Wie freiwillig ist "freiwillig?"
terre des hommes veröffentlicht Studie "Jugendliche - Warum sie Soldat werden" - Presseerklärung und Interview mit einer Autorin
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung von terre des hommes vom 15. Juni 2004 sowie einen Auszug aus der dabei vorgelegten neuen Studie über Kindersoldaten.
Pressemitteilung
Wie freiwillig ist "freiwillig?"
terre des hommes veröffentlicht Studie "Jugendliche - Warum sie Soldat werden"
Kriegssituation lässt Jugendlichen oft keine Wahl
Osnabrück, 15. Juni 2004
Was ist die Motivation von Jugendlichen, sich in Kriegs- und Krisengebieten freiwillig den bewaffneten Gruppen anzuschließen? Diese Frage untersucht die Studie "Jugendliche - Warum sie Soldat werden", die das entwicklungspolitische Kinderhilfswerk terre des hommes und die Quäker-Hilfe Stiftung vorgestellt haben. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass auch die Freiwilligkeit von Jugendlichen, die weder verschleppt noch zwangsrekrutiert werden, oftmals nur eine vermeintliche ist. Die meisten Jugendlichen, die diesen Schritt gehen, befinden sich in einer Situation, die ihnen kaum eine andere Möglichkeit lässt.
"Ein Kind, dessen Familie ermordet wurde und das keine Chance auf Arbeit oder Schule hat, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit freiwillig einer bewaffneten Gruppe anschließen", so terre des hommes-Experte Andreas Rister. "Problematisch kann dadurch auch eine Demobilisierung werden. Wer zwangsrekrutiert wurde, wird diese als Befreiung empfinden", ergänzte Dr. Martin Kunz, Vorstandsmitglied der Quäker-Hilfe Stiftung. "Doch bei jemandem, der sich freiwillig gemeldet hat, weil er beispielsweise keine Arbeit gefunden hat, ist die Gefahr groß, dass er wieder zur Waffe greift." Andreas Rister schloss sich dem an: "Deswegen muss bei einer Demobilisierung auch stets darauf geachtet werden, die Faktoren, die diese Freiwilligkeit begünstigen, zu beeinflussen, also beispielsweise den Jugendlichen eine Ausbildung oder den Schulbesuch zu ermöglichen."
terre des hommes fördert seit vielen Jahren Hilfsprojekte für ehemalige Kindersoldaten und setzt sich dafür ein, die Altersgrenze für Rekrutierung weltweit auf 18 Jahre anzuheben. Für die Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO wurden auf mehreren Kontinenten Interviews mit Jugendlichen geführt, die sich selbst als Freiwillige bezeichneten. Die Studie wurde nun unter dem Titel "Jugendliche - Warum sie Soldat werden" von terre des hommes auf Deutsch herausgegeben.
Warum schließen sich Jugendliche bewaffneten Gruppen und Armeen an?
Interview mit Rachel Brett, Mitautorin des Buches "Young soldiers: Why they choose to fight"
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das sich in der Broschüre "Jugendliche. Warum sie Soldat werden" (hrsg. Von terre des hommes und der Quäker-Hilfe Stiftung, 2004) befindet. Wir haben sie der Homepage von terre des hommes entnommen: www.tdh.de.
Rachel Brett ist Beauftragte für Menschenrechte
und Flüchtlinge im UN-Büro der Quäker
in Genf und Mitglied des Steering Committee
der Coalition to Stop the Use of Child Soldiers
(CSC). Sie ist anerkannte Expertin zum Thema
der Rekrutierung von Jungen und Mädchen als
Kindersoldaten. Das Interview wurde im
Newsletter der Internationalen Coalition to Stop
the Use of Child Soldiers im Januar 2004 veröffentlicht.
Jährlich erscheinen drei Ausgaben dieses
Newsletters, er ist auf Englisch, Deutsch,
Spanisch und Französisch erhältlich. Auf
Deutsch kann er elektronisch unter
www.Kindersoldaten.de abonniert werden.
CSC: Rachel, oftmals werden Heranwachsende
als die am wenigsten gefährdete Gruppe unter
den Kindersoldaten betrachtet. Sie werden angesehen
als Personen mit vielfachen Fähigkeiten, die
für sich selbst entscheiden können, ob sie sich einer
bewaffneten Gruppe anschließen oder nicht.
