Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bewaffnete Konflikte künftig wahrscheinlicher? Die möglichen Folgen des Klimawandels für die internationale Sicherheit

Von Jerry Sommer. Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator):

Klima-Gipfel in Kopenhagen - es geht darum, die weitere Erwärmung der Erde zu begrenzen. Die Folgen wären nämlich verheerend. Der Meeresspiegel würde steigen, die Zahl der Dürren zunehmen. Drohen aber auch mehr Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen? Jerry Sommer über mögliche Zusammenhänge:

Manuskript Jerry Sommer

In den USA wird der Klimawandel schon seit längerem auch als ein Sicher-heitsproblem angesehen. Hochrangige ehemalige Militärs hatten schon 2007 in einer Studie den Klimawandel zu einer Bedrohung der Nationalen Sicherheit der USA erklärt. Die globale Erderwärmung würde Armut, Ressourcenkonflikte, Staatszerfall und massenhafte Migration fördern. Auch der Terrorismus würde gestärkt werden. Diese Befürchtungen werden inzwischen von einflussreichen US-Politikern geteilt. Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des US-Senates und Obama-Vertraute, John Kerry:

O-Ton John Kerry (overvoice)
"Nirgends ist der Zusammenhang zwischen den heutigen Bedrohungen und dem Klimawandel deutlicher als in Südostasien - der Heimat von Al Qaida und der terroristischen Bedrohung."

Denn dort, so Kerry, würde der drohende Wassermangel ohnehin schwache Staaten wie Pakistan destabilisieren und damit den Nährboden für Terroristen vergrößern.

Das US-Militär beschäftigt sich mit dem Klimawandel nicht nur vor dem Hintergrund möglicher neuer Einsatz-Szenarien. Durch die zahlreichen ausländischen Militärstützpunkte könnte die Einsatzfähigkeit der US-Streitkräfte auch direkt beeinträchtigt sein, zum Beispiel durch den ansteigenden Meeresspiegel. Senator John Kerry:

O-Ton John Kerry (overvoice)
"Diego Garcia, die Insel im Indischen Ozean und ein unerlässliches Drehkreuz für unsere militärischen Operationen im Mittleren Osten, liegt nur wenige Fuß über dem Meeresspiegel."

Zweifellos wird der Klimawandel tiefgreifende Auswirkungen auf alle Seiten des menschlichen Lebens in der ganzen Welt haben - diese werden umso stärker sein, je weniger es gelingt, sich international auf weitreichende Ziele zur Reduzierung der CO ² -Emissionen zu einigen. Denn unstrittig ist, dass der Klimawandel zur Erderwärmung und einem Anstieg des Meeresspiegels führen wird, zum Rückgang von Gletschern und Eisgebieten, zur Ausbreitung von Dürrezonen und zur Zunahme von Stürmen und Unwettern. Diese Entwicklung wird erhebliche Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Menschen haben. Es drohen Risiken für Landwirtschaft und Ökonomie, zunehmende Verteilungskonflikte, umweltbedingte Migration und Zerfall beziehungsweise Destabilisierung von Staaten.

Doch macht das den Klimawandel zum Sicherheitsproblem, zu einer Bedro-hung für die internationale Sicherheit und den internationalen Frieden?

Manche behaupten dies, weil sie damit die Notwendigkeit tiefgreifender Klimaschutzmaßnahmen unterstreichen wollen, sozusagen in guter Absicht. Trotzdem hält Michael Brzoska, der Direktor des Hamburger "Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" diese Argumentation für be-denklich. Denn ob der Klimawandel überhaupt zu einer Bedrohung des internationalen Friedens und der nationalen Sicherheit der USA oder auch Europas werde, sei seriös noch nicht vorauszusagen. Denn alternative Handlungsmöglichkeiten sind vorhanden. Die Prognosen über den Klimawandel und seine Auswirkungen auch auf die besonders betroffenen Regionen Afrikas, Südasiens und Lateinamerikas sind bekannt. Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
"Deswegen ist meine Ansicht, dass man den Schwerpunkt momentan darauf richten sollte, erstens natürlich den Klimawandel in Grenzen zu halten, und zweitens die Adaptionsfähigkeit von Gesellschaften, die durch den Klimawan-del besonders bedroht sind zu stärken, auch die Konfliktbearbeitungsmecha-nismen zu stärken. Dann werden wir, glaube ich, kein großes Sicherheitsproblem bekommen."

Die Prognosen über die Veränderungen der Temperaturen, Regenmengen, des Meeresspiegels und über Eisschmelzen sind verhältnismäßig exakt. Weniger eindeutig sind Vorhersagen über soziale Folgen. Denn diese sozialen Auswirkungen werden durch die Anpassungsfähigkeit sowie die Anpassungswilligkeit der Individuen und Gesellschaften mit ihren jeweiligen Machtstrukturen entscheidend beeinflusst.

Zum Beispiel ist empirisch festzustellen, dass bei Konflikten um Wasser aus Flüssen, die mehreren Staaten als Reservoir dienen, in der überwiegenden Anzahl der Fälle die Kooperation überwiegt und nicht die Konfrontation.

