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Klimaschutz nun ohne Kanada

Erster Staat steigt aus dem Kyoto-Protokoll aus

Von Kurt Stenger *

Genau einen Tag nach dem Ende des UN-Klimagipfels von Durban folgte die Ernüchterung: Kanada tritt als erster Staat aus dem Kyoto-Protokoll aus.

Die konservative Regierung Kanadas hat ihre Drohung wahr gemacht und den Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll erklärt. Umweltminister Peter Kent erklärte am Montagabend in Ottawa, das Klimaschutzabkommen von Kyoto sei für Kanada »ein Ding der Vergangenheit«. Sein Land mache von seinem Recht Gebrauch, sich formell von Kyoto zurückzuziehen. Im Kampf gegen die Erderwärmung seien nur rechtlich bindende Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase für alle Klimasünder sinnvoll.

Für die globale Klimaschutzpolitik ist dieser Schritt ein schwerer Rückschlag. Kanada ist nämlich der erste Staat, der aus dem 1997 geschlossenen und 2005 in Kraft getretenen Kyoto-Protokoll aussteigt. Darin verpflichteten sich 37 Industriestaaten (ohne die USA) zu verbindlichen Zielen zur Begrenzung der CO2-Emissionen. Die erste Verpflichtungsperiode begann 2008 und läuft Ende 2012 aus. Beim gerade zu Ende gegangenen UN-Gipfel in Durban einigten sich die Staaten darauf, das Kyoto-Protokoll fortzusetzen und bis 2015 einen neuen Vertrag abzuschließen, dem dann auch große Schwellenländer beitreten könnten.

China bezeichnete den kanadischen Ausstieg als »bedauerlich«. Der Schritt laufe »den Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zuwider«, erklärte Außenamtssprecher Liu Weimin am Dienstag. Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen erklärte, der Ausstieg Kanadas sei keine Überraschung. Für eine völkerrechtliche Bewertung sei es zu früh.

Tatsächlich hatte Kanada ähnlich wie Japan, Russland und Neuseeland schon länger angekündigt, dem Kyoto-Protokoll nach 2012 den Rücken kehren zu wollen. Der Grund liegt in einem Regierungswechsel: 2006 löste der konservative Premier Stephen Harper die liberale Vorgängerregierung ab, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnete und sich für dessen Reduktionsziele einsetzte. Dies hatten die Konservativen kritisiert mit dem Hinweis, man gefährde Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Für 2010 nahm die Regierung bereits das eigene Ziel der Reduzierung der CO2-Emissionen von 52 Millionen auf fünf Millionen Tonnen zurück und senkte die Ziele auch für die Folgejahre.

Unter den Kyoto-Staaten liegt Kanada am weitesten von seinen Verpflichtungen entfernt. Diese sehen bis Ende 2012 eine Senkung des Treibhausgasausstoßes im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um sechs Prozent vor. Nach jüngsten Angaben des UN-Klimasekretariates schlug Ende 2009 indes ein massiver Anstieg um gut 17 Prozent zu Buche. Die Erreichung des Kyoto-Ziels ist daher schier unmöglich, zumal nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise die Wirtschaft auch in Kanada in den letzten beiden Jahren wieder boomte. Aus diesem Grund müsste das Land eigentlich Emissionszertifikate in gewaltigem Umfang zukaufen, was Milliardensummen verschlinge würde, oder wäre verpflichtet, in einer zweiten Kyoto-Periode zusätzliche Reduktionsziele zu erfüllen.

Das Land zählt - wegen der Abholzung von Wäldern und der Teersandförderung der Erdölindustrie - zusammen mit den USA und Australien zu den Industriestaaten mit dem höchsten Pro-Kopf-Ausstoß bei Kohlendioxid. Darüber liegen nur noch die Ölscheichtümer am Persischen Golf.

Heftige Kritik übten auch Umweltverbände. »Das Verhalten der kanadischen Regierung ignoriert die globalen Herausforderungen des menschenverursachten Klimawandels«, kommentierte der WWF. Greenpeace-Expertin Anike Peters sprach von einem »Affront gegenüber der Staatengemeinschaft«. Nach Ansicht des Kieler Klimaforschers Mojib Latif beweist Kanadas Handeln das politische Versagen beim Klimaschutz. »Das Thema ist inzwischen weg von der Agenda der internationalen Politik«, sagte Latif im Bayerischen Rundfunk. Die Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestages, Eva Bulling-Schröter (LINKE), hält die Begründung Kanadas für »eine Frechheit«.

