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Warnung vor Klimafolgen ohne Konsequenzen

35 Staaten zu informellen Verhandlungen in Berlin *

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor einer Erderwärmung mit verheerenden Folgen gewarnt, wenn die Welt sich nicht auf stärkere Klimaschutzzusagen einigt. »Es bringt nichts, auf Zeit zu spielen«, sagte Merkel am Montag beim 3. Petersberger Klimadialog in Berlin, an dem 35 Staaten teilnehmen. Bleibe es bei den bisherigen freiwilligen Zusagen zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes, sei das Ziel, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, nicht mehr zu halten. Dann drohe eine Erwärmung um drei bis vier Grad. »Der Stern-Report hat deutlich gemacht, welch schreckliche Folgen Nicht-Handeln hätte«, mahnte Merkel. Der ehemalige Weltbank-Volkswirt Nicholas Stern hatte 2006 in einem Report für die britische Regierung vorgerechnet, dass Nichtstun wesentlich teurer wird als Klimaschutz.

SPD, Grüne und Umweltschutzverbände haben der Regierung bei der Energiewende mangelhafte Steuerung und zu wenig Ehrgeiz vorgeworfen. »Geredet wird viel, getan wird nichts«, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Montag in Berlin. Weder komme der Netzausbau voran, noch werde genug für das Einsparen von Energie getan. »Und erst recht gibt es keine Konzepte gegen soziale Verwerfungen durch steigende Energiepreise.«

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hatte zuvor in der »Bild am Sonntag« Zweifel an der Erfüllung einiger Energiewende-Ziele angemeldet. Zugleich liege Deutschland beim Ausbau erneuerbarer Energien mit einem Ökostrom-Anteil von 21 Prozent über dem Plan. Altmaier selbst äußerte sich am Rande des Petersberger Klimadialogs überrascht über den Wirbel. Er habe lediglich auf einige Probleme hinweisen wollen, stelle aber mitnichten Teile der Energiewende in Frage. Steinmeier hingegen sah die Aussagen als Beleg für ein generelles Versagen der Regierung.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Juli 2012


"Es muß sofort etwas getan werden"

Umweltschützer sehen Ergebnisse des Petersberger Klimadialogs kritisch. Ein Gespräch mit Martin Kaiser **

Martin Kaiser ist Leiter des Bereichs Internationale Klimapolitik der Umweltorganisation Greenpeace.


Der Petersberger Dialog in Berlin mit Umweltpolitikern aus 35 Staaten ging am Dienstag mit mageren Resultaten zu Ende: Das Ziel, höchstens zwei Grad Erderwärmung zuzulassen, wird nicht erreicht werden. Rudert auch die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung bei den Klimazielen zurück?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Rede klargemacht: Das Zwei-Grad-Ziel ist nicht sehr ambitioniert, aber das äußerste, was die Welt wahrscheinlich leisten kann. Es ist aber an der Zeit, daß sie Wirtschaftsminister Philipp Rösler auf diese Linie einschwört. Jetzt ist alles daranzusetzen, was Deutschland zu Hause, in Europa und international dazu beitragen kann.

Angela Merkel hat angedeutet, die Erde würde sich vermutlich bis zu vier Grad erwärmen ...

Schon an den freiwilligen Verpflichtungen der Länder, die 2009 bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen gemeldet wurden, ist abzulesen, daß diese nicht ausreichen.

Bis 2015 soll ein globales Klimaschutzabkommen ausgehandelt werden, das aber erst ab 2020 gelten soll. Im Grunde ist nichts Neues verhandelt worden, oder?

Diese Beschlüsse der UN-Klimakonferenz in Durban 2011 waren auf das Drängen der USA und Chinas zurückzuführen, noch eine Frist von fünf Jahren einzuräumen. Für das Klima heißt das jedoch: Es wäre viel zu spät. Es muß sofort etwas getan werden, um die Treibhausgase zu mindern. Wenn wir es nicht schaffen, die Trendwende in diesem Jahrzehnt hinzubekommen, wird es nicht möglich sein, das Klima zu stabilisieren.

Was muß die Bundesregierung im eigenen Land für die Energiewende tun?

Sie muß Kräften entgegenwirken, die ganz bewußt Interessen der großen Energie­versorger vertreten und vom konsequenten Umbau auf erneuerbare Energien und dem Energiesparen abweichen wollen. Die vier großen Energieversorger E.on, RWE, Vattenfall und EnWB versuchen über die FDP immer wieder, getroffene Beschlüsse zurückzudrehen und in Brüssel fortschrittliche Energiepolitik auszubremsen. Eines ist klar: Wenn wir den europäischen Rechtsrahmen, den sie schaffen wollen, nicht verhindern, können gerade die energieintensiven Industrien in Deutschland weiter die Atmosphäre verschmutzen – genau wie die Land- und Forstwirtschaft. Auch die Automobilindustrien können weiter mit Sprit schluckenden Fahrzeugen die Märkte überschwemmen.

