Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Für Hitler sterben wollen wir nicht"

Geschichte. Vor 70 Jahren: Die ersten 500 Rekruten werden zur »Afrika-Division 999« der deutschen Wehrmacht eingezogen

Von Hans-Peter Klausch *

Am 15. Oktober 1942 wurden die ersten 500 Rekruten zu einer Sonderformation der Wehrmacht einberufen, die das US-Magazin Esquire zwei Jahre später als »Hitler’s Strangest Division«, Hitlers sonderbarste Division, bezeichnete. Gemeint ist die durch »Führerbefehl« geschaffene »Afrika-Division 999«. Die hohe und ominöse Nummer sollte den Abstand zu »normalen« Wehrmachtsdivisionen unterstreichen. Als Erkennungszeichen erhielt die Truppe ein auf einer waagerechten Linie stehendes »V«. Die einen lasen daraus »Strich unter die Vergangenheit«, die anderen »Verbrecher auf der ganzen Linie«.

Die Vorgeschichte der 999er begann im April 1942. Damals suchte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) fieberhaft nach Ersatz für die horrenden Verluste des gescheiterten »Blitzkrieges« gegen die Sowjetunion. Ins Visier gerieten auch jene, die bis dahin nach Paragraph 13 des Wehrgesetzes wegen der Höhe ihrer Vorstrafen als »wehrunwürdig« angesehen wurden. Das betraf in erster Linie alle mit Zuchthaus Bestraften und bei politischen Delikten auch jene, die »nur« zu Gefängnishaft von mehr als sechs Monaten verurteilt worden waren. Diese Männer konnten ursprünglich nur dann einberufen werden, wenn sie einen »Gnadenantrag« auf Wiederverleihung der Wehrwürdigkeit gestellt hatten und dieser von diversen Staats- und Parteidienststellen befürwortet worden war. Um dieses Potential in weit höherem Ausmaß ausschöpfen zu können, wurden am 11. April 1942 kurzerhand die Wehrbezirkskommandos ermächtigt, für ehemalige »Zuchthäusler« solche Anträge zu stellen.

Ein Drittel Politische

Die Wehrbezirkskommandos machten von der neuen Möglichkeit reichlich Gebrauch. Es kam jedoch zu großen Verzögerungen, da in jedem Einzelfall die Stellungnahme der örtlichen Polizei- und NSDAP-Stellen sowie der zuständigen Justizbehörden eingeholt werden mußte. Insbesondere die Gestapo erhob sehr oft Einspruch. Unter Verweis auf Lenin-Zitate und Komintern-Beschlüsse warnte sie vor gezielter Zersetzungsarbeit in der Wehrmacht. Dabei spielte auch eine Spitzelmeldung aus dem Umfeld Nürnberger Kommunisten vom Mai 1941 eine Rolle. Deren Diskussionen wurden so zusammengefaßt: »Die Aussichten auf einen Sieg Deutschlands seien gleich Null. In der Phase des Endkampfes sei zu erwarten, daß 90 Prozent der ehem. Kommunisten in Haft genommen werden, und was ihnen dann blühe, wisse jeder. (…) Für die Machtübernahme durch das Proletariat sei es eine unbedingte Voraussetzung, daß ehemalige Kommunisten mit der Waffe ausgebildet und (…) vertraut seien. (…) Es müsse erreicht werden, daß die Kommunistische Partei auch in der Wehrmacht ihre Leute habe.«

Um die Sicherheitsbedenken und den Bedarf an »Kanonenfutter« unter einen Hut zu bringen, entschied das OKW im September 1942, die Masse der »Wehrunwürdigen« – kriminelle und politische – fortan in geschlossene Sonderformationen einzuberufen. Hier sah man ausreichende Überwachungsmöglichkeiten, so daß vorherige Anhörungen von Polizei- und sonstigen Stellen entfallen konnten. Das Reichssicherheitshauptamt informierte den eigenen Apparat darüber am 2. Dezember 1942: »Die Einberufungen erstrecken sich z.T. auf Personen, die nach früheren Beurteilungen der Staatspolizei- und Kriminalpolizeistellen zu einer gnadenweisen Wiederverleihung der Wehrwürdigkeit nicht geeignet sind.«

