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Fast zweifelsfrei

Ein Sammelband faßt den Forschungsstand zu Auffindung, Obduktion und Beerdigung der Leiche Rosa Luxemburgs zusammen

Von Arnold Schölzel *

Der von Annelies Laschitza und Klaus Gietinger herausgegebene Band »Rosa Luxemburgs Tod. Dokumente und Kommentare« wäre nicht erschienen, hätte nicht der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Charité, Michael Tsokos, seit Mai 2009 mehrfach öffentlich den Verdacht geäußert, 1919 sei nicht die Leiche der ermordeten Revolutionärin beerdigt worden, sondern eine andere. Das räumten beide bei der Vorstellung des Buches am vergangenen Donnerstag in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin ein. Annelies Laschitza, Luxemburg-Biographin und Herausgeberin von deren Werken und Briefen, schreibt in ihrem Beitrag zu dem Sammelband: »Für alle Rosa-Luxemburg-Biographen gab es bisher keinen Grund, an der Echtheit der Leiche Rosa Luxemburgs zu zweifeln, die am 31. Mai 1919 aus dem Landwehrkanal geborgen und am 13. Juni 1919 beerdigt wurde. 'Es ist zweifelsfrei die Leiche von Rosa' telegrafierte Mathilde Jacob, die engste Vertraute und Mitstreiterin von ihr, am 4. Juni 1919 an Clara Zetkin nach Degerloch bei Stuttgart.« Sie hatte als Zeugin des Gerichts des Garde-Kavallerie-Schützenkorps, aus dem die Mörder kamen, die ihr vorgelegten, der Leiche abgenommenen Stoffetzen eines blauen Samtkleides, ein goldenes Medaillon, das dazugehörige Samtband und braune Lederhandschuhe eindeutig als ihr bekannte Gegenstände Rosa Luxemburgs identifiziert. Alle entsprechenden Unterlagen waren den Biographen seit längerem bekannt, an eine detaillierte Auswertung oder gar die Publikation der Dokumente wie hier hatte bisher niemand gedacht.

Verifizierbarkeit

Annelies Laschitza, die deren Transkription besorgte, schreibt dazu, die meisten Autoren hätten das aus Pietät für unangebracht gehalten. Das Hauptaugenmerk habe sich auf den politischen Mord an Rosa Luxemburg gerichtet und auf dessen Hintergründe.

Durch das mediale Tamtam, mit dem Tsokos mehrfach auf sich und eine »Museumsleiche« als die vermeintlich echte aufmerksam machte, hat sich die Situation geändert. Allerdings nicht völlig. Annelies Laschitza konstatiert, solange Tsokos keine unwiderlegbaren Beweise, »vor allem DNA-Vergleiche«, vorlege, blieben »erhebliche Zweifel an der Verfizierbarkeit« seiner Thesen.

Dem schloß sich bei der Buchvorstellung, an der etwa 20 Medienvertreter und ebensoviele Interessierte teilnahmen, Klaus Gietinger an. Er forderte Tsokos, dessen Erklärungen er als »in hohem Maße unwissenschaftlich« bezeichnete, auf, alle Daten vorzulegen, über die er verfüge. Aus dem Auditorium war zu hören, der Chef der Berliner Rechtsmedizin könne bereits auf drei DNA-Proben von Verwandten Rosa Luxemburgs zurückgreifen. Gietinger, der zu dem vorgelegten Band zwei Beiträge beisteuerte, zerpflückt darin in mehreren Punkten Behauptungen, die Tsokos in Interviews aufgestellt hatte. Er konnte sich auf zwei ebenfalls hier publizierte Gutachten des Rechtsmediziniers Volkmar Schneider stützen, der Vorgänger von Tsokos im Amt des Institutsdirektors an der Charité war. Laut Schneider stimmte die Körpergröße der damals oduzierten Leiche mit der Rosa Luxemburgs überein wie auch die Befunde den »verschiedenen Einwirkungen auf Rosa Luxemburg (Schuß, Kolbenschläge)« entsprochen hätten. Schneider kritisiert: »Hier ist aus einem Verdacht eine Gewißheit gemacht worden, ohne dafür den Beweis bis heute angetreten zu haben -- ein wahrhaft unwissenschaftliches Vorgehen!«

Abweichendes

Ernst nehmen müsse man, so Annelies Laschitza bei der Buchvorstellung, ein ebenfalls im Band veröffentlichtes Dokument, das von allen anderen Zeugenaussagen zur Beschreibung der am 31. Mai 1919 aufgefunden Leiche abweicht. Es handelt sich um die Meldung des zuständigen Polizeireviers an das Polizeipräsidium. In ihr ist die Rede von einer Frauenleiche, die »bekleidet mit schwarzem Rock, schwarzbraun gestreifter Bluse, schwarzen Strümpfen und braunen Glacéhandschuhen« gewesen sei. Gietinger kommentierte, es handele sich möglicherweise um Fehler des aufnehmenden Polizeibeamten, Annelies Laschitza meinte, eventuell handele es sich auch um eine andere Leiche, die am selben Tag gefunden worden sei.

So bleiben letzte Zweifel unausgeräumt. Unbeantwortet bleibt aber vor allem die Frage, wer ein Motiv gehabt haben soll, eine falsche Leiche zu beerdigen.

Hervorgehoben sei noch der lesenswerte Beitrag des Historikers Jürgen Hofmann über das Grab Rosa Luxemburgs auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde und dessen Geschichte. Er hat dazu 20 Dokumente gestellt, die ebenso wie die schon erwähnten hier erstmals komplett oder in bisher unbekannten Auszügen veröffentlicht werden. Das Buch füllt eine Lücke und dürfte als Quelle zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Insofern hatte die von Tsokos ausgelöste Aufregung in den Medien ein positives Resultat.

Annelies Laschitza/Klaus Gietinger (Hg.): Rosa Luxemburgs Tod - Dokumente und Kommentare. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 2010, 204 Seiten, 11,50 Euro * ISBN 978-3-89819-333-7. Bestellungen über: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V., Harkortstr. 10. 04107 Leipzig, Tel.: 0341/9608531, Fax: 0341/2125877, E-Mail: RosaLuxemburg-Stiftung.Sachsen@t-online.de

* Aus: junge Welt, 11. Januar 2010


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