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CO2-Ablasshandel nicht zielführend

UN-Klimagipfel in Cancún geht in die Schlussphase – kleine Fortschritte und viele Fragezeichen / Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger fordert wirksamen Klimaschutz ohne Schlupflöcher

UN-Klimaschutzkonferenz im mexikanischen Cancún in entscheidender Phase
In Cancún streiten die Regierungen über die Frage, ob ein neues Klimaabkommen das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll fortschreiben soll, in dem sich die Industrieländer zur Reduktion ihrer CO2-Emissionen verpflichtet haben. Oder ob ein ganz neues Abkommen nötig ist, das auch Entwicklungs- und Schwellenländer einbezieht und eher auf Freiwilligkeit setzt. Ein »Kyoto II« wäre für Hubert Weiger die bessere Wahl. Mit dem Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der als Beobachter in Cancún ist, sprach für das Neue Deutschland (ND) Andreas Knobloch.

Gipfel-Beobachter auf den Fluren des Konferenzzentrums in Canc&# Gipfel-Beobachter auf den Fluren des Konferenzzentrums in Cancún Foto: AFP

ND: Schon im Vorfeld waren die Erwartungen an eine substanzielle Einigung in Cancún eher gering. Die Stimmung scheint sich mit der Weigerung Japans, einer zweiten Phase des Kyoto-Protokolls zuzustimmen, noch verschlechtert zu haben. Wie sieht es aktuell aus?

Weiger: Das Votum Japans contra Kyoto-Protokoll war eine böse Überraschung. Vor allem weil sich Tokio mit dem nach einer japanischen Stadt benannten Abkommen immer geschmückt hat. Das Ganze lässt sich nur erklären, wenn man sich die hohen CO2-Emissionen Japans ansieht. Diese sollen bis 2012 um sechs Prozent gegenüber 1990 sinken, aber sie stagnieren im besten Fall. Da kommen die verpflichtenden Regeln des Kyoto-Protokolls ungelegen. Japan fürchtet außerdem die Konkurrenz Chinas, dabei liegen dort riesige Märkte für erneuerbare Energien, auch für Japan. Vorteilhaft ist das strikte Beharren der Entwicklungsländer auf Weiterführung von Kyoto. Wenn sich die anderen Industriestaaten einschließlich der EU ebenso konsequent verhalten, wird es ein Kyoto-Anschlussabkommen geben. Wenn noch nicht in Cancún, dann in einem Jahr in Südafrika.

Gibt es überhaupt Fortschritte?

Die Staaten sind nach Kopenhagen extrem bemüht, eine positive Atmosphäre zu schaffen und in den Verhandlungen voranzukommen. So gibt es unter anderem Fortschritte und Kompromissvorschläge beim globalen Waldschutz, bei der Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländern oder auch bei der CO2-Ziele- und -Reduktionsdebatte. Kompromisse und Einigungen sind aber noch nicht unbedingt gut für das Klima. So wird zum Beispiel seitens einiger Industriestaaten versucht, die Bilanzierung der Waldemissionen zu verfälschen. Und die USA wehren sich massiv gegen verbindliche Ziele und erlauben so anderen Industriestaaten, sich dahinter zu verstecken. Nur wenn dies zurückgewiesen wird und die anderen Themen in akzeptable Ergebnisse münden, dann würde der BUND die Cancún-Konferenz positiv bewerten.

Wo hakt es am meisten?

Wir und andere Beobachter, aber auch Vertreter von Entwicklungsländern, halten den derzeit praktizierten Klima-Ablasshandel mit CO2-Zertifikaten für nicht zielführend. Ein wirksamer Klimaschutz in den Industriestaaten muss ohne Schlupflöcher auskommen, mit denen sich CO2-Sünder wie die Kohlestrom- oder die Autoindustrie von mehr Klimaschutz in ihren Heimatländern freikaufen. Marktbasierte Instrumente wie der »Clean Development Mechanism« (Finanzierung von Umweltprojekten in Schwellen- und Entwicklungsländern, für die zusätzliche Verschmutzungsrechte gutgeschrieben werden, d. Red.) oder die In-Wert-Setzung des Waldes über REDD (finanzielle Entschädigung für Länder, die auf Rodungen verzichten, d. Red.) werden in Cancún noch stärker zum Non-Plus-Ultra des Klimaschutzes erklärt.