Für viele Menschen haben sie bei der Befassung
mit Kindersoldaten keine Priorität. Warum glauben
Sie, daß die Durchführung einer Studie über die
Frage der freiwilligen Teilnahme von Heranwachsenden
an bewaffneten Konflikten gerade zum jetzigen
Zeitpunkt notwendig war?
Rachel Brett: Aus genau den Gründen, die Sie
angeführt haben: es gibt die Tendenz, sich auf verschleppte
Kinder zu konzentrieren und dabei besonders
auf junge verschleppte Kinder. Es ist natürlich
sehr wichtig, die Entführungen zu beenden und
junge Kinder unter sicheren Umständen zu entlassen.
Trotzdem - die Mehrheit aller Kindersoldaten
hat die Pubertät bereits hinter sich, und viele von
ihnen sind nicht verschleppt worden. Zudem werden
die Anstrengungen zur Demobilisierung von
Kindern und ihre Entfernung aus den bewaffneten
Gruppen oder sonstigen Streitkräften nicht wirksam
werden, solange die Gründe, warum sie sich
anschlossen, nicht angegangen werden. Es ist daher
notwendig, daß wir dies von den Jugendlichen
selbst erfahren. Sobald wir diese Gründe verstehen
können wir sie angehen. Wir werden dann sowohl
in der Lage sein, bessere, effektivere,
Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramme
mit Langzeitwirkung zu planen wie auch zuallererst
Wege zu identifizieren, wie Jugendliche davon
abgebracht werden können, sich freiwillig zu melden
oder diese Bereitschaft zumindest zu reduzieren.
Zu guter Letzt: Heranwachsende sind in einer
besonders entscheidenden Phase ihrer Entwicklung.
Sie haben größere Möglichkeiten der Reflexion
und können besser als jüngere Kinder eigenständig
handeln, trotzdem sind sie aber noch sehr verletzlich
- körperlich, mental und emotional. Der beste
Beweis ist die Tendenz zu hohen Selbstmordraten
in dieser Altersgruppe.
CSC: Sie argumentieren, daß es keine monokausalen
Erklärungen gibt, warum Heranwachsende
freiwillig in die bewaffneten Gruppen gehen. Sie
beschreiben, daß der wichtigste Faktor der Krieg
selbst sei. Welche anderen Gründe haben Sie als
entscheidend identifiziert? Haben Sie bei der Analyse
der verschiedenen Fallstudien Überraschungen
erlebt?
R.B: Die anderen wesentlichen Faktoren sind
Armut, Ausbildung oder besser das Fehlen einer
solchen, fehlende Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten,
also das Fehlen von tragfähigen Alternativen,
und die Familien. Wenn ich zurückblikke,
gab es gab eine ganze Reihe von Überraschungen,
obwohl ich immer wieder überrascht bin, daß
die meisten der Erkenntnisse im Nachhinein so offensichtliche
scheinen. Die größte davon war, welche
entscheidende Rolle die Familie spielt.
Bereits frühere Untersuchungen (für die Graça
Machel Studie über Kinder in bewaffneten Konflikten)
haben gezeigt, daß Kinder ohne Familien besonders
in Gefahr sind, rekrutiert zu werden. Dabei
spielt es keine Rolle, ob sie ständig oder nur zeitweise
getrennt sind. Diese Untersuchung hat gezeigt,
daß sehr viele Heranwachsende aus einer
häuslichen Situation fortlaufen, in der sie sich mißbraucht
ausgebeutet fühlen. Dieser Zusammenhang
war besonders stark bei den Mädchen, spielte aber
auch bei den Jungen eine wichtige Rolle. Andererseits
werden Kinder auch von manchen Familien
ermutigt, sich direkt oder indirekt am bewaffneten
Kampf zu beteiligen. Von Kindern, die aus Militärfamilien
stammen (ob aus regulären Streitkräften
oder bewaffneten Gruppen) wird die Beteiligung
möglicherweise erwartet, ohne daß sie in besondere
Weise von der Familie dazu gedrängt werden. Besonders
Jungen können sich von der Familie oder
der Gesellschaft zum Kämpfen gedrängt fühlen,
und daß eine Weigerung negative Auswirkungen
auf die Familie und besonders den Vater haben
würde. Manche Mädchen hingegen wollen Gleichwertigkeit
mit ihren Brüdern beweisen und melden
sich deshalb. Auch der familiäre Hintergrund kann
dazu beitragen, daß junge Menschen, die noch
nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen
sollen oder Schulprobleme haben, den Beitritt zu
bewaffneten Streitkräften in Erwägung ziehen. Andere,
ohne militärischen Hintergrund, hätten dies
gar nicht als mögliche oder erstrebenswerte Option
in Erwägung gezogen.