Von Oktober 1942 bis zum April 1943 wurden rund 11800 »Wehrunwürdige« in die zunächst als Brigade konzipierte Afrika-Division 999 einberufen. Rund ein Drittel der Rekrutierten kam direkt aus Gefängnissen, Zuchthäusern und Strafgefangenenlagern, während zwei Drittel nach verbüßten Haftstrafen aus dem Zivilleben eingezogen wurden. Für die Einberufungen galt ein Strafmaß von zunächst fünf, dann sechs Jahren Zuchthaus als Obergrenze.

Die »Politischen« machten etwa ein Drittel der 999er aus. Sie repräsentierten die gesamte Bandbreite des antifaschistischen Widerstands – vom anarchistischen Spanienkämpfer bis hin zum religiös motivierten Kriegsdienstverweigerer. Zu erwähnen ist, daß viele von ihnen neben Gefängnis- oder Zuchthausstrafen auch KZ-Haft erlitten hatten. So wies z.B. der Düsseldorfer Kommunist Peter Klingen mit zwei Jahren Gefängnis und fünfeinhalb Jahren KZ innerhalb der Division eine besonders lange Haftdauer auf.

Geführt wurde die »Afrika-Division 999« vom Stab bis hinunter zur Gruppe von einem regulären Stammpersonal, das aus knapp 5500 Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden bestand. Insbesondere bei den Offizieren und vielen Unteroffizieren handelte es sich um besonders zuverlässige »Kräfte«. So wurde das Kommando dem bald darauf zum Generalmajor beförderten Oberst Kurt Thomas übertragen, der bis dahin das »Führer-Begleit-Bataillon« befehligt hatte. Wegen der hochtrabenden Pläne, die Thomas mit seiner neuen Truppe verfolgte, wurde er in Offizierskreisen »Tom, der Wahnsinnige« genannt.

Zuckerbrot und Peitsche

Ausbildungsstätte der 999er war zunächst der Truppenübungsplatz Heuberg im Südwesten Deutschlands. Ihre dortige Behandlung folgte dem Prinzip von »Zuckerbrot und Peitsche«. Deutlich wurde das schon bei der Vereidigung. Dabei wurde den Rekruten eröffnet, daß ihnen »vom Führer in hochherziger Weise die einmalige Gelegenheit gegeben« würde, durch »tapferen und mutigen Einsatz vor dem Feinde« wieder »vollwertige Soldaten und Staatsbürger zu werden«. Nicht wenigen klangen diese Worte nach jahrelanger Haft und erlittener Gestapo-Folter wie Hohn in den Ohren. Der Pferdefuß folgte dann auch mit dem Hinweis, daß sie bis dahin bei »hartem Dienst besonderen Beschränkungen unterworfen« seien. Die »endgültige« oder »volle« Wehrwürdigkeit konnte frühestens nach sechsmonatigem Fronteinsatz verliehen werden. Für jene, die direkt aus dem Strafvollzug kamen, verband sich damit die Hoffnung auf Milderung oder Erlaß der Reststrafe.

Zum »harten Dienst« gehörte nicht zuletzt die Anweisung, Todesstrafen »aus Abschreckungsgründen (…) im Beisein von schwer erziehbaren Soldaten« zu vollstrecken. Schon am 12. und am 19. Dezember 1942 wurden auf dem Heuberg die ersten beiden 999er exekutiert. Von einer dieser Erschießungen existieren Filmaufnahmen, die der Kommandeur des »Afrika-Schützen-Regiments (ASR) 962«, Oberstleutnant Burkhard Hering, mit seiner Schmalfilmkamera machte. Auch das zeigt, aus welchem Holz die führenden Offiziere der Division geschnitzt waren.