Diese Instrumente erfüllen aber nicht die Erwartungen. Vorteilhafter wäre der Ausbau marktunabhängiger Klimaschutzmaßnahmen über zusätzliche Fonds, Regulierungen und ambitionierte CO2-Minderungsziele aller Staaten. Wobei die Industrieländer mit verbindlichen Zielen von 45 Prozent bis 2020 vorangehen müssten, sonst weigert sich die übrige Welt zu Recht, ihre Entwicklungschancen beschneiden zu lassen.

Welche Erwartungen haben Sie an die letzten Verhandlungstage?

Jetzt müssen die Industriestaaten und die EU zeigen, dass sie die Lektion von Kopenhagen gelernt haben. Die Entwicklungs- und Schwellenländer lassen sich nicht mit faulen Kompromissen abspeisen. Vorreiter werden übrigens nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile haben, zum Beispiel mehr Arbeitsplätze bei erneuerbaren Energien und bei Energieeffizienz-Maßnahmen wie der Dämmung von Häusern. Deutschland und die EU müssen für das Kyoto-Protokoll kämpfen und zuhause endlich ihre Hausaufgaben beim Klimaschutz machen. Zudem gilt es, die Entwicklungsländer bei der Anpassung an den bereits stattfindenden Klimawandel und beim Weg in eine klimafreundliche Zukunft finanziell und technologisch stärker zu unterstützen. Beides ist bisher nicht der Fall.

Wann würden Sie von einem gescheiterten Gipfel sprechen?

Wir müssen die Ergebnisse an den Notwendigkeiten des globalen Klimaschutzes messen. Wenn Mensch und Natur nicht vor den Folgen eines aufgeheizten Klimas geschützt werden können, wäre auch Cancún ein Misserfolg. Entscheidend ist, ob die Industriestaaten ein generelles CO2-Minderungsziel bis 2020 vereinbaren und ob ein Plan erstellt wird, das auf den jeweiligen Staat bezogene Ziel auf das notwendige Maß zu erhöhen. Geschlossen werden müssen außerdem Schlupflöcher wie der Klimaschutz-Ablasshandel mit CO2-Zertifikaten. Viele dieser Fragen werden aber wohl erst nächstes Jahr beantwortet.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2010


Die Geister scheiden sich

UN-Klimaschutzkonferenz im mexikanischen Cancún in entscheidender Phase

Von Peter Clausing **


Mit dem Beginn der Beratungen auf Ministerebene hat am Dienstag nachmittag (7. Dez.) die entscheidende Schlußphase der UN-Klimaschutzkonferenz im mexikanischen Cancún begonnen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verlangte zum Auftakt einen »Durchbruch« beim Klimaschutz. Entsprechend den Spielregeln der Vereinten Nationen sind die Beschlüsse der 194 in Cancún verhandelnden Staaten im Konsens zu fassen, was kleine Länder davor schützt, über den Tisch gezogen zu werden.

