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Was ist die Scharia?

Loya Jirga führt das islamische Rechtssystem, die Scharia, in Afghanistan (wieder) ein. Was bedeutet das?

  • Mit Jahresbeginn 2002 wurde in der Provinz Aceh die Scharia, das islamische Gesetz, eingeführt. Möglich wurde dies durch die Verabschiedung des Gesetzes für spezielle Autonomie durch das indonesische Parlament im letzten Jahr. Demnach darf die Provinz 70 Prozent der Öl- und Gaserträge und 80 Prozent der Erträge aus Landwirtschaft und Fischerei selbst verwalten und eben auch die Scharia einführen. Die Autonomie soll der acehnesischen Separatistenbewegung GAM den Wind aus den Segeln nehmen. Die praktische Umsetzung des islamischen Rechts ist noch unklar. Unklar ist auch, ob es für Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen gelten soll. (Information: www.umwaelzung.de)
  • Im vergangenen Jahr wurde die Scharia in einem großen Teil Nigerias eingeführt. Im Frühjahr erregte ein Gerichtsurteil weltweites Aufsehen, wonach eine Frau, die vergewaltigt worden war, wegen dieser Schande gesteinigt werden sollte.
  • In vielen islamischen Ländern herrschen heute Rechtssysteme, die sich an der Scharia orientieren. Vom Iran oder von Saudi-Arabien ist dies allgemein bekannt, Pakistan gehört auch dazu, ebenso die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, der Sudan u.v.a.m.
Doch was ist die Scharia? Wir wollen im Folgenden ein paar Informationen aus verschiedenen Quellen bereitstellen. Daraus wird sehr leicht ersichtlich, dass die Meinungen zur Scharia in der Fachwelt doch weit auseinander gehen. Es versteht sich von selbst, dass eine große Lücke klafft zwischen den positiven Auffassungen der offiziellen Interpreten und Vertreter des islamischen Glaubens und den nicht-islamischen Kritikern.

Scharia in Kürze

Die Scharia ist das umfassende Gesetz der Muslime, das von zwei Quellen abgeleitet wird: a) dem Koran und b) der Sunna, den Handlungen des Propheten Muhammad. Sie umfaßt alle Bereiche des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens im Alltag. Das Ziel des islamischen Gesetzes ist der Schutz der Grundrechte des Menschen als Individuum. Dies schließt das Recht auf Leben und Besitz, auf politische und religiöse Freiheit, sowie den Schutz der Rechte der Frau und von Minderheiten mit ein. Die niedrige Verbrechensrate in muslimischen Gesellschaften ist auf die Anwendung des islamischen Gesetzes zurückzuführen.
(www.moschee-online.de)

Die Scharia - das islamische Recht

“Scharia” ist heute eines der meistgebrauchten Schlagwörter, wenn über den Islam diskutiert wird. Islamisten fordern in ihren jeweiligen Heimatländern, die Scharia zur Grundlage der staatlichen Gesetzgebung zu machen. Kritiker des Islam warnen vor der Grausamkeit der Scharia, wie sie sich einigen Strafen äußere (Handabhacken bei Dieben, Steinigung von Ehebrecherinnen).

Gleichzeitig ist jedoch “Scharia” einer der am wenigsten klar definierten Begriffe innerhalb des Islam. Auch wenn der Begriff schon für Gesetzessammlungen islamischer Staaten angewandt wurde, ist die Scharia eigentlich mehr: Sie ist kein real vorliegenden Gesetzbuch, das man ohne weiteres und plötzlich zum Gesetz eines Staates machen könnte. Vielmehr ist “Scharia” eine Idealvorstellung vom göttlichen Gesetz, das alle Lebensbereiche des Muslim regeln soll.

Quellen der Scharia

Ursprünglich meint der arabische Begriff “Scharia” den Pfad in der Wüste, der zur Wasserquelle führt. Die Scharia ist der Wegweiser, der den Menschen zu Gott, seiner Quelle führen soll. Im Koran selbst kommt der Begriff nur einmal vor (Sure 45,18) und heißt dort so viel wie “Ritus”.

