Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Heia Safari!"

Geschichte. Vor 70 Jahren kapitulierten die deutsch-italienischen Truppen in Nordafrika. Den Alliierten eröffneten sich dadurch große strategische Möglichkeiten an der Südflanke des Nazi-Imperiums

Von Martin Seckendorf *

»Das Deutsche Afrikakorps hat sich befehlsgemäß bis zur Kampfunfähigkeit geschlagen. (…) Heia Safari!« Das war der letzte Funkspruch, den der Kernverband der deutschen und italienischen Truppen in Afrika am 12. Mai 1943 nach Berlin sandte. Einen Tag später hatten alle deutschen und italienischen Soldaten in Tunesien kapituliert.

Der Funkspruch zeigt das Maß der faschistischen Verblendung der leitenden Offiziere des Deutschen Afrikakorps. Für sie war der seit Februar 1941 von der Wehrmacht geführte Eroberungskrieg in Nordafrika ein Jagdabenteuer, eine Safari. Und das, obwohl der Faschismus gerade seine dritte strategische Niederlage in Folge nach Moskau im Dezember 1941 und Stalingrad im Februar 1943 mit großen personellen und materiellen Verlusten hinnehmen mußte. Zwischen November 1942 und Mai 1943 verloren die Achsenmächte Italien und Deutschland in Tunesien zirka 40000 Mann (Tote und Verwundete). 270000 Soldaten, etwa die Hälfte Italiener, gerieten in Gefangenschaft. Die Bewaffnung und Ausstattung zweier Armeen waren verlorengegangen.

Für den größten Teil des deutschen Offizierskorps in Tunesien war eine extreme faschistische Einstellung offensichtlich kennzeichnend. In einer Beurteilung der Wehrmachtsführung über General Hans-Jürgen von Arnim, den letzten Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Afrika, die alle deutschen und italienischen Truppen vereinte, heißt es: »Lebt und führt im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung.«

In der deutschen Bevölkerung wurde diese Niederlage mit Verunsicherung aufgenommen: Nach Spitzelberichten des Sicherheitsdienstes der SS bewertete sie sie als »zweites Stalingrad«, eine für das Hitlerregime gefährliche Einschätzung so kurz nach dem für den Kriegsverlauf wesentlich bedeutsameren »echten« Stalingrad.

Die Kämpfe in Tunesien waren Endpunkt eines fast drei Jahre währenden Krieges der faschistischen Mächte Deutschland und Italien gegen die westlichen Alliierten der Antihitlerkoalition in Nordafrika. Im Osten Europas wie in Nordafrika wurden erstere zurückgedrängt.

Vormarsch zum Suezkanal

Nordafrika war im Sommer 1940 in den Blickpunkt der deutschen Führung geraten. Großbritannien war der einzige noch unbesiegte Kriegsgegner. Für die Deutschen drängte die Zeit. Das Naziregime wollte im Frühjahr 1941 die Sowjetunion angreifen. Man hoffte, zuvor die Briten zu einem Kompromißfrieden zu bewegen und den Krieg in Westeuropa vorläufig zu beenden. Einem solchen Kuhhandel konnte die Regierung in London unter Winston Churchill nicht zustimmen. Deshalb, so eine Notiz des Generalstabschefs des Heeres, Franz Halder, am 30. Juni 1940, werde es »voraussichtlich noch einer Demonstration unserer militärischen Gewalt bedürfen, ehe England nachgibt und uns den Rücken freiläßt für den Osten«. Die Wehrmacht verstärkte den Druck mit schweren Bombenangriffen und Landungsvorbereitungen. Der Chef des Führungsstabs, Alfred Jodl, dekretierte am 14. August 1940, der »englische Widerstandswille« müsse bis zum Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion gebrochen werden. Da eine Invasion schwierig sei, könne man die Briten »auch auf anderem Wege in die Knie zwingen«, nämlich durch die »Wegnahme« Gibraltars und Ägyptens. Man besann sich seines Hauptverbündeten in Rom, der seit dem 10. Juni 1940 an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten war und weitreichende Expansionspläne in Afrika auf Kosten des britischen Einflusses verfolgte. Italien solle die Schwächestunde Großbritanniens, so die deutsche Argumentation, für die Eroberung Ägyptens nutzen.

