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System- statt Klimawandel

Analyse. Eine gerechte und globale Lösung des Klimaproblems ist ohne Blick auf die Grenzen des kapitalistischen Wirtschaftens nicht möglich: Wie man bis 2050 die Treibhausgasemission in den Griff bekommen kann

Von Helmut Selinger *

Seit Montag dieser Woche bis zum 18. Dezember 2009 treffen sich Delegationen aus 192 Ländern zum UN-Weltklimagipfel in Kopenhagen, um ein neues globales Klimaabkommen zu verhandeln und möglichst zu beschließen. Es soll das Kyoto-Protokoll ersetzen, das 1997 in der gleichnamigen japanischen Stadt beschlossen wurde und 2012 ausläuft.

Die Tatsache der anthropogenen Veränderung des Erdklimas ist spätestens seit Beginn der 90er Jahre mit ausreichend hoher wissenschaftlicher Sicherheit nachgewiesen. Tatsache ist jedoch, daß der Energieverbrauch und damit auch die Emissionen von Treibhausgasen, insbesondere Kohlendioxyd (CO2), seit 1990 kontinuierlich weiter gestiegen ist. Man muß also konstatieren, daß die großen globalen Machtgruppen, die ein Interesse an der Verfeuerung fossiler Energieträger haben, keine Anstrengungen gemacht haben, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren.

Es ist zu erwarten, daß sie auch in Zukunft solange ihr »Geschäftsmodell« verfolgen, wie dies irgend möglich ist. Ein deutlicher Beweis für diese Annahme sind die offiziellen Prognosen der entsprechenden Vertreterorganisationen. So prognostizieren sowohl der Worl Energy Council (WEC) wie auch die International Energy Agency (IEA) weiter steigende Verbräuche fossiler Energien und damit weiter steigende Emissionen von Treibhausgasen.

Auch der »Kyoto-Prozeß« hat an dieser Lage nichts geändert. Man kann vielleicht sogar sagen: Die klare Sicht auf die ungebrochene Dominanz dieser Interessengruppen wurde eher verstellt. Die Summe der CO2-Emission der zehn größten westlichen Industrieländer wurde nahm von 1990 bis 2007 sogar um 9,8 Prozent zu - und nicht ab, wie im Kyoto-Protokoll eigentlich vereinbart war. Das Kyoto-Ziel - im Mittel fünf Prozent Reduzierung von 1990 bis 2010 (nur für einige Industrieländer relativ willkürlich und unverbindlich vereinbart; die USA haben das Kyoto-Protokoll nie ratifiziert!) - war damals schon vollkommen unzureichend, aber auch dieses »Miniziel« wurde, wenn überhaupt, dann nur durch den tiefen Wirtschaftseinbruch im Jahr 2009 erreicht. Deutschland konnte wie beabsichtigt die Luftverunreinigungen um 21 Prozent senken, das aber gelang zum allergrößten Teil allein durch die Zerstörung der DDR-Industrie (wie auch sonst in Osteuropa) und nur zum geringeren Teil durch nachhaltige Klimamaßnahmen.

Zwei Grad Grenzmarke

Zunächst einmal sollten alle Staaten relevante und überprüfbare Fahrpläne zur CO2-Emissionsreduzierung vorlegen. Besonders aber die Industrieländer müssen ihren Ausstoß an diesem Treibhausgas bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu dem von 1990 vermindern. 1990 wird zum Referenzjahr, weil seit dieser Zeit die Klimaproblematik allbekannt ist und die Staaten, die in der Zwischenzeit ihre Emissionen erhöht haben, nicht »belohnt« werden sollen.

Global muß der weltweite CO2-Ausstoß spätestens ab 2015 sinken. Für alle Länder gilt das längerfristige Ziel, ihre Treibhausgas­emissionen bis 2050 auf ein Niveau von nur noch maximal eine Tonne CO2-Äquivalente/pro Jahr und Kopf zu senken.[1]

Die überwiegende Mehrheit der weltweit tätigen Klimaforscher ist der Meinung, daß die Menschheit eine Erhöhung der globalen durchschnittlichen Erdtemperatur um zwei Grad Celsius über das entsprechende Temperaturniveau der vorindustriellen Zeit langfristig gerade noch verkraften könnte. Bis heute stieg die Temperatur um 0,8 Grad. Immerhin hat sich die internationale Staatengemeinschaft bei der Klimakonferenz im Jahr 2007 in Bali darauf geeinigt, diese Zwei-Grad-Grenzmarke aus der Wissenschaft als generelles Ziel eines globalen Klimaschutzes für das zukünftige politische Handeln zu übernehmen.

