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Chaotisches Finale beim Weltklimagipfel

Staats- und Regierungschefs feilten stundenlang an den Formulierungen für ein Abschlussdokument / Obama enttäuschte viele Delegierte

Von Susanne Götze, Kopenhagen *

Noch kurz vor dem offiziellen Ende des UN-Klimagipfels in Kopenhagen war gestern offen, ob es zur Einigung auf ein Abschlussdokument kommen würde. Staats- und Regierungschefs feilten an jeder einzelnen Zeile.

Die Delegierten der Weltklimakonferenz hatten schon seit 48 Stunden nicht mehr geschlafen. Doch am Freitagvormittag warteten im Kopenhagener Bella Center alle gespannt auf die Rede von US-Präsident Barack Obama, die die Wende in die festgefahrenen Verhandlungen bringen sollte. »Ich bin nicht gekommen um zu reden, sondern um zu handeln«, so die klare Ansage des Präsidenten im Konferenzplenum. »Wir reden schon seit zwei Jahrzehnten, nun ist die Zeit des Redens vorüber.«

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Kopenhagen: Klimakonferenz geht mit Minimalkonsens zu Ende

In Kopenhagen ist der internationale Klimagipfel ohne greifbares Ergebnis zu Ende gegangen. Vom Plenum wurde eine Vereinbarung von etwa 25 Industrie- und Schwellenländern als Abschlusserklärung lediglich zur Kenntnis genommen. Eine Verabschiedung kam unter anderem wegen des Widerstands des Sudan, Venezuelas und des Pazifikstaats Tuvalu nicht zustande. Diese hatten das Fehlen verbindlicher Ziele zur Treibhausgas-Reduktion beklagt. Außerdem sei unklar, wie die zugesagte Finanzhilfe für die ärmeren Länder aufgebracht werden solle. Der Chef des UNO-Klimasekretariats, de Boer, zog eine gemischte Bilanz. Es gebe zwar eine beeindruckende Vereinbarung, die allerdings nicht rechtlich verbindlich sei. Bundesumweltminister Röttgen sprach von einem Rückschlag. Er warf vor allem China eine Blockadehaltung beim Klimaschutz vor. Der SPD-Vorsitzende Gabriel bezeichnete das Resultat von Kopenhagen als Schande für die Staats- und Regierungschefs. Grünen-Fraktionschefin Künast meinte, trotz eindringlicher Warnungen stehe die Weltgemeinschaft klimapolitisch mit leeren Händen da. Umweltschutzorganisationen nannten das Ergebnis von Kopenhagen ein Desaster.

Deutschlandfunk, 19. Dezember 2009; www.dradio.de



Dass das unnütze Verstreichen der Zeit vor allem dem jahrzehntelangen Zögern der USA geschuldet ist, erwähnte der Präsident nicht. Es sei die enttäuschendste Rede Obamas überhaupt gewesen, unkten viele schon kurz nach seiner Ansprache. Die Delegierten und auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen hatten sich weitere Zugeständnisse von Seiten der USA erhofft, nachdem Außenministerin Hillary Clinton am Tag zuvor ankündigt hatte, Washington werde sich an den Finanzhilfen für arme Länder beteiligen. Von Obama kam indes nichts Neues, der erhoffte Durchbruch in den Verhandlungen blieb aus.

Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnete die Rolle der USA in den Verhandlungen dennoch als »konstruktiv«. Er hatte ebenfalls die Nacht zu Freitag durchverhandelt, erzählte aber immer noch das Gleiche wie vor drei Tagen: China müsse sich bewegen und mehr kooperieren.

Am Nachmittag lag dennoch der Entwurf einer Abschlusserklärung auf dem Tisch, deren Details hinter den Kulissen aufgeregt verhandelt wurden. 25 Staats- und Regierungschefs samt Ministerstab hatten in der Nacht stundenlang versucht, Eckpunkte eines Klimaabkommens auszuhandeln. Eine neue Vorlage der dänischen Konferenzleitung wurde verworfen – wie es hieß, weil darin auch Emissionsminderungsziele für Entwicklungsländer enthalten waren. An dem außerplanmäßigen Mini-Gipfel sollen neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy mehr als 20 weitere Spitzenpolitiker teilgenommen haben, hieß es aus Verhandlungskreisen. Die USA wurden von Außenministerin Clinton vertreten. Am Freitagmorgen stieß dann Präsident Obama dazu. Die Gruppe werde die Probleme der Verhandlungen »repräsentativ« vertreten, meinte Bundesumweltminister Röttgen. Erstmals bei einem Klimagipfel feilten Staats- und Regierungschefs persönlich »Zeile für Zeile« an dem Text. »So etwas habe ich noch nie erlebt«, beschrieb Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das zähe Feilschen auf höchster Ebene. Zu dem chaotischen Finale der UN-Klimakonferenz sei es nur deshalb gekommen, »weil wir vorher nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit gearbeitet haben«.