Am 12. September 1940 eröffneten italienische Truppen von ihrer Kolonie Libyen aus den Kampf gegen Ägypten. Eine britische Gegenoffensive im Dezember drängte die Italiener weit nach Libyen zurück. In Berlin reagierte man außergewöhnlich schnell. Die Vertreibung der Italiener aus Nord­afrika hätte eine militärische und eine gravierende politische Schlappe für die Achsenmächte bedeutet. Am 11. Januar 1941 wurde die Entsendung deutscher Truppen nach Libyen beschlossen. Den Befehl über den Verband, der »Deutsches Afrikakorps« genannt wurde, übernahm Generalleutnant Erwin Rommel. Er sollte die verlorengegangenen Gebiete wieder zurückerobern.

Die Deutschen dachten von Anfang an weiter. Man plante einen Vorstoß zum Suezkanal. Diese Operation sollte der südliche Arm einer riesigen Zangenbewegung werden. Gleichzeitig wolle man durch Bulgarien und die Türkei nach Süden marschieren und sich etwa bei Haifa mit den Rommel-Truppen vereinen, so die deutsche Militärführung.

Am 11. Juni 1941 erging Hitlers »Weisung Nr. 32«. In diesem Grundsatzbefehl wurde angenommen, daß der in elf Tagen beginnende deutsche Überfall auf die Sowjetunion schon in wenigen Wochen zum Zusammenbruch der UdSSR führen werde. Dann gehe es um die »Fortsetzung des Kampfes gegen die britische Position im Mittelmeer und in Vorderasien«. Der Weg zur arabischen Halbinsel, zum Persischen Golf und zum »Kronjuwel« des britischen Imperiums, Indien, sei zu öffnen. Am 28. Juni 1941 wies das Oberkommando des Heeres Rommel an, eine Offensive zur Eroberung des Suezkanals vorzubereiten.

Im Frühjahr 1942 begann die deutsche Offensive, die tief nach Ägypten hineinführte. Die britische Militärspitze wertete die Lage als dramatisch. Churchill schrieb: »Die Schlacht in Ägypten entwickelte sich immer kritischer. Viele sahen bereits den Fall Kairos und Alexandriens (…) voraus.« Erst Ende Juli 1942 konnten bei El Alamein, 80 Kilometer westlich von Alexandria, die faschistischen Truppen gestoppt werden, wobei der Halt Rommels weniger dem Widerstand der britischen Truppen, sondern mehr dem Mangel an Treibstoff und Munition zugeschrieben werden muß.

Wende bei El Alamein

Darin zeigen sich die Grundprobleme des deutsch-italienischen Eroberungskrieges. Für die deutsche Führung war Nordafrika nur ein Nebenkriegsschauplatz. Mit möglichst geringen Kräften sollten starke britische Truppen gebunden und die Bündnisloyalität Italiens gesichert werden. Hitler meinte schon am 5. Dezember 1940, die Entscheidung falle »im Osten«. Ein Sieg über die Sowjetunion sichere die Herrschaft über Europa und sei Voraussetzung für die Erringung der Vorherrschaft in der Welt. Nach dieser Lagebeurteilung richtete sich die Zuweisung von Truppen, Waffen und Nachschubgütern. Der Krieg gegen die Sowjetunion absorbierte den Hauptteil der deutschen personellen und materiellen Ressourcen.

