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Niemals mitlaufen

In Köln wurde das erste Denkmal für Deserteure der Wehrmacht eingeweiht

Von Anneliese Fikentscher *

In Köln wurde am Antikriegstag ein Denkmal der Öffentlichkeit übergeben, das an die Deserteure der Wehrmacht erinnert. Am 1. September, dem 70. Jahrestag des von den deutschen Faschisten begonnenen Zweiten Weltkrieges ging für einen der letzten noch lebenden Deserteure der Wehrmacht »ein Traum in Erfüllung«. Der 87jährige Ludwig Baumann kämpfte sich lebenslang durch parlamentarische und bürokratische Instanzen, um für sich und andere Deserteure gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen.

Er war erschüttert, nach dem Krieg wie ein Krimineller behandelt zu werden, fast wäre er daran zerbrochen. Im Falle einer Rehabilitation der Deserteure hätten die einstigen Nazirichter befürchten müssen, selbst angeklagt zu werden. Aber sie wollten ja ihre Karriere fortsetzen, wie beispielsweise Hans Filbinger, der es bis zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg brachte. Baumann: »Im Westen ist keiner bestraft worden. Und diejenigen, die in der DDR bestraft wurden, sind mit den ersten sogenannten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen 1992 rehabilitiert worden, selbst wenn sie Dutzende oder Hunderte Todesurteile gefällt haben. Wir dagegen waren bis zum Jahre 2002 vorbestraft.«

Für die Aufhebung der Urteile gegen die Deserteure hatte sich die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler- Gmelin (SPD) stark gemacht. Doch dazu kam zunächst nicht, denn es galt 1999 in den ersten Krieg nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges unter deutscher Beteiligung einzutreten. Baumann: »Scharping und Fischer hatten behauptet, es solle ein zweites Auschwitz verhindert werden. Welch schamlose Verhöhnung der Auschwitz-Opfer.« Erst ein Antrag der PDS brachte 2002 die Urteile zu Fall. Und auch in Köln begann 2006 unter Federführung der damaligen PDSFraktion im Stadtrat ein Ringen um das Denkmal, das schließlich gegen CDU und PRO Köln zum Erfolg führte. Der Umstand, daß für ein derartiges Denkmal eine offizielle Ausschreibung stattgefunden hat, sei bundesweit einzigartig, so der Leiter des Kölner NS-Dokumentationszentrums, Werner Jung. Zudem stehe das Mahnmal von Ruedi Baur in Köln auf öffentlichem Grund, an einem zentralen Ort mit Blick zum Dom, in der Nähe des ehemaligen Appellationsgerichtshofes und in Sichtweite zu Stadtmuseum und NS-Dokumentationszentrum, in dessen Kellerräumen sich einst die Folterzellen der SS befanden.

Jung hob besonders die Formensprache hervor, die Baur gefunden habe. Es sei keine Betroffenheitsästhetik, die »das Erinnern herbeihämmert«. Doch bei der Einweihung des Denkmals war manche Rede getragen von einem Pathos, als müßte die Vergangenheit zementiert werden. Aber die Pergola sei eigenwillig: jung, leicht und »feminin«, so der 1956 in Paris geborene Schweizer Künstler Baur, und vor allem solle sie in die Zukunft weisen. Selbst die »liebe brave Schweiz« habe ihrem Gesetz über politische Flüchtlinge einen Paragraphen hinzugefügt, der Deserteure in Zukunft nicht als politische Flüchtlinge akzeptiert. »Der Deserteur muß sterben «, hatte Adolf Hitler gesagt, »der Soldat kann sterben«. Der deutsche Soldat stirbt heute in Afghanistan, worauf Baumann hinwies und Applaus bekam. Es gehe darum, »niemals das Denken und Fühlen auszuschalten, um im wahrsten Sinne blind, geist- und herzlos zu folgen und mitzulaufen«, wünscht sich Ruedi Baur.

* Aus: junge Welt, 5. September 2009


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