Von Jugoslawien bis Irak: Krieg ist keine Lösung
Alternativen sind möglich. Von Clemens Ronnefeldt*
Nach den Terroranschlägen in Spanien plädieren zahlreiche Regierungen
und Medien für ein schärferes auch militärisches Vorgehen gegen
mutmaßliche Terroristen sowie gegen Länder, die diese unterstützen.
Statt "Krieg gegen Terror" zu führen, stellt sich nicht eher die sehr
viel grundlegendere Frage, wie das Leid von Opfern sowohl von
Terrorangriffen wie am 11.9.2001 in New York und Washington oder in
Spanien als auch das Leid von Opfern in Ländern wie Afghanistan oder
Irak vermieden werden kann? Der nachfolgende Beitrag möchte zur
Beantwortung dieser Frage Anregungen geben, Perspektiven aufzeigen und
Argumente für eine breite öffentliche Diskussion liefern.
1. Krieg ist keine Lösung
1.1. Mythen über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien
Realistisch betrachtet haben die Befürworter ziviler Konfliktlösungen
seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 gegenüber denjenigen, die sich
in bestimmten Situationen für militärische Interventionen
aussprechen, im öffentlichen Bewußtsein erheblich an Boden verloren.
Meiner Beobachtung nach hängt dies in hohem Maße damit zusammen, dass
die seither geführten Kriege keineswegs aufgearbeitet sind - und über
die Wirkungen und "Erfolge" militärischer Interventionen oder Kriege
in den letzten fünfzehn Jahren in der öffentlichen Meinung nach wie
vor eine Vielzahl von Mythen besteht.
So fällt mir immer wieder in Gesprächen auf, dass das Ende des Krieges
in Bosnien-Herzegowina den Bombardierungen der NATO zu verdanken sei,
wobei dieses militärische Eingreifen wiederum als
unvermeidbar-notwendige Voraussetzung für das Dayton-Friedensabkommen
dargestellt wird. Speziell für den deutschen Außenminister Joschka
Fischer war die Ermordung mehrerer tausend Muslime in der
ostbosnischen Stadt Srebrenica 1995 ein Wendepunkt, sich für eine
Militärintervention auszusprechen.
Wie inzwischen von dem Genfer Journalisten und UNO-Experten Andreas
Zumach hinreichend belegt, wurde die Enklave Srebrenica mehrere Monate
vor ihrer Erorberung durch serbische Truppen in Verhandlungen der
serbischen Seite zugeschlagen, wovon u.a. die Regierungen der USA,
Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Deutschlands informiert
waren. Weil die Aufgabe der Stadt im Juli 1995 längst beschlossene
Sache war, forderten damals auch die niederländischen UN-Blauhelme
vergeblich militärische Unterstützung zum Schutz der Bevölkerung in
Srebrenica an.
Der Krieg in Bosnien-Herzegowina wie auch der Kosovo/Jugoslawienkrieg
1999 werden weithin als Bürgerkriege angesehen, in denen die
Europäische Union aufgrund ihrer militärischen Schwäche versagt habe.
Erst durch das militärische Eingreifen der US-Streitkräfte habe den
Vertreibungen und Ermordungen ein Ende gesetzt werden können. Auch
diese Sichtweise ist für mich ein immer noch weit verbreiteter Mythos
(1).
Der Krieg in Kroatien und Slowenien, aber auch in Bosnien-Herzegowina,
hätte sehr viel früher zu einem Ende gebracht werden können, wenn
Staaten der EU sich nicht jahrelang hinter einzelne Kriegsparteien
gestellt hätten, sondern statt dessen im Rahmen einer gemeinsamen
Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik als ehrliche Vermittler
zwischen den Konfliktparteien aufgetreten wären.
Der Krieg um das Kosovo war ein "vermeidbarer Krieg", wie der für die
OSZE-Delegation in Wien zuständige deutsche Bundeswehr-General Heinz
Loquai in seiner Studie "Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen
vermeidbaren Krieg"(2) gezeigt hat. Die letzte Chance für eine zivile
Lösung besaß die OSZE, die allerdings nicht über genügend personelle
Ressourcen verfügte, um ihre deeskalierende Präsenz zwischen November
1998 und dem NATO-Kriegsbeginn im März 1999 ausbauen zu können.