Am Tag wurde weiterverhandelt. Beteiligt waren auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sowie Vertreter von EU-Staaten, Australiens, Chinas und anderer Schwellenländer wie Südafrika und Saudi-Arabien. Klar war mittlerweile, dass die Kopenhagener Beschlüsse innerhalb der nächsten sechs Monate völkerrechtlich verbindlich werden sollen – eine Einigung auf konkrete Ziele vorausgesetzt.

Gleichzeitig gab es bilaterale Gespräche, zum Beispiel zwischen US-Präsident Obama und Chinas Regierungschef Wen Jiabao. Beide hätten eine knappe Stunde lang miteinander gesprochen, sagte ein US-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte. Das Treffen sei »konstruktiv« gewesen und habe »Fortschritte« gebracht.

Im Entwurf für das Abschlussdokument fehlten am Nachmittag immer noch die wichtigsten Zahlen: So hieß es, dass sich die Industrieländer bis 2020 auf eine Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 von »X Prozent« verpflichten. Gerüchten zufolge könnte hier am Ende »30 Prozent« stehen.

Offiziell sollte die UN-Konferenz in den frühen Abendstunden zu Ende gehen. Doch viele Delegierte und Journalisten stellten sich auf ein langes Wochenende ein. Einzig Umweltminister Röttgen gab sich zuversichtlich: »Es wird nicht verlängert – heute fallen die Würfel.«

* Aus: Neues Deutschland, 19. Dezember 2009


Presseschau **

"Welch ein Chaos", so resümiert die französische Zeitung LIBERATION die Beratungen auf dem Klima-Gipfel.
"Man hat Monate, wenn nicht gar Jahre damit verbracht, die Konferenz von Kopenhagen vorzubereiten. Sie sollte gut geölte professionelle Verhandlungen bringen, bei der eine Armee von Wasserträgern umsichtig explosiven Konfliktstoff aus dem Weg räumt. Und jetzt ist dabei eine gigantische Posse herausgekommen, bei der die Führer dieser Welt sich als unfähig erwiesen haben, die nötigen klaren und entschlossenen Entscheidungen zu treffen. Sie haben sich lediglich zu einer Vereinbarung durchgerungen, die kaum den Schein wahrt", moniert LIBERATION aus Paris.

Der italienische CORRIERE DELLA SERA ist ebenfalls enttäuscht:
"Leider ist es nun so, dass sich einige Staats- und Regierungschefs mit einem Kompromiss begnügt haben, mit dem sie das Gesicht wahren und die wenigen Fortschritte der Konferenz in Dänemark überbetonen wollen. Es ging ihnen also nicht darum, unseren Planeten vor der Erwärmung zu retten. Was herausgekommen ist, kaschiert nur mühsam die vielen Fehlschläge", urteilt der CORRIERE DELLA SERA aus Rom.

Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA sieht es so:
"Mit jedem Tag der zweiwöchigen Verhandlungen wurden die Erwartungen geringer. Die letzten Hoffnungsschimmer erloschen dann gestern, als US-Präsident Obama sprach. Die Konferenzteilnehmer hatten erwartet, er würde Zugeständnisse machen und den Gipfel im letzten Augenblick retten. Zum Beispiel hätte Obama eine höhere Bereitschaft zur Reduzierung der CO2-Emissionen verkünden können. Doch der US-Präsident sagte nichts Neues, sondern wiederholte alte Forderungen.Das Ergebnis des zähen Klimastreits ist ein Trauerspiel", konstatiert GAZETA WYBORCZA aus Warschau.

Die französische Zeitung DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE hebt Folgendes hervor:
"In Kopenhagen hat man klar gesehen, dass sich die wichtigste Partie zwischen den beiden Supermächten USA und China abspielte, in einem Geist der Rivalität, der an den Kalten Krieg erinnerte. Der chinesische Premier Wen Jiabao machte keine Zugeständnisse, Barack Obama auch nicht - trotz seiner schönen Rede. Die EU war der Motor dieser Konferenz, doch anscheinend konnte sie sich gegenüber den amerikanischen und chinesischen Riesen nicht durchsetzen", vermuten die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg.