Um die numerische Überlegenheit der Briten in Nordafrika auszugleichen, empfahl das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) eine bewegliche Kampfführung, um schnell Schwerpunkte bilden zu können. Dazu fehlte den Achsentruppen der Treibstoff. Am 15. Dezember 1942 notierte die deutsche Seekriegsleitung, von 53 Schiffen für den Afrikatransport mit insgesamt 177717 Bruttoregistertonnen (BRT) seien 42 Fahrzeuge mit 155630 BRT verlorengegangen, vier Schiffe mit 12480 BRT wurden beschädigt. Nur noch sechs Einheiten mit 9607 BRT waren fahrbereit. »Eine katastrophale Bilanz«, heißt es in der Analyse.

Am 23. Oktober 1942 eröffneten die Briten bei El Alamein eine Offensive, die sich als Entscheidungsschlacht in Nordafrika erweisen sollte. Am 2. November war der 8. Armee unter Bernhard Montgomery der Durchbruch in die operative Tiefe gelungen (siehe jW-Geschichte vom 20./21.10.2012). Die Briten feierten den ersten Sieg zu Lande im Zweiten Weltkrieg. Die der Labour Party nahestehende Tageszeitung Daily Mirror titelte: »Rommel auf der Flucht! Die Hunnen fliehen kopflos.« Die stark dezimierte deutsch-italienische Panzerarmee wurde zügig nach Westen getrieben. Am 16. Februar 1943 überschritten die letzten deutschen Einheiten die libysch-tunesische Grenze.

Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini hatte am 19. November 1942 von Hitler dringend die Lieferung von Flugzeugen und Artillerie verlangt, um die Stellung in Nordafrika halten zu können. Doch am gleichen Tag begann die Rote Armee eine Großoffensive, die nach fünf Tagen zur Einkesselung u.a. der 6. deutschen Armee bei Stalingrad führte. Die Chancen, daß Mussolinis Forderungen erfüllt wurden, standen schlecht. Die Niederlage bei El Alamein war für die deutsche Führung ein unerwarteter Schlag. Nach dem Scheitern der deutschen Sommeroffensive bei Stalingrad und im Kaukasus im Herbst 1942 war Nordafrika der einzige Kampfplatz, der noch Siegesmeldungen geliefert hatte und wurde in der Propaganda entsprechend behandelt.

Zweite Front in Tunesien

Die zunächst erlittenen Niederlagen der britischen Armee in Nordafrika im Sommer 1942 führten zu einer die gesamte Kriegführung der westlichen Alliierten berührenden gravierenden Entscheidung. Im Juli 1942 wurde beschlossen, die Invasion Nordfrankreichs zu verschieben und statt dessen eine Großlandung »im Rücken Rommels«, in Marokko und Algerien, zu versuchen. Die Operation erhielt den Decknamen »Torch« (Fackel). Es war klar, daß die für »Torch« bereitzustellenden beträchtlichen militärischen Kapazitäten so schnell nicht nach Westeuropa zu verlegen waren, sondern für längere Zeit im Mittelmeerraum verbleiben würden – eine Landung in Nordwestfrankreich noch 1943 und damit eine den deutschen Faschismus tatsächlich bedrohende zweite Front, wie der Sowjetunion versprochen, war also gar nicht vorgesehen. Das Mittelmeer wurde zum Hauptkriegsschauplatz der Westalliierten.

Um den 5./6. November 1942 herum meldete die deutsche Aufklärung, vor Gibraltar werde eine riesige alliierte Armada aus Schlachtschiffen, Versorgungs-, Landungs- und Transportfahrzeugen und Trägerschiffen (Flugzeugträger) versammelt. Die gewaltige Streitmacht konnte unbehelligt in das westliche Mittelmeer einlaufen.

Am 8. November 1942 gingen etwa 100000 US-amerikanische und britische Soldaten in Marokko und Algerien gegen einigen Widerstand der dort stationierten französischen Truppen, die den Weisungen der Kollaborationsregierung in Vichy folgten, an Land. »Torch« hatte begonnen.

