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Ehrenburg und die Exorzisten

Neuer Anlauf zu Straßenumbenennung in Rostock

Von Velten Schäfer *

Hat Ilja Ehrenburg die Deutschen gehasst? Nicht immer und nicht alle. In Rostock droht die »Debatte« um den sowjetischen Schriftsteller und Journalisten erneut hochzukochen. Seit Jahren schwelt dort ein Konflikt um die 1987 in Rostock-Toitenwinkel nach Ehrenburg benannte Straße.

Ilja Ehrenburg hat eine Menge geschrieben. Viel davon ist Journalismus, mithin ist sicher auch Unfug dabei. Weithin unbestritten aber ist zum Beispiel der Verdienst seines »Schwarzbuches«, der ersten systematischen Dokumentation des Holocaust am Beispiel des sowjetischen Judentums. Ehrenburg verstand schon 1941, dass dies ein Krieg gegen die Juden war.

Ehrenburgs jüdisches Wider-standskomitee gehörte zu den ersten Regungen der Juden, das Opfer-Seins abzuschütteln und die Faust zu ballen. Selbst im sowjetkritischen Israel bewahrt man deshalb Ehrenburgs Andenken. Und wer etwa mit jüngeren amerikanischen Slawisten über den parteilosen (!) Schriftsteller spricht, wird schnell in Debatten über Kunststile des 20. Jahrhunderts verwickelt. Es geht dann um Symbolismus, Konstruktivismus, »Imaginismus« und Realismus. Dazu eignet sich Ehrenburg, weil er, was bei Literaten selten ist, seine eigenen Hervorbringungen in Rückschauen gern selbstironisch zerlegte.

Stalins Intrigen

Nur im Nordosten Deutschlands gibt es eine andere Meinung. Seit Jahren schwelt dort ein Konflikt um die 1987 in Rostock-Toitenwinkel nach Ehrenburg benannte Straße. Der Historiker Fred Mrotzek von der »Forschungs- und Dokumentationsstelle des Landes zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland« gehört zu den engagiertesten Fürsprechern einer Umbenennung, die auch die Neonazis auf den Plan ruft.

Nun soll ein neuerlicher Anlauf erfolgen, in dessen Vorfeld Ehrenburg an der Warnow weiterhin als Schreibmaschinenmörder und verbaler Vergewaltiger gesucht wird. Der NDR nannte ihn kürzlich gar den »Einpeitscher, das Sprachrohr Stalins«.

Das ist zumindest originell; gab es doch kaum jemanden, der Stalins monströse Unberechenbarkeit besser gekannt und schöner beschrieben hat als Ilja Ehrenburg, selbst der absurden Verfolgung als »Trotzkist« nur knapp entronnen, obwohl er Trotzki gar nicht mochte. Vermutlich geht die von Kulturjournalisten bis heute gern genommene Parallele zwischen Stalinismus und Franz Kafkas »Prozess« auf Ehrenburg zurück.

Als Stalin plötzlich mit Hitler paktierte und sogar in Ungnade gefallene Kommunisten an Deutschland ausgeliefert wurden, verfiel Ehrenburg auch körperlich so sehr, dass man um sein Leben fürchtete. Einem »Sprachrohr« wäre das kaum passiert. 1945 hat Ehrenburg Stalins Zynismus gleich zum zweiten Mal erlebt: War sein rhetorisches Feuer gerade noch willkommen, wurde er, dem Frankreich zugleich hohe Orden verlieh, nun vor den Toren Berlins gedemütigt. Ehrenburg sei durchgedreht, hieß es plötzlich in halboffiziellen Artikeln: Niemand wolle das deutsche Volk ausrotten.

So reagierte Stalin auf die ihm berichtete Stimmung in Deutschland, wo speziell Ehrenburg in der antisemitischen Propaganda über Jahre als Fratze der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung und ihrer asiatischen Horden aufgebaut worden war.

Stalin bediente dieses Sentiment - und sorgte dafür, dass Ehrenburgs druckfertiges Buch über den Holocaust seinerzeit in der UdSSR nicht erschien. Um so infamer ist es, diese »Distanzierungen« aus Moskau als Material gegen ihn anzuführen: Man macht so Stalins Spielchen mit, über die sich Ehrenburg so bitter in Moskau beschwerte. Ausrottungsabsichten hat er stets von sich gewiesen, die vermeintlichen

Vergewaltigungsaufrufe gehen wohl auf Goebbels zurück.

Hat Ehrenburg die Deutschen gehasst? Nicht alle und nicht immer. Berlin, die »Stiefmutter der russischen Städte«, wie er einmal schrieb, hatte in den 1920er Jahren auch Ehrenburg verschluckt. In den »langen, trostlosen Straßen mit schlechter Kunst und vorzüglichen Maschinen« schrieb er düster-romantische Gedichte, die ihm später peinlich waren.

An deutschen Schriftstellern waren ihm die Exilanten am liebsten, Heinrich Heine etwa kommt öfter vor in seinen Erinnerungen. Die Berlin-Passagen in »Menschen, Jahre, Leben« atmen eine Faszination, die durch das konkrete Nachhinein vergällt wurde.

Überzogen, drastisch


Ein »Sprachrohr« jedenfalls und ein »Einpeitscher« ist Ehrenburg nicht gewesen, schon gar nicht im Dienste Stalins. Er war eine schreibende Ich-AG in drei Kriegen und anderthalb Jahrzehnten europäischer Bohème. Wenn er das Messer zwischen die Zähne nahm, war er wirklich entflammt. Er war dann ganz der alteuropäische Schöngeist, dem Krieg und Faschismus den Ernstfall aufgezwungen hatten: Überbordend, überzogen und drastisch, sicher nicht frei von Gefühlen der Rache. So wie in den sowjetischen Durchhalteartikeln und Motivationsversen für die Soldatenzeitungen, aus denen Goebbels seinerzeit seinen Ehrenburg-Mythos strickte und die jetzt wieder einer Exegese unterzogen werden.

Zuletzt fand der Ehrenburg-Exorzismus in den 1960ern in Westdeutschland statt. Nun wird er wiederbelebt. Man wartet auf die Zeremonienleitung durch den neuerdings berühmtesten Ex-Rostocker. Es wäre in etwa seine Kragenweite.

* Aus: neues deutschland, 3. März 2012


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