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Klimapolitik: Kühle Köpfe, bitte

Von Bettina Dyttrich

Erst wollten alle voller Pathos den Weltuntergang verhindern, nun wird die gesamte Klimaforschung infrage gestellt. Den Klimawandel lässt das kalt.

Die Zeiten sind gut für «Klimaskeptiker». Für alle, die schon immer wussten, dass die Klimaerwärmung nur ein «manipulativ verlogenes Riesentheater» (so ein Leser im TA-Onlineforum) ist. Nicht nur das kalte Wetter kommt ihnen zugute: Das wichtigste wissenschaftliche Gremium zur Klimaerwärmung, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), steht seit Wochen heftig in der Kritik.

Schon seltsam: Der letzte IPCC-Klimabericht von 2007 wurde vor der Veröffentlichung von VertreterInnen fast aller Staaten der Welt begutachtet und abgeschwächt. Mehrere Passagen hinterliessen deshalb «einen schalen Beigeschmack», schrieb der «Spiegel» damals. Und nun gilt der gleiche Bericht plötzlich als übertriebenes «Katastrophenszenario» («Zeit Online»).

Verschwörungstheorien entlarvt

Der Grund: eine unseriös recherchierte Zahl. Sie könnte den Vorsitzenden des IPCC, den Inder Rajendra Pachauri, seinen Posten kosten. Im Klimabericht stand, dass 2035 ein grosser Teil der Himalajagletscher geschmolzen sein werde. Das kann nicht stimmen - doch statt den Fehler zuzugeben, schimpfte Pachauri erst mal über die Wissenschaftler­Innen, die darauf hinwiesen. Grund zur Freude hatten die «Klimaskeptiker» schon Ende 2009: Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen machten Hacker den E-Mail-Verkehr der Klimaforschungsabteilung (CRU) der University of East Anglia in Norwich öffentlich. Darin fand sich vieles, was sich als Beweis für eine wissenschaftliche Verschwörung auslegen liess.

Der britische «Guardian» hat den Mail-Verkehr in einer aufwendigen Recherche untersucht und die Verschwörungstheorie als Mythos entlarvt. Doch dahinter steckt eine Geschichte, die für das IPCC fast noch unangenehmer ist als die Sache mit den Himalajagletschern: Eine Arbeit zum Temperatur­anstieg in China, von CRU-Direktor Phil Jones und dem US-Wissenschaftler Wei-Chyung Wang 1990 veröffentlicht, steht offenbar auf sehr wackligen Füssen. Ein Teil der Originaldaten soll verschwunden sein, der Standort vieler Messstationen sei unklar. Auch diese Daten flossen in die Ausarbeitung des IPCC-Berichts von 2007 ein.

Was ist also passiert? Dass in einem über 3000-seitigen Bericht Fehler vorkommen, soll nun als Beweis für die Unzulänglichkeit nicht nur des Berichts, sondern der ganzen Klimaforschung gelten. Nach dieser Logik könnte die ETH zumachen: Auch sie hat schon Forschungsberichte mit falschen Daten veröffentlicht, wie letztes Jahr bekannt wurde. Wer glaubt, Forschung müsse zu hundert Prozent fehlerfrei sein, hat ein seltsames Bild von Wissen­schaft - und von WissenschaftlerInnen. Und genau hier liegt ein Teil des Problems. Rajendra Pachauri wurde wie Al Gore als Lichtgestalt, als Weltretter aufgebaut. Gemeinsam erhielten die beiden (Pachau­ri stellvertretend für das ganze IPCC) 2007 den Friedensnobelpreis.

Der seltsame Glamour, der das Thema in den letzten Jahren umgab - all die medienträchtigen Reisen nach Grönland, all die TV-Sendungen mit ihrer pathetischen Musik, der ganze Weltuntergangsnervenkitzel - schlägt jetzt zurück. Die Lichtgestalt Pachauri entpuppt sich plötzlich als gewöhnlicher Mensch mit finanziellen und Karriereinteressen, der erst noch ungeschickt kommuniziert.

Der Schaden ist angerichtet. «Zeit Online»-Redaktor Jürgen Krönig freut sich bereits: «Auch Europas Politiker dürften dankbar die Chance ergreifen, Abschied von einer Klimapolitik nehmen zu können, die Unmögliches verlangt und die Bürger gegen sie aufbringt.» Also weiter wie bisher, als gäbe es neben dem Klima nicht noch diverse weitere Probleme, von Peak Oil bis zu den radioaktiven Abfällen. Das kommt auch vielen GewerkschafterInnen ganz gelegen. Ihre Versprechen beruhen wie eh und je auf wachsendem Wohlstand. Wenn der Kuchen grösser wird, sind die Verteilungskämpfe weniger heftig, glauben viele noch immer - obwohl das seit Jahren nicht mehr stimmt.

Kindische Botschaften

Was jetzt nottäte, wäre eine nüchterne Diskussion. Damit ist nicht gemeint, den Blödsinn der Verschwörungstheoretiker­Innen zu glauben. Sondern die Klimaerwärmung als Realität anzuerkennen und trotzdem über Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. Ohne Glamour und ohne kindische Botschaften wie «Du kannst die Welt retten, wenn du den Geschirrspüler besser füllst». Wer jede kleinste Verhaltensänderung an ein Heilsversprechen knüpft, verkauft besorgte ZeitgenossInnen für dumm.