Wie kann jedoch dieses allgemeine Ziel unter Berücksichtigung des Prinzips der »Klimagerechtigkeit« konkret in ein sinnvolles und wirksames Abkommen umgesetzt werden? Für viele ökologisch interessierte und besorgte Menschen entsteht der Eindruck »Das ist ja bei so einer riesigen Weltkonferenz alles so kompliziert«. Sie haben es auch grundsätzlich nicht leicht, sich derzeit in der Vielfalt der Nachrichten und wohlklingenden Erklärungen vieler Staaten und Regierungsvertreter zurechtzufinden. Deshalb soll im folgenden ausgeführt werden, daß es eigentlich nicht schwer ist, konkret auszurechen, wieviel CO2 jeder Staat ausstoßen darf und was ihm an Kosten oder Einnahmen nach dem Prinzip der Klimagerechtigkeit erwächst. Grundlage für diese Berechnung ist der sogenannte globale Budgetansatz, wie er vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung im WBGU-Sondergutachten vorgeschlagen worden ist.

Erdbevölkerung als Maßstab

Dieser Budgetansatz ist folgendermaßen zu verstehen: Wenn man das Zwei-Grad-Temperaturziel mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit erreichen will, dann ergibt sich aus der Wissenschaft, daß die insgesamt summierten CO2-Emissionen für den Globus im Zeitraum von 1990 bis 2050 nicht den Wert von 1100 Milliarden Tonnen CO2 überschreiten dürfen. Da die Gesamtemission für den Zeitraum von 1990 bis 2009 bisher zirka 500 Milliarden Tonnen CO2 weltweit beträgt, bleibt für die restliche Zeit bis 2050 nur noch ein Budget von 600 Milliarden Tonnen.

Wie soll dieses Budget auf die Staaten verteilt werden? Da kann es nach dem Prinzip der Klimagerechtigkeit nur eine Antwort geben: für jeden Menschen die gleiche Menge! Denn für eine gerechte Verteilung eignet sich in einem ersten Ansatz das Gleichheitsprinzip nach der UN-Menschenrechtscharta. Daraus soll kein individuell durchsetzbares Recht auf gleiche Pro-Kopf-Emission abgeleitet werden, sondern eine Orientierung auf eine gesamtstaatliche Ebene. Dies könnte bei einer konkreten Verhandlung durch nachvollziehbare und sachlich begründete Sonderfaktoren modifiziert werden, z. B. durch einen Faktor, der die geographische Breite und damit den objektiv höheren Wärmebedarf berücksichtigt. Man kann also nun je nach Bevölkerung einer Nation einfach und transparent ein Budget für jedes Land berechnen.

Daraus ergibt sich: China steht für die Zeit von 1990 bis 2050 ein Gesamtbudget von 239 Milliarden Tonnen CO2 zu, gemäß seinem Anteil von 22 Prozent an der Weltbevölkerung (der Einfachheit halber sei hier vom Referenzjahr 1990 ausgegangen ohne Berücksichtigung eines Bevölkerungswachstums), davon hat es im besagten Zeitraum 75 Milliarden Tonnen ver­braucht, so daß ein Restbudget von 164 Milliarden Tonnen für die nächsten vierzig Jahre übrigbleibt. Da China derzeit nach einer Schätzung aus dem Jahr 2008 jährlich etwa 6,2 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre stößt, wäre das ihm zustehende Budget aber schon in 26 Jahren aufgebraucht, d.h., auch China muß schon heute eine Reduktion seiner CO2-Emissionen anstreben, umso mehr, wenn ein zukünftiges Wachstum der Wirtschaft einkalkuliert wird.

Die analoge Rechnung für die USA ergibt ein Gesamtbudget für die Zeit von 1990 bis 2050 von 52 Milliarden Tonnen CO2 gemäß seinem prozentualen Anteil von ungefähr 4,7 Prozent an der Weltbevölkerung. Allerdings haben die USA von 1990 bis heute schon mehr als das Doppelte an CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen, nämlich 108 Milliarden Tonnen, weshalb dem Land eigentlich ab sofort bis 2050 keine Emissionsrechte mehr zustehen. Auch Deutschland und Rußland haben nach diesem Ansatz bereits heute mehr emittiert, als ihnen für den Zeitraum von 1990 bis 2050 zustehen würde, allerdings in wesentlich geringerem Umfang, als dies bei USA der Fall ist.

