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"Die Bundeswehr führt keine Kriege"

Die Ausstellung "Krieg und Medizin" im Hygienemuseum Dresden soll keine pazifistische Ausstellung sein

Von Sigurd Schulze *

Im März lief auf Arte die Dokumentation »PTBS, die Posttraumatische Belastungsstörung -- unsichtbar verwundet« von Piet Eekman. Es ging um Bundeswehrsoldaten, die von ihren Auslandseinsätzen psychisch zerstört zurückkommen. Verschiedene Heilmethoden werden diskutiert. Eekman fragt einen Klinikchef nach dem geeigneten Mittel. Der sagt: »Kein K­rieg -- das wäre das beste.« In der Ausstellung »Krieg und Medizin«, die gegenwärtig im Dresdener Hygienemuseum zu sehen ist, heißt es: »Ein Mittel, das psychischen Traumatisierungen vorbeugt oder sie rasch heilt, existiert auch heute nicht.«

Nach Auskunft von Museumsdirektor Klaus Vogel soll im Mittelpunkt der Ausstellung die »niederschmetternde Janusköpfigkeit des Menschen« stehen: Einerseits sei er in der Lage und bereit, Gewalt gegen seine Mitgeschöpfe anzuwenden, sie zu verletzen und zu töten, andererseits riskiere er sein Leben, um anderen zu helfen und sie zu heilen. Da sind auch die Herren Militärärzte der Bundeswehr zur Stelle. Das Begleitprogramm eröffnete der Stabsabteilungsleiter des Verteidigungsministeriums, Generalarzt Christoph Veit, mit einem Vortrag zur medizinischen Versorgung von Verwundeten, im Juni folgt Oberstarzt Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zur »angemessenen Versorgung« in den Auslandseinsätzen traumatisierter Bundeswehrsoldaten.

In der Ausstellung, die auf der Zusammenarbeit mit der Londoner Wellcome Collection beruht, geht es nicht um Verantwortung von Politikern, Militärs und Rüstungsproduzenten für den Krieg, sondern um den Schutz der Truppe und die Heilung Verwundeter, denn die ärztliche Tätigkeit im Kriege »steht auch hier unter der Maxime, die Versehrten wieder kampfeinsatzfähig zu machen«, wie auf einer Ausstellungstafel zu lesen ist. Vogel betont, daß »die Frage weder stellen noch beantworten« könne, welche der zahllosen militärischen Einsätze unserer Tage politisch legitim seien. Auf meine Frage, ob die Offiziere erzählen werden, wie schön sie ihre Kriege führen, sagt er: »Die Bundeswehr führt keine Kriege.« Statt dessen handele sie gemäß internationalen Beschlüssen, sie sei eine Parlamentsarmee. Die Ausstellung solle nicht pazifistisch sein, aber eine bellizistische Grundhaltung könne er nicht erkennen. Vogel versichert, weder die Bundeswehr noch die britische Armee hätten für die Ausstellung Geld gegeben. Sie seien Kooperationspartner.

Dem Besucher wird folgende Legende eingeimpft: Der Krieg braucht die Medizin. Das beginnt mit der Musterung für die Kriegsverwendungsfähigkeit, schließt die richtige Ernährung und Hygiene der Truppe ein, beinhaltet die sofortige effektive Versorgung bei Verwundungen, ihren Transport und Pflege sowie die Wiederherstellung der Kampffähigkeit. Je höher die Kriegstechnik entwickelt wird, desto mehr ist die medizinische Versorgung technisch und organisatorisch gefordert. An Negativbeispielen wird demonstriert, wie schlimm eine mangelnde medizinische Vorbereitung und Versorgung sein kann. So starben im Krimkrieg von 1853 bis 1856 mehr britische und französische Soldaten in den Lazaretten als auf dem Schlachtfeld selbst.

Braucht die Medizin den Krieg? Rein pragmatisch wird festgestellt, daß »der Krieg Ärzten die Gelegenheit bot, massenhaft praktische Erfahrungen zu sammeln. Er schuf ein Forschungsfeld für Mediziner, um die Effektivität chirurgischer Techniken zu testen oder die Wirksamkeit pharmazeutischer Substanzen zu beobachten.« Pathologen sezierten massenhaft die Leichname von Soldaten. Die Erkenntnisse trugen zur Erweiterung des Wissens über Krankheiten und Verwundungen bei. Große Lehrsammlungen von Präparaten und Bildern entstanden. Plastische Beispiele kann der Besucher betrachten. Interessant ist auch die Formulierung »Die Menschenexperimente während des Zweiten Weltkrieges bezeugen diese Pervertierung wissenschaftlicher Forschung besonders drastisch.« Waren es »das Militär« und »der Krieg« oder die deutschen Nazis, die zu den Verbrechen an KZ-Häftlingen, Behinderten, Kriegsgefangenen und schließlich zum Genozid an den europäischen Juden führten? Details sind beispielsweise in den Publikationen »Die Charité im Dritten Reich« (2008) und »Das Robert-Koch-Institut im Nationalsozialismus« (2008) nachzulesen. Die Mörder werden genannt. Auch im Begleitbuch zur Dresdener Ausstellung belegen Andreas Frewer und Florian Bruns den Zusammenhang von Naziideologie und Menschenexperimenten. Unmenschliche Behandlung von Gefangenen und Zivilisten durch kriegführende Armeen sind keine Seltenheit, doch die Naziverbrechen sind damit nicht gleichzusetzen. 2006 übernahm das Hygienemuseum Dresden vom Holocaust Memorial Museum Washington die Ausstellung »Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus«. Es hat bei sich selbst nichts gelernt.