Unbestritten gilt dem sunnitischen Islam der Koran als die Quelle der Scharia. Der Koran enthält jedoch nur einzelne Anweisungen, die direkt zur Grundlage einer Gesetzgebung zu machen sind. Schon früh in der islamischen Geschichte trat daher neben den Koran als Quelle des Rechtes die “Sunna”, das vorbildliche Handeln und Reden des Propheten Mohammed. Die Berichte über Verhalten und Worte Mohammeds wurden in den sogenannten “Hadithen” gesammelt. Später filterten islamische Theologen aus der unüberschaubaren Fülle dieser Hadithen nach bestimmten Regeln die als echt anzuerkennenden Überlieferungen heraus. Es entstanden die weitgehend noch heute anerkannten Hadith-Sammlungen.

Entstehung des islamischen Rechts

In den ersten Jahrhunderten islamischer Zeitrechnung schufen dann auf Grundlage von Koran und Hadith islamische Rechtsgelehrte (die “Fuqaha´”) das, was weithin unter “Scharia” verstanden wird: eine islamische Rechtssammlung. Da Koran und Hadith schon für die Fragen der damaligen Zeit nicht immer konkrete Antworten bereithielten, traten für die frühen Rechtsgelehrten zwei weitere Quellen der islamischen Rechtswissenschaft hinzu: “Idschma´”, der Konsens der islamischen Rechtsgelehrten über ein Thema, sowie “qiyas”, der Analogieschluss. Dabei wurden neu auftretende Fälle in Anlehnung an bekannte Fälle entschieden.

Innerhalb des sunnitischen Islams setzten sich im Laufe der Zeit vier Rechtsschulen durch: Schafiiten, Malikiten, Hanbaliten und Hanafiten. Diese Schulen sind jeweils nach ihrem Begründer benannt und sind in verschiedenen Regionen der islamischen Welt vorherrschend. Sie weichen in vielen Einzelfragen des islamischen Rechts voneinander ab - in diesem Sinne gibt es also eine regional unterschiedliche “Scharia”. In den Grundfragen sind sich diese Schulen jedoch einige. Man erkennt auch die jeweils anderen Schulen als rechtgläubig an.

Fünf Kategorien für Verhalten

Gemäß dem islamischen Verständnis von Hingabe (“Islam”) an Allah umfasst die Scharia Regelungen nicht nur für Familienrecht, Strafrecht, Erbrecht etc. sondern auch genaue Anweisungen für religiöse Rituale und Pflichten. Die Rechtswissenschaft hat dabei jede Handlung in ein System von fünf Kategorien eingeordnet:
  1. “Fard” - eine Handlung ist Pflicht für jeden Gläubigen (z.B. das rituelle Gebet)
  2. “Haram” - Verbotene Handlungen (z.B. Alkoholgenuss)
  3. “Mandub” - Empfehlenswert. Eine Handlung ist erwünscht (z.B. zusätzliche Gebete), das Nichtbefolgen wird jedoch nicht bestraft
  4. “Makruh” - Verwerflich oder nicht empfehlenswert.
  5. “Mubah” - Erlaubt, Handlungen, für die es keine religiöse Beurteilung gibt (z.B. eine Flugzeugreise).

Scharia in islamisch geprägten Staaten

Es gibt heute in Staaten mit islamischer Bevölkerungsmehrheit sehr verschiedene Modelle im Blick auf die Bedeutung der Scharia. Während etwa die Türkei laut Verfassung ein säkularer Staat ist, dessen Verfassung keinen Bezug auf das islamische Recht nimmt, haben andere Staaten (etwa Pakistan oder Sudan) beschlossen, die Scharia zur Grundlage der Rechtsprechung zu machen. Das kann in der Praxis heißen, dass neue Gesetze von islamischen Juristen auf ihre Vereinbarkeit mit dem überlieferten islamischen Recht überprüft werden.

Dazwischen stehen Staaten wie Malaysia, die sich zwar als islamischen Staat bezeichnen, deren Gesetzgebungsverfahren aber säkular, also rein aufgrund Mehrheitsentscheidung des Parlamentes erfolgt. Saudi-Arabien hat den Koran zur Verfassung seiner Monarchie erklärt, hat in der Praxis natürlich trotzdem andere Rechtsquellen heranzuziehen.

