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Weltweit 46 kriegerische Konflikte im Jahr 2001

Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg

Am 17. Dezember veröffentlichte die AKUF (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung), Universität Hamburg, ihre Jahresbilanz 2001, die wir im Folgenden gekürzt dokumentieren. Der vollständige Text ist der Homepage von AKUF zu entnehmen: www.akuf.de.

Das Kriegsgeschehen des Jahres 2001

Allgemeine Trends


Nach Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) wurden im Jahr 2001 weltweit 46 kriegerische Konflikte geführt. Gegenüber dem Vorjahr hat sich diese Zahl damit nur geringfügig von 47 auf 46 verringert.

Beendet wurde der blutige Grenzkrieg zwischen Eritrea und Äthiopien. Über die Konflikte in Laos, im mexikanischen Bundesstaat Chiapas und dem erdölreichen Nigerdelta in Nigeria lagen in diesem Jahr keine Meldungen über größere bewaffnete Auseinandersetzungen vor. Neu begonnen hat in diesem Jahr der auf die Terroranschläge vom 11. September folgende und in Afghanistan ausgetragene so genannte Anti-Terror-Krieg. Neu dazu kommen der Krieg, der von der separatistischen UÇK in Mazedonien geführt wurde und die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und christlichen Milizen in Nigeria.

Die von Kriegen am stärksten betroffenen Weltregionen sind nach wie vor Asien mit 16 vor Afrika sowie dem Vorderen und Mittleren Orient mit 14 bzw. 12 Gewaltkonflikten. Es folgen Lateinamerika und Europa mit jeweils 2 kriegerischen Konflikten. Damit bestätigt sich auch im Jahr 2001 die regionale Ungleichverteilung des weltweiten Kriegsgeschehens: Weit über 90 Prozent aller Kriege seit 1945 finden in der "Dritten Welt" statt. Auch ein anderer Trend wird durch das Kriegsjahr 2001 bestätigt: die wachsende Bedeutung innerstaatlicher Gewaltkonflikte. Zwischenstaatliche Kriege bilden die Ausnahme. Zentraler Gegenstand der innergesellschaftlichen Gewaltkonflikte sind der Kampf um die Macht im Staat sowie Autonomie- und Sezessionsbestrebungen.

In immer stärkeren Maße wird die Zivilbevölkerung durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Mitleidenschaft gezogen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind in den 46 aktuellen Konflikten seit deren Beginn über 7 Millionen Menschen zu Tode gekommen - die meisten von ihnen Zivilisten. Um ein Vielfaches höher liegt die Zahl der Verwundeten, Vertriebenen und Flüchtlinge. Die materiellen Schäden sind unermeßlich. Versuche der UNO oder anderer Organisationen, die Gewalt einzudämmen oder durch Vermittlung dauerhaft zu beenden, haben auch in diesem Jahr nur wenig Erfolg gezeigt. Im Gegenteil wiesen eine ganze Reihe von Konflikten in diesem Jahr eine Eskalation der Gewalt auf, und nur wenige scheinen einer Lösung näher gekommen zu sein. Auch die beiden diesjährigen Konferenzen der UNO zu den Problemfeldern "Kindersoldaten" und "Kleinwaffen" können nicht als erfolgreich angesehen werden.

Überblick

Wohl kaum ein Ereignis hat ein Jahr so geprägt, wie die Terroranschläge vom 11. September auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Die knapp vier Wochen später begonnene Reaktion der USA begann zunächst in Form von Luftangriffen auf Stellungen der Taliban-Regierung in Afghanistan und vermischte sich in der Folge mit dem seit 1978 andauernden innerafghanischen Krieg. Diese Ereignisse haben andere kriegerische Konflikte des Jahres 2001 überschattet und aus dem Blick der Medien verdrängt.

Deutlich eskaliert ist im Laufe des Jahres der Palästina-Konflikt. Die Spirale der Gewalt aus Selbstmordanschlägen palästinensischer Attentäter einerseits und militärischen Übergriffen Israels andererseits lässt einen Frieden unwahrscheinlicher den je erscheinen. Nicht umgekehrt wurde dadurch bislang der Friedensschluss im Südlibanon aus dem Jahr 2000. Zwar wurden hier die Kämpfe zwischen israelischer Armee und der islamistischen Hizbollah-Miliz nicht endgültig beigelegt. Sie gingen aber allgemein zurück und konzentrierten sich im Wesentlichen auf ein zwischen Israel, Syrien und Libanon umstrittenes Grenzgebiet. Ganz in den Hintergrund gedrängt wurde der wegen der NATO-Intervention bis zum 11. September heftig diskutierte Krieg zwischen der mazedonischen UÇK und der mazedonischen Regierung. Durch diese Gewalteskalation wurde auch der letzte der fünf Nachfolgestaaten des früheren sozialistischen Jugoslawien vom Krieg erfasst. Vor dem Hintergrund der Rechte der albanischsprachigen Minderheit in Mazedonien trug hier vor allem der nur unzureichend eingedämmte Zufluss von Waffen aus dem benachbarten Kosovo zur Eskalation bei. Ein Übergreifen des Kosovo-Konfliktes war bis zum ersten Quartal des Jahres 2001 auch noch in der zwischen dem Kosovo und Zentralserbien eingerichteten Sicherheitszone zu verzeichnen. Neben diesen Konflikten wurden auch 2001 weltweit eine ganze Reihe von weitgehend "vergessenen" kriegerischen Konflikten ausgetragen.

