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Es grüßt der Gefreite

Schreiben und schweigen im Krieg: Konferenz über die Geschichte der Feldpost

Von Claudia Wangerin *

Wenn Frontsoldaten Zeit fanden, ihren Angehörigen zu schreiben, hielten sie auch persönliche Eindrücke aus dem Einsatzgebiet fest. »Die Leute hausen wie die Zigeuner«, zitiert Michaela Kipp einen deutschen Wehrmachtssoldaten, »zum Vieh ist kein großer Unterschied«. Die eigene hygienische Verwahrlosung sei von den Landsern im »Ostkrieg« fundamental anders bewertet worden als die der Einheimischen, sagt die Münchner Historikerin. Sie referiert über Reinlichkeitsvorstellungen in Feldpostbriefen. Ganz normale deutsche Männer hätten sich wie oben zitiert mit der »Aufgabe eines Großreinemachens im Osten« identifiziert. Eine von vielen Facetten, die von Montag bis Mittwoch auf der ersten internationalen wissenschaftlichen Konferenz über Feldpost im Berliner Museum für Kommunikation beleuchtet wurden.

US-Soldaten schrieben im Zweiten Weltkrieg haßerfüllt über Deutsche, mit Tieren verglichen sie aber eher die Japaner, bevorzugt mit Affen, Insekten und Schlangen. Das ist Sebastian Haak im Rahmen seiner Dissertation aufgefallen. Viele Amerikaner hätten die eigene Gewaltanwendung im Zweiten Weltkrieg positiv erlebt, sagt der junge Doktorand am Max-Weber-Kolleg der Uni Erfurt. Neben Rachegefühlen, die in den Reihen der US-Armee vor allem bei jüdischen Exilanten und früheren Teilnehmern des Spanischen Bürgerkriegs eine Rolle spielten, habe es bei denen, die zum ersten Mal die USA verließen, auch eine touristische Motivation gegeben.

Unter dem Motto »Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege« präsentierten 48 Wissenschaftler und Publizisten aus Westeuropa, Rußland und den USA den Stand der Feldpostforschung. Leiter der Konferenz war Jens Ebert, Herausgeber unter anderem der Bücher »Feldpostbriefe aus Stalingrad« und »Im Funkwagen der Wehrmacht durch Europa«.

Diskutiert wurde der Umgang der Soldaten mit Gewalterfahrung, Tod und Trauer. Es ging um Fahnenflucht und die Geschlechterdimensionen. Zu den wichtigsten Grundsatzfragen gehörte der Stellenwert von Zensur und Selbstzensur, das Verhältnis von schreiben und schweigen im Krieg. Auch »Besonderheiten und Grenzen der wissenschaftlichen Nutzung von Feldpostbriefen« wurden reflektiert.

Rüdiger von Dehn, Historiker aus Wuppertal, hat sich auf die Korrespondenz im Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 spezialisiert. Deutsche Auswanderer, die auf beiden Seiten kämpften, konnten sich in ihren Feldpostbriefen freier äußern als ihre englischsprachigen Kameraden. Die Zensur war mit der deutschen Sprache überfordert. Dennoch sei die Armee für viele ein Motor der Integration gewesen, so Dehn.

In Feldpostnetzwerken, die linkssozialdemokratische Soldaten im Ersten Weltkrieg unterhielten, ging es um Möglichkeiten des Widerstands gegen den imperialistischen Krieg, die bevorstehende Spaltung der Partei und die Zukunft der Arbeiterjugendbewegung. Die Zensur beschränkte sich anfangs auf militärische Geheimnisse und wurde von den Verantwortlichen lustlos und lückenhaft gehandhabt, so die Einschätzung von Gerhard Engel. Ein Teil der kritischen Briefe sei von Front­urlaubern an ihren Bestimmungsort gebracht, die Zensur damit unterlaufen worden. Einige dieser Briefe seien in Stuttgart gesammelt und als »Stimmen aus dem Felde« vervielfältigt worden, erklärt der Berliner Geschichtsprofessor. Als Quellenmaterial zur Geschichte der Arbeiterbewegung werde die Feldpost bislang unterschätzt, betont der Herausgeber des Buches »Rote in Feldgrau« (trafo Verlag, 2008)