Heutige Diskussion um die Scharia

Für moderne Islamisten, die im eigenen Land Opposition sind, ist der Begriff “Scharia” der Ausdruck für die Sehnsucht nach der goldenen frühen Zeit des Islam im Gegensatz zu den heutigen, oft uneffektiven und korrupten Regimen. Solche Islamisten erwarten von der Einführung der Scharia als Grundlage der Rechtsprechung die Lösung für alle religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Gegenwart.

Es gibt jedoch auch (bereits seit dem 19. Jahrhundert) islamische Denker, die für eine Neudefinition des Verhältnisses von Scharia und staatlicher Gesetzgebung eintreten. Manche weisen wie der ägyptische Theologe des 19. Jahrhundert, Muhammad Abduh, darauf hin, dass es in der gesamten islamischen Geschichte niemals gelungen sei, ein wirklich “der Scharia entsprechendes” Staatsgesetz zu formulieren, geschweige denn, es dann auch wirklich durchzuführen. Oft habe der jeweilige Herrscher des Landes Gesetze geschaffen, wie sie ihm selbst passten.

Problematisiert wird auch unter modernen islamischen Denkern die Tatsache, dass es ein wirklich gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen in einem Staat unter der Scharia nicht gibt. Daher gibt es Vorschläge, die Scharia mehr als Lebensweise zu verstehen, die dem Moslem in einem säkularen Staat die Richtschnur für sein (freiwilliges) persönliches Leben mit Allah gibt. Der Staat ermöglicht demnach, dass Muslime gemäß der Scharia leben können, macht sie aber nicht zur Pflicht für alle Staatsbürger.

Die innerislamische Diskussion über die Scharia ist im Fluss. Das Ergebnis ist noch nicht abzusehen.

Auszug aus dem "Minikurs Islam"
Quelle: Orientdienst e.V. Wiesbaden (www.orientdienst.de)



Die Scharia: Geschichte und Gegenwart

Von Stephan Massing

Seit der Etablierung eines islamischen Rechtssystems stellt die Scharia einen Schlüsselbegriff im islamischen Rechtsdenken dar. Die Scharia kann bezeichnet werden als "die Gesamtheit der auf die Handlungen des Menschen bezüglichen Vorschriften Allahs" (Schimmel 1990: 54). Die Scharia stellt somit ein gottgegebenes Gesetz für den Menschen dar, welches alle menschlichen Lebensbereiche und die Beziehungen des Menschen zu Allah für alle Zeiten verbindlich regelt.

Dass es sich bei der Scharia um ein Normensystem handelt, das mit seinem Regelungsgehalt über die rein juristische Dimension hinausgeht, wird sehr gut in folgender Definition von Bodiveau deutlich:
"In der islamischen Kultur bezeichnet die Scharia das Gesetz in seiner weitesten Form, d.h. die Gesamtheit der religiösen, moralischen, sozialen und rechtlichen Normen, welche im Koran und der prophetischen Tradition beinhaltet sind." (zit. in Petersohn 1999: 13)

Die Scharia beeinflusst daher die gesellschaftlichen Verhältnisse in den muslimischen Staaten wesentlich stärker, als die Rechtssysteme westlichen Ursprungs auf die europäischen Gesellschaften einwirken.

Die Quellen der Scharia und somit auch die Rechtsquellen des islamischen Rechts wurden im sunnitischen Islam im 9. Jh. n. Chr. durch den Begründer der schafiitischen Rechtsschule Schafi'i systematisiert. Die auf ihn zurückgehende Lehre von den "Grundlagen der islamischen Jurisprudenz" (usul al-fiqh) nennt als abschließende Quellen der Scharia: den Koran, die sunna, den Konsens der Rechtsgelehrten (idschma) und den Analogieschluss (qiyas).