* Aus: neues deutschland, 14. Dezember 2011


Abschied vom Klimaschutz

Von Wolfgang Pomrehn **

Kanada stiehlt sich aus der Verantwortung. Der UN-Klimagipfel im südafrikanischen Durban war kaum zu Ende und die kanadische Delegation wieder zu Hause, da verkündete am Montag morgen in Ottawa Umweltminister Peter Kent den Ausstieg seines Landes aus dem Kyoto-Protokoll. In gewisser Weise ist das konsequent, wenn es auch für den internationalen Klimaschutz einen schweren Schlag darstellt. Kanada hatte sich auf dem Gipfel nicht nur gegen eine Verlängerung des in knapp 13 Monaten auslaufenden Vertrages ausgesprochen. Es hatte auch zuvor schon das Abkommen wie kein anderes Land mißachtet und seinen Ausstoß an Treibhausgasen hemmungslos gesteigert. Statt ihn gegenüber dem Bezugsjahr 1990 um sechs Prozent zu reduzieren, wie 1997 in Japans einstiger Kaiserstadt vereinbart worden war, hatte er 2009 um 30 Prozent zugelegt. 20 Tonnen CO2 und andere Klimagase emittieren Kanadier pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es elf Tonnen pro Kopf und Jahr, bei den viel gescholtenen Chinesen und Indern hingegen nur sechs bis sieben bzw. gar nur 1,7 Tonnen.

Hauptursache für den drastischen Anstieg der kanadischen Emissionen ist der Abbau sogenannter Teersände in der Provinz Alberta. Dort werden im großen Maßstab Flüsse umgeleitet und Urwälder abgeholzt, um diese Sände im Tagebau zu gewinnen. Mit enormem Aufwand wird das Gemisch aus Kies und Bitumen getrennt und letzteres mit Wasserdampf erhitzt, damit aus ihm Rohöl synthetisiert werden kann.

Der ganze Prozeß ist höchst energie- und damit auch emssionsaufwendig. Schätzungen gehen davon aus, daß 30 bis 40 Prozent der Energie, die am Ende in dem gewonnenen Rohöl gebunden ist, zunächst in seine Gewinnung gesteckt werden muß. Offensichtlich handelt es sich aber um ein gutes Geschäft, das sich die beteiligten Konzerne wie ExxonMobil (USA), Sinopec (China) oder Shell (Niederlande/Großbritannien) nicht verderben lassen.

Eine andere Frage ist, was die kanadische Entscheidung für den internationalen Verhandlungsprozeß bedeutet. Formal zunächst nicht viel. Kanada war nur eines von 193 Mitgliedern des Kyoto-Protokolls. Außerdem hatte es gemeinsam mit Rußland und Japan ohnehin bereits angekündigt, daß es bei der soeben in Durban beschlossenen Verlängerung ab 2013 nicht mitmachen wird.

Politisch ist der Schaden allerdings enorm, denn letzte Woche hatte Kanada noch zu den Ländern gehört, die bei den Klimaverhandlungen wieder einmal massiven Druck auf Indien und China ausübten und ihnen den Schwarzen Peter in Sachen Klimaveränderungen in die Schuhe schieben wollten. Ottawas Verhalten bestätigt somit das tiefe Mißtrauen der Schwellenländer gegenüber den Industriestaaten, wie auch die Klima-Referentin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Ann-Katrin Schneider, meint: »In Durban hatten sich China, Brasilien und Indien nach langem Ringen auf die Industrieländer zubewegt«, doch nun werde das mühsam errungene Vertrauen wieder aufs Spiel gesetzt. Schneider weiter: »Die anderen Industriestaaten und allen voran Europa müssen jetzt den Schwellen- und Entwicklungsländern verstärkt signalisieren, daß sie an ihrer Verantwortung für mehr Klimaschutz festhalten.« Mit neuen Kohlekraftwerken, wie sie in Deutschland immer noch gebaut werden, wird das allerdings kaum möglich sein.

** Aus: junge Welt, 14. Dezember 2011


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