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Armut im Paradies

Pazifische Staaten vielfach von den globalen Entwicklungsprozessen ausgeschlossen. Studie der Vereinten Nationen listet Defizite auf

Von Thomas Berger *

Das in der westlichen Welt vorherrschende Bild von den kleinen pazifischen Inselstaaten lässt sich zumeist mit »Paradies« beschreiben. Traumhafte Strände, palmengesäumt, kristallklares türkisfarbenes Wasser der Lagunen, der tiefblaue Ozean. Hinzu kommen exotische Völker, die scheinbar nur darauf warten, Urlauber willkommen zu heißen. Dennoch gilt diese Region nach Schwarzafrika und dem südlichen Asien vielen Indikatoren zufolge als globales sozioökonomisches Problemfeld Nummer drei. Nicht nur wegen der geschönten Bilder der Touristikindustrie ist das in vielen Köpfen nicht präsent.

Eine aktuelle Studie hat jetzt nachgewiesen, wie stark Armut und Unterentwicklung in Nachbarschaft der beiden von hohem Wohlstand geprägten Industriestaaten Australien und Neuseeland noch immer sind. Das Papier trägt den Namen »State of Human Development in the Pacific 2014 Report« und wurde von Mitarbeitern des Regionalbüros Suva des UN-Entwicklungsprogramms UNDP in Kooperation mit weiteren Agenturen der Vereinten Nationen erstellt. Demnach ist derzeit fast jeder vierte Einwohner des Gebietes arm, wobei es zwischen den Ländern stark Schwankungen gibt. So habe beispielsweise Vanuatu mit »nur« 13 Prozent wichtige Erfolge vorzuweisen. In Papua-Neuguinea hingegen gelten 39 Prozent der Gesamtbevölkerung als arm. Die im Jahr 2000 global vereinbarten Millenniumsentwicklungsziele (MDG; eine »Koproduktion« zwischen UNO, Internationalem Währungsfonds IWF, Weltbank und Industriestaatenorganisation OECD) bis 2015 zu erreichen, werde demnach nicht überall im Pazifik gelingen, so die Autoren der aktuellen Studie.

Bereits in der von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen Studie »My World 2013«, auf deren Ergebnisse sich auch die Autoren des neuen Untersuchungsberichtes beziehen, gaben die Befragten in zehn der zwölf Staaten der Region an, dass bessere Bildungschancen bei ihnen die oberste Priorität haben. Verbesserungen im Gesundheitswesen kamen in neun Staaten auf Platz zwei oder drei der Liste, die Schaffung von mehr Beschäftungsmöglichkeiten wurde in sieben Fällen als besonders dringlich erwähnt. In den Föderierten Staaten von Mikronesien landete dieser Punkt sogar ganz vorn.

Armut hat auch in der Pazifikregion viele Gesichter. Bemerkenswerte Diskrepanzen gibt es fast traditionell zwischen städtischen und ländlichen Gebieten, zwischen dem Streifen rund um die Hauptstadt auf dem jeweiligen zentralen Atoll und den teilweise weit abgelegenen übrigen Inseln. Während in Papua-Neuguinea die Armut seit 2009 wieder deutlicher zunahm und derzeit einen neuen Negativrekord erreicht hat, gelang es in Fidschi immerhin, die Zahl der davon Betroffenen zwischen 2002 und 2009 von knapp 40 auf gut 35 Prozent zu drücken. Dennoch rangiert das Land unter den »schlechten Beispielen« auf Rang zwei, gefolgt von den Föderierten Staaten von Mikronesien mit rund 30 Prozent armer Haushalte. In rund der Hälfte aller Länder fehlen demnach frühere Vergleichszahlen für eine genauere Analyse. Doch in mindestens drei weiteren Fällen ist eine Zunahme mehr als offensichtlich: in Tuvalu von 22 auf fast 27 Prozent (2010). In Samoa war dieser Wert schon 2008 erreicht - mit Ausgangsbasis 23 Prozent sechs Jahre zuvor. In Tonga schließlich gab es zwischen 2001 und 2009 eine Steigerung von 16 auf 23 Prozent.

