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Klimamodelle liefern keine Wettervorhersage

Auch nach dem jüngsten Bericht des Weltklimarates geht der Streit um die Ursachen der Erderwärmung weiter

Von Wolfgang Pomrehn *

Zur Klimaforschung werden etliche Geschichten erzählt – einige inzwischen recht ergraut, vielfach widerlegt, aber immer wieder gerne hervorgeholt. Eine davon ist die von der vermeintlichen Pause, die die Klimaerwärmung seit 15 Jahren eingelegt habe. Hintergrund ist die Tatsache, dass es 1998 ein herausragend warmes Jahr gegeben hat, das seitdem nur noch geringfügig übertroffen wurde. Nur 2005, 2007 und 2010 waren etwas wärmer. Bildet man das Mittel über diesen Zeitraum, also von 1998 bis 2012, dann kommt nur ein Temperaturanstieg von 0,05 °C pro Jahrzehnt heraus. Wird hingegen ein längerer Zeitraum betrachtet, von 1951 bis 2012 etwa, dann ist in dieser Zeit die bodennahe Lufttemperatur um 0,12 Grad Celsius pro Jahrzehnt gestiegen.

Pausiert die globale Erwärmung also? Hat sie gar angehalten? Leider nicht. Zum einen sind Schwankungen von Jahr zu Jahr oder auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt normal. Sie sagen nichts über den langfristigen Trend aus. Zum anderen wissen wir unter anderem aus Satellitenmessungen, dass die Energiebilanz des Planeten aus dem Gleichgewicht ist. Es wird mehr Energie von der Sonne eingestrahlt, als wieder hinaus gelangt. Und wir wissen auch, wo der größte Teil dieser Energie bleibt: Er wird von den Ozeanen aufgenommen. Über 90 Prozent des Überschusses, heißt es im Ende September veröffentlichten Sachstandsbericht des UN-Klimarates IPCC, wird in die langsame Erwärmung des Ozeans geleitet. Die Erwärmung der unteren Atmosphäre ist also aus der Sicht des gesamten Klimasystems nur ein kleiner Nebeneffekt.

Dennoch wird das Fehlen spektakulärer Temperaturrekorde gerne als vermeintlicher Beleg für einen Irrtum der Klimaforscher angeführt. Mit der Realität hat das allerdings wenig zu tun. Klimamodelle sind gar nicht darauf ausgerichtet, den detaillierten Verlauf der Erwärmung zu prognostizieren. Sie funktionieren – notwendigerweise – nach einer anderen Logik als Wettervorhersagen. Letztere fragen danach, wie sich der Zustand der Atmosphäre von einem bekannten Punkt an weiterentwickelt. Mathematisch ist das ein Anfangswertproblem. Den Klimawissenschaftlern geht es hingegen um ein Randwertproblem, um eine Wenn-dann-Aussage: Was passiert, wenn man die Randbedingungen des Klimasystems verändert? Zum Beispiel die Lage der Kontinente, oder die Sonneneinstrahlung? Wie reagiert das Klimasystem, wenn die Konzentration von Spurengasen wie Kohlendioxid steigt, von denen wir seit den Versuchen des britisch-irischen Naturforschers John Tyndall vor gut 150 Jahren wissen, dass es langwellige Wärmestrahlung absorbiert?

Bei der Beantwortung dieser Frage kommt eine ganze Reihe von Wechselwirkungen zum Tragen, die in der Wettervorhersage keine Rolle spielen. Zum Beispiel: Wie verändert sich die Aufnahmefähigkeit der Ozeane für Kohlendioxid, wenn sie sich erwärmen? Wie viel Impuls, Wasserdampf und Wärmeenergie tauschen sie mit der Atmosphäre aus? Wie verändert sich die Vegetation, wenn Kohlendioxidkonzentration und Temperatur steigen? Nimmt sie dann mehr Kohlendioxid aus der Luft auf oder gibt sie welches ab? Tun das vielleicht die Böden, weil in einem wärmeren Klima der Humus schneller zersetzt wird? Und was passiert mit der Schnee- und Eisbedeckung in einem wärmeren Klima? Wie schnell zieht sie sich zurück, und in welchem Umfang verändert sich dadurch die Aufnahme der einfallenden Sonnenenergie?

Diese Fragen lassen sich, wie auch die physikalischen und chemischen Prozesse in der Atmosphäre, mathematisch formulieren und in Computern simulieren. Inzwischen gibt es damit gut 40 Jahre Erfahrung. In dieser Zeit ist nicht nur das empirische Wissen erheblich größer geworden, an dem die Hypothesen der Simulationen immer wieder überprüft werden können. Den Anfang machten einfache Atmosphären- und Ozeanmodelle. Vor rund 25 Jahren wagte man sich dann an die Kopplung der beiden Typen, und es dauerte ein paar Jahre, bevor diese kombinierten Modelle die physikalischen Austauschprozesse zwischen den beiden Sphären realistisch nachbildeten, ohne dass rabiat mit empirischen Korrekturfaktoren nachgeholfen werden musste. Später wurden verfeinerte Modelle der Kryosphäre, das heißt, der Welt des Schnees und Eises berücksichtigt. Inzwischen laufen erste Erdsystem-Modelle, die auch die Landoberflächen und die Biosphäre simulieren. Hier und da machen sich Entwickler sogar daran, ökonomische und soziologische Modelle mit einzubeziehen.

Doch welche Erkenntnis kann uns das am Ende bringen? Herauskommen können immer nur Aussagen über das Klima, also über den mittleren Zustand des Systems. Auf detaillierte Aussagen über das mitteleuropäische Wetter im Sommer 2098 oder auch nur die globale Temperatur in diesem Jahr wird man vergeblich warten. Die Modelle, das liegt in der Natur der simulierten Prozesse, machen nur Aussagen über den mittleren Zustand des Systems. Sie bilden zwar auch natürliche Schwankungen ab, können sie aber nicht vorhersagen. Das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Sie sollen vielmehr Auskunft darüber geben, wie sich Klimazonen verschieben und damit die Anbaubedingungen für die Landwirtschaft verändern, wie schnell der Meeresspiegel ansteigen könnte, mit welchen Verschiebungen von Niederschlagsgebieten wir rechnen müssen und ähnliches. Und diese Aufgabe erfüllen sie schon ganz gut. So gut, dass wir seit mindestens 25 Jahren wissen, dass wir die Emission von Treibhausgasen schleunigst runterfahren müssen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 5. Oktober 2013


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