Die Geister scheiden sich unter anderem an einem Nachfolgeabkommen zu dem 2012 auslaufenden Kyoto-Protokoll. In dem am 11. Dezember 1997 unterzeichneten Dokument, dessen Ratifizierung die USA bis heute verweigern, wurden den Industrieländern völkerrechtlich bindende Ziele zur Reduktion von Kohlendioxidemissionen auferlegt. Als der Vertreter Japans am 30. November in Cancún verkündete, daß sein Land die Unterschrift unter ein Nachfolgeabkommen verweigern würde, sahen einige Beobachter die Konferenz schon fast gescheitert. Rußland und Kanada schlossen sich der japanischen Haltung an. Bolivien, Ecuador und Venezuela hingegen kündigten an, daß sie überhaupt keinen Vertrag unterschreiben würden, wenn nicht das Kyoto-Abkommen verlängert würde. Die USA und teilweise auch die EU wollen ein neuartiges Abkommen, das Reduktionsziele für China und Indien mit einschließt. Dabei ignorieren diese Länder strikt, daß ihre CO2-Bilanz pro Kopf der Bevölkerung um ein Mehrfaches höher liegt als die von China oder gar Indien. Neben einem Rückschlag für den Klimaschutz hätte die Nichtfortführung des Kyoto-Protokolls aber auch Konsequenzen für den durch die UNO vermittelten Clean Development Mechanism, dem mit über zwei Milliarden Dollar Jahresumsatz zweitgrößten Markt für Emissionszertifikate. Es stehen also durchaus unterschiedliche Interessen hinter der gewünschten Weiterführung des Kyoto-Protokolls.

Am Montag (6. Dez.) brachte die Verhandlungsdelegation Pekings eine Verlautbarung in Umlauf, die den stockenden Verhandlungen eine neue Dynamik verlieh – wie nachhaltig, bleibt abzuwarten. Xie Zhenhua, der chinesische Chefunterhändler, erklärte, daß sein Land sich einer CO2-Begrenzung und den damit verbundenen Kontrollen stellen wolle und bereit wäre, das von China festgelegte Emissionsziel in einem offiziellen Beschluß der Klimakonferenz fixieren zu lassen. Die Volksrepublik wäre bereit, bis 2020 die Kohlendioxidmenge um 40 bis 45 Prozent reduzieren. Das bisherige verbale Bekenntnis der USA liegt hingegen nur bei 17 Prozent bis 2020, bezogen auf das Jahr 2005. China schlägt vor, über drei Stufen zu einem Kompromiß zu kommen: über eine zweite Verpflichtungsperiode von Kyoto für die Industrieländer, einen neuen Vertrag mit bindenden Zielen für jene Industrieländer, die in der Vergangenheit nicht dabei waren (d. h. die USA), und freiwillige Verpflichtungen für die Entwicklungsländer.

Die Fortführung von Kyoto ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Verhandlungspunkt. Seit 2005 wird von jenen Interessengruppen, die am Emissionshandel verdienen, versucht, die CCS-Technologie in die Beratungen mit einzubringen. Hinter der Abkürzung steht Carbon Dioxide Capture and Storage, also die geplante Abscheidung und Speicherung von CO2. In Cancún ist man nun kurz vor dem Abschluß eines faulen Kompromisses: CCS ja, aber nur wenn es sicher ist. Wer jedoch die Definitionsmacht darüber besitzt, läßt sich anhand der Auseinandersetzungen um Gentechnik und Atomkraft nachvollziehen.

Ein anderer kritischer Punkt der Verhandlungen ist die auch von Deutschland angestrebte Regelung zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern, kurz REDD genannt – ein weiterer Beitrag zur Globalisierung des Emissionshandels. Das globale kleinbäuerliche Netzwerk La Via Campesina und seine Verbündeten, die in Cancún eine alternative Konferenz abhalten und am 7. Dezember eine große Demonstration veranstalteten, sprechen sich ebenso vehement gegen das REDD-Programm aus wie die Regierung Boliviens. Das REDD-Programm hat, wie es Ana de Ita von der mexikanischen Nichtregierungsorganisation CECCAM auf einer Veranstaltung im Vorfeld des Klimagipfels ausdrückte, das Potential für einen »gigantischen Raub von indigenem und in Gemeinschaftsbesitz befindlichem Land«.

** Aus: junge Welt, 9. Dezember 2010


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