Harald Welzer, der mit «Klimakriege» eines der klügsten - und beängstigendsten - Bücher über mögliche Klimafolgen geschrieben hat, schlägt als Leitlinie eine «Kritik jeder Einschränkung der Überlebensbedingungen anderer» vor. Das heisst: Für unser Handeln soll ausschlaggebend sein, dass es nicht das Überleben anderer Menschen irgendwo auf der Welt gefährdet. Dies­e Leitlinie kommt in Zeiten des Klimawandels der Definition von «links» wahrscheinlich ziemlich nahe.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung, 18. Februar 2010

Aktuelle Meldungen

UNO will Weltklimarat von unabhängigem Gremium überprüfen lassen

Die Vereinten Nationen wollen den in die Kritik geratenen Weltklimarat (IPCC) von einem unabhängigen Gremium überprüfen lassen. Wie der Sprecher des UN-Umweltprogramms UNEP, Nick Nuttall, am Freitag auf der indonesischen Insel Bali mitteilte, soll der Klimarat, der wegen inhaltlicher Fehler und dem Vorwurf der Vertuschung von Daten zunehmend in der Kritik steht, "kontrolliert und gestärkt" werden. Die Mitglieder des Gremiums soll demnach von unabhängigen Wissenschaftlern ernannt werden.
AFP, 26. Februar 2010


UN-Klimachef legt sein Amt nieder

Der Chef des Weltklimarats (IPCC), Yvo de Boer, gibt sein Amt nach fast vier Jahren auf. Sein Rücktritt werde am 1. Juli in Kraft treten, sagte De Boer am Donnerstag der Nachrichtenagentur AP in Amsterdam. Fünf Monate später wollen die 193 UN-Mitgliedstaaten in Mexiko zu einem neuen Klimagipfel zusammenkommen, um ein neues Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase in Angriff zu nehmen. Beim Weltklimagipfel in Kopenhagen Ende Dezember konnte kein Durchbruch erzielt werden, was auch als persönlicher Rückschlag für De Boer gewertet wurde. Er erklärte jetzt allerdings, er habe sich schon vor dem Kopenhagener Treffen nach einer neuen Tätigkeit umgesehen, und seine Entscheidung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Ausgang des Gipfels.
AP, 18. Februar 2010


Schellnhuber unterstützt Forderung nach Reform von UN-Klimarat

Der einflussreiche deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber unterstützt die internationalen Forderungen nach einer grundlegenden Reform des von den Vereinten Nationen eingerichteten Weltklimarats (IPCC). In der "Süddeutschen Zeitung" vom Samstag legte Schellnhuber auch dem Vorsitzenden des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, den Rücktritt nahe. Der Klimarat war wegen inhaltlicher Fehler und dem Vorwurf der Vertuschung von Daten in die Kritik geraten. Schellnhuber hob aber hervor, die Kernaussagen des IPCC zum Klimawandel würden "durch die Schlampereien nicht beeinträchtigt".
AFP, 13. Februar 2010


Edenhofer: Pannenserie beim Weltklimarat

Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, wirft dem Weltklimarat gleich drei Fehler vor.

«Aussagen zur zukünftigen Gletscherschmelze im Himalaya wurden nachlässig recherchiert» und «das mögliche Ausmaß klimabedingter Ernteeinbußen in Afrika wurde durch das Fehlen ergänzender Informationen dramatisiert», schreibt Edenhofer in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Mittwoch). Zudem sei der Anteil der Landfläche in den Niederlanden, der unterhalb des Meeresspiegels liegt, falsch ausgewiesen worden.

Der Weltklimarat IPCC habe zu lange gebraucht, um diese Fehler offen einzuräumen und nach Wegen zu suchen, wie sie künftig vermieden werden können. Das «Zaudern» habe nun eine Debatte um die Zukunft des IPCC entfacht, die «schmerzhaft, aber dennoch notwendig und nützlich ist». Der Klimarat sei weiterhin wichtig, der nächste Klimareport solle etwa die Rollen erneuerbarer Energien und der Verstädterung beleuchten.

Edenhofer verteidigt die Verwendung sogenannter grauer Literatur, die zuvor kritisiert worden war. Diese Literatur stammt etwa von Organisationen oder Unternehmen und nicht aus dem klassischen Wissenschaftsprozess. Viele für den Weltklimarat relevante Daten sind laut Edenhofer jedoch nur als graue Literatur verfügbar, etwa die Daten der Weltbank oder der Internationalen Energieagentur.

«Aber auch technische Daten zu Pilotprojekten, beispielsweise zur Ozeanenergie, werden nur von Unternehmen bereitgestellt...», berichtet der Ökonom. «Will der Weltklimarat relevant sein, so muss er - auch aus Gründen der Aktualität - auf diese Daten zurückgreifen können.» Allerdings sollte die graue Literatur als solche ausgewiesen und kritisch überprüft werden.

Nach Ansicht Edenhofers wird die Diskussion in den kommen Wochen den Weltklimarat stärken. «Bei aller Kritik hat er sich immer als lernfähig erwiesen.» Dem Gremium komme auch künftig eine große Bedeutung zu: «Der Weltklimarat soll Politik und Gesellschaft ermächtigen, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie vernünftige Antworten auf den Klimawandel gefunden werden können. Es lohnt sich, die Arbeit des Weltklimarates zu verbessern und seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.»

dpa, 10. Februar 2010




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