Bis heute stellt sich die grundlegende Frage der finanziellen
Gewichtung zwischen militärischer und ziviler Konfliktbearbeitung:
Warum war kein Geld und Personal für 2.000 unbewaffnete
OSZE-Mitarbeiter vorhanden, wohl aber, um einen 79-tägigen Krieg zu
führen und anschließend mehr als 40.000 NATO-Soldaten zu entsenden?
Warum verfügt die OSZE gerade mal über ca. ein Prozent des Etats der
NATO - obwohl die OSZE z.B. bei Konflikten in den baltischen Staaten
oder nach der Rückkehr tausender Krimtartaren auf die Halbinsel Krim
erfolgreich Gewalt- und Krisensituationen deeskalieren konnte?
Trotz des NATO-Krieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, der - wie
wir heute wissen - die ganz große Flüchtlingstragödie im März 1999 im
Kosovo erst auslöste, folgte auf die Vertreibung der albanischen
Bevölkerung durch jugoslawische Einheiten nach Ende des Krieges im
Sommer 1999 unter den Augen der NATO-Soldaten die Vertreibung von ca.
200.000 serbischen Menschen aus dem Kosovo. Rückblickend zeigt dieser
Krieg, dass er bis heute nicht zu einer Lösung der Probleme vor Ort
geführt hat.
Exkurs zur Militarisierug der EU
Am 12.12.2003 scheiterte in Rom die Verabschiedung einer gemeinsamsen
europäischen Verfassung am Widerstand von Polen und Spanien. Die
grundsätzlichen Aussagen der Verfassung zu Fragen der Militarisierung
gehören nicht zu den strittigen Punkten. Für die neue
EU-Interventionstruppe mit 60.000 Mann und Frau wird Deutschland das
größte Kontingent stellen. Ein europäisches Amt für Rüstung, Forschung
und militärische Fähigkeiten soll neu eingerichtet werden. Was fehlt,
ist ein Amt für zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention. In
seiner Bedrohungsanalyse unterscheidet sich der EU-Verfassungsentwurf
kaum von der Nationalen Sicherheitsstrategie von Präsident George W.
Bush. Auch Präventivkriege sieht der Verfassungsentwurf als
gerechtfertigt an. Da die neue EU-Verfassung über dem Grundgesetz und
den anderen nationalen EU-Verfassungen stehen wird, kommt dem Text
größte Bedeutung zu. Umso mehr erstaunt es, daß in der Öffentlichkeit
kaum über diese weitreichenden Veränderungen diskutiert wird. Noch
gibt es die Möglicheit, durch öffentlichen Druck die zunehmende
Militarisierung der EU zu verhindern.
1.2. Der Krieg gegen Irak 2003
Die vorläufige Bilanz des Krieges gegen Irak - ein Jahr nach Beginn
der Bombardierungen - fällt katastrophal aus (3).
Eine Verbindung zwischen dem Regime von Saddam Hussein und dem
Terornetzwerk Al Quaida wurde im Vorfeld des Krieges von US- und
britischen Regierungsstellen behauptet, konnte aber bis heute nicht
belegt werden.
Obwohl die US-Regierung 1.400 Rüstungsinspektoren neun Monate im Land
nach Massenvernichtungswaffen - dem angeblichen Grund des Krieges -
hat suchen lassen, konnten bisher keine Beweise für die Existenz
dieser Waffen vorgelegt werden.
Im November 2003 stellte ein internationales Team unter Leitung der
britischen Sektion der Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW)
nach monatelangen Recherchen im Irak eine erste Opferbilanz vor: Nach
Auswertung aller erreichbarer Informationen schlossen die
Wissenschaftler, daß im Irakkrieg 2003 zwischen 7800 und 9600
Zivilisten sowie zwischen 13.500 und 45.000 irakische Soldaten
getötet wurden (4). Zusätzlich seien ca. 40.000 Verletzte zu
beklagen. Rund 340.000 kleinere Sprengsätze wurden über Irak
abgeworfen, davon 1.000-2.000 Tonnen uranhaltige Munition, die noch
auf Jahre hinaus die Gesundheit der irakischen Bevölkerung
beeinträchtigen wird.
Die Zahl der getöteten US-Soldaten ist inzwischen auf mehr als 500
gestiegen.