Um in diesen Fällen die notwendigen Emissions­rechte aus der Vergangenheit und die - trotz beherzter Reduzierungsvereinbarungen - noch für eine Übergangszeit in Zukunft benötigten Emissionsrechte zu erwerben, müßte international ein Preis für eine Tonne CO2 fest vereinbart werden. Dieser Preis dürfte nicht zu niedrig angesetzt sein, damit ein weltweiter Klimafonds, der aus diesen Ausgleichsmitteln gespeist würde, eine relevante Größe hätte. Aus diesem Klimafonds können dann Entwicklungsländer (wie Indien), welche die ihnen zustehenden Emissionsrechte nicht ausschöpfen, sowohl effektive Investitionen zur Emissionsvermeidung als auch notwendige Anpassungsmaßnahmen an den kommenden Klimawandel finanzieren.

Eine noch sehr grobe Kostenabschätzung auf der Basis ebenfalls noch grober Abschätzungen der notwendigen Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern [2] würde eine vorläufige Größenordnung von zirka 40 US-Dollar pro Tonne CO2 ergeben. Dieser Preis bildet einen Verhandlungsgegenstand und könnte alle fünf Jahre überprüft werden.

Daraus läßt sich die Größenordnung eines Finanztransfers von Industrie- in sogenannte Entwicklungsländer abschätzen. Die USA müßten derzeit 244 und Deutschland 36 Milliarden US-Dollar pro Jahr berappen. Zuzüglich zu den zukünftig notwendigen Emissionsrechten müßten die USA ihre bis heute aufgelaufenen »Klimaschulden« in Höhe von geschätzten 2,2 Billionen Dollar ausgleichen. Um unzumutbare Finanztransfers in der Anlaufphase einer solchen Vereinbarung zu verhindern, wären sinnvolle Übergangsregelungen zu treffen. Ein Handel mit Emissionsrechten, wie vom WBGU vorgeschlagen, erscheint nicht sinnvoll, da sonst lediglich eine neue Anlagesphäre für die internationale Spekulation mit den bekannten negativen Auswirkungen eröffnet würde.

Klimagerechtigkeit

Dieser Ansatz würde in völlig transparenter, nachvollziehbarer und wünschenswerter Weise das Verursacherprinzip und das in Sonntagsreden gern gebrauchte Prinzip der Klimagerechtigkeit ab 1990 zur Grundlage der Berechnung und eines finanziellen Ausgleichs zwischen Nord und Süd machen. Die Transferleistungen dürften ausschließlich zur Finanzierung der Reduzierung der Treibhausgasemissionen, des Umbaus der Energieversorgung auf regenerative Energien und der jeweils notwendigen Anpassungen an schon regional wirksame Klimafolgeschäden (Deichbau, Bewässerung, Meerwasserentsalzung, Aufforstung, soziale Ausgleichsmaßnahmen u.ä.) und zum Stopp der Entwaldung verwendet werden.

Ein Klimavertrag auf der Grundlage dieses Ansatzes würde von allen Ländergruppen Zugeständnisse verlangen: von den Industrieländern weitgehende Reduktionsverpflichtungen sowie umfassende Technologie- und Finanztransfers; Schwellen- und Entwicklungsländer müßten ihrerseits akzeptieren, daß eine nachholende wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis fossiler Energieträger nicht mehr zukunftsfähig ist, so daß auch sie möglichst rasch den Übergang zu einer klimaverträglichen Gesellschaft einleiten müßten. Allerdings würde ihnen der Weg dorthin über erhebliche Transferleistungen erheblich leichterfallen.

Um diesen Prozeß zu regulieren und zu überwachen, sollte eine nach UN-Prinzipien arbeitende Organisation geschaffen werden - etwa eine Weltklimaorganisation -, die die notwendigen Budgets und Transferleistungen von den Industrieländern zu den Entwicklungs- und Schwellenländern berechnet, verwaltet, kontrolliert und durchsetzt. Diese Organisation sollte transparent, aber auch mit Sanktionsmöglichkeiten ausgestattet sein. Der durch die genannte Transferleistungen gespeiste Finanzfonds hätte eine erhebliche Größenordnung von etwa 300 Milliarden US-Dollar jährlich.

