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Vom Klima- zum Systemwandel

Erstmals finden wichtige Klimadebatten außerhalb des UN-Prozesses statt

Von Susanne Götze *

Nicht das Klima, der Kapitalismus ist das Problem. Das ist die Botschaft der südamerikanischen Staatschefs Evo Morales und Hugo Chávez beim größten alternativen Klimagipfel, den es je gab.

Zur »Weltkonferenz der Völker« in Cochabamba haben nicht die Völker eingeladen, sondern die bolivianische Regierung: Auf der gescheiterten Klimakonferenz in Kopenhagen vor vier Monaten kündigte Präsident Evo Morales das Alternativtreffen an, das ohne die UNO, ohne die USA und ohne Kapitalisten stattfindet.

In der dänischen Hauptstadt glänzten Morales und sein venezolanischer Kollege Hugo Chávez mit Systemkritik: Beide waren als erste Staatschefs nach Kopenhagen gereist und schreckten die Gipfelteilnehmer gleich am ersten Tag mit glasklaren Botschaften: »Nieder mit der imperialistischen Diktatur«, stimmte Chávez an. Ihm gehe es nicht primär um die Klimafrage, sondern um die Überwindung des Kapitalismus: »Die kapitalistische Produktionsweise ist dabei, unseren Planeten zu zerstören«, so Chávez auf dem UN-Gipfel. Auch Morales wurde nicht müde zu betonen, dass »weder das Leben noch der Planet Erde einen Preis haben«. Beide Staatschefs kritisierten, dass das kapitalistische System die »Mutter Erde« zu einer Ware mache. Ebenso wie die sozialen Probleme sei der Klimawandel das traurige Ergebnis des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Mit ihrer Kritik standen die sozialistischen Staatschefs auf dem Klimagipfel allerdings weitgehend allein da, schließlich gelten Maßnahmen wie der Emissionshandel der UN und nicht der Sozialismus als wichtigste Instrumente zur Klimarettung. Nur vor den Toren des Verhandlungszentrums, in den Reihen der Klimaaktivisten, fanden Morales und Chávez viele Unterstützer. Mit ihnen zusammen sollen nun in Bolivien »Initiativen zur Rettung der Menschheit« gesucht werden, wie es Morales im Vorfeld des Gipfels betonte. Bei Alternativen waren die beiden Staatschefs aber in Kopenhagen auch noch sehr vage geblieben: Chávez erklärte auf einer Pressekonferenz, dass er die Erde mit Aufforstung retten wolle, und Morales appellierte daran, dass die westliche Welt ihren Lebensstil ändern müsse. Der bolivianische Klimabeauftragte Pablo Solon ist dagegen optimistisch, dass man sich bei dem Alternativgipfel auf konkrete Lösungsvorschläge einigen werde. Er hofft sogar, diese dann in den UN-Prozess mit einzubringen.

Eines ist sicher: Die Teilnehmer haben längst die Geduld mit den von der UNO geleiteten Klimaverhandlungen verloren. Beklagt werden nicht nur die Dominanz der USA und die kapitalistischen Lösungsansätze, sondern auch, dass einfach nichts herauskommt. Das letzte Treffen in Bonn vor zwei Wochen hat die Gräben zwischen westlichen Staaten und Teilen der armen Länder weiter aufgerissen: Streit gab es um den »Copenhagen Accord« - das magere Abschlussdokument des UN-Gipfels war nur zur Kenntnis genommen worden und schreibt keine verbindlichen Maßnahmen fest. Während die US-Delegation den Entwurf als »einen Meilenstein« bezeichnete, wollen Länder wie Bolivien, Venezuela und auch afrikanische Staaten nicht unterschreiben. Sie kritisieren nach wie vor, dass es kein demokratisches Verfahren gegeben habe. Die USA wollen das Dokument nun auf Biegen und Brechen zur Grundlage weiterer Verhandlungen machen und drohen den widerspenstigen Staaten: So macht Washington die Unterzeichnung des Papiers nun zur Bedingung für die Auszahlung der Klimahilfen an arme Länder. Erpressung, sagen die Betroffenen. Boliviens Delegationsleiter Solón bestätigte in Bonn, dass die USA dem lateinamerikanischen Land die zugesagten Klimahilfen in Höhe von drei Millionen US-Dollar verweigern.