Ziel der Operation unter dem US-amerikanischen General Dwight D. Eisenhower war, das der Vichy-Verwaltung unterstehende Tunesien zu besetzen und die aus Libyen nach Westen fliehenden deutsch-italienischen Truppen »im Rücken« zu fassen. Nordafrika wäre befreit. Jedoch sollte damit keine unabhängige Entwicklung Marokkos, Algeriens und Tunesiens eingeleitet werden, sondern die Wiedererrichtung der kolonialen Abhängigkeit dieser Länder von einem imperialistischen, stark von den USA beeinflußten (Nachkriegs-)Frankreich gesichert werden.

Die deutsche Führung erkannte die von der Lage in Nordafrika ausgehenden Gefahren. Ein Sieg der Alliierten dort würde ihnen den Sprung auf das europäische Festland im Süden ermöglichen. Insbesondere war ein Herausbrechen Italiens aus dem Achsenbündnis nicht auszuschließen. Schließlich wären die alliierten Streitkräfte dann nur noch durch die etwa 160 Kilometer breite Straße von Sizilien von Italien getrennt.

Sehr schnell wurden deutsche Alarm- und Aufstellungseinheiten sowie italienische Verbände nach Tunesien überführt. Binnen weniger Wochen zählte die für Tunesien gebildete 5. Panzerarmee etwa 100000 deutsche und italienische Soldaten. In kurzer Zeit war ein großer Teil des Landes besetzt und Verbindung mit den aus Libyen zurückströmenden Verbänden Rommels hergestellt. Diese konnten sich im Süden Tunesiens etwa 150 Kilometer westlich der libyschen Grenze entfernt hinter der gut zu verteidigenden Mareth-Linie vorübergehend verschanzen.

Terroristische Besatzungspolitik

Die deutschen Invasoren sahen sich von Anfang an mit wirkungsvollen Aktivitäten antifaschistischer Kräfte in Tunesien konfrontiert. Ihre Aktionen wurden sogar im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht registriert. Unter dem 14. November notierte das OKW, aus Tunis werden »starke kommunistische und gaullistische Tätigkeit und Sabotageakte« gemeldet. Die großen Häfen Tunis und Bizerta seien durch die gezielte Versenkung von Schiffen blockiert worden. Darum sei die »Zuführung deutscher Truppen nach Tunesien erschwert«.

Um die antifaschistischen Kräfte zu bekämpfen, wurde ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) nach Tunesien überführt. Dem Kommando unter SS-Obersturmbannführer Walther Rauff, der zuvor im Reichssicherheitshauptamt maßgeblich an der Entwicklung und dem Einsatz von Gaswagen zur schnelleren Menschenvernichtung beteiligt war, gehörten etwa 100 Mann an. In der kurzen Zeit der »Tätigkeit« Rauffs – das Kommando wurde am 9. Mai 1943 aus Tunesien ausgeflogen – kamen Tausende tatsächliche oder vermeintliche Widerstandskämpfer in Haft, wurden kollektive Repressionen wie die Zwangsarbeit zunächst gegen Juden, kurze Zeit später gegen alle Tunesier eingeführt. Einer der leitenden SS-Offiziere war Theo Saevecke. Nach der deutschen Okkupation Italiens am 8. September 1943 wurde er Polizeichef von Mailand. In Oberitalien verübte er mehrere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Obwohl die Bundesbehörden seine Vita kannten, wurde er nach 1945 in leitender Position beim Bundeskriminalamt eingestellt.

Eisenhowers Plan, schnell nach Bizerta und Tunis durchzubrechen, wurde durch die deutsche Besetzung Tunesiens vorerst vereitelt. In den Kämpfen bis Ende Dezember 1942 erlitten die unerfahrenen amerikanischen Truppen schwere Verluste. Die Nazis konnten das okkupierte Gebiet in Nordtunesien weiter nach Westen ausdehnen.

