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"Wir leben in zwei Welten"

Beim UN-Klimagipfel in Lima sind alte Fronten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern aufgebrochen

Von Benjamin Beutler, Lima *

Was die Zweiteilung der Welt in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer konkret bedeutet, wurde beim jüngsten Showdown des am Sonntag verspätet beendeten UN-Klimagipfels in der peruanischen Hauptstadt Lima deutlich. Nachdem die Konferenzpräsidentschaft von Perus Umweltminister Manuel Pulgar Vidal in der Nacht zum Freitag den Entwurf für ein Eckpunktepapier zu einem neuen Weltklimavertrag derart zum Nachteil der armen Länder verändert hatte, erhob sich massiver Protest. Bis zum frühen Sonntag morgen wurde verhandelt, ein Scheitern der Verhandlungen konnte in letzter Sekunde verhindert werden (siehe jW vom Montag).

Doch auch nach der Verabschiedung des »Lima Call for Climate Action« sind die Gräben tief. »Viele von euch haben uns kolonialisiert«, hatte der Vertreter von Malaysia den Delegationen aus den Vereinigten Staaten, Europäischen Union und deren Verbündeten vorgeworfen. »Wir leben in zwei Welten“, konstatierte er. Dass künftig auch Entwicklungsländer CO2-Einsparziele bekanntgeben sollen, halten er und viele Delegierte aus armen Ländern für unverschämt. Unmut rief bei den Delegationen dieses und anderer Entwicklungs- und Schwellenländer die massive Abschwächung des sogenannten Damage-and-Loss-Mechanismus im Abkommen hervor. Im UN-Sprech bedeutet »D&L«, dass Nationen, die von Stürmen, Fluten und Dürren heimgesucht werden, für diese Folgen des Klimawandels finanziell entschädigt werden. Dies hatten viele besonders davon betroffene Länder immer wieder verlangt, denn die klassischen Industrieländer, allen voran die USA, sind bis heute für den größten Teil der Kohlendioxidemissionen weltweit verantwortlich.

Allerdings sind heute etliche jener Staaten, die 1992 bei der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention mit Recht als Entwicklungsländer bezeichnet werden konnten, mindestens Schwellenländer, so auch Malaysia. Und China, mittlerweile der größte Emittent von Treibhausgasen, ist heute alles andere als ein Entwicklungsland. Trotzdem lehnte Peking auf der Konferenz erneut eine Überprüfung der Erfüllung der selbstgesteckten Reduktionsziele ab. Drittgrößter Produzent von CO2 ist Indien, Südkorea steht an siebter und Saudi-Arabien an neunter Stelle. All diese Länder lehnen die im Dokument von Lima vorgesehenen Selbstverpflichtungen ab.

Dabei sollen die 195 Teilnehmerstaaten Klimaschutzziele erst ab 2020 formulieren. Ihre diesbezüglichen Versprechen sollen sie möglichst bis zum März 2015 einreichen. Das UN-Klimasekretariat soll bis zum 1. November die Zusagen der Mitgliedstaaten zusammentragen. Anschließend soll überprüft werden, ob diese tatsächlich ausreichen, um das Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die Verpflichtungen sollen erlauben, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 um 40 bis 70 Prozent zu senken. Im Dezember 2015 soll dann in Paris ein Weltklimavertrag auf der Basis des Entwurfs von Lima verabschiedet werden. Einzige Vorgabe: Bei der Meldung der geplanten CO2 -Reduktion dürfen die Staaten nicht hinter bereits bestehende Standards zurückfallen. Die Festlegung von Vergleichsjahren, Zeitplänen sowie Methoden zur vergleichenden Erfassung der Ziele sind freiwillig. Dies können die Entwicklungsländer als Erfolg für sich verbuchen.

Die bitterste Pille ist die überaus schwache Regelung zur Finanzierung von mehr Klimaschutz: Zwar werden Hilfen öffentlich angemahnt, aber es gibt für die Industriestaaten keine klaren Vorgaben. So steht weiter nicht fest, woher die für einen »Grünen Klimafonds« zugesagten 100 Milliarden US-Dollar bis 2020 kommen sollen.

Nach Südamerika geflogen war auch die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks. Nachdem die SPD-Politikerin in den stickigen Konferenzräumen, einen Schwächeanfall erlitten hatte – die Klimaanlagen wurden durch stinkende Dieselgeneratoren angetrieben – musste ihre für vergangenen Mittwoch geplante Rede vor der Vollversammlung um einen Tag verschoben werden. Allerdings interessierten sich neben der Delegation des deutschen Bundestages nur eine Handvoll weitere für ihren Appell an die »Zivilgesellschaft«, sich für mehr Klimaschutz einzusetzen.

Insbesondere die Vertreter von Umweltverbänden äußerten sich nach dem 14tägigen Gipfel enttäuscht, vor allem wegen der fehlenden bindenden Vorgaben. Ganz anders die beteiligten Politiker. Der Chef der deutschen Delegation, Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth, sprach von einem »Durchbruch für die Verhandlungen des neuen Klimavertrages«. Der erreichte Kompromiss eröffne »alle Möglichkeiten für ein anspruchsvolles künftiges Klimaregime«. Es sei bedürfe aber noch »enormer Anstrengungen«. Und Ministerin Hendricks, die vorzeitig abgereist war, erklärte, es sei zu erwarten gewesen, dass zentrale Fragen des neuen Abkommens erst in Paris gelöst werden könnten. Begrüßt wurde das Gipfelergebnis auch von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Es ebne den Weg »für die Verabschiedung eines universellen und bedeutenden Abkommens im Jahr 2015«, erklärte er am Sonntag in New York. Er drängte vor allem die großen Industriestaaten dazu, »ihre nationalen Verpflichtungen weit vor Paris« vorzulegen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 16. Dezember 2014


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