Auch das Klimasekretariat in Bonn kommt auf eine ähnliche Größenordnung für notwendige Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und für Maßnahmen zur Anpassung an Klimaänderungen. Dieser Fonds erhielte eine substantielle Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung ärmerer Länder, ohne daß sie bloße Bittsteller wären. Sie hätten vielmehr nach diesem Ansatz ein Recht auf finanziellen Ausgleich - im Gegenzug für nicht genutzte Emissionsrechte.

Ein weiterer Aspekt, um den gefährlichen Klimawandel als globales Menschheitsproblem zu lösen, wäre eine Aufhebung der Patentrechte bei Innovationen zu angepaßten Emissionsreduktionstechnologien und zur Einführung erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern. Zur Entwicklung nachhaltiger und angepaßter Technologien sollten gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen zwischen Industrieländern und »Dritter Welt« geschaffen werden, um den Austausch von Fachwissen zur gemeinsamen Lösung der globalen Klimaproblematik großzügig zu praktizieren.

Keine Wende im Kapitalismus

Das Modell einer gerechten und im Prinzip praktikablen Lösung des globalen Klimaproblems erscheint allerdings derzeit undurchführbar, wie in Kopenhagen zu beobachten ist. Die tiefere Ursache besteht darin, daß die dominanten Mächte ökonomisch und gesellschaftlich kapitalistisch strukturiert sind und ihre Dominanz in jedem Fall aufrechterhalten wollen. Zudem sind die stärksten Machtgruppen in diesem ökonomischen System - Energie-, Flugzeug- und Autokonzerne - eng verbunden mit dem fossilistischen Produktions- und Konsumtionsprinzip. Diese Herrschaftsgruppen haben, trotz gegenteiliger Imagepflege, kein Interesse, auf ihre noch immer sprudelnden Extraprofite aus der Ausbeutung der fossilen Rohstoffe und der Weiterverwendung der bisherigen Verbrennungstechnologien im Verkehrs- und Energiesektor zu verzichten. Diese Einschätzung wird auch durch den Verlauf der bisherigen Klimaschutzpolitik in vielen maßgeblichen Industrieländern und global seit 1990 untermauert. Wenn es zu konkreten Maßnahmen und Entscheidungen kommen sollte, dann wurden diese nicht getroffen, trotz sonstiger wohlklingender Reden und Imagepflege als Klimaretter. So ist auch die Situation in Deutschland, wo sich die verantwortlichen Politiker und Wirtschaftsführer gern mit einer angeblichen Vorreiterrolle Deutschlands im Klimaschutz schmücken wollen, sich jedoch oft bei konkreten Maßnahmen für die Interessen der traditionellen Energie- und Automobilkonzerne entscheiden und einsetzen (z.B. Planung zahlreicher neuer Kohlekraftwerke, Verhinderung einer konsequenten EU-PKW-Abgasnorm, Verhinderung der zielstrebigen Entwicklung alternativer Mobilitätskonzepte).

Einer konsequenten Reduktion des Energieverbrauchs steht auch die innere Wachstumsnotwendigkeit der kapitalistischen Ökonomie diametral entgegen. Die notwendige Energiewende erfordert eine grundsätzliche Abkehr vom bisherigen kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsmodell. Deshalb ist es schwer vorstellbar, daß eine derartige Wende innerhalb des kapitalistischen Systems zu schaffen ist.

Schließlich ist eine notwendige kooperative Struktur bei zukünftigen weltweiten Anstrengungen zum Klimaschutz nach aller historischen Erfahrung nicht mit einem globalen kapitalistischen Weltsystem vereinbar. Denn einer solidarischen und angemessenen Lösung des Klimaproblems steht auch das kapitalistische Grundprinzip der Konkurrenz und, daraus resultierend, die fortgesetzte Dominanz der derzeit herrschenden Staaten und Machtgruppen entgegen.

Teil der Systemkrise

Die Tatsache, daß diese und andere Klimakonferenzen zustande gekommen sind, ist ein Zeichen dafür, daß die Klimaproblematik nicht mehr verdrängt oder verniedlicht werden kann, wie dies noch vor Jahren die Strategie führender Industriestaaten war. Verteidigenswert ist auch, daß der Gipfel in Kopenhagen eine UN-Konferenz unter den Regularien der Vereinten Nationen ist und mit der zumindest prinzipiell gleichberechtigten Beteiligung aller Staaten der Erde. Trotzdem spiegelt auch diese Konferenz - trotz UN-Regularien - die Dominanz der westlichen Industrieländer wider - allein schon durch die Größe der jeweiligen Delegationen.