Ausländische Investitionen in die Wirtschaft - von neoliberalen Politikern und Experten immer wieder als Heilsbringer gepriesen - können längerfristig sogar schädlich sei. Das arbeiten die Autoren an mehreren Stellen der Studie deutlich heraus. Da wird Bezug genommen auf den Bergbau auf Bougainville, der für politische Konflikte sowie regionale Armutssteigerung sorgte. Oder auch auf den einst exzessiv betriebenen Phosphatabbau, der noch in den 1980er Jahren das winzige Nauru statistisch kurzzeitig zu einem der reichsten Länder weltweit machte. Der Einbruch folgte bald. Auch wegen des Versagens der politisch Verantwortlichen ist das Land heute ein Armenhaus der Region, das zudem mit den ökologischen Folgen der Phosphatförderung zu kämpfen hat.

Die pazifischen Staaten sind an ethnischer Vielfalt eines der reichsten Gebiete auf dem Globus. Das ist im Westen oft nicht bewusst. Auf Papua-Neuguinea allein werden 850 traditionelle Sprachen gesprochen, auf den Salomonen 70. Einige der Gemeinschaften leben noch immer weitgehend wie ihre Vorfahren, abseits der »modernen Welt«. Deren Bedarf an Rohstoffen bricht dann in Form von Bergbaukonzessionen in die unterentwickelten Pseudoidyllen ein, mit negativen Folgen für Menschen und Umwelt. Die betroffenen kleinen Völker trifft dies völlig unvorbereitet.

Statistisch liegen in alle untersuchten Staaten seit 2011 beim Wirtschaftswachstum kontinuierlich im Plus. Die Schwankungsbreite liegt dabei zwischen 0,3 Prozent (Tonga) und 1,5 Prozent (Tuvalu, Marschallinseln, Föderierte Staaten von Mikronesien) sowie sechs Prozent in Papua-Neuguinea und Nauru (Hochrechnung für das ablaufende Jahr 2014). Papua-Neuguinea, das mit Abstand die größte Landmasse besitzt, war schon deutlich besser: Um stolze 11,1 Prozent wuchs das Bruttoinlandsprodukt vor drei Jahren. Das winzige Nauru rangiert 2009 und 2010 mit 18 bzw. elf Prozent BIP-Schrumpfung noch im Minusbereich. In etlichen Ländern gibt es zudem im jährlichen Wechsel starke Schwankungen, so dass dieser Indikator nur begrenzte Aussagekraft hat. Offenkundig ist: Während Süd-, Südost- und Ostasien seit 20 Jahren beachtliche Wachstumszahlen hinlegen, nimmt sich der aktuelle Anstieg in der Pazifikregion im Vergleich dazu überaus bescheiden aus.

Die Studie sieht Probleme, in der Region ausreichend Jobs zu schaffen. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist fast überall sehr hoch, viele Insulaner sind gezwungen, ihren Lebensunterhalt jenseits der Heimat zu verdienen. Das belastet traditionell enge familiäre Bindungen. Auch ist in vielen Ländern ein verstärkter Trend zur »Urbanisierung« zu verzeichnen: Selbst in pazifischen Städten gibt es Viertel, die sich als Slums einstufen lassen. »Zurück bleiben die Älteren, die sich um die Enkelkinder kümmern, während die jungen Leute in die Städte oder ins Ausland abwandern«, heißt es in dem Report über Änderungen im demographischen Gefüge. Die Geburtenrate ist zumeist noch immer relativ hoch. Das wird auf die Überlegungen der Familien zurückgeführt, dass von vier Kindern »zwei zum Geldverdienen ins Ausland gehen, während sich zwei um die Alten sorgen«.

Das hat eine im Schnitt sehr junge Gesamtbevölkerung zur Folge: In Vanuatu, Tonga, Papua-Neuguinea, Samoa, Salomonen, Nauru und auf den Marschallinseln sind zwischen 37 und 40 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre. Lediglich in Fidschi, Palau, den Cook-Inseln und Nieu liegt der Anteil unter einem Drittel. Hinzu kommen zumeist zwischen 19 und 22 Prozent (an der Spitze die Föderierten Staaten von Mikronesien) junge Leute im Alter von 15 bis 24 Jahre, für die es nicht einmal ansatzweise ausreichend Jobs gibt. Die zudem nach wie vor hohe Kindersterblichkeit drückt auf die allgemeine Lebenserwartung, die mindestens zehn, in Fällen wie Nauru oder Kiribati sogar 20 Jahre unter der in den großen Nachbarstaaten Neuseeland und Australien liegt. Defizite macht die Studie auch bei der gesundheitlichen Versorgung in vielen Ländern der Region aus.

* Aus: junge Welt, Montag, 15. Dezember 2014


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