Der Koran ist das Heilige Buch des Islam. Sein Inhalt ist nach muslimischer Überzeugung nicht das Wort eines Propheten, sondern die endgültige Offenbarung, das unverfälschte Wort Gottes, das nur durch das Instrument Mohammed vermittelt wurde. Somit verkündet der Koran nach der islamischen Theologie nicht nur Gott, sondern ist selbst göttlicher Natur. Die in ihm enthaltenen Regeln sind theoretisch universell und zeitlos gültig. Für viele Juristen müssen die Verse demzufolge ohne Rücksicht auf die historische Situation, in der sie verkündet worden sind, nur aufgrund ihres Wortlautes ausgelegt werden. Es wäre jedoch falsch, von diesem theoretischen Anspruch auf eine große Starrheit des islamischen Rechts zu schließen: es besteht keineswegs Einigkeit über die Lesart des Koran, so dass es strittig ist, was im Koran angeordnet wird und welche Folgen daraus für den Einzelfall resultieren. Weiterhin wird der Absolutheitsanspruch des Koran spätestens im Prozess der Anwendung des Rechts auf den Einzelfall durch den Einsatz anderer Quellen und Methoden relativiert.

Die zweite Quelle des islamischen Rechts ist die sunna. Darunter versteht man die Gesamtheit der Berichte (hadith, pl. hadithe) über Äußerungen, Handlungen und stillschweigende Billigung von Geschehnissen des Propheten Mohammed. Die Einbeziehung der sunna, d.h. der Gewohnheit des Propheten, in die Rechtspraxis war notwendig, da der Koran nicht alle Erfordernisse des täglichen Lebens genügend erklärte. Um die vorhandenen Lücken möglichst im Geiste der Religion zu schließen, hielten sich bereits die Gefährten Mohammeds und die Generation nach ihm an die Worte und Handlungen des Propheten.

Das Konzept der sunna, demzufolge dem Vorbild oder den Gebräuchen der Vorfahren gefolgt werden soll, ist vorislamischen Ursprungs. Auch in der Zeit nach Mohammed wurden Rechtsprobleme, die nicht von seinen offenbarten Regelungen abgedeckt wurden, noch unter Rückgriff auf vorislamisches Gewohnheitsrecht gelöst.

Da die Worte und Taten Mohammeds gesammelt und über Generationen hinweg weitergereicht wurden, ist es nicht verwunderlich, dass sich dabei im Laufe der Zeit ein großer Teil von unechten Traditionen einschob. Die hadithe sind daher "nicht so sehr eine Quelle für die ursprüngliche Lehre Muhammeds, sondern spiegeln z.T. die verschiedenen Strömungen innerhalb des wachsenden Islam wider" (Schimmel 1990: 46). Als Reaktion auf die große Zahl von Überlieferungen angeblicher Aussagen oder Handlungen des Propheten wurden Sammlungen von hadithe zusammengestellt, die als authentisch akzeptiert wurden. Ausschlaggebendes Kriterium hierfür war insbesondere die Glaubwürdigkeit der Überliefererkette. d.h. der Kette, derer, die das Wort gehört haben; eine Kette welche bis zu Mohammed bzw. einem seiner Gefährten führen musste. Besonders hervorzuheben sind die als verläßlich geltenden hadith-Sammlungen von Bukhârî (gest. 870) und Muslim (gest. 875).

Die dritte Quelle des islamischen Rechts ist der Konsens der Rechtsgelehrten, die idschma. Die Wichtigkeit der Konsensbildung wird nicht nur im Koran (z.B. Sure 3:110), sondern auch in der hadith begründet: "Meine umma wird sich auf keinen Irrtum einigen." (Müller 1996: 91)

Das idschma-Prinzip kann auf zwei unterschiedlichen Ebenen angewendet werden. Zum einen wurde es praktiziert um eine gemeinsame Interpretation von Koran und sunna zu erreichen. Zum anderen kann es dort angewendet werden, wo Koran und sunna als hierarchisch höherstehende Rechtsquellen keine Regelungen enthalten.

Trotz seiner frühen Entstehung und der theoretischen Klarheit des Anwendungsbereiches gibt es bis heute Streit über Inhalt und Umfang des idschma-Prinzips.

Unter dem Begriff qiyas, der vierten Quelle des islamischen Rechts, versteht man grundsätzlich eine logische Deduktion, die aus einem bereits entschiedenen Fall eine Lösung für einen aktuellen Fall ableitet. Auf das islamische Recht bezogen bedeutet dies "ein analogisches Vorgehen im Sinne der Übertragung der Rechtsfolge eines Präzedenzfalles oder einer bereits bestehenden Regel auf den zu beurteilenden Sachverhalt" (Müller 1996: 92). Obwohl die Stellung des Analogieschlusses, der aus den ersten drei Rechtsquellen gewonnen wurde, zu Koran, sunna und idschma umstritten blieb, wurde er von allen sunnitischen Rechtsschulen grundsätzlich anerkannt. Als Mittel der Anpassung der materiellen Rechtsquellen übernahm er eine zentrale Funktion.