Am 18. Dezember 1942 erging überraschend der Befehl, die Brigade »beschleunigt auf Osteinsatz« umzustellen. Die unter dem Eindruck der krisenhaften Entwicklung bei Stalingrad gefällte Entscheidung hatte allerdings nur knappe zwei Wochen Bestand. Die Rücknahme erfolgte wahrscheinlich aufgrund von Bedenken, wie sie der Kommandeur Thomas hegte. Jedenfalls hielt Major Winter von der 999er-Artillerie fest: »Eine Verwendung der Einheit in Rußland ist nach dem Willen des Gründers der Afrika-Division, Herrn General Thomas, nicht tunlich und mit Rücksicht auf die politische Vergangenheit der Leute nicht empfehlenswert.«

Bei der deutschen Afrikatruppe stieß die »Aussicht auf die ›Verbrecher‹«, wie General Hans-Jürgen von Arnim formulierte, auf wenig Gegenliebe. Der damalige Befehlshaber der 5. Panzerarmee in Tunesien sorgte sich um das Ansehen der Wehrmacht in Nordafrika. Es war jener von Arnim, der von jüdischen Tunesiern eine Strafgebühr von 20 Millionen Francs erhob, weil der Krieg »von der internationalen Judenheit gewollt und vorbereitet« worden wäre, wie er im Tunis Journal vom 22. Dezember 1942 verlauten ließ. Nun schrieb er am 12. Januar 1943 an Generalfeldmarschall Kesselring zu den angekündigten 999ern: »Nein, so geht es nicht; diese Leute sind bei Stalingrad oder Rostow viel nutzbringender zu verwenden und dort schaden sie auch nichts.«

In Belgien und Frankreich

Unabhängig vom künftigen Einsatzort erfolgte Anfang 1943 die Verlegung der 999er-Truppenteile in den Raum Antwerpen, wo die Ausbildung fortgesetzt und zugleich die deutsche Besatzungsmacht verstärkt werden sollte. In Antwerpen trat der erste Verlust durch »Feindeinwirkung« ein. Der Führer der Sanitätskompanie 999 wurde in einer Straßenbahn von einem belgischen Untergrundkämpfer erschossen. Weit mehr Tote forderte das 999er-Kriegsgericht unter Leitung von Dr. Hans-Werner Giesecke, nach dem Krieg Landgerichtsdirektor in Frankfurt am Main. Es ließ in Belgien im Januar und Februar 1943 sieben Todesurteile »wegen Fahnenflucht bzw. unerlaubter Entfernung« vollstrecken. Hinzu kamen fünf an das Reichskriegsgericht abgegebene Verfahren wegen »Zersetzung der Wehrkraft«. Diese führten zumindest bei vier religiös motivierten Kriegsdienstverweigerern zu Todesurteilen, die im Zuchthaus Brandenburg-Görden durch Enthaupten vollstreckt wurden.

Mitte Februar 1943 wurden die 999er nach Südfrankreich, also schon näher an das zukünftige Einsatzgebiet, verlegt. Der neue Unterkunftsraum Nimes/Avignon war eine Hochburg der Résistance, in deren Reihen auch deutsche Emigranten und vormalige Spanienkämpfer aktiv waren. Tatsächlich kam es an vielen Orten zu Kontakten mit 999ern. Dabei zeigte sich einmal mehr, wie groß die Gefahr des Verrats durch mutmaßlich kriminelle 999er war. Drei von ihnen erhielten Belobigungen und Sonderurlaub, weil sie durch »besonders geschicktes Verhalten zur Aufdeckung von französisch-kommunistischen Organisationen beitrugen, die sie zur Fahnenflucht, zu Sabotageakten und zur Verteilung von Flugblättern verleiten wollten.«

Auch 999er fielen dem Verrat zum Opfer. Fünf in Südfrankreich durchgeführte Exekutionen sind namentlich bekannt, die tatsächliche Gesamtzahl war höher. Für März und April 1943 meldete auch der »Aufstellungsstab Heuberg« die Vollstreckung von fünf Todesurteilen »im Beisein von Rekruten«. Dort wurden damals jene Einheiten formiert, mit der die Brigade zur Division aufgestockt wurde. In Südfrankreich begann der Abtransport zum Fronteinsatz schon Mitte März 1943. Im Kriegstagebuch der Division ist dazu allen Ernstes vermerkt worden: »Die abrückende Truppe ist begeistert und voller Erwartung«.