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ist überzeugt:
"Die USA werden wohl noch auf Jahre hinaus keinen Klimavertrag im Stile des Kyoto-Protokolls ratifizieren. Und selbst ein nationales Gesetz zur Emissionsverminderung, wie es Präsident Obama vorschlägt, hat vorläufig im Kongress nur geringe Chancen. China wiederum will zwar vom Ausland als verantwortungsbewusste Großmacht anerkannt werden, aber die kommunistische Führung wird dies stets ihrem obersten Ziel unterordnen, dem Machterhalt. Die Geschichte hält die Lehre bereit, dass Staaten mit der Zeit und unter Druck zu gemeinschaftlichem Handeln zusammenfinden können. Aber 'Kopenhagen' erinnert daran, dass solche Prozesse lange dauern", befindet die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.

Die chinesische Zeitung RENMIN RIBAO geht auf die Konfliktlinie zwischen den Industrienationen und den Entwicklungsländern ein:
"Die USA und die andere Staaten haben den armen Ländern zwar finanzielle Hilfen gegen den Klimawandel versprochen, unklar ist aber wie die Gelder zusammenkommen. Außerdem wurde den Entwicklungsländern die Bedingung gestellt, ihre Emissionsresultate internationalen Kontrollen zu unterziehen. Die Industriestaaten und die Entwicklungsländer befinden sich auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen. Klimaverbesserung darf nicht auf Kosten der Staaten geschehen, die noch mit Armut zu kämpfen haben. Die Entwicklungsländer auf unrealistische Ziele verpflichten zu wollen, und selbst nur zu mäßigen Schritten bereit zu sein, das konnte die Kopenhagener Klimakonferenz nur zu einem Scheitern führen", folgert RENMIN RIBAO aus Peking.

Der österreichische STANDARD betrachtet die Rolle der Europäischen Union:
"Es war ein Klimagipfel ohne nennenswerte Erwähnung der EU. Die Union hat ihre Klimaziele vor langem festgelegt, im Oktober dann noch den Start-up-Fonds für die Entwicklungsländer beschlossen. Aber dann? Warten auf die Big Players, auf US-Präsident Barack Obama, anstatt die Führungsrolle zu übernehmen. Stattdessen hat sich die Union lange auf die Position zurückgezogen, die alle anderen auch eingenommen haben: Wir machen nur noch etwas, wenn ihr euch auch bewegt", notiert DER STANDARD aus Wien.

"Eigentlich ist es eine Farce", heißt es im LUXEMBURGER WORT.
"Die politischen Führer der Welt tun sich schwer, gemeinsam eine verbindliche Strategie zu definieren, die den Planeten in einer längerfristigen Perspektive vor schrecklichen Katastrophen schützen soll. Es wird gezankt, um Prozente gefeilscht und um konkrete Vorgaben in einem bestimmten Zeitrahmen gestritten. Die Folge sind Negativschlagzeilen, so weit das Auge reicht. Kopenhagen – ein Fiasko? Nein: Allein die Präsenz von über 100 Staats- und Regierungschefs zeigt, dass multilaterale Ansätze in wesentlichen Fragen durchaus eine Chance haben können. Nur dürfen solche Treffen nicht zum Kräftemessen zwischen Arm und Reich oder zum Austragungsort hegemonialer Interessenskonflikte werden. Die Welt braucht pragmatische und kohärente Lösungen für dringende Probleme. Banken wurden auf eben diese Weise gerettet", erinnert das LUXEMBURGER WORT.

Das Fazit der argentinischen Zeitung CLARIN fällt so aus:
"Zwei Wochen wurde in der dänischen Hauptstadt verhandelt, aber die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück. Dabei war es schon ein Gewinn, dass es überhaupt zu diesem Treffen kam - bedenken wir, welche Politik die USA unter Bush noch verfolgten. Und allen Enttäuschungen über die Verhandlungsführer zum Trotz hat die Entwicklung bereits eine Eigendynamik erhalten. Wir stehen am Ende des fossilen Zeitalters und sind auf der Suche nach alternativen Energiequellen. Der Gipfel hat aber vor allem gezeigt, welche Spannungen zwischen armen und reichen Ländern bestehen: Niemand will auf Wachstum verzichten. China will nicht zulassen, dass eine internationale Organisation seine Industrie überprüft, und Indien will seinen Energieverbrauch nicht reduzieren, solange große Teile seiner Bevölkerung noch nicht einmal Strom haben. Kerzenschein wird hier nicht als Lösung akzeptiert." So weit CLARIN aus Buenos Aires.

** Quelle: Deutschlandfunk, 19. Dezember 2009; www.dradio.de


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