Noch nicht abzusehen sind die Auswirkungen der Ereignisse in Afghanistan auf weitere Konflikte in der Region. In Usbekistan ist in diesem Jahr im Vergleich zu den beiden Vorjahren ein geringeres Ausmaß an bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen islamistischen Rebellen und der Regierung zu verzeichnen gewesen. Der innerpakistanische Konflikt mit islamistischen Gruppierungen ist entgegen vielen Voraussagen bislang nicht weiter eskaliert. Der Kaschmirkrieg in Indien und die damit zusammenhängenden bewaffneten Zusammenstöße zwischen Indien und Pakistan verliefen 2001 insgesamt auf dem Niveau des Vorjahres. Regional weiter entfernt - aber durch Andeutungen aus der US-Administration immer wieder im Zusammenhang mit einer möglichen Ausweitung des "Anti-Terror-Krieges" genannt - liegen der Irak und Somalia. In beiden Ländern dauern Kriege an, die von der Öffentlichkeit weitgehend übersehen werden: Irakische Militäranlagen sind seit 1998 regelmäßig das Ziel von US-amerikanischen und britischen Luftangriffen. In Somalia hat auch die Bildung einer im Jahr 2000 aus längeren Friedensverhandlungen hervorgegangenen Übergangsregierung keine Befriedung des Landes herbeigeführt. Wichtige Warlords haben sich mit ihrer bewaffneten Anhängerschaft diesem Friedensprozess entzogen. Da die amtierende Regierung der Zusammenarbeit mit islamistischen Terroristen verdächtigt wird, hoffen diese Warlords nun auf eine Unterstützung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung.

Auf andere Weise mit der Terrorismusbekämpfung verbunden ist der Krieg in Tschetschenien. Der Generalverdacht gegen islamistische bewaffnete Gruppierungen als Terrorgruppen kam der russischen Führung im Kampf gegen die von ihnen als Terroristen bezeichneten Rebellen sehr entgegen. Die Kritik an dem nach wie vor brutalen Vorgehen der russischen Armee wurde dadurch vollkommen in den Hintergrund gedrängt.

Asien war im Jahr 2001 die Weltregion mit den meisten kriegerischen Konflikten. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass allein in Indien sechs Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Neben dem Kaschmirkonflikt im Nordwesten waren dies vor allem Konflikte im Osten des Landes, die von Rebellen für eine größere Autonomie oder gar Sezession einer Bevölkerungsgruppe geführt werden. Daneben kämpfen aber auch maoistische Rebellengruppen im so genannten Naxaliten-Konflikt für eine Veränderung des politischen und sozialen Systems. Weiter eskaliert ist im November 2001 der Krieg einer ebenfalls maoistischen Rebellenbewegung im benachbarten Königreich Nepal.

Bei den Gewaltkonflikten in Asien war auch im Mindanao-Konflikt auf den Philippinen eine Eskalation der Gewalt zu verzeichnen. Hier kämpfen mehrere islamische oder islamistische Rebellengruppen für eine größere Autonomie bzw. einen eigenen Staat. Durch ihre Entführungen und Geiselnahmen berüchtigt, wenn auch klein, ist die Abu Sayyaf Gruppe. Bemerkenswert ist in diesem Jahr vor allem die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen durch die in der Vergangenheit größte Rebellengruppe des seit 1970 andauernden Krieges, die infolge eines Friedensvertrages 1996 ihre Waffen niedergelegt hatte.

Weitere kriegerische Auseinandersetzungen in Asien wurden ohne wesentliche Veränderungen in Indonesien, in Myanmar (Birma) und in Sri Lanka ausgetragen. Dagegen deutet sich auf den Salomonen eine Entspannung der Lage an.

