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"Ich bin gern Soldat"

Kongo ringt mit der Wiedereingliederung von Kindern, die im Bürgerkrieg Opfer und Täter waren

Von Kristin Palitza, Bukavu *

Frieden und Stabilität im Osten der Demokratischen Republik Kongo, eines der zentralen Wahlversprechen Präsident Joseph Kabilas seit 2006, bleiben Wunschdenken. Die Region ist extrem volatil. Auch das Problem der Kindersoldaten bleibt ungelöst.

Murhula [1] war neun Jahre alt, als sich sein Leben für immer änderte. Er lernte zu töten, zu foltern, zu vergewaltigen. An einem Tag, der wie jeder andere begann, drangen Milizen in seine Schule ein und verschleppten ihn und seine Mitschüler in den Wald, wo sie die Jungen als Soldaten trainierten.

»Es sind viele schlimme Dinge passiert, über die ich nicht sprechen kann. Es war alles sehr unmenschlich«, erinnert sich der heute 25-jährige Mann. Neun lange Jahre kämpfte er für verschiedene Milizen: zuerst für die Kongolesische Sammlung für Demokratie (RCD), dann die Mudundo, Mai-Mai und schließlich die Kongolesische Armee.

Rund 30 000 Kinder wurden in dem zentralafrikanischen Land zu Soldaten gemacht, um in dem blutigen Bürgerkrieg um politische und ethnische Macht sowie Bodenschätze mitzukämpfen, bei dem vier Millionen starben.

Zwar ratifizierte die DR Kongo eine Reihe internationaler Abkommen zum Schutz von Kindern, wie den UN Sicherheitsratbeschluss 1341 in 2001, der den Stopp der Rekrutierung von Kindersoldaten sowie deren Demobilisierung und Rehabilitierung fordert. Doch auf praktischer Ebene hat die Regierung wenig getan, um die Vereinbarungen umzusetzen, so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Kein Ende der Zwangsrekrutierungen

Kinder werden weiterhin von verschiedenen Rebellengruppen - einschließlich der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR), der Alliierten Demokratischen Kräfte (ADF) sowie der Nationalen Liberationskräfte (FNL) - zwangsrekrutiert. Dies ist vor allem im Osten des Landes, der an Ruanda, Burundi und Uganda grenzt, laut eines am 4. Januar veröffentlichten Berichts der Expertengruppe des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen der Fall.

Die umstrittenen Wahlen vom 28. November haben den 40-jährigen Joseph Kabila für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt, obwohl die Glaubwürdigkeit des Resultats international massiv angezweifelt worden war.

Die Wahlkrise schadet vor allem der Bevölkerung. Seit Kabila am 9. Dezember von der nationalen Wahlkommission zum Sieger erklärt wurde, ist es in Teilen des Landes zu Gewalt gekommen. Vor allem betroffen sind Städte, die sich entschieden hinter die führenden Oppositionskandidaten, Etienne Tshisekedi oder Vital Kamerhe, gestellt hatten.

Insbesondere der Osten des Landes kommt nicht zur Ruhe. Ende Dezember und Anfang Januar berichteten lokale Menschenrechtsgruppen sowie der UN-Sender Radio Okapi von schweren Angriffen der FDLR-Milizen gegen Kongolesen, bei denen allein in Südkivu, einer Provinz des Ost-Kongo, mindestens 39 Menschen starben. Auch in Nordkivu gab es gewaltsame Übergriffe.

Das Schicksal der Kindersoldaten hängt aufgrund kontinuierlicher Übergriffe weiterhin in der Schwebe. Nach Kongos ersten demokratischen Wahlen 2006 und vor allem nach dem Goma Friedensabkommen von 2008, das für ein gewisses Maß an Stabilität im Osten des Landes sorgte, begannen internationale Hilfsorganisationen wie Unicef und Caritas bei der Demobilisierung von Kindersoldaten zu helfen. Doch psychologische Unterstützung, die Tausende traumatisierter Kinder, die regelrechter Gehirnwäsche unterzogen wurden, dringend benötigen, um wieder ein normales Leben führen zu können, blieb aus. So ist der Kongo heute mit einer Generation von ehemaligen und aktiven Kindersoldaten konfrontiert, die sich ein Leben ohne Gewalt nicht einmal mehr vorstellen können. Sie sind zu gefürchteten Gewalttätern, Dieben und Drogenabhängigen geworden. Und sie haben kaum eine Chance, sich in die Gesellschaft wieder einzugliedern.