Am 19. September 2003 erließ US-Zivilverwalter Paul Bremer die weit
reichende "Order 39", nach der ausländische Unternehmen bis zu 100%
der Anteile an irakischen Banken und Unternehmen erwerben sowie 100%
der künftigen Gewinne ins Ausland transferieren können. Diese Order
steht in eindeutigem Widerspruch zum Haager Abkommen von 1907 und der
Genfer Konvention von 1949, die beide von den USA unterzeichnet wurden
und die Rechte und Pflichten von Besatzungsmächten regeln. Nach diesen
beiden völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten ist Besatzungsmächten
lediglich die zeitweise Nutzung und Verwaltung staatlicher
Unternehmen, Immobilien und Liegenschaften gestattet, ohne sie durch
Verkauf und Privatierung zu verändern.
Weil ökonomische und militärpolitisch-strategische Gründe bei der
Führung von Kriegen wie bei der Bekämpfung des internationalen
Terrorismus fast untrennbar miteinander verknüpft sind, möchte ich im
Folgenden auf einige mir wichtig erscheinende ökonomische Sachverhalte
hinweisen, die mir zum Verständnis der Gesamtthematik hilfreich
erscheinen.
1.3. Ökonomische Hintergründe und Alternativen für mehr Gerechtigkeit
und Frieden
Die zumeist nicht demokratisch gewählten Regierungen einiger
arabischer Staaten verkaufen den oft einzigen Rohstoff Öl im eigenen
Interesse zu überraschend niedrigen Preisen, weil sie sehr große
Aktienpakete im westlichen Ausland (z.B. bei der DaimlerChrysler AG)
angelegt haben. Bei hohen Ölpreisen würden sich diese Aktiengewinne
erheblich reduzieren.
Aus Sicht der jeweiligen Bevölkerung werden somit große Teile der
Öl-Einnahmen dem Volk vorenthalten, indem sie nicht im eigenen Land
reinvestiert werden. Zur Stützung dieser als struktureller Gewalt
wahrgenommenen Politik, die selbst in einstmals reichen Ölstaaten zu
immer größerer Verarmung führt, werden häufig Waffen importiert. Um
diese Einkäufe leichter finanzierbar zu machen, wurde z.B. zwölf Jahre
lang irakisches Öl am Weltmarkt per Embargo verknappt - und dabei rund
eine Million irakische Todesopfer in Kauf genommen. Mit den
übernommenen irakischen Förderquoten konnte z.B. Saudi-Arabien und
Kuwait seine Rüstungsbestellungen in den USA oder in Großbritannien
schneller bezahlen.
Es sind solche Sachverhalte sowie die Ungleichbehandlung bei der
Durchsetzung von UN-Resolutionen zwischen Israel und der arabischen
Welt, die in den letzten Jahrzehnten ein enormes Potential an
Frustration und Wut in der arabischen Welt gegenüber einem als
arrogant empfundenem Westen hat enstehen lassen. In der arabischen
Welt werden zwei Säulen westlicher Politik wahrgenommen: Freier Ölfluß
zu annehmbaren Preisen sowie die Sicherheit Israels.
In Saudi-Arabien, wo die Arbeitslosigkeit unter Universitätsabgängern
enorm gestiegen ist und eine große Perspektivlosigkeit für viele junge
Menschen besteht, haben einige fundamentalistische Gruppen es
verstanden, diese Unzufriedenheit auf ihre terroristischen Mühlen und
zum Haß gegen den Westen zu lenken.
Auch Menschen in der islamischen Welt entgeht nicht, daß im Irak oder
in Afghanistan große Rüstungskonzerne ihre neuesten Waffen testen und
nach jedem Krieg die leer geräumten Munitionsarsenale wieder neu
aufgefüllt werden müssen. "Die Generale der Wallstreet lieben den
Krieg", brachte Daniel Kadlec in der "Time" die Kurssteigerungen nach
dem 2. Golfkrieg auf den Punkt (5).
Mit rund 400 Milliarden Dollar übersteigt der aktuelle
US-Militärhaushalt die Summe aller anderen Natostaaten zusammen um
mehr als das Doppelte. In diesem Jahr beträgt das Haushaltsdefizit der
USA 521 Milliarden Dollar. Das US-Außenhandelsbilanzdefizit, der Saldo
zwischen der Summe aller Ein- und Ausfuhren, lag in den letzten beiden
Jahren bei rund 500 Milliarden Dollar Minus.