CSC: Warum, glauben Sie, wurde bisher die
Familie als Faktor der Rekrutierung von freiwilligen
Heranwachsenden übersehen? Und wie schätzen
Sie das Verhältnis zu anscheinend gegenläufigen
Faktoren wie Abwesenheit von Familie oder
Trennung von Verwandten während eines Konflikts
ein?
R.B: Ich glaube, der Hauptgrund war, daß Außenstehende
die Frage entschieden haben, warum
sich die Jugendlichen freiwillig gemeldet haben.
Das kann dazu geführt haben, daß in erster Linie
externe Faktoren wahrgenommen wurden, statt die
Kinder und jungen Leute selbst zu befragen. Bei einer
Betrachtung des Problems von außen ist erkennbar,
ob die Jugendliche von den Eltern getrennt
sind oder nicht, ob sie in Armut leben oder
nicht. Auf diese Weise kann man dann die externen
Faktoren identifizieren. Man kann mit dieser Methode
aber nicht ermitteln, wie sie sich fühlen; wie
sie die verschiedenen Einflüsse abwägen, und wie
sie ausdrücken, was sie letztlich wirklich zur Entscheidung
führte oder auch drängte. Deswegen ist
auch die Rolle der Freundesgruppe besser dokumentiert,
weil man einfacher feststellen oder überprüfen
kann, ob ein Kind allein, mit einem Familienmitglied
oder mit einer Gruppe von Freunden
beigetreten ist. Es würde aber sehr viel schwieriger
sein, Feststellungen über die innere Dynamik einer
Familie zu treffen - Probleme des physischen oder
sexuellen Mißbrauchs, Gefühle der Isolation, Ablehnung,
Marginalisierung oder Ausbeutung. Dies
ist nicht möglich ohne Tiefeninterviews, wenn der
Interviewte in der Lage und bereit ist, solche intimen
und persönlichen Informationen preiszugeben.
CSC: Einige zur Rekrutierung führende Faktoren
sind bereits vor Ausbruch eines Krieges vorhanden,
z. B. Armut, häusliche Gewalt oder Diskriminierung
in der Ausbildung. Gibt es eine verborgene
Botschaft für Länder, in denen es derzeit zwar
keinen Konflikt gibt, wo aber die Voraussetzungen
für die Rekrutierung von Heranwachsenden bereits
gefördert und geschaffen werden? Welche Indikatoren
gibt es für eine wirksame Prävention?
R.B. Es gibt tatsächlich eine Botschaft für diejenigen,
die noch keinen bewaffneten Konflikt haben,
aber auch für Staaten, die ihn gerade überwunden
haben und nicht wollen, daß die Situation sich
wiederholt. Die Erkenntnisse der Untersuchung
sind eigentlich augenfällig, Gegenmaßnahmen aber
sind sehr schwierig umzusetzen. Junge Leute neigen
dann nicht dazu, sich an einem Konflikt zu beteiligen,
wenn sie (1) in einer glücklichen, unterstützenden,
stabilen Umgebung aufwachsen. Sie
darf nicht so verarmt sein, daß den Kindern der
Schulbesuch verwehrt wird, oder sie gezwungen
sind, auf den Schulbesuch zu verzichten, weil sie
arbeiten oder den Haushalt führen müssen, damit
die Eltern arbeiten können. (2) Wenn sie die Schule
besuchen, muß diese eine Ausbildung bieten, die
sie interessiert, ihnen spätere Berufsaussichten eröffnet
und in einer Umgebung stattfindet, in denen
sie weder von Lehrern noch anderen Schülern erniedrigt,
gedemütigt oder körperlich mißbraucht
werden. (3) Sie müssen zudem in der Lage sein, ihren
Lebensunterhalt zu verdienen, ohne sich offiziellen
oder irregulären bewaffneten Gruppen anzuschließen.
Dies sollte man übrigens nicht nur als
positiv für die Kinder und jungen Leute ansehen,
sondern genauso als wesentlichen Faktor beim
Aufbau einer friedlichen Gesellschaft, weil sie
dann nicht mehr so anfällig sind für Aufforderungen
der bewaffneten Splittergruppen. Dies trifft natürlich
in einem weiteren Sinne ebenso für städtische
Jugendgangs und Jugendgewalt zu.