Eine realistische Bewertung ist jedoch nur im Rahmen des herrschenden globalen kapitalistischen Systems möglich. Deshalb muß neben konkreten Forderungen nach relevanten und verbindlichen Reduktionsmaßnahmen insbesondere auch die Systemfrage thematisiert und der Zusammenhang zwischen der Klimakrise und dem auf Konkurrenz, Herrschaft, Akkumulation und Wachstum beruhenden kapitalistischen Weltsystem aufgezeigt werden. Die Klimakrise ist lediglich als Teil einer größeren allgemeinen Systemkrise des kapitalistischen Weltsystems zu begreifen. Dafür steht die richtige Losung der weltweiten globalisierungskritischen und politisch fortschrittlichen Zivilgesellschaft in Kopenhagen: »System Change Not Climate Change«.

Die vielfältigen Proteste in Kopenhagen sind auch wichtige Gelegenheiten, um die Bündnisse der verschiedenen Protestgruppen zu schärfen und insbesondere auch klarzumachen, daß die fortschrittliche Zivilgesellschaft in den entwickelten reichen Industriestaaten wie Deutschland, in der EU und den USA solidarisch ist mit den armen und vom Klimawandel wesentlich schärfer betroffenen Entwicklungsländern und deren Zivilgesellschaften. Ziel ist es, diese Verbindungen zu stärken und der Weltöffentlichkeit eine starke Protestbewegung mit wegweisenden und verständlichen Forderungen zu präsentieren. Denn der Weg zum Stopp der Klimaerwärmung wird noch lang sein.

Fußnoten
  1. Unter einem CO2-Äquivalent ist die Summe aller Treibhausgasemissionen zu verstehen, d.h. insbesondere CO2, aber auch alle anderen Treibhausgase, wie vor allem Methan und Lachgas, wobei deren Anteil entsprechend ihrer Wirksamkeit auf eine entsprechende CO2-Menge umgerechnet und zum CO2 addiert wird. - Achtung: Beim folgenden Budgetansatz werden nur die reinen CO2-Emissionen betrachtet.
  2. Siehe das Papier der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC, Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen): unfccc.int/files/press/backgrounders/application/pdf/fact_sheet_­financing_climate_change.pdf
Helmut Selinger ist Diplom-Physiker und Autor des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung in München (www.isw-muenchen.de)

Die wichtigsten Forderungen für einen Kopenhagen-Vertrag:

  • Die weltweiten CO2-Emissionen müssen ab 2015 sinken.
  • Alle Staaten legen relevante und überprüfbare Dekarbonisierungsfahrpläne vor.
  • Die CO2-Emissionen der Industrieländer müssen 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu den Emissionen von 1990 gesunken sein.
  • Als Zielmarke für alle Staaten der Erde bzw. als verbindlicher Grenzwert für den CO2-Ausstoß pro Kopf im Jahr 2050 wird eine Tonne CO2-Äquivalente vereinbart.
  • Das Zwei-Grad-Celsius-Ziel wird völkerrechtlich verankert.
  • Ein globales, mit dem Zwei-Grad-Ziel konformes Budget für Kohlendioxid (CO2) aus fossilen Quellen wird festgelegt (siehe WBGU-Budget­ansatz).
  • Das globale CO2-Budget wird auf Pro-Kopf-Basis in nationale Emissionsbudgets für alle Staaten unterteilt.
  • Auf der Basis dieses Budgetansatzes wird ein internationales Emissionsverrechnungssystem für alle Länder unter dem Dach einer zu schaffenden UN-World Climate Organisation vereinbart und eingerichtet. Es wird ein angemessener Preis für eine Tonne CO2 vereinbart. Der aus entsprechenden Finanztransferleistungen gespeiste Klimafonds wird von der WCO verwaltet.
  • Für CO2-Emissionen aus Landnutzung, besonders Entwaldung, wird ein separates, mit dem Zwei-Grad-Ziel konformes Abkommen beschlossen.
  • Für weitere Treibhausgase und klimawirksame Stoffe werden spezifische, mit dem Zwei-Grad-Ziel konforme Vereinbarungen getroffen.


* Aus: junge Welt, 11. Dezember 2009


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