Mehrere Staaten haben in den letzten Jahren ihre Geschäfte von Dollar
auf Euro umgestellt so z.B. die Länder Iran und Irak. Nordkorea hat
seine Währungsreserven umgetauscht von Dollar auf Euro. Da der
amerikanische Lebensstil an die weltweite Akzeptanz des US-Dollars als
alleiniger Weltwährung gekoppelt ist, wird der Euro in den USA als
Herausforderung von enormer Bedeutung angesehen.
Als Triebfeder der derzeitigen globalen Beschleunigungskrise fungieren
die aus dem Ruder gelaufenen internationalen Finanzmärkte. Aktuell
werden weltweit rund 1,5 Billionen Dollar pro Börsentag um die Erde
geschickt. Um den weltweiten tatsächlichen Waren-Handel abzuwickeln,
würde eine Börsenwoche ausreichen. 97,5% der weltweiten
Börsen-Finanzströme sind Spekulationen, 2,5 % haben noch mit Waren zu
tun.
Nach Angaben des Human Development Report 1999 der Vereinten Nation
(UNDP) ging die Einkommensschere zwischen dem Fünftel der
Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt, und dem ärmsten
Fünftel in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich auseinander: 1960
verdiente das reichste Fünftel der Erde 30 mal mehr Einkommen als das
ärmste Fünftel, im Jahre 1997 bereits 74 mal mehr. In den letzten
Jahren hat sich diese Schere noch weiter geöffnet. Für Waren wie Kaffe
oder Baumwolle sanken die Preise in den letzten Jahrzehnten bis heute
auf historische Tiefsstände.
Mehr als 800 Millionen Menschen leiden an Hunger, mehr als 20.000
Kinder verhungern pro Tag - mit steigender Tendenz, nachdem über
einige Jahre der Negativtrend gebrochen schien. Gleichzeitig
übersteigt allein der US-Militärhaushalt die weltweite
Entwicklungshilfe um ein Vielfaches.
Ein freier Markt und eine nicht ganz so freie Gesellschaft gehen Hand
in Hand, meint der US-Ökonom Edward Luttwak in seiner Beschreibung des
"Turbo-Kapitalismus". Im Umkehrschluß gilt, daß ein etwas weniger
freier Markt wieder zu freieren - und auch gerechteren -
Gesellschaften führen kann.
Seit vielen Jahren engagieren sich Menschen in Kampagnen, die eine
gerechtere und friedvollere Welt zum Ziel haben. Diese
Nichtregierungsorganisationen, Initiativen und Gruppen benötigen
Unterstützung und Mitarbeit.
Kampagnen im militärpolitischen Umfeld:
-
Kampagne für die Abschaffung und den Produktionsstopp aller
Landminen
- Kampagne für den Stopp des Kleinwaffenhandels und des
Kindersoldatentums
- Kampagne für einen Weltraum ohne Waffen- und Kernenergienutzung
- Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (z.B. in Büchel in der
Eifel)
- Kampagne für einen Stopp aller Atomtests
- Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen"
Kampagnen im wirtschaftspolitischen Umfeld:
-
Entschuldungskampagne "Erlaßjahr.de" zur Bekämpfung weltweiter Armut
- Kampagne zum Stopp des “Multilateralen Abkommen über Investitionenł
(MAI), mit dem reiche Staaten bei Investitionen in Entwicklungsländern
Umwelt- und Arbeitsschutz umgehen wollen
- Kampagne zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO), des
Internationalen Währungs-fonds (IWF) und der Weltbank
- Firmenkampagnen des Dachverbandes Kritischer Aktionäre, die auf
Aktionärsversammlungen Konzerne wegen Umweltzerstörungen,
Rüstungsproduktionen und dem Abbau gewerkschaftlicher Rechte
kritisieren
- Kampagne zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes
- Kampagne für eine demokratische Kontrolle internationaler
Finanzmärkte
Wenn der Friede die Frucht der Gerechtigkeit ist, gilt es zunächst,
Voraussetzungen bei den internationalen Finanzmärkten zu schaffen, die
bei entsprechendem politischem Willen sehr wohl kontrollierbar sind.
Vorschläge für eine Kontrolle sind:
-
Die Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (z.B.
