeln der Kriegsführung aufgestellt. Sie beinhalten Restriktionen, Einschränkungen und Anwendungsverbote für spezifische Waffenarten. Außerdem schützen sie bestimmte Personengruppen, die nicht oder nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen - Zivilisten, Verwundete, Kriegsgefangene, aber auch Sanitätspersonal, Transportmittel und medizinische Einrichtungen. Die im Ergebnis dieser "Humanisierung" des Krieges und der Waffenanwendung geschaffenen Völkerrechtsnormen werden als Kriegs- bzw. humanitäres Völkerrecht bezeichnet.

Doch es mussten zwei Weltkriege vergehen und Millionen Menschen in bewaffneten Konflikten ihr Leben verlieren, bevor die Politiker sich dazu durchrangen, Krieg rechtsverbindlich aus dem internationalen Leben zu verbannen. So verbietet die UNO-Charta seit 1945 den Krieg grundsätzlich und verpflichtet die Staaten, in ihren gegenseitigen Beziehungen auf Gewalt zu verzichten.

Trotzdem kam es in den nachfolgenden Jahrzehnten immer wieder zu Kriegen und bewaffneten Konflikten. Angesichts der unzähligen Opfer und riesigen Zerstörungen wurde deshalb verstärkt über die Beschränkung besonders gefährlicher und grausamer Waffen verhandelt. Spezifische Reglementierungen enthält die im Jahre 1980 abgeschlossene Inhumane-Waffen-Konvention. Erfasst werden Splitterwaffen, Minen, Brandwaffen, Laserwaffen und nach den Kämpfen verbliebene Kampfmittelrückstände. Auch auf dem Abrüstungsgebiet gelang es in den vergangenen Jahren unter engagierter Mitarbeit der Zivilgesellschaft Erfolge zu erreichen. So entstanden die Abkommen zum Verbot von Anti-Personenminen, von Streumunition und der Vertrag zur Beschränkung des internationalen Waffenhandels.

Doch die Friedens- und Menschenrechtsgruppen geben sich mit dem Erreichten nicht zufrieden. Sie weisen darauf hin, dass neun Atomwaffenstaaten jedes Jahr Einhundert Milliarden Dollar für die nukleare Aufrüstung ausgeben, während gleichzeitig weltweit eine Milliarde der ärmsten Menschen von 1,25 Dollar pro Tag leben müssen. „Jeder Dollar, der für Atomwaffen ausgegeben wird, ist eine Abzweigung öffentlicher Ressourcen von Gesundheitsfürsorge, Bildung und Armutsabbau“, beklagt ICAN-Sprecherin Arielle Denis.

Zu den auf der Berliner Tagesordnung stehenden Themen gehören deshalb Strategien zur Einflussnahme auf das Völkerrecht, der Zusammenhang zwischen Abrüstung und den UN-Entwicklungszielen, fundierte Beratung für Aktionen gegen Aufrüstung und Krieg, humanitäre Hilfe in und nach Konflikten und effektive öffentliche Kommunikationsstrategien. Zwei Tage lang werden sich die Teilnehmer in vielfältigen Formen von Sitzungen, Panels, öffentlichen Anhörungen und Diskussionen, aber auch in begleitenden und Abendveranstaltungen dieser relativ neuen Sparte zivilgesellschaftlicher Abrüstungsinitiativen widmen.

Abkommen des humanitären Völkerrechts

  1. Genfer Konvention zum Schutz von verwundeten Soldaten und Sanitätern (1864);
  2. Haager Landkriegsordnung zur Behandlung von Kriegsgefangenen (1907);
  3. 1. Und 2. Genfer Konventionen über die Behandlung von verwundeten und kranken Angehörigen der Land- und Seestreitkräfte sowie medizinischem Personal (1949);
  4. Genfer Konventionen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und zum Schutz von Zivilpersonen (1949);
  5. Zusatzprotokolle I und II über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und von Bürgerkriegen (1977);
  6. Vereinbarung über Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken - Inhumane-Waffen-Konvention (1980).

Die Genfer Konventionen

Die sogenannten vier Genfer Konventionen von 1949 und ihre zwei Zusatzprotokollen von 1977 legen für die Konfliktparteien Folgendes fest:
  • Zivilpersonen und zivile Objekte dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden.
  • Der Angriff auf militärische Ziele ist verboten, wenn mit unverhältnismäßigen Verlusten unter der Zivilbevölkerung oder unverhältnismäßigen Schäden an zivilen Objekten oder der Umwelt zu rechnen ist. Die Konfliktparteien müssen alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte treffen.
  • Der Gebrauch von Zivilpersonen als Schutzschilder ist verboten.
  • Der Missbrauch der in den Genfer Konventionen festgelegten Embleme ist verboten.
  • Waffen, die unnötige Leiden oder massive Umweltschäden verursachen, sind verboten - so etwa biologische und chemische Waffen, Anti-Personenminen und Brandwaffen.
Quelle: Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)

Gewaltverzicht in der UNO-Charta (Artikel 2,4)

"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - im neuen deutschland vom 23. Januar 2014


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