Die Erfolge im Dezember 1942 führten in der deutschen Militärführung zu einer unglaublichen Euphorie. Der Wehrmachtsführungsstab im OKW schrieb am 10. Dezember 1942, die weitgehende Zurückdrängung der alliierten Truppen aus Nordtunesien berechtige zu der Hoffnung, »daß es uns gelingt, in Tunesien die Basis für spätere Angriffsoperationen zu halten und auszuweiten«. Wegen des kurzen Wegs von Sizilien nach Tunesien glaubte das Oberkommando des Heeres, genügend Panzer und Nachschub bereitstellen und unverzüglich »die Reise nach Casablanca ohne große Aufenthalte beginnen« zu können.

Mitte Februar 1943 begann Rommel mit der »Reise nach Casablanca«. Er griff bei Kasserine in Mitteltunesien die angloamerikanischen Truppen an und trieb sie nach Algerien zurück. Ziel war der Durchbruch zur algerischen Mittelmeerküste. Die östlich davon stehenden starken alliierten Kräfte waren einzukreisen und zu vernichten, so der deutsche Plan. – Am 24. Februar war alles vorbei. Unter großen Verlusten mußten sich die faschistischen Truppen zurückziehen.

Im Süden wurde die Armee Montgomerys zu einer ernsten Bedrohung für das deutsche Besatzungsgebiet. Rommel, inzwischen Oberbefehlshaber aller in Tunesien stationierten deutschen und italienischen Streitkräfte, die in der Heeresgruppe Afrika zusammengefaßt worden waren, griff am 6. März Montgomery an – und erlitt die größte Niederlage seit El Alamein. Ein Drittel der deutschen Panzer ging verloren. Am 9. März wurde Rommel als Oberbefehlshaber entlassen und nach Deutschland befohlen. Die Amtsenthebung erfolgte in aller Heimlichkeit. Man wollte den aufgebauten Mythos um den Generalfeldmarschall nicht mit einer katastrophalen Niederlage in Afrika in Verbindung bringen. Die Propagandagestalt Rommel als unbesiegbarer Feldherr sollte in kommenden schwierigen Situationen noch verwendbar sein.

Entscheidung fällt in Sowjetunion

Montgomery überwand die Verteidigungslinien der Faschisten im Süden Tunesiens und vereinigte sich mit den aus Algerien vordringenden anglo-amerikanischen Kräften. Das deutsche Besatzungsgebiet schrumpfte zusehends. Die Alliierten hatten in der Luft und auf See die absolute Herrschaft errungen. An Land waren Bewegungen der Achsentruppen bei Tage kaum noch möglich. Die deutsche Luftwaffe konnte nur geringfügig in die Bodenkämpfe eingreifen. Ende April flogen die alliierten Luftstreitkräfte täglich 2500 Einsätze – die Faschisten 60. Die alliierten Maschinen konnten selbst bei Tage die Schiffskonvois in der Straße von Sizilien im Tiefflug angreifen. Seit dem 19. April kam keine größere Einheit mehr in Tunesien an – das deutsche Besatzungsgebiet war blockiert.

Obwohl die Vernichtung der Heeresgruppe Afrika absehbar war, beharrte Berlin darauf, den »Brückenkopf Tunesien« mit allen Mitteln »bis zu letzten Patrone« zu halten. Hitler und die führenden Militärs waren der Meinung, man müsse Zeit gewinnen. In Tunesien sollten starke anglo-amerikanische Kräfte gebunden und eine Landung in Süd- und Südosteuropa sowie in Nordwestfrankreich hinausgezögert werden. Inzwischen wollten die Nazis im Osten nach dem Debakel in Stalingrad wieder offensiv werden, die strategische Initiative zurückgewinnen, um in einem letzten Kraftakt die Sowjetunion doch noch niederzuringen. Dann hätte man genügend Kräfte frei, um alliierte Großlandungen an jedem Ort des europäischen Festlandes abzuwehren.