Tobin-Steuer)
- Die Schließung der Steuerparadiese und "Off-Shore-Zentren"
- Keine Privatisierung der Alterssicherung (z.B. Pensionsfonds)
- Das Verbot von spekulativen Derivaten und der hochspekulativen
"Hedge-Funds"
- Schuldenstreichung für die Entwicklungsländer
- Strengere Banken- und Börsenaufsicht für die sog. institutionellen Anleger
- Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den drei Hauptwährungen Dollar,
Euro und Yen
- Die demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen
- Die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen.
(vgl.: www.share-online.de/Finanzmaerkte).
Was derzeit wohl am meisten fehlt, könnte man als "Strukturelle
Nichtausbeutungsfähigkeit" bezeichnen.
2. Alternativen zum Krieg sind möglich
2.1. Maßnahmen zur Überwindung von Unrechtsregimen
In der Vergangenheit wurden immer wieder Unrechtsregime und Diktaturen
ohne Krieg überwunden. So ging der gewaltlosen Revolution zum Sturz
des philippinischen Diktators Marcos in den achtziger Jahren ein
jahrelanges Training großer Bevölkerungsteile in gewaltfreien Aktionen
voraus. Die katholische Kirche stellte sich mit einem Hirtenbrief
eindeutig gegen den Diktator und machte der Bevölkerung Mut zum
gewaltfreien Aufstand. Als einzelne Generale sich von Marcos trennten
und auf die Seite des Volkes überliefen, drohte ein Bürgerkrieg mit
hohen Blutverlusten. Mehrere hunderttausend Menschen blockierten über
mehrere Tage die Kasernen, so daß die Panzer sowohl der
Marcostreuen-Generale als auch der Marcosgegner-Generale nicht
ausfahren konnten - bis der Diktator das Land verließ.
Auch Südafrika wurde nicht bombardiert oder mittels einer
Militärintervention befriedet. Es war der jahrelange geduldige Boykott
u.a. der evangelischen Frauen in Deutschland, die mit ihrer Aktion
"Kauft keine Früchte der Apartheidł zusammen mit der
Anti-Apartheid-Bewegung den Machtwechsel mit vorbereiteten. Deutsche
Banken, die zur Stabilisierung der weißen Minderheitsregierung
Krügerrand-Goldmünzen verkauften, wurden durch Bewußtseinsarbeit und
Boykottmaßnahmen erfolgreich gezwungen, deren Verkauf einzustellen.
Mit der Einsetzung von Wahrheits- und Versöhnungskomissionen wurden
in größerem Stil neue Wege zur Aussöhnung nach einem Machtwechsel
gegangen.
Die Stiftung Entwicklung und Frieden hat eine Reihe von Maßnahmen und
Sanktionsfeldern zusammengestellt, die auch ohne Krieg einen Staat,
der offensichtlich Menschrechte mißachtet oder z.B. Terroristen
fördert oder beherbergt, mit zivilen Mitteln zum Einlenken bewegen
kann. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei diesen Maßnahmen ebenso wenig
wie bei einer Militärintervention. Die Schäden für die jeweilige
Zivilbevölkerung halten sich allerdings bei den nachfolgenden
Sanktionen im Gegensatz zu einem Krieg in Grenzen.
1. Im Bereich Kultur und Sport können die Austauschbeziehungen
abgebrochen werden - wie dies z.B. beim Boykott der Olympischen Spiele
1980 wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan durch eine
Vielzahl westlicher Staaten vorübergehend erfolgte.
2. Auf der diplomatischen Ebene können Botschaften oder Konsulate
verringert oder geschlossen werden. Staaten können aus internationalen
Organisationen ausgeschlossen werden, wie dies mit der Bundesrepublik
Jugoslawien erfolgte, die wegen der Politik Milosevics vorübergehend
aus der OSZE verbannt wurde. Amtsträger können zusätzlich mit einem
Einreiseverbot belegt werden.
3. Im Verkehrsbereich kann der Flug- oder Schiffsverkehr unterbrochen
werden, Bahn- und Straßentransportrouten ebenfalls.
4. Im Kommunikationsbereich können Post- und Televerbindungen
unterbrochen werden.
5. In der Entwicklungszusammenarbeit kann die finanzielle und
technische Unterstützung beendet werden. Deutschland finanziert z.B.
nach wie vor ca. zehn Prozent des Staatshaushaltes von Ruanda ohne
Kontrolle und Auflagen - obwohl die ruandesische Regierung mit diesem
Geld vermutlich den Krieg und die Besetzung großer Landesteile im
benachbarten Kongo mitfinanziert.