Chance zum Überlaufen

Bis Mitte April 1943 sollten noch rund 5700 Angehörige der Afrika-Division 999 auf den tunesischen Kriegsschauplatz überführt werden. Darunter waren etwa 1500 frühere politische Gefangene. Ihr Einsatz dauerte bis zur Kapitulation der Heeresgruppe Afrika am 13. Mai 1943 je nach Regiment nur ein bis zwei Monate.

Als erstes wurde das verstärkte ASR 961 ab dem 28. März an der Südwestfront bei Kairouan eingesetzt. Es sollte dort die Flanke des Deutschen Afrikakorps decken, das sich von Süden her in den »Brückenkopf Tunesien« zurückzog. Ab dem 15. April 1943 kamen die Bataillone des verstärkten ASR 962 an der nordwestlichen Front bei Heidous und am Djebel Dardyss zum Einsatz.

Die politischen 999ern waren in der Regel nicht gewillt, ihr Leben für den Sieg des NS-Regimes in die Waagschale zu werfen. Sie trachteten danach, gesund und möglichst kampflos in alliierte Gefangenschaft zu gelangen. Zu größeren gemeinsamen Aktionen im Kompanie- oder gar Bataillonsmaßstab, wie sie verschiedentlich angedacht und vorbereitet worden waren, kam es jedoch nicht.

In der konkreten Frontsituation verfügten die Politischen untereinander kaum über Kommunikationsmöglichkeiten, wie sie für geschlossene Aktionen unabdingbar waren. In den weit auseinander liegenden Stützpunkten stellten sie gegenüber Stammleuten und Kriminellen zumeist nur eine Minderheit dar. Während von vornherein klar war, daß das Stammpersonal zu erheblichen Teilen aus fanatischen Kämpfern bestand, zeigten sich auch Teile der Kriminellen als durchaus »bewährungswillig«. Der Berliner Kommunist Heinz Meyer vom ASR 961 faßte die Situation dahingehend zusammen, daß sich »nichts von unseren alten Anweisungen über Wehrkraftzersetzung, Frontaufrollung usw. durchführen ließ. Übrig blieb (…) nur: die Gelegenheit zum Überlaufen suchen.«

Die ersten acht Überläufer – mehrheitlich Kommunisten – wurden am 6. April 1943 gemeldet, und zwar mit dem Zusatz: »Alles gute Soldaten gewesen.« Darin kam das Bestreben vieler Politischer zum Ausdruck, äußerlich als »stramme Soldaten« zu erscheinen. Damit verband sich nicht nur das Ziel, unnötige Schikanen zu verhindern. Es ging auch darum, Vorgesetzte in Sicherheit zu wiegen und größere Handlungsspielräume zu erlangen. Die Heeresgruppe Afrika indes telegraphierte an das OKW: »Schwerste Gegenmaßnahmen innerhalb des Rgt. sind befohlen.«

Was sich dahinter verbarg, hielt Karl Kuntze, einst Mitglied der Widerstandsgruppe »Die Roten Kämpfer«, am 7. April 1943 in seinem Tagebuch fest: »Leutnant Juranek verliest einen Befehl von General Thomas, daß von unserer Einheit einige übergelaufen sind. Wenn das noch mal geschieht, soll jeder zehnte Mann erschossen werden.« Mit dieser Drohung folgte Thomas einer Maxime seines »Führers«, der schon am 13. Juli 1934 im Reichstag behauptet hatte: »Meuternde Divisionen hat man zu allen Zeiten durch Dezimierung wieder zur Ordnung gerufen.« Thomas fand übrigens vier Wochen später den »Heldentod«. Sein Flugzeug wurde beim Überflug nach Afrika abgeschossen.

Um Repressalien gegen zurückbleibende Kameraden zu verhindern, wurden Überlaufaktionen nun so durchgeführt, daß sie auch im nachhinein nicht ohne weiteres als solche erkannt werden konnten. Das gelang vor allem bei den bald einsetzenden Rückzugsbewegungen. In anderen Fällen wurden Überlauf- und auch Sabotageaktionen zwar noch erkannt, sie konnten jedoch wegen des raschen Zusammenbruchs der Heeresgruppe Afrika nicht mehr an höhere Stäbe gemeldet werden.

