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Zum 120. Geburtstag von Martin Niemöller

Eine gefährliche Person?

Von Heinrich Fink *

Als Hitler im Januar 1934 zusammen mit dem neu ernannten Reichsbischof Ludwig Müller vor kirchenleitenden Persönlichkeiten erklärte, dass sie sich ausschließlich um die Kirche, nicht um Politik zu kümmern hätten, widersprach Martin Niemöller ihm öffentlich, »dass weder Sie noch sonst eine Macht in der Welt in der Lage sind, uns als Christen die uns von Gott auferlegte Verantwortung für unser Volk abzunehmen «. Dies empörte Hitler so sehr, dass er Niemöller umgehend Predigtverbot erteilen ließ und ihn zum »Feind des deutschen Volkes« erklärte. Bis 1937 musste Niemöller sich 40 Gerichtsverfahren stellen, wurde wiederholt verhaftet und saß schließlich als persönlicher Gefangener Hitlers acht Jahre im KZ Sachsenhausen und Dachau. Später wies Niemöller wiederholt darauf hin, dass ihn die selbstverständliche Solidarität der kommunistischen Mithäftlinge – auch ihm, dem Pfarrer, gegenüber – tief beeindruckt habe. Er habe sich geschämt, dass er zu diesen Hitlergegnern nicht schon vorher den Kontakt gesucht habe.

Unfassbar aber war für den am 14. Januar 1892 geborenen Begründer der Bekennenden Kirche, dass er mit der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht sofort auf freien Fuß gesetzt wurde. Man erklärte ihm, dass er als »dangerous person« eingestuft sei und deshalb zunächst noch als Gefangener der amerikanischen Besatzungsmacht gelte. Erst am 4. Juni konnte Niemöller durch Hungerstreik seine Freilassung erreichen. Später sagte er, dass ihm diese bittere Erfahrung den »Kalten Krieg« signalisiert habe.

Niemöller hoffte, dass mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis (1945) und dem Darmstädter Wort des Bruderrates der Bekennenden Kirche (1947) ein neuer Anfang für die Kirchen in gesellschaftlicher Verantwortung gesetzt worden sei. Die Gründung der Bundesrepublik lehnte er energisch ab, denn er sah darin das Ende wichtiger Verhandlungen um die Einheit Deutschlands und sprach daher von »Spaltung «. Daraufhin soll Adenauer ihn »Landesverräter« genannt haben. Wen wundert es da, dass Bischof Dibelius zu verhindern wusste, dass Niemöller wieder Pfarrer seiner Kirchengemeinde in Berlin-Dahlem werden konnte? Aber auch als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau (1947 bis 1964) blieb er unbequem; ab 1950 begründete er in unzähligen öffentlichen Vorträgen und einem »Offenen Brief« seine Ablehnung der Remilitarisierung. 1952 nahm er eine Einladung nach Moskau an, zwei Jahre darauf diskutierte er mit den Atomphysikern Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker die Gefährdung des Weltfriedens durch atomare Bewaffnung. Der ehemalige U-Boot-Kommandant wurde konsequenter Pazifist und 1954 Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Drei Jahre darauf stimmte er auf der gesamtdeutschen Synode der Evangelischen Kirche gegen den Militärseelsorgevertrag. 1959/60 war er Mitbegründer der Prager Christlichen Friedenskonferenz, die sich in biblisch-ökumenischer Überzeugung Bonhoeffers Forderung verpflichtet fühlte, »den Völkern im Namen Christi die Waffen aus der Hand zu nehmen «. 1967 wurde er Ehrenpräsident des Weltfriedensrates; die Ostermärsche unterstützte er bis zu seinem Tod am 6. März 1984.

In summa: War und ist Martin Niemöller nicht für alle, die aus Profitgier Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung missachteten und missachten, tatsächlich eine »dangerous person «, eine gefährliche Person?

* Aus: neues deutschland, 14. Januar 2012


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