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Atomkraft überflüssig

In Deutschland sind derzeit nur vier AKW im Betrieb, in Japan nur eine derartige Anlage. Dort drängt die Regierung darauf, einige Reaktoren wieder anzufahren

Von Wolfgang Pomrehn *

Wer braucht eigentlich noch Atomkraftwerke? Über das Osterwochenende liefen hierzulande nur noch vier (Emsland und Gundremmingen von E.on, sowie Isar 2 und Grafenrheinfeld von RWE) der neun verbliebenen Reaktoren in Deutschland. Die anderen standen wegen technischer Probleme oder des einmal im Jahr fälligen Brennelementewechsels still. Damit war der Beitrag der Atomkraft zur Stromversorgung fast zu vernachlässigen.

Kenner der Energiepolitik verwundert das nicht, denn diverse Studien der Linkspartei, der Grünen und verschiedener Umweltverbände hatten nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 gezeigt, daß ein Atomausstieg in Deutschland bis 2014 bzw. 2015 möglich wäre. Daß die Grünen im vergangenen Sommer dennoch den Plänen der Regierung zugestimmt hatten, den letzten Meiler erst Ende 2022 vom Netz zu nehmen, hatte eher parteitaktische Gründe. Man wollte sich nicht als Dagegen-Partei vorführen lassen und die Koalitionsoption mit der CDU offenhalten. Wie die Meinungsumfragen zeigen, ist die Botschaft bei den Wählern angekommen. Die Grünen sind ihr unverdientes Image als Protestpartei los und werden von den Piraten beerbt, die sie in der jüngsten Forsa-Umfrage gar erstmalig überflügeln.

Die Lücke der temporär stillstehenden AKW konnten am Wochenende ganz gut die Erneuerbaren füllen. Auch ohne die fünf zur Zeit nicht laufenden Meiler, die übrigens auch im Stillstand noch jede Menge elektrische Energie für Kühlung und anderes benötigen, war der konventionelle Kraftwerkspark bei weitem nicht ausgelastet. Rund ein Drittel der nachgefragten Leistung wurde aus Wind- und Sonnenkraft generiert.

Deren Beitrag zur Versorgung nimmt weiter zu. Im vergangenen Jahr waren rund 20 Prozent des in Deutschlands produzierten Stroms mit Hilfe von erneuerbaren Energieträgern erzeugt worden. Das waren knapp vier Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Im ersten Quartal 2012 hat sich diese Tendenz zumindest für Sonne und Wind fortgesetzt, für die anderen Erneuerbaren liegen noch keine Daten vor. Demnach haben Solar- und Windkraftanlagen in den ersten drei Monaten 2011 13,9 Milliarden Kilowattstunden (kWh) erzeugt. In diesem Jahr waren es hingegen schon 19,4 Milliarden kWh, eine Steigerung um 40 Prozent.

Zum Teil ist auch ein wenig Glück im Spiel, denn die Zunahme beim aus Windkraft erzeugten Strom hat auch damit zu tun, daß 2012 bisher ein besonders gutes Jahr dafür war. Aber die Zahlen zeigen, daß sich die großen Stromkonzerne, die bisher bei den Erneuerbaren kaum mitreden können, Sorgen um ihr Geschäft machen müssen. Zum Vergleich: Von den acht im Jahr 2011 endgültig stillgelegten Reaktoren waren im damaligen ersten Quartal sechs betriebsbereit. Wenn diese von Anfang Januar bis Ende März rund um die Uhr mit voller Last gelaufen wären, hätten sie etwa 13,6 Milliarden kWh erzeugt.

Auch Japan scheint ohne Atomkraftwerke auszukommen. Derzeit läuft dort nur noch ein einziger von insgesamt 54 Reaktoren, die das Land besitzt. Auch am 11. März 2011, dem Tag des dramatischen Erdbebens vor der Nordostküste der Insel Honshu, waren nur 37 Reaktoren in Betrieb. Die meisten wurden danach zur Sicherheitsüberprüfung vom Netz genommen. Das hatte sicherlich auch mit der gekippten Stimmung in der Bevölkerung zu tun, die vor der Katastrophe nur wenig Anstoß am AKW-Betrieb und an den bis dahin verfolgten Neubauplänen nahm.

Doch die Zeiten haben sich geändert. An den meisten Standorten sind die Menschen gegen die Wiederinbetriebnahme, und auch viele lokale Behörden sperren sich. Die Regierung beginnt hingegen, ganz im Sinne der AKW-Betreiber Druck zu machen, um zumindest einen Teil der Kraftwerke wieder ans Netz zu bringen. Mit Atomstrom läßt sich eben auch in Japan mehr Geld machen als mit Öl- und Kohlekraftwerken, deren Brennstoffe sich in den zurückliegenden Jahren erheblich verteuert haben.

In einem ersten Schritt hat die Regierung in Tokio Anfang April innerhalb von nur drei Tagen – und offensichtlich ohne parlamentarische Debatte – neue Sicherheitsstandards definiert. Vordergründig diente die Eile dazu, die Wiederinbetriebnahme der kürzlich zur Revision abgeschalteten Reaktoren 3 und 4 des AKW Oi in der Präfektur Fukui zu ermöglichen. Aber wie die Zeitung The Mainichi Daily News berichtet, werden die neuen Standards für alle Meiler gelten.

Glaubt man dem Blatt, läßt das nichts Gutes erwarten. Die geforderten Maßnahmen seien zu lax und nicht geeignet, zumindest die besonders gefährlichen Anlagen auszusortieren. Bei den geforderten Erdbebenschutzmaßnahmen würde es für eine Erlaubnis zur Wiederinbetriebnahme meist schon reichen, wenn die Betreiber ihre Pläne für den Einbau entsprechender Vorrichtungen vorlegen. Die Durchführung kann dann irgendwann später erfolgen.

Ob die japanische Öffentlichkeit das schluckt, bleibt abzuwarten. Noch am 2. April hatte der zuständige Handelsminister Yukio Edano verkündet, er sei so lange gegen die Wiederinbetriebnahme solange es keine Zustimmung der Anwohner und lokalen Behörden gebe.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. April 2012


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