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"Terrorismus ist mit Krieg nicht zu besiegen"

Erklärung des EKD-Ratsvorsitzenden Präses Manfred Kock, 24. September 2001

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben die Welt erschüttert. Sie haben nicht nur die USA, sondern die gesamte zivilisierte Menschheit getroffen. Schreckliches Leid ist über viele Familien gekommen. Weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus sind Menschen verstört und in Ängste gestürzt.

Es ist Aufgabe der Kirchen, die Menschen in ihren Ängsten zu begleiten, ihnen einen Ort zu geben, an dem sie ihre Trauer, ihre Ratlosigkeit und ihre Sehnsucht aussprechen und vor Gott bringen können, und ihnen den Trost zu verkündigen, der inmitten der Angst vom Glauben an Jesus Christus ausgeht. Wir halten uns an das Wort Jesu Christi: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" (Johannes 16,33).

Zugleich mahnen die Kirchen die politisch Verantwortlichen zu entschlossenem, aber besonnenem Handeln, um der Gefährdung durch den Terror im Maße des Menschenmöglichen zu wehren. Eine besonders schwere Verantwortung lastet auf denen, die in den Regierungen und Parlamenten, in internationalen Organisationen und im militärischen Bereich Entscheidungen zu treffen haben, um die Terroristen und ihre Hintermänner mit allen legitimen Mitteln an weiteren Attentaten zu hindern, sie dingfest zu machen und vor Gericht zu stellen.

Auch im Blick auf die terroristische Gefährdung ist es nach evangelischer Auffassung der Auftrag jedes Staates, der internationalen Staatengemeinschaft und des innerstaatlichen wie internationalen Rechts, "nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen." (These 5 der Barmer Theologischen. Erklärung von 1934).

Die Anwendung militärischer Gewalt, nach christlichem Verständnis allenfalls "ultima ratio", d.h. äußerstes Mittel, kann höchstens vorläufig äußere Voraussetzungen schaffen, unter denen politische, friedensfördernde Strategien verfolgt werden. Terrorismus ist jedoch mit Krieg nicht zu besiegen. In diesem Zusammenhang überhaupt von "Krieg" oder gar "Kreuzzug" zu sprechen, ist falsch und verhängnisvoll. Militärische Gegenschläge, die vor allem aus dem Wunsch nach Vergeltung hervorgehen, stehen in der Gefahr, das Gebot der Verhältnismäßigkeit zu missachten und weitere unschuldige Menschen zu Opfern zu machen. So werden sie am Ende mehr schaden als nützen. Ich erwarte von der deutschen Regierung, dass sie sich bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Solidarität aller zivilisierten Staaten auf diejenigen Schritte verständigt, die unter der Herrschaft des Rechts vertretbar sind. Sie müssen dem langfristigen Ziel der Überwindung des Terrorismus dienen, nicht einer kurzfristigen Demonstration der Stärke.

Die Weltpolitik muss auf die Lösung friedensgefährdender Konflikte - wie vor allem in Israel und Palästina - und die Schaffung einer gerechteren internationalen Ordnung ausgerichtet werden. Dieser Auftrag ergibt sich nicht erst aus der Angst vor dem Terrorismus; er entspricht den Weisungen unserer christlichen Tradition. Eine solche Politik bietet immer noch die besten Aussichten, Hass und Fanatismus als den gefährlichsten Brutstätten für terroristische Bewegungen das Wasser abzugraben.

Terror und Krieg im Namen Gottes sind Gotteslästerung. Sehr wahrscheinlich stehen hinter den Anschlägen Kräfte, die vorgeben im Namen ihrer Religion einen heiligen Krieg zu führen. Wir aber müssen allen Versuchen widerstehen, den Islam als Weltreligion für diese Terroranschläge verantwortlich zu machen. Wir müssen uns hier noch stärker um Aufklärung bemühen, damit in unserem Land nicht Vorurteile gegen muslimische Bürger wachsen. Der interreligiöse Dialog mit den Muslimen aus unterschiedlichen Kulturkreisen ist zu verstärken und zu vertiefen. Die muslimischen Gemeinschaften in jedem einzelnen Land müssen ebenso wie die islamischen Staaten für das gemeinsame Ziel der Überwindung des internationalen Terrorismus gewonnen werden.

Hannover, den 24. September 2001
Pressestelle der EKD


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