Sogar Eltern weigern sich oft, ehemalige Kindersoldaten in den Familienkreis aufzunehmen. Denn wie Murhulas Beispiel zeigt, lauert eine schreckliche Wahrheit in ihrer Vergangenheit. Nachdem er für Jahre mit militärischer Ideologie bombardiert wurde, begann Murhula Spaß an der Gewalt zu entwickeln und seine Taten als »im Krieg normal« zu bezeichnen. »Ich bin gern Soldat. Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich getötet habe. Im Übrigen habe ich nur Befehle ausgeführt«, behauptet er noch heute eigensinnig.

So tut sich ein erstaunlicher Widerspruch auf: Viele Kindersoldaten sind zugleich traumatisierte Opfer und brutale Gewalttäter. Wie sich ein solches Paradox in ihrer Psyche widerspiegelt und wie es behandelt werden kann, wird von zwei deutschen Diplompsychologen der Universität Konstanz, Tobias Hecker und Katharin Hermenau, untersucht. Sie arbeiten derzeit mit ehemaligen Soldaten in einem Rehabilitierungszentrum in Goma, der Provinzhauptstadt Nordkivus.

Nach 220 Interviews erkannten die Wissenschaftler, dass eine schockierend niedrige Anzahl ehemaliger Soldaten - lediglich ein Viertel - an posttraumatischem Stresssyndrom leidet. Das heißt, dass drei von vieren weiterhin positive Gefühle mit Gewalt verbinden. »Täter sprechen oft von Stolz, Rachelust und Macht. Viele sprechen von Blutrausch. Wenn man einmal anfängt, kann man nicht mehr aufhören«, sagt Hecker.

Die Forschungsergebnisse machen deutlich, wie ernst die Situation ist. »Uns wurde klar, dass diejenigen, die Spaß an der Gewalt entwickelt haben, weniger traumatisiert sind. Es ist schwieriger, diese Gruppe wieder in die Gesellschaft einzugliedern, da sie gewaltbereit bleiben«, erklärt Hermenau.

Bislang haben nur vereinzelte Organisationen in Kongo diese schwierige Aufgabe in Angriff genommen. Eine ist das Zentrum für Professionelle und Handwerkliche Ausbildung (CAPA) in Bukavu, das gut hundert Kilometer südlich von Goma liegt und ehemalige Soldaten in Handwerken wie Ziegelei, Schreinerei und Schusterei ausbildet.

CAPA-Leiter Vital Mukuza macht sich keine Illusionen, was die Rehabilitierungschancen ehemaliger Kindersoldaten betrifft: »Es ist extrem schwierig. Sie sind aggressiv, reizbar und gewaltbereit.« Sie stellten eine ständige Gefahr für andere dar, da sie weder Regeln noch Autorität respektieren und gewohnt sind, sich zu nehmen, was sie wollen. »Es dauert Monate, bevor sie sich an normales Leben anpassen, wenn überhaupt«, erklärt Mukuza.

Die schwierige Rückkehr ins zivile Leben

Hier bei CAPA hat auch Murhula begonnen, sich ein neues Leben aufzubauen. Er lernt Gitarrenbau, in der Hoffnung, eines Tages sein eigenes Geschäft zu eröffnen. Auch eine Familie hofft er zu gründen. »Ich möchte meine Vergangenheit hinter mir lassen«, sagt er, wohl wissend, dass er noch einen langen Weg vor sich hat. Doch dem Großteil der 30 000 Kindersoldaten bleibt ein solches Netzwerk aus psychologischer, sozialer und ökonomischer Unterstützung verwehrt. Nach ihrer Demobilisierung müssen sie sich allein durchschlagen. Viele führen eine isolierte, von Armut geprägte Existenz.

