UNICEF fordert Verschrottung ausrangierter Waffen der Bundeswehr
Konferenz "Kleinwaffen - tödliche Weltplage"
Am 27. März 2001 fand in Berlin eine Konferenz von UNICEF und Friedrich-Ebert-Stiftung statt, die sich mit der Verbreitung und der Wirkung von Kleinwaffen befasste. Die Veranstaltung gehört zur Vorbereitung der ersten UN-Kleinwaffenkonferenz, die am 9. Juli 2001 in New York beginnen wird. Wir dokumentieren zunächst die Presseerklärung der Veranstalter und dann einen Auszug aus einem Artikel in der jungen welt, in dem kritisch die Haltung der Bundesregierung hinterfragt wird.
Sie töten täglich 500 Kinder/UNICEF fordert Verschrottung ausrangierter Waffen der
Bundeswehr / Konferenz "Kleinwaffen - tödliche Weltplage" von UNICEF und
Friedrich-Ebert-Stiftung
In Krisengebieten wie der Balkanregion trägt die massenhafte Verbreitung von Kleinwaffen
dazu bei, dass Konflikte immer wieder mit blutiger Gewalt aufflammen. Skrupellose
Waffenhändler verkaufen russische Kalaschnikows, deutsche G 3-Gewehre und andere
Kleinwaffen von einem Krisengebiet ins nächste. Im Vorfeld der ersten
UN-Kleinwaffenkonferenz im Juli in New York appelliert UNICEF an die Bundesregierung,
sich entschieden für eine schärfere Kontrolle des Waffenmarktes einzusetzen. "Dem
Geschäft mit dem Tod muss ein Riegel vorgeschoben werden. Wir dürfen nicht zusehen, wie
Jahr für Jahr Hunderttausende Menschen durch Kleinwaffen sterben," erklärte
UNICEF-Geschäftsführer Dietrich Garlichs heute während der Konferenz "Kleinwaffen -
tödliche Weltplage" in Berlin.
UNICEF und die Friedrich-Ebert-Stiftung diskutierten bei der Tagung mit Fachleuten und
Politikern über Maßnahmen gegen die tödliche Weltplage. UNICEF fordert die
Bundesregierung auf, bei der UN-Konferenz auf effektive Kontrollmechanismen zu drängen:
Produktion und Handel müssen stärker reguliert, private Waffenhändler überwacht werden.
Die Bundesregierung soll ein Signal setzen und Kleinwaffen, die im Zuge der
Bundeswehrreform ausrangiert werden, verschrotten, anstatt sie zu verkaufen.
Kinder als Zielscheibe
Kinder leiden unter der enormen Verbreitung tödlicher Kleinwaffen besonders. UNICEF
schätzt, dass allein in den letzten zehn Jahren zwei Millionen Mädchen und Jungen im Krieg
umgekommen sind. Die meisten starben durch den Einsatz von Sturmgewehren wie dem
russischen Kalaschnikow-Gewehr AK-47, dem deutschen Gewehr G-3 oder anderen
Gewehren und Maschinenpistolen aus Belgien, den USA und weiteren Staaten, die Waffen
heute in Lizenz produzieren. Etwa dreimal so viele Kinder wurden zusätzlich durch Schüsse
verletzt. UNICEF geht davon aus, dass weltweit über 500 Millionen Kleinwaffen existieren.
In Konfliktzonen wie der Balkanregion ist die alltägliche Präsenz der Waffen eine der
Hauptursachen dafür, dass Kinder ständig um ihr Leben fürchten müssen und in einer "Kultur
der Gewalt" aufwachsen. Sie werden oft nachhaltig traumatisiert. In Kambodscha hat
UNICEF festgestellt, dass Kinder noch als Erwachsene unter ihren Erfahrungen aus der von
Gewalt geprägten Zeit der Roten Khmer in den 70-er Jahren und den nachfolgenden
Konflikten leiden. Viele von ihnen haben nicht gelernt, ein geregeltes Familienleben zu führen
und Probleme ohne Gewalt zu lösen.
Im Jahr 2000 waren 50,4 Millionen Menschen in ihren Heimatländern oder im Ausland auf der
Flucht vor bewaffneter Gewalt. Und UNICEF schätzt, dass über 300.000 Kinder dazu
gezwungen werden, selbst als Soldaten mit der Waffe zu kämpfen. Wo Waffen den Alltag
prägen, leiden soziale Dienste wie Gesundheitsstationen, Schulen und
Entwicklungsprojekte. Internationale Hilfe wird aufgrund des Sicherheitsrisikos für die Helfer
oft unmöglich.