Schreibende Soldaten sind seltener geworden, seit es Mobiltelefone und High-Tech-Armeen gibt. Während des Zweiten Weltkriegs beförderte die deutsche Feldpost bis zu 40 Milliarden Sendungen. Damals zum Teil lang erwartete Lebenszeichen, Kitt für die aus den Fugen geratene Kriegsgesellschaft – heute Zeitzeugnisse, die mehr und mehr die Rolle von Zeitzeugen übernehmen, sagt Lieselotte Kugler, Direktorin des Museums für Kommunikation, wo die Konferenz am Mittwoch mit einem Abschlußplenum endete.

* Aus: junge Welt, 16. September 2010


Schreibende Soldaten

Konferenz zur Feldpost im Zweiten Weltkrieg

Von Kurt Pätzold **


Von Wehrmachtssoldaten im Krieg geschriebene Briefe und Karten sind für Historiker wichtige Quellen. Der Zugriff auf diese erfolgt intensiv erst seit Mitte der 80er Jahre. Auf dem Buchmarkt erschienene Sammlungen erfreuen sich erheblichen Leserechos. Vermehrt haben sich die Bestände in Archiven, Spenden von Empfängern oder häufiger noch von deren Erben. Ein Sammler ist seit Jahren das Berliner Museum für Kommunikation (früher: Postmuseum), das nun zu einer Internationalen Konferenz eingeladen hat.

Geredet und diskutiert wurde über Briefe britischer Soldaten von Fronten in Afrika, Asien und Europa bis hin zu denen von Freiwilligen der spanischen »Blauen Division«, die am Krieg gegen die UdSSR teilgenommen hatte. Andere Beiträge bezogen sich auf die Post deutscher Soldaten aus dem vom Verbündeten zum Kriegsgegner mutierten Italien (nach dem September 1943) oder hatten den Stalingrad-Mythos zum Gegenstand. Analysiert wurden touristische Berichte, die Soldaten aus dem besetzten Frankreich schickten, und die Platzierung realer und fiktiver Briefe in Romanen.

Kritisch vermerkt wurde Überhöhung u. a. in Schulgeschichtsbüchern, in denen Soldatenbriefe gedruckt und schlechthin als »Wahrheit« des Krieges ausgegeben werden. Quellenkritik bedeutet indes zu fragen: Was wird geschrieben und was wird beschwiegen? Was bleibt unerwähnt mit dem Blick auf die Feldpostzensur, was wird aus Rücksicht auf den Empfänger nicht mitgeteilt? Was bringt der Schreibende auch mit Rücksicht auf sich selbst nicht zu Papier? Sodann: Welchen Ausschnitt des Kriegsgeschehens kennt der Absender? Was weiß er aus zweiter Hand? Und wie wenig vermochten politisch verbildete Soldaten zu erkennen, welche Rolle sie als Eroberer fremder Länder spielten?

Das Kriegserlebnis ist nicht der Krieg. Berichte vom Dreck, den Strapazen und dem Sterben an den Fronten vermögen Abscheu vor Kriegen auszulösen. Verstanden ist damit nichts, so dass die »Geschichte von unten«, die Erzählungen vom Kriegserlebnis der »kleinen Leute«, der Einordnung in die Totalität des Geschehens bedarf. Selbst der einzelne Forscher steht dieser Postmasse bis zu einem gewissen Grad hilflos gegenüber, wenn es darum geht, Antworten auf die Frage über den geistigen und mentalen Zustand der deutschen Heere in diversen Etappen des Krieges herauszufiltern. Dafür sind Forschungsstrategien zu entwickeln, die nur Wissenschaftlergruppen verwirklichen können

Leider – dies äußerten mehrere Teilnehmer – fällt neue Feldpost an, so aus Afghanistan, wenn auch nicht so zahlreich wie früher, wegen der Konkurrenz des Handys. Niemand zeigte sich auf weiteren Zugang neugierig oder erpicht.

** Aus: Neues Deutschland, 18. September 2010


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