Mulume [1], 22, der im Alter von 17 Jahren von den Mai-Mai zwangsrekrutiert wurde, ist heute arbeitslos und fühlt sich ziemlich verloren, wie er zugibt. Obwohl er in sein Heimatdorf Kahungu, 65 Kilometer nördlich von Bukavu, zurückkehren durfte, bekommt er von dessen Einwohnern tiefes Misstrauen zu spüren. Eine bessere Zukunft kann er sich für sich nicht vorstellen: »Ich muss mein Schicksal einfach akzeptieren.«

[1] Nachnamen zum Schutz der Kindersoldaten vorbehalten

* Aus: neues deutschland, 20. Januar 2012


Vorbehaltlos gegen Kinderrechte

Opposition drängt auf Umsetzung der UN-Konvention / Verbot der Inhaftierung minderjähriger Flüchtlinge gefordert

Von Christian Klemm **


Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) wurde in Deutschland vor gut 20 Jahren eingeführt. In der Praxis findet sie keine vollständige Anwendung. In der Oberpfalz wurde vor wenigen Tagen ein 15-jähriger Afghane von der Polizei aufgegriffen. Der Junge floh in einer vier Monate dauernden Odyssee nach Deutschland. Vermutlich haben ihn Bürgerkrieg und Armut aus Afghanistan vertrieben. Während seiner Vernehmung gab er an, Anfang Oktober aufgebrochen zu sein. Sein Onkel habe die Reise über Iran, Türkei und Griechenland organisiert und an Schleuser eine Menge Geld bezahlt.

Dieser Fall zeigt einmal mehr, was Flüchtlinge auf sich nehmen für ein vermeintlich besseres Leben fern der eigenen Heimat. Doch in Deutschland angekommen empfängt sie nicht das Paradies, vielmehr werden ihnen elementare Rechte vorenthalten.

Das würde die Opposition gern ändern und hat gestern im Bundestag drei Anträge zur Abstimmung gestellt. LINKE und Grüne fordern darin unter anderem, dass die UN-Kinderrechtskonvention, die Menschen bis Ende des 18. Lebensjahres weltweit besondere Rechte zubilligt, in der Praxis angewendet wird. Denn noch immer entspricht das deutsche Aufenthalts-, Asylbewerberleistungs- und Asylverfahrensrecht nicht den Anforderungen der Konvention, wie in einem der Anträge zu lesen ist.

Vor rund 22 Jahren wurde das UN-Dokument verkündet, seit Anfang der 90er Jahre ist es geltendes Recht in der Bundesrepublik. Ratifiziert wurden die Konvention aber nur unter Vorbehalt. Gegolten haben die Kinderrechte nur so lange, wie sie das Asylrecht nicht angetastet haben. 2010 erst erfolgte die Rücknahme der Vorbehaltserklärung. Am Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen hat sich allerdings nichts geändert. Das sagt nicht nur ein Teil der Opposition, auch Flüchtlingsorganisationen bemängeln immer wieder die fehlende Bereitschaft der Bundesregierung, das Dokument anzuwenden. Jugendlichen Flüchtlingen wird nur eine medizinische Notbetreuung gewährt, noch immer wird ihr Recht auf Bildung nicht vollständig umgesetzt, noch immer werden sie in Sammelunterkünften untergebracht und noch immer werden sie rücksichtslos in ihre Heimatländer abgeschoben.

Die Linkspartei drängt in einem ihrer Anträge auf die Anpassung der Landesgesetze an die Konvention, um zum Beispiel den Schulbesuch aller Kinder »unabhängig vom Aufenthaltsstatus sicherzustellen «. Außerdem müsse ein Verbot der Inhaftierung Minderjähriger in Abschiebungs- und Zurückweisungsverfahren sowie die Abschaffung der Verfahrensmündigkeit ab 16 Jahren durchgesetzt werden. Die Grünen plädieren darüber hinaus für den Dialog mit Verbänden und Organisationen, um ein verbindliches Monitoringsystem zur Umsetzung des UNDokumentes zu etablieren.

** Aus: neues deutschland, 20. Januar 2012


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