Ausgangspunkt sollte eine gewaltige Vernichtungsoperation bei Kursk mit der Deckbezeichnung »Zitadelle« sein. Tunesien müsse mindestens so lange gehalten werden, bis »Zitadelle« erfolgreich beendet sei. Am 13. März 1943 erging der erste Befehl. Einen Tag später schrieb Hitler an Mussolini, Tunesien müsse »unter allen Umständen bis zum letzten Mann gehalten werden«. In rüdem Ton forderte er, die Italiener sollten endlich größere Anstrengungen unternehmen, um den Nachschub über See zu sichern.

Am 15. April erging der »Operationsbefehl Zitadelle«. Darin heißt es, die deutsche Führung habe sich »entschlossen (…) als erstes der diesjährigen Angriffsschläge den Angriff ›Zitadelle‹ zu führen. Diesem Angriff kommt daher ausschlaggebende Bedeutung zu (…). Der Sieg von Kursk muß für die Welt wie ein Fanal wirken.« Als Termin für die Attacke war der 5. Juli festgelegt worden.

Inzwischen spitzte sich die Lage für die faschistischen Soldaten in Tunesien dramatisch zu. Seit dem 27. April lief die finale Offensive der Anglo-Amerikaner; am 7. Mai wurden Bizerta und die Hauptstadt Tunis befreit. Die deutsch-italienischen Truppen waren in kleine Gruppen, oft ohne Verbandszusammenhang, aufgesplittert. Am 12. Mai stellten die letzten Einheiten den Kampf ein. Harold Alexander, der britische Oberbefehlshaber in Tunesien, funkte am 13. Mai 1943 an Churchill: »Pflichtgemäß erstatte ich Meldung, daß der Feldzug in Tunesien beendet ist. Jeder feindliche Widerstand hat aufgehört.«

Strategische Defensive

Mit der Vernichtung der Heeresgruppe Afrika, in der alle deutschen und italienischen Truppen zusammengefaßt waren, hatte sich die Lage auf dem Kriegsschauplatz völlig verändert. Die Alliierten errangen die strategische Initiative im Mittelmeer. Sie konnten die Route zwischen Gibraltar und Suez fast unbehelligt von faschistischen Attacken befahren und den langen Weg um das Kap vermeiden. Entscheidend war, daß sie vor den Toren der faschistischen »Festung Europa« standen. Das OKW schätzte ein, daß die alliierten Kräfte im Mittelmeer ausreichten, an jedem Ort der Südseite des nazifaschistischen Imperiums zu landen. Im Mittelpunkt alliierter strategischer Überlegungen stand Italien, und nicht, wie die deutsche Führung annahm, Korsika oder Südosteuropa. Churchill und der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt hatten im Januar 1943 in Casablanca beschlossen, den nächsten Schlag gegen Sizilien zu führen (siehe jW-Thema vom 15.1.2013). Da die Masse der Wehrmacht, die sich auf die Schlacht am Kursker Bogen vorbereitete, stärker denn je in der Sowjetunion gebunden war, blieben nur Aushilfen, die kaum geeignet waren, eine alliierte Großlandung abzuwehren.

Im eingangs zitierten Telegramm vom 12. Mai 1943 des Deutschen Afrikakorps hatte der Verfasser, General Hans Cramer, seherische Fähigkeiten bewiesen. Der letzte Satz lautete: »Das Deutsche Afrikakorps muß wiedererstehen.« 70 Jahre nach der Kapitulation in Tunesien sind deutsche Soldaten erneut in Afrika im Einsatz. Seit dem 28. April 2013 bilden sie in Mali die Armee des Putschpräsidenten Amadou Sanogo aus.

* Dr. Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e.V. Zuletzt schrieb er für die "junge Welt" am 1.2.2013 über Hitlers Planung der Ostexpansion im Februar 1933. [Siehe: Angekündigter Raubkrieg.]

Aus: junge welt, Montag, 13. Mai 2013



Zurück zur Seite "Kriegsgeschichte, Geschichte des 2. Weltkriegs"

Zur Afrika-Seite

Zurück zur Homepage