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Kriegsfreunde

Ein Sammelband über die Konstrukteure des Feindbildes »Moslems kontra Schwule« und dessen Karriere

Von Markus Bernhardt *

Vor allem die selbstgerechten heterosexuellen Freunde imperialistischer Angriffskriege und Besatzungsregime versuchten in den vergangenen Jahren verstärkt, die teils vermeintliche, teils vorhandene Verfolgung von Frauen, Lesben, Schwulen und Transgendern in islamisch geprägten Gruppen und Ländern für ihre Kriegspropaganda zu mißbrauchen. Sie sind bereit, die bestenfalls halluzinierten »westlichen Werte« auf dem Gebiet der Homorechte den als unzivilisiert geltenden Staaten mittels Bomben aufzudrängen. Das Spektrum reicht von rechtsextremen Kleinstparteien wie »Pro Deutschland« bis zu Antifagruppen, die sich gern mit dem Label »emanzipatorisch« schmücken.

Gleichberechtigung

Diesen Kriegsfreunden dürfte es nach der Veröffentlichung des von Koray Yilmaz-Günay herausgegebenen Buches »Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre ›Muslime versus Schwule‹ – Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001« schwerer fallen, sich als Sprachrohr sexueller Minderheiten aufzuspielen. So dürften auch die Tage gezählt sein, an denen der bei der Linksjugend angesiedelte »Bundesarbeitskreis (BAK) Shalom« ungestört das Thema mißbrauchen kann. Er bescheinigt z.B. Israel, »in bezug auf die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten und ihre persönlichen und zivilen Rechte« mit Abstand »der toleranteste Staat im Nahen und Mittleren Osten« zu sein, und stellt die Behauptung auf, daß Israel, als »demokratischer Staat (…) die Rechte aller seiner Bürger ungeachtet des Geschlechtes, der Religion oder der ethnischen Zugehörigkeit« fördere.

Yilmaz-Günay versammelt in dem Band Beiträge von schwul-lesbischen und feministischen Wissenschaftlern, Publizisten und linken Aktivisten, die sich seit langem um die Gleichberechtigung auch von sexuellen Minderheiten verdient gemacht haben. Sie schauen auf die Überlappungen von feministischen und lesbisch-schwulen Debatten samt der Entwicklungen in der Mehrheitsgesellschaft in der letzten Dekade zurück. Dabei gehen die Autorinnen und Autoren u.a. der Frage nach, ob die relativen Erfolge der Frauen- und Homosexuellenemanzipation durch rassistische Rückschritte erkauft wurden.

So befaßt sich ein Artikel mit der Ablehnung des »Zivilcouragepreises« des Berliner Christopher-Street-Days e.V. durch die angesehene US-amerikanische Philosophin Judith Butler im Jahr 2010. Butler wollte sich »von der Komplizenschaft« einiger Teilen der Homobewegung »mit Rassismus, einschließlich antimuslimischem Rassismus distanzieren« und warnte eindringlich davor, daß auch »Bi-, Trans- und queere Leute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen«.

Ungleichbehandlung

In der Einleitung des Buches konstatiert dessen Herausgeber Yilmaz-Günay, daß Menschenrechte – insbesondere die Rechte von (heterosexuellen) Frauen und (männlichen) Homosexuellen – seit den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 eine bemerkenswerte Konjunktur erlebt hätten. »Sie sind zum Gradmesser von ›Modernität‹ und ›Aufklärung‹ geworden, ja zum Indikator für ›Zivilisationen‹ überhaupt«, so Yilmaz-Günay. Zugleich werde »ungeachtet aller Ungleichheiten im Hier und Heute« ein Selbstbild »unseres Landes« bzw. »des Westens« in Gänze proklamiert, die rechtliche und soziale Ungleichbehandlung ausgeblendet.

Die Bedeutung des Bandes kann kaum überschätzt werden. Äußern sich in ihm doch verschiedene Leute mit und ohne Migrationshintergrund, die die Vereinnahmung ihrer individuellen Menschenrechte durch etablierte rechte oder »linke« Kriegstreiber geißeln. Sie alle weigern sich, den rassistischen Phantasien der Moslemhasser samt ihrer willfährigen Unterstützer in den Medien auf den Leim zu gehen und sich am »Kampf der Kulturen« zu beteiligen. Vielmehr erteilen sie dem auch in der deutschen Homoszene um sich greifenden Rassismus eine Absage.

Das Buch widmet sich außerdem dem Kampf gegen all diejenigen heterosexuellen Kriegstreiber, die sich in der Vergangenheit ungefragt als Sprachrohr von Lesben und Schwulen geriert haben und dabei selbst vor der Übernahme rassistischer Klischees nicht zurückschreckten. Die Texte bieten nicht nur Theoretisches, sondern zeigen auch – wie der von Salih Alexander Wolter – die alltäglichen, praktischen Konsequenzen aus den nicht nur von den Herrschenden erwünschten Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Schwulen auf.

Koray Yilmaz-Günay (Hrsg.): Karriere eines konstruierten Gegensatzes - Zehn Jahre »Muslime versus Schwule«, Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001. Selbstverlag, Berlin 2011, 214 Seiten, 5 Euro plus Porto. Bezug: E-Mail: koray@yilmaz-gunay.de

* Aus: junge Welt, 23. Januar 2012


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