In Cochabamba wollen die »Abtrünnigen« zeigen, wie »wahre Demokratie« aussieht. Ob dies auf die UN-Verhandlungen wirkt, ist zweifelhaft. Immerhin sagt das UN-Klimasekretariat, dass es auch bei den Gipfeln nicht demokratischer zugehen kann - schließlich herrscht in den Verhandlungen offiziell das Konsensprinzip.

* Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010


»Wir brauchen ein neues Entwicklungsmodell«

Jorge Cortés über die Erwartungen an den alternativen Klimagipfel

Jorge Cortés ist Direktor des Studienzentrums für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte CEADESC. CEADESC hat seinen nationalen Sitz in Cochabamba, ist Bündnispartner der indigenen und sozialen Bewegungen in Bolivien und an der Vorbereitung und Durchführung des Klimagipfels beteiligt. Mit Cortés sprach in Cochabamba für das Neue Deutschland (ND) Andreas Behn.

ND: Boliviens Präsident Evo Morales hat Regierungen und soziale Bewegungen zu einer »Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde« eingeladen. Welches Ziel hat dieser alternative Klimagipfel?

Cortés: Evo Morales geht es einerseits darum, demonstrativen Rückhalt seitens der sozialen Bewegungen für seine Haltung zum Klimawandel zu bekommen. Andererseits möchte er die Allianz der Entwicklungs- und Schwellenländer in der Klimafrage stärken. Dabei geht es konkret um die Verhandlungen auf der nächsten UN-Klimakonferenz COP 16 in Mexiko. Die Industriestaaten stehen unter Druck, einen größeren Beitrag zur Senkung der klimaschädlichen Emissionen zu leisten. Darüber hinaus fordern die Länder des Südens das Eingeständnis einer ökologischen Schuld seitens des Nordens, Technologietransfer im Umweltbereich sowie finanzielle Vorleistungen zur effektiven Begrenzung der Emissionen. Die bolivianische Regierung teilt diese Positionen, benötigt aber eine globale soziale Basis, um diesen Forderungen auf internationalem Parkett Nachdruck zu verleihen.

Sie waren vergangenes Jahr in Kopenhagen und erlebten das Scheitern der UN-Klimakonferenz COP 15. Kann Cochabamba Einfluss auf die Verhandlungen der COP 16 in Cancún nehmen?

Es waren just die Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, die einen Konsens in Kopenhagen verhindert haben. Es fehlen nur noch wenige Monate bis zur COP 16, und nach wie vor gehen die Positionen weit auseinander. Das bedeutet, dass die öffentliche Meinung in Europa und in den USA Druck auf ihre Regierungen ausüben muss, damit diese eine Position einnehmen, die mit den Interessen der gesamten Welt übereinstimmen. In Cochabamba wird eine Abschlusserklärung in diesem Sinne formuliert werden.

Wie wurde die Initiative eines alternativen Gipfeltreffens von Regierungen und Bewegungen aufgenommen?

Es haben sich mehr als 15 000 Menschen aus über 100 Ländern zur Teilnahme an dem Gipfel eingeschrieben. Rund 70 Staaten haben offizielle Delegationen entsandt, die Präsidenten von Ecuador, Paraguay, Venezuela und Nicaragua haben zugesagt.

Und die westlichen Industriestaaten?

Aus den Industriestaaten werden vor allem Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft erwartet. Auch wenn einige offizielle Delegationen beispielsweise aus Frankreich und den skandinavischen Ländern kommen werden, sind die Regierungen als solche kaum vertreten. Die meisten hochrangigen Delegationen kommen aus Lateinamerika und Afrika. Das zeigt, wie schwer es ist, die Meinung in den Industriestaaten zu beeinflussen.

Der Gipfel von Cochabamba besteht aus einem offiziellen Teil mit 17 Arbeitsgruppen, deren Ergebnisse in die Abschlusserklärung eingehen werden. Der inoffizielle Teil umfasst eine Vielzahl von Veranstaltungen, die von Basisorganisationen aus aller Welt angeboten werden. Inwiefern wurden die sozialen Bewegungen Boliviens an den Ausarbeitung des Programms beteiligt?

Die indigenen und sozialen Bewegungen haben eine Vorkonferenz einberufen, auf der alle 36 Ethnien Boliviens eine Erklärung über indigene Rechte formuliert haben. Trotz der kulturellen Unterschiede bestand Einigkeit darüber, dass das Recht auf Selbstbestimmung, die Anerkennung ihres Lebensraums und das Nutzungsrecht über die Bodenschätze derzeit die wichtigsten gemeinsamen Forderungen sind. Darüber hinaus gab es in den vergangenen Wochen virtuelle Diskussionsgruppen zu allen 17 Themenblöcken - darunter Ernährungssouveränität, Biodiversität Schutz des Wassers, Abholzung bis hin zu den Vorschlägen, ein internationales Klimatribunal und ein Weltreferendum über Maßnahmen gegen den Klimawandel einzuberufen.

