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Wasser gegen Gewehre

Vor 100 Jahren in "Deutsch-Ostafrika": Einheimische rebellieren im sogenannten Maji-Maji-Krieg gegen die deutschen Kolonisatoren

Von Stefan Otto*

Länger als zwei Jahre dauerte der sogenannte Maji-Maji-Krieg in »Deutsch-Ostafrika«, dem heutigen Tansania. Für die einheimische Bevölkerung nahm dieser einen vernichtenden Ausgang. Für Jahrzehnte traumatisierte er das Land. In Deutschland dagegen ist der Krieg fast in Vergessenheit geraten. Während zum 100. Jahrestag des Herero-Krieges in Namibia die Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) immerhin öffentlich um Vergebung bat [siehe: "Politische und moralische Verantwortung dokumentieren"], blieb eine solche Geste in Tansania bislang aus.

Erste Annexionen

1884 gründete der deutsche Publizist und Politiker Carl Peters die »Gesellschaft für deutsche Kolonisation« mit dem Ziel, Land in Übersee zu erwerben. Weder beim Reichskanzler Otto von Bismarck noch im Auswärtigen Amt stieß er damit auf Zuspruch. Bismarck war ein erklärter Gegner von Kolonien. Seine Aufmerksamkeit galt dem Gleichgewicht der Großmächte in Europa. Als Deutschland begonnen hatte, sich in Kolonialfragen einzumischen, sah er darin vor allem die Gefahr einer Provokation gegenüber England und Frankreich. Allerdings strebten die herrschenden Kreise in Deutschland nach Kolonialbesitz. Auch ein noch so mächtiger Reichskanzler konnte das nicht ignorieren; also verzichtete Bismarck auf eine Intervention, als eine erste deutsche Expedition ins östliche Afrika aufbrach.

Auf der Insel Sansibar angekommen, traf Peters mit dem dortigen Sultan Said Bargasch zusammen und erwarb Gebiete entlang der Küste des ostafrikanischen Festlandes. Dem Land wird Schutz versprochen, hieß es. Tatsächlich handelte es sich eher um eine räuberische Erpressung. Es folgten Expeditionen ins Landesinnere, wo weitere »Verträge« mit Herrschern verschiedener Ethnien geschlossen wurden. Im Februar 1885 unterstanden alle eroberten Gebiete der Reichsregierung. Eine Schutztruppe für »Deutsch-Ostafrika« aus zumeist sudanesischen, äthiopischen und moçambiquanischen Söldnern, genannt Askaris, wurde gebildet. Die Deutschen behielten allerdings die militärische Führung und hatten die Befehlsgewalt bei der Niederschlagung von Erhebungen der einheimischen Bevölkerung.

Zu Aufständen kam es immer wieder. So geschehen auch im Morgengrauen des 20. Juli 1905, als Arbeiter eine Baumwollplantage im Gebiet der Matumbi zerstörten. Der zuständige Verwalter der Plantage schickte seine Leute aus, um die Ordnung wiederherzustellen. Erfolglos, denn ein Großteil der Bevölkerung litt unter der Behandlung durch die Europäer. Besonders schwer lastete eine im März 1905 eingeführte Kopfsteuer auf ihnen. Wer sie nicht bezahlen konnte, wurde zu Zwangsarbeit verpflichtet. Nicht zuletzt deshalb breitete sich die Erhebung wie ein Lauffeuer aus.

Getragen wurde der Aufstand vom Maji-Maji-Kult, der auf den Propheten Kinjikitile zurückgeht. 1904 hatte dieser ein Erweckungserlebnis und versprach Heil, sobald die Weißen vertrieben wären. Im Krieg selbst spielte er jedoch keine bedeutende Rolle mehr, denn er wurde bald schon festgenommen und hingerichtet. Das Maji-Maji wurde fortan durch Zeremonien und Eidesleistungen zelebriert. Einheimische glaubten durch Maji, heiliges Wasser, unverwundbar zu sein. Dieser Irrglaube kostete viele das Leben. Trotzdem wurde der Kult zur Ideologie zahlreicher Stämme.

Anfang Oktober 1905 hatte das Kriegsgebiet seine größte Ausdehnung erreicht und umfaßte das gesamte südliche Gebiet der Kolonie. Über eine Million Menschen aus 20 Volksgruppen, die zum Teil nicht einmal die gleiche Sprache sprachen, erhoben sich. Derartige Vereinigungen über die Stammesgrenzen hinweg hatte es bisher nie gegeben. Im Norden der Kolonie kam es dagegen nur zu vereinzelten Aufständen, die von den deutschen Besatzern brutal niedergeschlagen wurden.

Vernichtungsfeldzug

Als die Reichsregierung von den Aufständen erfuhr, schickte sie Verstärkung. Zwei Schiffe trafen im September und Oktober 1905 ein. Zudem wurden weitere Askaris angeworben. Eine Zeit der Terrorfeldzüge brach an: Von der Küste her nahmen die Kolonialisten Kilometer um Kilometer ein. Die größte Schlacht des Krieges fand am 19. November 1905 im Landesinneren statt. Am Fluß Ruipa, an dem die deutschen Einheiten von Hauptmann Theodor v. Hassel vor dem Übersetzen lagerten, ereignete sich der Angriff: Tausende Maji-Maji-Krieger stürmten das Lager und liefen ins Maschinengewehrfeuer. Nachdem ihre geistigen Führer gefallen waren, zogen sich die Angreifer zurück. Die Bilanz der Schlacht war verheerend: Auf deutscher Seite fielen 26 Hilfskrieger, bei den Aufständischen waren es Hunderte.