CSC: In immer mehr Konflikten sind Zivilisten
beteiligt, ökonomischer Niedergang, sozialer
und familiärer Druck und Vertreibungen sind Faktoren,
die Rekrutierungen erleichtern und fördern.
Glauben Sie, daß die Zahlen der Heranwachsenden,
die sich freiwillig melden, in naher Zukunft
zwangsläufig steigen müssen?
R.B: Ich glaube nicht, daß es unvermeidlich
ist. Tatsächlich ist es eher erstaunlich, wie wenig
Kinder und Jugendliche sich beteiligen, selbst unter
den gegebenen Umständen. Daraus ergeben
sich zwei Schlußfolgerungen. Zum einen: Die Zahlen
würden drastisch sinken, wenn man die Verantwortlichen
durch nationale und internationale Gerichte
zur Verantwortung ziehen würde. Derzeit
glaubt keiner der Befehlshaber, daß er für die Rekrutierung
und den Einsatz von Kindern bestraft
werden kann. Zum anderen: nicht alle Jugendlichen,
selbst wenn sie besonders gefährdet sind und
unter Umständen leben müssen, die wir als besonders
risikoreich identifiziert haben (arme Familien,
Leben in einer Kriegszone, keine Schule oder Arbeit
und ohne Familie, oder mit eine Familie, in denen
sie mißbraucht werden), schließen sich dem
Kampf an. Daher wird alles, was diese Faktoren
positiv beeinflußt, auch die Zahlen reduzieren. Am
wichtigsten ist es, die Situation vom Standpunkt
der Jugendlichen aus zu betrachten, ihnen gangbare
Alternativen aufzuzeigen und Unterstützung zu geben.
CSC: Sie vertreten auch die Ansicht der
Coalition to Stop the Use of Child Soldiers, daß
das "Straight 18" Prinzip aufrechterhalten werden
muß . Wie kann man im Licht der Erkenntnisse
des Buches dieses Prinzip am besten
verteidigen?
R.B: Es haben sich in den letzten Jahren zwei
wesentliche Veränderungen ergeben, nicht nur im
rechtlichen Bereich, sondern auch in der öffentlichen
Meinung. Dies ist die Meinung, daß niemand
unter 18 gezwungen werden darf, in bewaffnete
Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen einzutreten
(einschließlich der Wehrpflicht in Regierungsarmeen)
und daß niemand unter 18 Jahren in
Kampfeinsätze geschickt werden darf. Es ist heute
kaum noch zu glauben, daß noch vor wenigen Jahren
eine ganze Reihe von Regierungen fest die Ansicht
vertreten haben, daß der Einsatz von unter 18-
Jährigen im Kampf völlig in Ordnung sei. Als einzige
Rechtsfrage ist verblieben, ob es Regierungen
erlaubt sein soll, Freiwillige im Alter zwischen 16
und 18 für ihre Streitkräfte anzuwerben oder nicht.
In diesem Zusammenhang wurden übrigens die
"kulturellen Unterschiede" zwischen Industriestaaten
und dem Rest der Welt überstrapaziert, wenn
man bedenkt, daß in erster Line solch "entwickelte"
Länder wie das Vereinigte Königreich, die
USA, Kanada, Neuseeland, die Niederlande (und
die früheren britischen Kolonien in Südasien) darauf
bestanden haben, unter 18-Jährige zu rekrutieren
und auch überhaupt keinen Grund gesehen haben,
sie nicht in Kampfeinsätze zu schicken. In vielen
Entwicklungsländern sind sie Schwierigkeiten
allerdings anders gelagert, dort gibt es mehr Probleme
mit der Durchsetzung der Altersgrenze, die
Gründe liegen in fehlenden Geburtsregistern und
der Tatsache, daß der Übergang zwischen Kindheit
und Erwachsensein nicht so sehr vom Kalender als
von anderen Faktoren bestimmt wird.
Diese Untersuchung zeigt, daß viele der Befragten,
obwohl sie sich selbst als Freiwillige definierten,
dies bei objektiver Betrachtung nicht sind.
Wenn man beispielsweise erleben mußte, wie ein
Freund erschossen wurde, weil er sich nicht gemeldet
hat, dann bleiben erhebliche Zweifel an der
Freiwilligkeit der Entscheidung des Interviewten.