6. Im militärischen Bereich kann die Zusammenarbeit gekündigt und ein
Waffenembargo verhängt werden. Obwohl der Nahe Osten eindeutig als
Spannungsgebiet gilt und z.B. die israelische Armee Merkava-Panzer in
den besetzten palästinensischen Gebieten einsetzt - entgegen einer
Vielzahl von UN-Resolutionen - liefert die Bundesregierung bis in die
jüngste Vergangenheit Kupplungen für diesen Panzertyp an Israel.
7. Im Finanzbereich können Auslandsguthaben von Unrechtsregimen oder
Diktatoren eingefroren und Finanztransfers verboten werden.
8. Im Handelsbereich kann ein Embargo oder ein Boykott zur
Gewalt-Überwindung hilfreich sein - siehe das Beispiel Südafrika -,
allerdings auch verheerende Folgen haben. Nach dem irakischen
Überfall auf Kuwait 1990 wurde Irak sofort mit einem Embargo belegt,
das auch sehr schnell Wirkung zeigte. Ob der irakische Diktator sich
auf Grund dieses wirtschaftlichen Druckes möglicherweise auch ohne den
Golfkrieg 1991 aus Kuwait zurückgezogen hätte, ist bis heute
umstritten. Nach der militärischen Befreiung Kuwaits wurde das Embargo
nicht aufgehoben und hatte rund eine Million Todesopfer zur Folge.
9. Kriegsverbrecher oder Terroristen können vor ein internationales
Tribunal gestellt werden. Im Falle der Lockerbie-Affäre und der Suche
nach den mutmaßlich sich verschanzten Terroristen wurde Libyen nicht
mit einer Militärintervention überzogen. Der politische Druck auf
Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi war schließlich groß genug, dass
die libysche Regierung die mutmaßlichen Terroristen auslieferte, die
anschließend vor ein internationales Gericht gestellt wurden. Warum
wurde dieser rechtsstaatliche Weg nicht auch im Falle des 11.
September 2001 beschritten? Warum nahm die US-Regierung statt dessen
den Tod mehrerer tausend unschuldiger Zivilisten in Afghanistan in
Kauf - und dies, obwohl die Täterschaft der Massenmörder vom 11.9.2001
bis heute keineswegs aufgeklärt ist?
Selbst bei einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung und dem Verzicht
auf Präventivkriege sowohl von seiten der USA als auch Europas
stellt sich die Frage, wie gegen Terroristen und Gewalttäter mit
nichtmilitärischen Mitteln vorgegangen werden kann. Ich vertrete
keineswegs die These, daß z.B. Al Quaida-Terroristen allein mit den
bisher genannten Maßnahmen erfolgreich zu bekämpfen wären.
Hermann Düringer und Horst Scheffler haben unter dem Titel
"Internationale Polizei - Eine Alternative zur militärischen
Konfliktbearbeitung"(6) eine Reihe von Aufsätzen mit substantiellen
Vorschlägen zusammengetragen, die Perspektiven bei der
Verbrechensbekämpfung ohne den Einsatz von Militär enthalten.
Auf nationaler Ebene können zivile Friedensdienste ausgebaut werden.
Die Bundesregierung hat im Jahre 2002 ein Zentrum für internationale
Friedenseinsätze eingerichtet. Dort können sich auch Privatpersonen in
Kursen schulen lassen, um z.B. bei Wahlbeobachtungs-Missionen im
Rahmen eines OSZE-Auftrages eingesetzt zu werden.
Um eine zivilere Politik auf europäischer Ebene durchzusetzen und eine
Ansprechstelle für das EU-Parlament zu schaffen, richteten
Nichtregierungsorganisationen ein zentrales Verbindungsbüro (EPLO,
European Peace Liason Office) ein, das personelle Aufstockung
verdient.
Im Mai 2003 wurde in Berlin die Initiative "Pro UNCOPAC" erstmals
vorgestellt. Diese Initiative verfolgt die Einrichtung eines
Nebenorgans der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Die neue
UN-Kommission für Frieden und Krisenprävention (UN-Commission on Peace
and Crisis Prevention, abgekürzt: UNCOPAC) soll die Rolle der
Zivilgesellschaft innerhalb der UN stärken sowie Krisen rechtzeitig
erkennen und entschärfen, bevor sie eskalieren.