Das Kalkül der Deutschen in Ostafrika war grausam: »Nicht mehr auf die Erreichung des Friedens sollte es jetzt in erster Linie ankommen, sondern auf die Bestrafung der Rebellen (…) Also: Bedingungslos zu Kreuze kriechen oder Krieg bis zur Vernichtung!«, verkündete die Deutsch-Ostafrikanische Zeitung am 2.12.1905. Durch Hunger und Entbehrung sollte der Widerstand in der Bevölkerung gebrochen werden. Dörfer wurden niedergebrannt und Felder zerstört. Schon bald wuchs die Not ins Unermeßliche. Die Besatzer versklavten Krieger, die sich ergaben, und ermordeten Religionsführer.

In der Folgezeit führten einige Einheimische einen Guerillakrieg fort, bis auch sie gefangengenommen wurden. Ostafrika unterstand wieder der Kontrolle durch die deutschen Kolonialherren. Das Kriegsrecht hoben die Deutschen im August 1907 auf, als das Land aus ihrer Sicht befriedet war.

Für die Einheimischen hingegen dauerte die Hungersnot noch lange an. Krankheiten breiteten sich aus, und infolge der Unterernährung gab es eine hohe Kindersterblichkeit. Die tatsächliche Zahl der Opfer ist noch heute unbekannt. Schätzungen des tansanischen Historikers Gilbert Gwassa belaufen sich auf 250000 bis 300000.[1] Demgegenüber kamen während des Krieges 15 Europäer, 73 Askaris und 316 sogenannte Hilfskrieger um, bilanziert das Deutsche Kolonialblatt am 15.4.1907. Hätte es auf deutscher Seite mehr Opfer gegeben, würde man sich wohl auch hierzulande stärker an den Krieg erinnern. Im heutigen Tansania blieb er dagegen im kollektiven Gedächtnis und wird als ein wichtiges Ereignis der eigenen nationalen Geschichte angesehen. Jahrzehnte später entstand mit der Tanganjika African National Union (TANU) wieder eine Bewegung, die sich für die Unabhängigkeit des Landes einsetzte, welche 1961 erlangt wurde. Ihr oberstes Ziel erreichte die TANU trotz zahlreicher Skeptiker mit der Wiedervereinigung von Tanganjika und Sansibar zu Tansania im Jahr 1964.

[1] Gwassa, Gilbert: The Outbreak and Development of the Maji Maji War, Dar es Salaam 1973, 398

Quellentexte: Berichte afrikanischer Zeitzeugen

Über die brutale Herrschaftspraxis deutscher Kolonisatoren: »Während der Feldarbeit wurde viel gelitten. Wir, die Zwangsarbeiter, standen in einer Linie auf dem Feld. Hinter uns war der Aufseher, dessen Aufgabe es war, uns auszupeitschen. Hinter dem Aufseher standen die Jumbe. Jeder Jumbe stand hinter seinen 50 Leuten. Und hinter den Jumbe stand (der deutsche Pflanzer) Steinhagen höchstpersönlich, ein tödlicher Anblick (...) Der Aufseher Selemani hatte eine Peitsche, und er war besonders grausam. Es war seine Aufgabe, die Zwangsarbeiter zu schlagen, die sich vom Hacken aufrichteten oder versuchten, sich auszuruhen, oder nicht ordentlich hackten, so daß ihre Fußspuren zu sehen waren (...) Auf der anderen Seite stand Steinhagen mit einem Bambusstock. Wenn Männer eines bestimmten Jumbe Fußspuren hinterließen, schlug er den Jumbe auf die Ohren und prügelte mit dem Bambusstock auf ihn ein, den er mit beiden Händen festhielt, während gleichzeitig Selemani uns Arbeiter auspeitschte.«

Zit. n. Gwassa und Iliffe (Hgg.), Records of the Maji-Maji Rising, Nairobi 1968

Botschaft Kinjikitiles, Begründer des Maji-Maji-Kultes: »Die Deutschen werden fortgehen. Der Krieg wird im Landesinneren ausbrechen und sich bis zur Küste ausbreiten und von der Küste ins Hinterland. Sicherlich wird es einen Krieg geben. Aber bis es soweit ist, arbeitet weiter für sie. Wenn sie euch befehlen, Baumwolle anzupflanzen, eine Straße zu bauen oder Lasten zu tragen, so tut, was sie euch befehlen. Geht und bleibt ruhig. Wenn ich fertig bin, werde ich den Krieg erklären.« Die Älteren kehrten nach Hause zurück und verhielten sich ruhig. Lange Zeit warteten diese Älteren und wunderten sich: »Dieser Mganga sagte, er wolle den Europäern den Krieg erklären. Warum wartet er damit so lange? Wann werden die Europäer gehen? Schließlich haben wir bereits die Medizin bekommen und sind tapfere Männer. Warum sollten wir warten?« Dann fragten die Afrikaner sich selbst: »Wie beginnen wir den Krieg? Wie machen wir die Deutschen wütend? Laßt uns losziehen und ihre Baumwolle ausreißen, damit der Krieg beginnen möge.«

Zit. n. Gwassa und Iliffe 1968

* Aus: junge Welt (Wochenendbeilage), 19. November 2005


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