Braucht die Medizin den Krieg? Der Bundeswehrarzt Christoph Veit meint, Krisen und Kriege hätten immer wieder zur sprunghaften Weiterentwicklung der Militärmedizin beigetragen. Durch sie sei der medizinische Fortschritt beschleunigt worden. Gorch Pieken vom Militärmuseum Dresden glaubt sogar, der Krieg habe bahnbrechende Entwicklungen angestoßen. Veit, in der Doppelrolle von Arzt und Militär, fragt rhetorisch: Darf sich die Medizin in den Dienst des Krieges stellen? Und antwortet: Sie muß, denn auch ohne Sanitätsdienst seien Kriege geführt worden, aber die Zahl der Opfer war höher.

Folgt man den Ausstellungsmachern, stellt sich das Problem, daß in Kriegszeiten wissenschaftliche Durchbrüche ausblieben. Wenn die Versorgung der Soldaten im Vordergrund stehe, bestünde die Gefahr, die »zivile« Grundlagenforschung zu vernachlässigen. Jedoch: Wenn die Kriegstechnik immer ausgefeilter wird, »ringen wir im Wunsch zu heilen darum, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und ihr gleichzeitig die Stirn zu bieten.« Das wird dann in der Sächsischen Zeitung auch so rezipiert: Krieg und Medizin bedingen sich gegenseitig -- alles klar.

Dem Besucher wird vermittelt, daß militärische Vernichtungstechnik und medizinische Heilmethoden sich gegenseitig hochschaukeln. Eine Spirale ohne Ende, denn ein Ende der Kriege wird nicht angenommen. Diesem Ansatz entspricht auch das Vortragsthema »Neue Kriege -- neue Waffen -- neue Hilfskonzepte: Der Schutz von Menschen in den Kriegen von morgen.« Am 12. Mai wird dazu Thomas Gebauer, Gründer der Kampagne zum Verbot von Landminen, sprechen und die Gefahr des globalen Bürgerkriegs, der »die Länder des Nordens auf den Plan gerufen« habe, beschwören. Imperialismus? Kolonialismus? Ökonomische Interessen? Die sind nicht im intellektuellen Angebot.Merke: Kriege von morgen scheinen unvermeidlich zu sein.

In Hörstationen und Videofilmen erzählen verschiedene Soldaten von ihren grausamen Erlebnissen in Vietnam, in Bosnien, in Georgien, im Irak und in Afghanistan. Kein einziger fragt: »Was wollen wir eigentlich dort?« Veit, im Jahre 2004 selbst als »Medical Advisor« in Kabul, berichtet von der problematischen Entwicklung, daß junge Sanitätsoffiziere die Bundeswehr verlassen. Allein 2008 haben 120 Ärzte gekündigt. Ihnen fehle »die Motivation«. In Kundus gebe es keinen Arzt, der nicht mindestens einmal »angesprengt« worden sei. Nun versuche man, die Ärzte mit Prä­mien zu halten. Das sorge für Unruhe. Veit beklagt, »wir als Soldaten leiden unter der Grundeinstellung der Bevölkerung, daß wir die Müllmänner sind.«

Das Beste in der Ausstellung sind Karikaturen und Zeichnungen von George Grosz, Konrad Felixmüller, Otto Dix und Max Beckmann, die den deutschen Militarismus anklagen. Literarische Zeugnisse kann man schlecht ausstellen. Ein Zitat hätte genügt: »Der Krieg soll verflucht sein« (Brecht, Mutter Courage). Kann der Besucher selbst darauf kommen? Er kann. Da sind die Bilder, die Filme und am Schluß die Fotografien und Berichte von 31 Minenopfern aus Angola, Bosnien-Herzegowina, Kambodscha und Afghanistan, die der Künstler Lukas Eisele mit nach Hause brachte. Die Kuratoren lassen die wissenschaftliche Souveränität vermissen, über so etwas wie »die Diskussion zu fördern« hinauszugehen. So bleibt eine Apologie des Krieges.

»Krieg und Medizin, Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden«, bis 9. August 2009

* Aus: junge Welt, 16. April 2009


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