Boliviens Regierung hat verhindert, Themen wie den Bau von Megaprojekten und den Umgang mit Rohstoffen auf die Agenda zu setzen. Soll eine Diskussion über Widersprüche im Regierungsprogramm unterbunden werden?

Während des Wahlkampfs für den jüngsten Urnengang Anfang April hat sich die Regierung für die Umsetzung von Großprojekten wie Staudämme, Infrastrukturmaßnahmen und Förderung fossiler Energiequellen stark gemacht. Diese Haltung steht im Widerspruch zu einer kohärenten Politik zur Begrenzung der Erderwärmung und des Klimawandels. Dieser Gipfel wird dazu dienen, den Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft über strittige Themen zu vertiefen und eventuell die Ausrichtung des Entwicklungsmodells auf ökologisch fragwürdige Megaprojekte zu korrigieren.

Gilt dieser Optimismus auch für Brasilien, wo die Regierung von Präsident Lula viele umstrittene Megaprojekte durchsetzt?

Im Gegensatz zu Bolivien, wo angesichts der politischen Umwälzungen der vergangenen Jahre kein breiter Konsens über das Entwicklungsmodell herrscht, existiert in Brasilien eine langjährige, parteiübergreifende Politik, die dieses konservative Entwicklungsmodell untermauert. In meinen Augen ist das Vorgehen Brasiliens die größte Bedrohung für die Amazonasregion, und kleine Länder wie Bolivien oder Ecuador sind der industriellen Expansion Brasiliens wehrlos ausgesetzt. Nur eine breite internationale Bewegung, die ihre Basis auch in Brasilien hat, kann diesen Prozess aufhalten.

** Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010

Widerstand gegen Megaprojekte

Von Gerhard Dilger, Cochabamba ***

Im Flugzeug von Boliviens Regierungssitz La Paz nach Cochabamba sind wider Erwarten etliche Plätze leer - die Vulkanwolke über Europa hat dort vielen Reisewilligen, aber auch Aktivisten aus Afrika und Asien einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Nicht betroffen ist der südafrikanische Umweltanwalt Cormac Cullinan, der schon in Kopenhagen die Bolivianer beraten und auf deren Bitte in den letzten Monaten einen Entwurf für eine Charta der Naturrechte ausgearbeitet hat. »Cochabamba ist eine aufregende Veranstaltung«, freut sich Cullinan, sowohl in der Mischung zwischen Regierungen und sozialen Bewegungen als auch zwischen den Diskursen aus Lateinamerika und jenen der übrigen Welt«. »Wir müssen eine gemeinsame Sprache finden«, meint Edgardo Lander aus Venezuela. »Wichtig ist zudem die Stärkung der Netzwerke zur Umweltgerechtigkeit - und dass Strategien entwickelt werden, die tatsächlich die Klimaverhandlungen auf dem Weg nach Cancún beeinflussen können«.

In Cochabamba selbst waren bereits am Sonntag Tausende Gipfelteilnehmer eingetroffen. Viele von ihnen hatten bereits an der Aktionswoche zu »Zehn Jahre Wasserkrieg« teilgenommen, bei der an den Rauswurf des US-Wassermultis Bechtel im April 2000 erinnert wurde. Besonders heftig wurde über die Einrichtung der umstrittenen »Arbeitsgruppe 18« debattiert, die die bolivianischen Regierung aus der offiziellen Gipfelagenda verbannt hatte.

In diesem Kreis geht es vor allem um die Kritik an jenen Megaprojekten, die in Bolivien vorangetrieben werden - vom Bau von Fernstraßen durch Naturschutzgebiete über die Verseuchung von Flüssen durch Minenprojekte bis hin zu Erdölexplorationen im Amazonasgebiet. Die Redner beanstanden vor allem, dass solche Vorhaben über die Köpfe der betroffenen Gemeinschaften durchgezogen warden. Rafael Quispe vom Indígenarat CONAMAQ wendet sich gegen den Entwicklungswahn im Kapitalismus wie im »Sozialismus « und fordert, die Beschlüsse der Basis in Cochabamba sollten für die Regierung Evo Morales bindend sein.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. April 2010




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