2.2. Zivile Alternativen zum Krieg im Nahen und Mittleren Osten
Eine Alternative zum Krieg gegen Irak wäre die Fortsetzung der
Waffensinspektionen unter Leitung der UN gewesen. Wie erfolgreich die
Zerstörung des irakischen Massenvernichtungspotentials durch
UN-Inspektoren in den Jahren 1991-1998 war, zeigt sich an der
Tatsache, daß das Land zu Beginn des Krieges 2003 offensichtlich nicht
mehr über ABC-Waffen verfügte.
Für die gesamte Region Naher Osten und Zentralasien könnte sich die
europäische Politik nach Vorbild der KSZE/OSZE für einen regionalen
Friedens- und Sicherheitspakt stark machen, der auf eine
ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt.
Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt
möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in
der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der
westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden
Seiten könnten mit solch einer Universität abgebaut werden.
Städtpartnerschaften können ebenfalls Brücken zwischen Orient und
Okzident schlagen. So unterhält z.B. Freiburg eine Städtpartnerschaft
mit der iranischen Stadt Isfahan. Neben dem Kulturaustausch steht der
Bau einer größeren Solaranlage in Isfahan mit Freiburger Unterstützung
derzeit auf der Agenda.
Dem deutschen Filmemacher Helmar Büchel ist es gelungen, im Libanon
und in Pakistan Ausbildungszentren zu besuchen und zu filmen, in denen
Jungen und Mädchen zu Selbstmordattentätern herangezogen werden. (vgl.
FAZ, 14.3.04).
Diese Ausbildungszentren stellen eine gewaltige Herausforderung
speziell für islamische Geistliche dar, diese Zentren weder zu
ignorieren noch zu tolerieren - sondern aktiv gegen die dort gelehrte
Märtyrerideologie und ihre fundamentalistischen Glaubensbrüder
vorzugehen.
In Jemen gehen religiöse Führer des Islam in Gefängnisse, in denen
verurteilte Al Quaida-Kämpfer ihre Strafe absitzen. Sie versuchen
dort, den Gefangenen ein Gottesbild nahe zu bringen, das vom Recht auf
Leben jedes Menschen geprägt ist und stellen im Koran die Suren vor,
die von der Barmherzigkeit Gottes handeln. Mit dieser religiösen
Umerziehung versuchen sie, die Gefangenen von ihren Märtyrer- und
Selbstmordattentäter-Gedanken abzubringen. Nach der Haftentlassung
bietet die jemenitische Regierung einen zivilen Arbeitsplatz an, um
die Gefangenen in die normale Gesellschaft zu reintegrieren.
Für christliche Theologinnen und Theologen sehe ich ein große Aufgabe
darin, christlich-fundamentalistischem Gedankengut einer Aufteilung
der Welt in Gut und Böse, wie es in Teilen der Bush-Administration
anzutreffen ist, entgegenzutreten.
Die US-Regierung als größter finanzieller Unterstützer Israels hat es
entscheidend mit in der Hand, ob der Palästina-Israel-Konflikt auf
der Grundlage der sog.
road map gelöst werden kann. Selbst nach den
verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den
Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee in den
besetzten Gebieten ist eine Zweistaatenlösung mit Jerusalem als
Hauptstadt beider Staaten denkbar. Hierzu müßte sich die europäische
Politik weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut, da die
US-Regierung nicht als ehrliche Vermittlungsinstanz in der arabischen
Welt angesehen wird.
Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der
Golf-Region durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein
entscheidender Deeskalationsfaktor zur Vermeidung künftiger Kriege.
Die derzeit weltweit bekannten Öl- und Gasreserven werden vermutlich
in drei bis vier Jahrzehnten erschöpft sein.
Bei einem mittelfristigen Abzug der US- und britischen Militär-Präsenz
aus der Golf-Region und einer Einstellung der Waffenlieferungen
könnte im Zuge aller genannten Maßnahmen zusammen dem Terrorismus ein
großer Teil seines Nährbodens entzogen werden. Gerechtigkeit und
Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich einmal
gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.