Viele, die sich im Augenblick der Entscheidung
freiwillig meldeten, wollten bald darauf wieder gehen,
konnten es aber nicht. Handelt es sich um eine
unwiderrufliche Entscheidung oder müßte es nicht
möglich sein, sie rückgängig zu machen, wenn man
die Realität erkannt hat? Viele wurden einfach mitgerissen
von den Kämpfen, die durch ihr Dorf tobten
oder in ihrer Stadt stattfanden, anstatt eine bewußte
Entscheidung zu treffen. Die meisten bedauern,
worauf sie sich eingelassen haben, sie fühlen
sich in einer ausweglosen Situation gefangen, weil
sie so viel Schlimmes durchmachen mußten oder
was sie verpaßt haben (das Gefühl von verschwendeten
Jahren). Man muß daran erinnern, daß sich
die "Straight 18" - Regel an die Rekrutierer richtet,
nicht an die Jugendlichen selbst. Deshalb verurteile
ich die Kinder und Jugendlichen nicht, die sich
freiwillig melden - besonders dann, wenn sie keine
andere Möglichkeit sehen oder weil es ihnen angesichts
ihrer Lebensumstände als beste Möglichkeit
erscheint: das Mädchen, das hofft, sich besser vor
Vergewaltigung schützen zu können, wenn sie eine
Waffe hat, anstatt ohne Waffe wehrlos zu Hause zu
sitzen oder der Junge, dessen Eltern getötet wurden
und der jetzt seine Geschwister verteidigen oder
versorgen will. Außerdem: um Demobilisierungsprogramme
und Reintegrationsstrategien erfolgreich
planen zu können, muß man die Motive begreifen
und berücksichtigen, warum diese jungen
Leute diesen Weg gegangen sind, daß sie auf diese
Weise versuchten, ihr Leben in den Griff zu bekommen
und Verantwortung zu übernehmen. Oft
war dies erfolgreich und sie zeigten damit Mut und
Verantwortungsgefühl unter Lebensumständen, die
keinem Kind oder jungem Menschen zugemutet
werden dürften. Die Vorstellung, sie seien Objekte,
für die ohne ihre Beteiligung Entscheidungen getroffen
werden könnten, ist falsch. Wir sollten ihnen
Möglichkeiten eröffnen, sie ermutigen und unterstützen,
damit sie ihre Zukunft auch in Friedenszeiten
gestalten können.
CSC: Sie haben sich intensiv mit der Situation
von Mädchensoldaten und ihrer besonderen Probleme
beschäftigt. Welche Hauptgründe sind zu berücksichtigen,
warum sich weibliche Heranwachsende
freiwillig zu bewaffneten Gruppen melden?
Und wie verläuft im Unterschied zu männlichen
Heranwachsenden ihre Demobilisierung und
Reintegration?
R.B: Es gibt ein spezielles Kapitel mit zusätzlichen
Forschungsergebnissen zu diesem Thema.
Eine der Haupterkenntnisse ist, daß Mädchen oft
vor häuslicher Gewalt, Ausbeutung oder sexuellem
Mißbrauch ausreißen. Einige finden Zuflucht und
Bestärkung in den bewaffneten Gruppen, andere
hingegen erfahren, daß sie weiter ausgebeutet werden.
Bei der Demobilisierung jedoch ist dies unerheblich,
denn sie werden normalerweise in eine
Gesellschaft "reintegriert", die ihre Haltung zu
Mädchen und ihre Rolle in der Gesellschaft nicht
verändert hat, so daß Mißbrauch und Ausbeutung
weiterhin wahrscheinlich sind. Hinzu kommt, daß
viele von der Demobilisierung ausgeschlossen werden,
weil sie nicht als "echte Soldaten", sondern als
Marketenderinnen, Ehefrauen oder Sexsklavinnen
angesehen werden, obwohl alle der von uns interviewten
Mädchen mitgekämpft haben.
Aus:
Jugendliche. Warum sie Soldat werden.
Hrsg. Von terre des hommes und der Quäker-Hilfe Stiftung, 2004.
Hier geht es zu einer pdf-Fassung der gesamten Broschüre:
Jugendliche. Warum sie Soldat werden.
Die Broschüre selbst ist ein übersetzter Auszug aus:
"Young soldiers: Why they choose to fight", by Rachel Brett and Irma Specht, 2004;
International Labour Organization and Lynne Rienner
(ISBN 92-2-113718-X);
Kontakt:
ILO Publications, 4 route des Morillons, CH-1211 Geneva 22, Switzerland
Fax: (+41) 22 799 6938, Email: pubvente@ilo.org
Bestellung online: www.ilo.org/publns
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