Kirchentagsresolution fordert Rehabilitation von Niemöller
Kritik an der Haltung der Kirchenleitung zu Krieg und Frieden
Am Sonnabend, den 16. Juni 2001, beschäftigte sich der in Frankfurt am Main tagende Kirchentag mit dem
Lebenswerk des ehemaligen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller. Das Friedensbüro
Göttingen fordert unterdessen in einer Resolution die Synode der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Hannover auf, einen Beschluß vom 26. Oktober 1950 (14. Landessynode)
zurückzunehmen. Hintergrund: In diesem Beschluß wurde das Verhalten des damalige
Kirchenpräsidenten von Hessen- Nassau, Martin Niemöller, als »unbrüderlich und verderblich«
bezeichnet, es sei »deshalb zu verurteilen«. Der in der deutschen Kirchengeschichte einmalige
Vorgang, daß ein Landeskirchenparlament gegen einen hohen Repräsentanten einer anderen
Landeskirche zu Gericht saß, ist im engen Zusammenhang mit der Debatte um die
Wiederbewaffnung Deutschlands - hier Westdeutschlands - zu sehen. Die Landessynode
begründete damals ihre Verurteilung Niemöllers ausdrücklich mit seiner Haltung gegen eine
Wiederbewaffnung.
Im November 1950, also nur wenige Wochen nach dieser Verurteilung Niemöllers, wurde dann
die August-Erklärung desselben Jahres gekippt, in der es noch hieß: »Einer Remilitarisierung
Deutschlands können wir das Wort nicht reden.«
»Seitdem diese August-Erklärung umgestoßen wurde«, so Uwe Reinecke* vom Göttinger
Friedensbüro, »wird in der Kirche auch einer Militarisierung das Wort geredet, zum Beispiel
durch den Militärseelsorgevertrag«. Militärpfarrer seien durch vertragliche Bestimmungen keine
neutralen Seelsorger mehr, sondern können zu Kombattanten für die kämpfende Truppe
werden.
Wohin die Militarisierung Deutschlands geführt habe, wisse man seit zwei Jahren: Deutschland,
so die Kritik an der Haltung der Kirchenleitung, habe einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen Jugoslawien geführt. Reinecke: »Wenn 'Du sollst nicht töten!' und 'Schwerter zu
Pflugscharen!' in der Kirche nichts mehr gelten sollten, so hilft eventuell die Lektüre des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dort heißt es unmißverständlich und bis heute
unverändert in Artikel 87a: 'Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.' Die gegenwärtig
unter Mithilfe der Kirchen (in der von- Weizsäcker-Kommission wirkten mehrere
Kirchenvertreter mit) stattfindende Umstrukturierung der Bundeswehr in eine
Interventionsarmee ist demnach verfassungswidrig.« Martin Niemöller sei nicht nur weitsichtig
und klug, sondern auch besonders friedensbewegt gewesen. Deswegen werde er von seinen
eigenen Leuten innerhalb der evangelischen Kirche verurteilt. Geradlinige Menschen mit einem
Bewußtsein für Menschenrechte und Menschenwürde - oder kurz: für den Frieden - hätten es
auch heute noch schwer. Umso wichtiger sei die Rehabilitation Martin Niemöllers durch die
Landessynode Hannovers. Eine offizielle Reaktion auf dieses Anliegen gibt es bis dato nicht.
Thomas Klein, Frankfurt a. Main
Aus: junge welt, 18. 06. 2001
* Uwe Reinecke arbeitet auch im Bundesausschuss Friedensratschlag mit.
Zur Seite "Kirche und Frieden"
Zurück zur Homepage