Kolumbien: Waffen prägen den Alltag
Ein besonders drastisches Beispiel für die Folgen der Kleinwaffenflut ist Kolumbien. In
keinem anderen Land sterben so viele Menschen durch Waffengewalt. Seit über 37 Jahren
tobt ein Bürgerkrieg, in den die kolumbianische Regierung, Guerillagruppen und
paramilitärische Einheiten verwickelt sind. Hinzu kommen Drogengeschäfte und weit
verbreitete Kriminalität. Eine von UNICEF und Partnerorganisationen in Auftrag gegebene
Studie belegt, dass neben der Bilanz von bisher 130.000 Toten durch die "politische Gewalt"
jährlich mindestens 20.000 Kolumbianer durch kriminelle Akte ums Leben kommen - in den
meisten Fällen durch Revolver, Pistolen oder automatische Gewehre.
Auffällig ist der hohe Anteil junger Gewaltopfer: Etwa jeder zehnte Tote ist ein Kind oder
Jugendlicher. Nach der Studie waren in Kolumbien zwischen 1998 und 1999 sogar 30
Prozent aller Opfer durch Schusswaffen zwischen 15 und 24 Jahre alt. Jedes Jahr werden
rund 1.000 Straßenkinder umgebracht, etwa 14.000 Kinder werden von den Kampfeinheiten
im Land als Soldaten missbraucht. Die Gewalt ist für viele Kinder zum "way of life"
geworden.
Stoppt Kleinwaffen!
Die erste "UN-Konferenz zum illegalen Handel mit Kleinwaffen in all seinen Aspekten" ist
eine Chance für die Staaten, gemeinsam gegen die massenhafte Verbreitung der Kleinwaffen
vorzugehen. UNICEF fordert die Bundesregierung dazu auf, in New York nachdrücklich für
wirkungsvolle Mechanismen zur Kontrolle und Reduzierung der Waffen einzutreten.
Regierungsvertreter werden vom 9. bis 20 Juli in New York über Maßnahmen zur Kontrolle
insbesondere des illegalen Handels und der weltweit tätigen Waffenhändler beraten. Beim
noch bis zum 30. März in New York tagenden Vorbereitungskomitee für die Konferenz geht
es unter anderem um den Entwurf für ein entsprechendes Aktionsprogramm.
UNICEF hat im Vorfeld der UN-Konferenz die Aktion "Stoppt Kleinwaffen!" gestartet. Über
100.000 Bürger unterstützen bereits mit ihrer Unterschrift den Appell an die
Bundesregierung:
-
Die Bundesregierung soll sich für die weltweite strengere Kontrolle der Produktion sowie
des legalen und illegalen Handels mit Waffen und Munition einsetzen.
- Private Waffenhändler müssen erfasst und stärker reguliert werden.
- Überschüssige Waffen - etwa aus ausrangierten Beständen der Bundeswehr - müssen
eingesammelt und vernichtet werden.
- Programme zur Entwaffnung und Wiedereingliederung von Soldaten - insbesondere Kindern
-
müssen gefördert werden.
Bei Rückfragen und Interviewwünschen wenden Sie sich bitte an die UNICEF-Pressestelle,
Christian Schneider, 0170/8518846 oder 0221/93650-234. Diese Presseinformation und
Hintergrundmaterial finden Sie auch unter www.unicef.de.
Bundesregierung: Gegen Kleinwaffen, aber in Treue fest an der Seite der USA
Die für die Bundesregierung anwesende Bundesministerin
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), wies zwar auf das
abrüstungspolitische Bemühen der Bundesregierung hin. So
habe man zehn Millionen DM zur Verfügung gestellt, um
»unsere Partnerländer dabei zu unterstützen, Kleinwaffen
besser zu kontrollieren und zu zerstören«. Zu einer Kritik am
»Bündnispartner« USA ließ sie sich aber trotz zweifacher
Nachfrage eines Journalisten nicht bewegen. Die USA wollen
weiterhin politisch konforme paramilitärische Gruppen mit
Waffen beliefern und werden vermutlich neben China das
Land sein, das sich auf der UN-Konferenz am stärksten gegen
die Kontrolle und Eindämmung von Kleinwaffen sperrt.
Dennoch, ließ die Ministerin verlauten, setze sie auf die New
Yorker Tagung.
Auszug aus einem Artikel in der jungen welt, 29. März 2001
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