Teilweise werden diese Rechtsquellen noch um die folgenden Quellen ergänzt: al-istihsan (eine Abweichung von der Regel zugunsten eines Präzedenzfalles), al-istislah (ein Urteil, dass aufgrund eines öffentlichen Interesses gefällt wird und ohne Bezug zu Koran oder sunna steht) und al-urf (Gewohnheitsrecht) (vgl. Kühnhardt 1991: 143).

Schon in der islamischen Frühzeit stellte sich die Frage, wer berechtigt sein sollte, das nicht-kodifizierte - nur ein sehr kleiner Teil der 114 Suren hat den Charakter einer Rechtsvorschrift - göttliche Gesetz auszulegen. Es entwickelte sich ein eigener Stand aus religiösen Schriftgelehrten (ulema), welche sich um die Auslegung des Korans bemühten. Daraus entwickelte sich die islamische Gesetzeswissenschaft (fiqh), mit der sich die Rechtsgelehrten (fuqaha, sing. faqih) beschäftigten. Um eine Systematisierung der Materialien vorzunehmen, fanden sich die Rechtsgelehrten in Rechtsschulen zusammen.

Die heute noch bestehenden sunnitischen Rechtsschulen sind die hannafitische, die malikitische, die schafiitische und die hanbalitische. Die vier Rechtsschulen unterscheiden sich in der Anerkennung der Rechtsquellen, erkennen sich aber gegenseitig als gleichberechtigt in der Interpretation der Scharia an.

Literatur
  • Endreß, Gerhard (1997): Der Islam: Eine Einführung in seine Geschichte. Dritte, überarbeitete Auflage. München
  • Kühnhardt, Ludger (1991): Die Universalität der Menschenrechte. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage. Bonn
  • Müller, Lorenz (1996): Islam und Menschenrechte: Sunnitische Muslime zwischen Islamismus, Säkularismus und Modernismus. Hamburg
  • Petersohn, Alexandra (1999): Islamisches Menschenrechtsverständnis unter Berücksichtigung der Vorbehalte muslimischer Staaten zu den UN-Menschenrechtsverträgen. Bonn
  • Schimmel, Annemarie (1990): Die Religion des Islam. Stuttgart
Geschrieben im März 2002
Quelle: www.suedasien.net


ZDF: Die Scharia: Gesetz und Pflicht für jeden Muslim

Die Scharia, das islamische Gesetz, wird im Westen vor allem dann wahrgenommen, wenn in einem moslemischen Land drakonische Strafen gegen Leib und Leben verhängt werden. Dabei ist sie weit mehr als ein Strafgesetz. Sie regelt auch das religiöse, soziale und politische Leben der Muslime. Höchste Autorität für alle sunnitischen Moslems besitzt die Al-Azhar-Universität in Kairo.
27.09.2001

Scharia bedeutet auf arabisch nichts anderes als 'Gesetz'. Zurückgeführt wird sie auf Allah als obersten Gesetzgeber aller Muslime. Da der Islam keinen Unterschied zwischen der Gemeinschaft aller Muslime, der 'Umma' und dem Staat macht, ist die Scharia religiöses und staatliches Recht zugleich.

Dieser Anspruch wird jedoch nur in den wenigsten islamischen Ländern auch eingelöst. Fast alle moslemischen Staaten verfügen über ein kodifiziertes, vom Staat aufgestelltes Rechtssystem aus Zivil- und Strafrecht. Dort ist die Scharia vor allem religiöses Recht und wird vor allem in Familienangelegenheiten herangezogen.

Die vier Wurzeln der Scharia

Die islamische Rechtsordnung, die sich aus der Scharia ergibt, basiert nicht allein auf dem Koran. Hinzu kommt vor allem die 'Sunna', eine Sammlung der überlieferten Äußerungen und Handlungen des Propheten Mohammed. In allen Fällen, in denen weder der Koran noch die Sunna Klarheit über die Behandlung einer Rechtsfrage geben können, greift 'Kiyas', der Analogieschluss. So wurde das Verbot des Weingenusses im Islam per Analogieschluss auf sämtliche alkoholischen Getränke ausgedehnt.