Was müßte die Bundesregierung dagegen unternehmen?

Die Kanzlerin müßte noch in diesem Jahr auf einen Beschluß im europäi­schen Rat drängen, das Ziel der Emissionsminderung Europas von minus 20 Prozent auf minus 30 zu verschärfen. Das hätte auch Vorteile auf der Einnahmeseite. Der Preis für CO2-Zertifikate könnte sich wieder stabilisieren, deren Versteigerung könnte Einnahmen bescheren, die in Klimaschutz investiert werden könnten.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat hierzulande aber eine Angstkampagne gestartet. Motto: Setzen wir die Energiewende um, werden die Strompreise in die Höhe klettern. Ist das so?

Nein, das ist lächerlich. Der Großteil der Preissteigerungen kam von den Energieversorgern und hat mit neuen Energien gar nichts zu tun. Außerdem, selbst wenn: Alles, was einen Preis hat, wird als wertvoll erachtet und dementsprechend behandelt. Und wir wollen ja Strom sparen.

Wie ist zu verhindern, daß eine Energiewende auf dem Rücken der ärmsten Endverbraucher stattfindet, die dann im Dunkeln sitzen müssen?

Es gibt nur wenige Leute, die sich das nicht leisten können. Man muß tatsächlich aber den Umgang mit Strom stärker reglementieren – das hat die Bundesregierung bislang versäumt.

In Deutschland hat sich aber die Anzahl der Hartz-IV-Bezieher und Geringverdiener in den vergangenen Jahren massiv erhöht – wie kann verhindert werden, daß sie unter erhöhten Stromkosten leiden müssen?

Erst mal ist wichtig, die großen ener­gieverbrauchenden Unternehmen wieder in die Verantwortung zu nehmen, die hat man nämlich davon ausgeschlossen. Auf Drängen der deutschen Bundeskanzlerin ist der Brüsseler Klimaschutzgesetzgebung eine Ausnahme geschaffen worden für energieintensive Industrien, daß diese ihre CO2-Zertifikate umsonst erhalten können. So gehen Einnahmeverluste zugunsten der großen Unternehmen und dann zulasten der kleinen Leute – die sich dementsprechend mehr an den Gesamtumlage für erneuerbare Energien beteiligen müssen. Es ist Aufgabe der Sozialpolitik, das Existenzminimum zu sichern.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juli 2012


Heiße Luft

Von Steffen Schmidt ***

Seit mehr als drei Jahren verhandeln die Teilnehmerstaaten des Kyoto-Protokolls über eine Nachfolgevereinbarung - faktisch ergebnislos. Es gab seither einige freiwillige Verpflichtungen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Doch die liegen meilenweit entfernt von dem, was nötig wäre, um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Auf diesen Zielwert immerhin konnte man sich 2009 in Kopenhagen sogar mit den USA einigen. Angesichts dieser Vorgeschichte des 3. Petersberger Klimadialogs wirkt die Hoffnung der Bundesregierung auf Vertrauensbildung durch vertrauliche Gespräche bestenfalls naiv.

Denn die bisherigen Verhandlungen auf UNO-Ebene scheiterten ja nicht am mangelnden Vertrauen der Staaten untereinander, sondern am Unwillen - oder der Unfähigkeit - aller Beteiligten, das bisherige, auf Wachstum fixierte Wirtschaftsmodell ernsthaft in Frage zu stellen. Solange ausgerechnet Deutschland jede Gelegenheit nutzt, die eigene Industrie vor Sparanstrengungen bei Sprit- und Energieverbrauch zu schützen, kann das Selbstlob der Kanzlerin niemanden in der Welt überzeugen. Wir als reiches Land schaffen es nicht einmal, die Lasten der energetischen Sanierung älterer Häuser sozial gerecht aufzuteilen, doch von Indien oder China verlangen wir, ihren wachsenden Energiehunger zu bremsen. Dabei liegt deren Pro-Kopf-Verbrauch noch immer um Größenordnungen unter unserem.

Ob informell in Berlin oder mit der UNO in Katar - ohne radikale Änderungen in den Industrieländern bleibt alles heiße Luft.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Juli 2012 (Kommentar)


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