Auch führen Umwelteinflüsse wie Trockenheit nicht automatisch zu Krieg und Gewalt. Dafür ist der Darfur-Konflikt mit seinen inzwischen über zweihunderttausend Todesopfern und über zwei Millionen Flüchtlingen ein Beispiel. Zweifellos hat dort die Dürre zu Wassermangel, Nahrungsmittelknappheit und Hunger geführt und damit auch Spannungen zwischen Nomaden und Bauern verstärkt. Doch entscheidend für den Bürgerkrieg war und sind die politische und wirtschaftliche Ausgrenzung einer ganzen Region und Bevölkerungsgruppe durch die sudanesische Elite sowie die Brutalität, mit der die herrschende Clique ihre Privilegien zu verteidigen versucht. Unter ähnlichen Umwelteinflüssen haben viele andere Regionen des südlichen Afrikas zu leiden, ohne dass es dort zu gewalttätigen Konflikten kommt. Annahmen, dass der Klimawandel notwendigerweise zu mehr bewaffneten Konflikten führen müsse, sind empirisch nicht haltbar.

Ähnliches gilt auch für Szenarien, nach denen der Klimawandel zu Millionen von Umweltflüchtlingen führen wird. Die Zahl der in den nächsten vier Jahr-zehnten zu erwartenden Umweltflüchtlinge schwankt je nach Studie erheblich - zwischen 200 Millionen und einer Milliarde Menschen. Doch ein Zusammenhang zwischen Migration und bewaffneten Konflikten lässt sich nicht belegen. Natürlich ist festzustellen, dass es in der Vergangenheit in Folge von Migration auf lokaler oder regionaler Ebene zu gewalttätigen und zum Teil bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen ist. Ein Beispiel erläutert die Konfliktforscherin Andrea Warnecke vom Internationalen Konversionszentrum in Bonn:

O-Ton Warnecke
"Klassisches Beispiel ist ja Ruanda, wo ehemalige Kämpfer oder die Täter des Genozid nach Burundi und in andere Flüchtlingslager migriert sind oder sich da mit den Flüchtlingen vermischt haben. Und es ist dann in den Flüchtlingslagern zu weiteren Konflikten und zu weiteren Massakern gekommen."

In diesem speziellen Fall war zudem nicht die Migration an sich Ursache für die Gewalttätigkeiten, sondern die ethnischen Spannungen, die die Flüchtlinge ins Nachbarland importiert haben.

Es gibt weitere Beispiele, die zeigen, dass Migration nicht notwendigerweise zu einem bewaffneten Konflikt führen muss. So hat 2004 der Tsunami - eine geologisch, nicht meteorologisch verursachte Naturkatastrophe - vorübergehend 20 Millionen Menschen in Asien zu Flüchtlingen gemacht. Auch dank der schnellen und umfassenden internationalen Hilfe, kam es jedoch zu keinen Gewaltausbrüchen.

Eine Bedrohung des internationalen Friedens durch umweltbedingte Migrati-onsströme vermag Konfliktforscherin Andrea Warnecke deshalb nicht zu er-kennen. Migranten vorrangig als Gefahr anzusehen, die auch Terrorismus und soziale Spannungen in die Industrieländer importieren könnten, hält sie für falsch:

O-Ton Warnecke
"Dabei steht nach meinem Dafürhalten in erster Linie die Sicherheit der Migranten, der Flüchtlingsgemeinschaften im Vordergrund. Das heißt, es wäre zu überlegen, inwieweit können staatliche, können lokale oder eben auch andere Akteure Mechanismen schaffen, um mit den befürchteten Problemen und Auswirkungen besser umzugehen."

Dabei ist zu beachten, dass Migration wegen Verwüstung oder Erhöhung des Meeresspiegels nicht auf einmal stattfindet, sondern sich in vielen kleinen Etappen vollziehen wird. Das ermöglicht, sich langfristig auf solche Wande-rungsbewegungen einzustellen. Vorliegende Analysen solcher Entwicklungen zeigen zudem, dass die meisten Migranten im eigenen Land bleiben oder höchstens in die Nachbarländer fliehen. Eine gerade veröffentlichte Studie der "Internationalen Migrationsorganisation" widerspricht deshalb auch der manchmal geäußerten Befürchtung, dass Millionen armer Menschen als Folge des Klimawandels in die reichen Länder kommen würden.

Den Klimawandel zum harten Sicherheitsproblem zu erklären und sich eventuell sogar mit möglichen militärischen Antworten zu beschäftigen, ist für Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik auch insgesamt gefährlich:

O-Ton Brzoska
"Ich halte es für kontraproduktiv, weil man damit dann möglicherweise Ressourcen, die man sonst eher für Klimavermeidung und Anpassung an Klima-wandel ausgeben sollte, für militärische Maßnahmen ausgibt. Insofern ist es meiner Meinung nach momentan falsch, schon über militärische Konsequen-zen aus den Klimawandel nachzudenken."

Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Sicherheit gibt es zweifellos, auch wenn manche Einschätzungen einseitig und übertrieben sind. Aber die Lösungsansätze liegen nicht im militärischen Bereich.

* Aus: NDR Forum "Streitkräfte und Strategien"; Sendetermin 12. Dezember 2009


Zurück zur "Klima"-Seite

Zur Seite "Konfliktbearbeitung"

Zurück zur Homepage