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Nach uns die Sintflut?

Wissenschaftler berieten über Sturmfluten und Klimawandel

Von Reinhard Schwarz, Hamburg *

Mit dem Klimawandel wird auch die Gefahr verheerender Hochwasserkatastrophen zunehmen. Das befürchten Naturwissenschaftler, die vergangene Woche auf einem internationalen Kongress in Hamburg ihre Erkenntnisse über Sturmfluten austauschten.

Die Küstenbewohner Norddeutschlands nennen ihn ehrfurchtsvoll »Blanker Hans«. Gemeint ist der todbringende Sturm, der immer wieder für zerstörende Fluten sorgte – zuletzt 1962, als in Hamburg die Deiche brachen und die dicht besiedelte Elbinsel Wilhelmsburg überflutet wurde. Mehrere hundert Menschen ertranken. Voraus ging ein Orkan. Zwar haben die nordeuropäischen Küstenanrainer durch jahrhundertelange bittere Erfahrungen mit Sturmfluten ein gewisses Know-how im Umgang mit Naturkatastrophen gewonnen, doch die Gefahren werden durch den steigenden Meeresspiegel infolge der Klimaerwärmung noch wachsen.

In der Universität Hamburg diskutierten in der vergangenen Woche Wissenschaftler aus 30 Ländern über das Thema Sturmfluten. Eingeladen hatte das Institut für Küstenforschung des GKSS-Forschungszentrums Geesthacht bei Hamburg.

Wie notwendig Prävention ist, zeigt das Beispiel des tropischen Wirbelsturms »Nargis«, der 2008 eine Spur der Verwüstung in Myanmar hinterließ. Rund 100 000 Menschen brachte der Zyklon den Tod. Besonders tief liegende Küstenregionen und Deltagebiete sind gefährdet, wie etwa das Beispiel des Hurrikans Katrina zeigt, der 2005 in New Orleans Deiche zerstörte und die Stadt unter Wasser setzte.

Dass Klimaerwärmung und zunehmende Sturmflutgefahr zusammenhängen, gilt den Wissenschaftlern inzwischen als gesicherte Erkenntnis. Und die Gefahr werde nicht geringer, warnte Hans von Storch, Leiter am GKSS-Institut für Küstenforschung: »Zwischen 2070 und 2100 sind Erhöhungen der maximalen Sturmwasserstände in der Größenordnung von drei bis elf Dezimetern entlang der gesamten deutschen Nordseeküste denkbar.« Bis etwa 2030 würde der gegenwärtige Küstenschutz in Norddeutschland noch ausreichen, schätzt von Storch. Für die Zeit danach seien neue Schutzmaßnahmen nötig. Nach uns die Sintflut?

Nicht nur Deltabewohner seien gefährdet, auch Küstenstädter müssten sich auf mehr Sturmfluten einstellen, sagte Robert Nicholls von der Universität Southampton: »Jüngste Schätzungen der OECD gehen davon aus, dass sich bis 2070 das Risiko, von einer Sturmflut getroffen zu werden, für die großen Hafenstädte weltweit vervielfachen wird.«

Derzeit arbeiten die Wissenschaftler an mathematischen Modellen, um Sturmfluten besser vorhersagen zu können. »Wir brauchen vor allem ein Frühwarnsystem«, sagte Nicholls. Bei den Berechnungen spielen auch Satellitendaten eine Rolle.

Ein weiteres Problem bestände aber darin, die Bevölkerung einer betroffenen Region rechtzeitig zu warnen. In technologisch weit entwickelten Ländern sei das meist kein Problem. Schlechtere Chancen hätten indes ärmere Bewohner tief liegender Küstenregionen. Doch das Beispiel des Hurrikans Katrina zeigt, dass auch hoch entwickelte Staaten von Naturkatastrophen nicht verschont bleiben und Missmanagement keine Domäne von »Entwicklungsländern« ist.

* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2010


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