Afrika weist vor allem zwei Krisenherde mit Verbindungen zu mehreren Kriegen auf. Zum einen ist dies der "Afrikanische Regionalkrieg" um Macht und Einfluss in der Demokratischen Republik Kongo. Er steht sowohl mit den innerstaatlichen Kriegen der östlichen Nachbarstaaten Ruanda, Burundi und Uganda als auch mit dem Krieg in Angola in Verbindung. Auf diesem großen Kriegsschauplatz zeichnet sich eine Entspannung ab, weil ein seit Februar bestehender Waffenstillstand im Wesentlichen eingehalten wird. Allerdings wird neben diesem "großen" Krieg auch noch ein "kleinerer", dafür aber umso blutigerer bewaffneter Konflikt im Osten des Kongo, unvermindert weiter geführt. Schätzungen beziffern die Zahl der Todesopfer in dieser Region in den letzten drei Jahren auf bis zu 2,5 Millionen. Von den benachbarten Konflikten scheint lediglich in Uganda ein Sieg der Regierungstruppen über die dortigen Rebellengruppierungen und damit ein Ende der Kämpfe in absehbarer Zukunft nicht ausgeschlossen.

Der zweite Krisenherd in Afrika umfasst die drei Staaten Sierra Leone, Liberia und Guinea. Hier wurde der 1989 in Liberia erstmalig gewaltsam eskalierte Konflikt zunächst nach Sierra Leone exportiert und erfasste im Jahr 2000 auch Guinea. In diesen beiden regionalen Krisenherden besteht ein Interesse der beteiligten Akteure an der Ausbeutung von Rohstoffen (Gold, Coltan, Diamanten usw. im Kongo sowie Diamanten in Westafrika). Die darauf basierende Kriegsökonomie trägt nicht wenig zur Fortführung der jeweiligen Kriege bei.

Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Christen in Nord- und Zentralnigeria forderten bereits in den Vorjahren hohe Zahlen an Menschenleben, erfolgten in der Vergangenheit aber eher pogromartig und sporadisch. Mittlerweile scheinen sie sich aber zumindest auf lokaler Ebene in Form von Milizen organisatorisch verfestigt zu haben. Darüber hinaus werden in Afrika unverändert kriegerisch die Auseinandersetzungen im Senegal, im Sudan und im Tschad ausgetragen.

Noch mehr als Asien und Afrika wies der Vordere und Mittlere Orient im Jahr 2001 eine Reihe von Konflikten auf, die mit den Folgen des 11. September in Zusammenhang standen. Daneben wurden auch weitere Konflikte, die in der Vergangenheit mehr oder weniger Beachtung fanden, unverändert mit kriegerischen Mitteln ausgetragen: in Algerien, im Iran, in der Türkei, in Georgien und in Tadschikistan.

In den letzten Wochen und Monaten wieder eskaliert sind auch die beiden Kriege in Kolumbien. Dort kämpfen seit Mitte der 1960er Jahre zwei "linksgerichtete" Guerillagruppen größtenteils unabhängig voneinander gegen die kolumbianische Regierung und seit einigen Jahren vor allem auch gegen paramilitärische Verbände. Ähnlich wie bei den afrikanischen Krisenzentren spielt auch in Kolumbien die Kriegsökonomie eine entscheidende Rolle. Das Interesse der Kontrolle über den Drogenanbau durch Guerilla und paramilitärische Gruppen führt hier zur Verstetigung des Konfliktes. Zur Eskalation beigetragen hat in diesem Jahr vor allem auch die von den USA im Rahmen des so genannten Plan Colombia zur Drogenbekämpfung unterstützte Verstärkung des kolumbianischen Militärs.

Die kriegerischen Konflikte im Jahr 2001

Afrika
Angola (Beginn:) 1960
Burundi 1993
Guinea 2000
Kongo-Kinshasa (Afrikanischer Regionalkrieg) 1998
Kongo-Kinshasa (Kivu) 1997
Liberia 2000
Nigeria 2001
Ruanda 1990
Senegal (Casamance) 1990
Sierra Leone 1993
Somalia 1988
Sudan 1983
Tschad 1966
Uganda 1995

Asien
Indien (Assam) 1997
Indien (Bodos) 1997
Indien (Kaschmir) 1990
Indien (Nagas) 1975
Indien (Naxaliten) 1997
Indien (Tripura) 1999
Indien / Pakistan 1998
Indonesien (Aceh) 1999
Indonesien (West-Papua) 1965
Myanmar 1948
Nepal 1999
Pakistan 1986
Philippinen (Mindanao) 1998
Philippinen (NPA) 1970
Salomonen 1999
Sri Lanka 1983

Vorderer und Mittlerer Orient
Afghanistan 1978
Algerien 1992
Georgien (Abchasien) 1992
Iran (Mudschahiddin) 2000
Israel (Palästina) 2000
Libanon 1975
Russland (Tschetschenien) 1999
Tadschikistan 1992
Türkei (Kurden) 1984
USA, GB / al-Quaida, Afghanistan (Anti-Terror-Krieg) 2001
USA, GB / Irak 1998
Usbekistan, Kirgistan 1999

Süd- und Mittelamerika
Kolumbien (ELN) 1964
Kolumbien (FARC) 1965

Europa Jugoslawien (Kosovo) 1998
Mazedonien 2001



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