Für die ständige Fortentwicklung des islamischen Rechts sorgt zudem das Prinzip der 'Idjma', der Übereinstimmung. Damit ist der Konsens der islamischen Gemeinschaft in Fragen des Rechtslebens und des Glaubens gemeint. Anders ausgedrückt heißt dies: Stimmen alle bedeutenden Rechtsgelehrten einer Generation in einer Frage überein, dann findet dies Eingang in die Scharia.

Ulama, Muftis und die Fatwa

Rechtsgelehrte, die auf arabisch 'Ulama' genannt werden, sammeln die Gesetze und interpretieren sie. Verbindliche Rechtsgutachten dürfen jedoch nur 'Muftis' anfertigen, die auf Antrag von Einzelpersonen, Staatsorganen oder Gerichten tätig werden. Die Bedeutung des Rechtsgutachtens, auch 'Fatwa' genannt, hängt jedoch maßgeblich von der religiösen Autorität des Muftis ab. Höchste Autorität in Rechtsfragen besitzt für die sunnitische Glaubensrichtung, der 85 Prozent aller Muslime angehören, die Al-Azhar-Universität in Kairo unter Leitung von Scheich Mohammed Sayyed Tantawi.

Die Pflichten des Muslim

Alle Handlungen und Unterlassungen der Muslime werden von der Scharia in fünf Kategorien eingeordnet. Dazu zählen an erster Stelle die Pflichten - 'Fard' genannt - und verbotene Dinge, die als 'Haram' bezeichnet werden. In beiden Fällen wird sowohl die Handlung als auch die Unterlassung bestraft oder belohnt.

Hinzu kommen so genannte Empfehlungen oder 'Mandub', die eine Handlung bezeichnen, deren Tun zwar belohnt, deren Unterlassung aber nicht bestraft wird. Umgekehrt kennt die Scharia auch die Kategorie Verwerfliches oder 'Makruh'. Dabei handelt es sich um Handlungen, deren Tun zwar nicht bestraft, deren Unterlassung aber belohnt wird. Zuguterletzt gibt es auch noch die Kategorie des Unbestimmten, zu arabisch 'Mubah', in die all jene Dinge fallen, zu denen die Scharia keine Meinung hat.

Die fünf Säulen des Islam

Für jeden Muslim gelten vor allem fünf Pflichten, denen er nachkommen muss: Das Glaubensbekenntnis (Shahada), das tägliche Gebet (Salat), die Wohltätigkeit (Zakat), das Fasten im Monat Ramadan (Sawm) und die Pilgerfahrt nach Mekka (Hadj), die jeder Gläubige einmal im Leben absolvieren muss.

Der Dschihad, der Glaubenskrieg oder Heilige Krieg, ist hingegen keine Grundpflicht für Muslime, auch wenn dieser Eindruck oft erweckt wird. Nur die Ismailiten, eine schiitische Sekte, haben den Dschihad als 6. Grundpflicht eines Muslim eingeführt. Zudem muss der Glaubenskrieg von einem muslimischen Herrscher oder einem Imam ausgerufen werden.

Das Verhältnis zu Nicht-Muslimen

Sehr fein unterscheidet die Scharia in den Beziehungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Vor allem die Angehörigen der jüdischen und der christlichen Religion fallen als so genannte 'Schriftbesitzer', denen die geschriebene Religion schon vorher übergeben wurde, in eine besondere Kategorie.

Mit ihnen sind religiös gemischte Ehen erlaubt, wie aus der 5. Sure des Koran hervorgeht: »Und ehrbare gläubige Frauen und ehrbare Frauen unter den Leuten, denen vor euch die Schrift gegeben wurde, wenn ihr ihnen die Brautgabe gebt, und nur für eine Ehe und nicht für Unzucht und heimliche Liebschaften.« Diese Erlaubnis gilt jedoch nur für Männer, weibliche Muslime dürfen laut Scharia keinen Nicht-Muslimen heiraten.

Quelle: www.heute.t-online.de


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