3. Nachwort: Gerechtigkeit schafft Frieden
Im Dezember 1987 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine
grundlegende Resolution, die den Terrorismus verurteilte und die
Nationen dazu aufrief, ihn mit aller Macht zu bekämpfen. 153 Länder
votierten bei der Abstimmung mit "Ja", Honduras enthielt sich, die USA
und Israel stimmten mit "Nein". Ihre Ablehnung begründeten die beiden
Länder mit der Passage, dass "das aus der UN-Charta abgeleitete Recht
auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit von den Bestimmungen
dieser Resolution unberührt bleibt, und Völker, denen dieses Recht
gewaltsam vorenthalten wird ... insbesondere Völker unter kolonialen
und rassistischen Regimes und fremder Besatzung oder anderen Formen
kolonialer Herrschaft ... das Recht haben, darum (in Übereinstimmung
mit der Charta und anderen internationalen Rechtsprinzipien) zu
kämpfen und Unterstützung zu fordern und zu erhalten" (7).
Die UN-Resolution achtete auf die wichtige Unterscheidung zwischen
Terrorismus einerseits und dem berechtigten Protest und Widerstand in
Situationen von Unterdrückung, Unrecht und Gewalt andererseits. Genau
diese Unterscheidung wird m.E. derzeit im so genannten "Krieg gegen
den Terror" aufgehoben.
In ihrem Hirtenwort "Gerechter Friede"(8) haben die katholischen
deutschen Bischöfe einige bemerkenswerte Aussagen gemacht: "Es wäre
fatal, wenn die Länder des Nordens ihre vordringliche Aufgabe darin
sähen, sich vor den Armen, die in besonderer Weise der Erfahrung von
Not, Gewalt und Unfreiheit ausgesetzt sind, zu schützen statt ihnen
beizustehen" (S. 80). Weiter heißt es: "Die Solidarität mit den Armen
ist Teil unseres kirchlichen Engagements. ... Die wirtschaftliche,
gesellschaftliche und politische Stärkung der Armen ruft ihrerseits in
vielen Fällen gesellschaftliche Konflikte hervor. Denn wenn bestehende
Machtverhältnisse in Frage gestellt werden, trifft dies regelmäßig auf
den Widerstand der bislang Mächtigen und Privilegierten" (S.97).
Mit dem Satz "Wir verteidigen unsere Art zu leben, und das ist unser
gutes Recht" (FR, 17.10.01) versuchte Bundeskanzler Gerhard Schröder
die deutsche Beteiligung am so genannten "Anti-Terror-Krieg" zu
rechtfertigen.
So lange in der UN-Charta das Recht jedes Menschen auf ein Leben in
Würde festgelegt ist, gehört es zu den vordringlichsten Aufgaben einer
Demokratie, die Art des westlichen Lebensstils so zu korrigieren, dass
damit nicht mehr Hunger, Verelendung, Umweltzerstörung, Unterdrückung,
Krieg und Tod für einen Großteil der Menschheit in anderen Kontinenten
verbunden ist.
Nach dem 15. Februar 2003, als in rund 600 Städten der Erde mehr als
12 Millionen Menschen für den Frieden und gegen einen Irakkrieg
demonstrierten, schrieb die New York Times von einer “zweiten
Supermachtł. Sie meinte damit die durch die Friedensbewegung weltweit
geprägte öffentliche Meinung, Krieg als Mittel der Politik abzulehnen.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese weltweit wachsende
Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden so stark wird, dass sie sowohl
die Gefahren des Terrors schrittweise vermindern und gleichzeitig die
Menschheit von den Geiseln der Ungerechtigkeit und des Krieges
befreien kann.
* Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes
Anmerkungen:-
vgl. Clemens Ronnefeldt, Die neue NATO, Irak und Jugoslawien, Minden, 2. Auflage 2002.
- Heinz Loquai, Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg, Baden-Baden 2000.
- Andreas Zumach, Eine verheerende Bilanz. Die Folgen des vor einem
Jahr begonnenen Irakkrieges, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/2004.
- Spiegel Online, 11.11.2003, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,273470,00,html
- zit.nach Frankfurter Rundschau, 25.2.1998.
- Hermann Düringer und Horst Scheffler (Hrsg.), Internationale Polizei Eine Alternative zur militärischen Konfliktbearbeitung, Frankfurt 2002.
- zit. nach: Noam Chomsky, The Attack. Hintergründe und Folgen, Hamburg 2002, S. 55.
- Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Gerechter Friede, Bonn 2000.
Abschluss des Manuskripts: 20. März 2004
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