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"Ich habe kein Zuhause. Meine Mutter und mein Vater sind tot."

Ein Kindersoldat aus Liberia berichtet über seine Vergangenheit und Zukunftshoffnungen



Wie bist du von Marokko über die Grenze nach Ceuta gekommen?

Ich bin geschwommen.

Ganz einfach so?

Nein, das war von der Mafia organisiert. Ich bekam eine Schwimmweste, um den Bauch eine Leine und wurde so von einem Jungen durchs Wasser gezogen.

Wie lange warst du im Wasser?

Ich weiß nicht mehr genau. Ich war so aufgeregt, aber es müssen zwei Stunden gewesen sein.

Wie viel hast du dafür bezahlt?

300 Euro.

Woher hattest du das Geld?

In Algerien habe ich andere Afrikaner, die nach Europa wollten, gekidnappt. Um wieder frei zu kommen, mussten sie Lösegeld bezahlen.

Du meinst erpresst?

Bei einigen musste man nachhelfen.

Was heißt nachhelfen?

Man hat sie gefoltert oder bei ihren Familien angerufen, damit sie Geld überweisen.

Woher hattest du eigentlich den Kontakt nach Ceuta?

Da hatte ich Glück. Ich kannte den Patron ganz gut.

Patron?

Das ist der Führer einer Gruppe, der Kontakte zu den marokkanischen Schleusern hat. Ich kannte ihn aus den Wäldern von Oujda.

Was hast du in Oujda an der Grenze zu Algerien gemacht?

Ich bin dort im Juni 2007 angekommen. Von Liberia über Mali nach Algerien und dann eben nach Oujda, was die erste Stadt auf marokkanischem Territorium ist.

Wie lange warst du insgesamt unterwegs?

Fast zwei Jahre.

Warum bist du von Zuhause weg?

Ich habe kein Zuhause. Meine Mutter und mein Vater sind tot, ich habe keine Familie. Mein Stamm, zu dem ich gehöre, ist in Liberia nicht gerne gesehen. Außerdem war ich Kindersoldat und habe im Bürgerkrieg gekämpft. Da bleibt einem nichts anderes übrig, als wegzugehen.

Was heißt Kindersoldat?

Na ja, ich habe als Kind gekämpft. Mit zehn Jahren.

Wie bist du das geworden?

Als der zweite Bürgerkrieg in Liberia ausbrach, wollte mein Vater mit mir nach Guinea flüchten. Im Norden Liberias gerieten wir in einen Checkpoint der Rebellen. Sie haben uns nach Stammeszugehörigkeit aussortiert. Die Erwachsenen wurden erschossen, darunter auch mein Vater. Ich und andere Kinder wurden in ein Lager im Busch gebracht. Zuerst bekam jeder ein Messer, später eine Kalaschnikow. Leicht zu bedienen, auch von Kindern.

Wart ihr irgendwo stationiert?

Mit normalem Militär hatte das wenig zu tun. Wir waren etwa 30 Leute, die im Busch umherzogen.

Gab es viele Kinder in deinem Alter in der Gruppe?

Die Hälfte waren Kinder im gleichen Alter, der Rest zwischen 15 und maximal 25.

Wie bist du davongekommen?

Bei einem Angriff auf unser Lager ging alles drunter und drüber. Man konnte sonst nicht einfach davonlaufen. Hätten sie einen dabei erwischt, wäre man sofort erschossen worden.

Hast du keine Gewissensbisse?

Es gab keine Alternative. Jeder hätte das Gleiche gemacht. Mit einer Pistole am Kopf bleibt einem nichts anderes übrig.

Wie ging es auf deiner Flucht weiter?

Ich habe mich nach Yekepa, einer Grenzstadt zu Guinea durchschlagen. Dort ordneten wir uns in die Warteschlangen der Flüchtlinge ein, erhielten Essen und Kleidung von UN-Hilfsorganisationen. Später bin ich auf eine Christliche Flüchtlingsschule in der Stadt Siguiri gegangen. 2005 ging es Richtung Europa los.

Nun bist du zwei Jahre im Auffanglager in Ceuta. Hast du politisches Asyl in Spanien beantragt?

Ja, einmal wurde der Antrag schon abgelehnt. Aber mein Anwalt sagte, ich sollte Widerspruch einlegen.

Was machst du, wenn der erneut abgelehnt wird?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Ohne Eltern, ohne Familie, zudem ist mein Stamm nicht erwünscht, da kann mich niemand nach Liberia zurückschicken. Ich glaube an eine positive Zukunft, denn sonst würde ich doch verrückt werden.

Vorausgesetzt, sie lassen dich tatsächlich nach Spanien, was willst du dort tun?

Ich bin ein ausgezeichneter Fußballer, der in der 2. Liga anfangen und danach in erste wechseln könnte. Ich kann auch sehr gut rappen, und mit Hip Hop verdient man doch ganz gut. Ich bin schon im lokalen Fernsehen von Ceuta aufgetreten, aber bisher hat sich daraus noch nichts ergeben. Wenn beides nicht klappen sollte, kann man immer noch jede erdenkliche Arbeit annehmen. Ich weiß, wie man Geld macht.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2009


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