Im Zusammenwirken dieser und weiterer Faktoren kam es zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen des »Kampfwertes« der 999er. Gestützt auf durchweg positive Berichte karrierebewußter 999er-Offiziere gelangte man im Oberkommando des Heeres zu dem Ergebnis, daß »die ehemaligen Wehrunwürdigen sich – von geringfügigen Ausnahmen abgesehen – hervorragend geschlagen« hätten. Dagegen besangen antifaschistische 999er ihren freiwilligen Frontwechsel zum »Tommy« in alliierter Gefangenschaft mit dem »Lied der Division 999« so: »Für uns brauchst Du deine Panzer nicht, / die Waffen liegen im Sand./ Für Hitler sterben wollen wir nicht/ Im afrikanischen Land. (…) Da endlich kam der Tommy heran, / er wußte schon längst Bescheid./ Die Schlacht war vorbei bevor sie begann, / weil wir nicht zum Sterben bereit./«

Sorgen um »Kampfwert«

Schon kurz vor Ende der Kämpfe in Tunesien hatte das OKW entschieden, die wenig später umbe- nannten Restteile der Afrika-Division 999 zum Küstenschutz nach Griechenland zu entsenden. Dort rechnete die deutsche Führung mit einer alliierten Invasion. Die nachfolgenden Ereignisse insbesondere auf dem Peloponnes führten schon bald zu einer Ernüchterung im OKW, was die 999er betraf. Eine wichtige Rolle spielte dabei Oberst Erich von Brückner. Der Kommandeur des nicht mehr nach Tunesien gelangten ASR 963 hatte noch am 19. April 1943 versichert, er »eliminiere durch Kriegsgericht und Arzt, was nicht niet- und nagelfest« sei, so daß das Endresultat schließlich »gut« sein würde. Drei Monate später meldete derselbe Mann vom Peloponnes, daß der »unter Einsatz eines fähigen Offizierskorps unternommene Versuch, aus dem ungewöhnlichen Menschenmaterial (…) eine zuverlässige Kampftruppe heranzubilden, als im wesentlichen gescheitert betrachtet werden muß.«

Das OKW beauftragte daraufhin Oberstleutnant Bernhard Klamroth, sich vor Ort ein Bild zu machen. Klamroths Bericht vom 29. August 1943 fiel recht eindeutig aus: »30 – 40 % aller Wehrunwürdigen sind Hochverräter. Die Möglichkeit, daß durch einige Aktivisten (...) im geeigneten Augenblick Meutereien angezettelt werden, wird bejaht.« Einen Tag danach wandte sich Oberst von Brückner abermals an General Felmy vom 68. Armeekorps in Athen. Seine »Sorgen über den Kampfwert und die Zuverlässigkeit« der 999er waren zwischenzeitlich noch größer geworden: »Wenn Soldaten den Griechen höhnisch erklären, Befehle des Oberst gingen sie nichts an, der Oberst werde demnächst ›liquidiert‹, wenn sie sich brüsten, sie kämen aus dem Zuchthaus und seien zu Soldaten gepreßt worden, wenn sie erklären, sie haßten den Führer und seinen Anhang, sie wollten das Ende des Krieges und wünschten, die Engländer kämen, so bleibt das auch dem feindlichen Nachrichtendienst nicht verborgen. (…) Mit der Zusammenballung von einigen tausend Untermenschen kann man keinen Kampf führen.«

General Felmy leitete das Schreiben an das OKW weiter und kündigte als Sofortmaßnahme die Rückführung »von 25 % der unzuverlässigsten Elemente« an. Dem wurde in Berlin noch nicht stattgegeben. Statt dessen entsandte man nun zwei Generalstabsoffiziere und zwei Kriegsrichter, um geeignete Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Die eingeholten Berichte ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der Kommandeur des vormaligen III. Bataillons des ASR 961 schrieb:

»Auffallend ist, daß die Intelligenten der politisch Vorbestraften sich die größte Mühe geben, jeden Dienst anständig zu versehen, um in keiner Weise aufzufallen. (…) Dieses Verhalten entspricht aber nicht so sehr dem Bedürfnis, ihre früher begangenen Fehler wiedergutzumachen als vielmehr einer taktischen Klugheit, sich ihrem Schicksal zu ergeben, bis (…) der augenblickliche latente Zustand zu neuer öffentlicher Begeisterung für die kommunistische Idee ausbrechen kann. Ihnen gegenüber ist ganz besondere Vorsicht geboten.«

Sein »Kollege« vom vormaligen III./ASR 962 meldete über eine Verschwörung, im Falle »eines Angriffs die Waffen gegen die eigenen Vorgesetzten zu richten und überzulaufen«: »Cerny und seinen Mittätern gelang es durch tadellose Führung, Diensteifer und gutes soldatisches Auftreten ihre Vorgesetzten so zu täuschen, daß sie besonderes Vertrauen genossen haben.« Der aus der KP-Opposition kommende Franz Cerny wurde am 19. Juli 1943 bei Anomanolas exekutiert.

»Verbrecherbrigade«

Ein viertes Bataillon der einstigen Afrika-Division 999 war auf dem Peloponnes der 117. Jäger-Division unterstellt worden. Deren Kommandeur, General le Suire, teilte die folgende Einschätzung des Bataillonskommandeurs: »Aus einem abgelegenen Stützpunkt (…) sind innerhalb von 4 Wochen 6 Mann (…) mit voller Bewaffnung nachweislich zu den Banden (d.h. Partisanen) übergelaufen. Diese Soldaten wurden zuvor als zuverlässig angesehen. Es wurde (…) festgestellt, daß zumeist politisch Vorbestrafte einen Anhängerkreis gebildet hatten, um Verhaltungsmaßregeln bei Feindangriff und Beseitigung von Vorgesetzten vorzubereiten. (…) Bei Feindangriff wird sich der Teil, der sich bisher mit Erfolg getarnt hat, vollends entpuppen. (…) Ich halte die Bildung dieser Sonderverbände (…) für eine Gefahr.«

Nachdem Oberst i.G. Meichsner am 28. September 1943 mit solcherlei Einschätzungen zurück nach Berlin geflogen war, sah sich auch das OKW zum Handeln gezwungen. Am 3. Oktober 1943 erging der Befehl zu einer groß angelegten »Säuberungsaktion«. Aus den in Griechenland und noch in Deutschland befindlichen 999er-Einheiten wurden rund 1500 bis 2000 »unzuverlässige Elemente« »ausgesondert«. Eine nicht genau bekannte Anzahl, die noch Reststrafen zu verbüßen hatte, kam zurück in die Strafanstalten. 1250 Mann ohne Reststrafen wurden der »Organisation Todt«, zuständig für militärische Bauvorhaben, als unbewaffnete Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach seinem »Führerbefehl« zur Aufstellung der Afrika-Brigade 999 mußte Hitler zur Kenntnis nehmen, daß das Vorhaben in weiten Teilen gescheitert war. Als ihm am 4. Oktober 1943 durch General Alfred Jodl die Lage auf den diversen Kriegsschauplätzen dargelegt wurde, kamen auch die Ereignisse bei den 999ern in Griechenland zur Sprache. In den großenteils verkohlten Protokollfragmenten lassen sich noch die Worte entziffern: »… wieder das Bataillon dieser Bewährungs- oder Verbrecherbrigade …«

* Hans-Peter Klausch lebt als Historiker in Oldenburg/Niedersachsen. Quellenhinweise finden sich in Hans-Peter Klausch: Die Geschichte der Bewährungsbataillone 999 unter besonderer Berücksichtigung des antifaschistischen Widerstandes, 2 Bde., Köln 1987; ders.: »Die Sonderabteilungen, Strafeinheiten und Bewährungstruppen der Wehrmacht«, in: Deserteure, Wehrkraftzersetzer und ihre Richter, hg. von Albrecht Kirschner, Marburg 2010, S. 197–216

Aus: junge Welt, Donnerstag 18. Oktober 2012


Zurück zur Seite "Kriegsgeschichte"

Zur Afrika-Seite

Zurück zur Homepage