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Islamophobie als Form des Fremdenhasses

Internationale Konferenz in London warnt vor Legitimationsideologie für Kriegseinsätze des Westens

Von Susann Witt-Stahl *

Ein neue Welle von Fremdenhass rollt über Europa: »Ein gefährliches Gift breitet sich aus. Die Situation ist sehr, sehr ernst«, so Chris Nineham, Mitgründer der britischen Antikriegskoalition (Stop the War Coalition) am Samstag auf einer internationalen Konferenz gegen Islamophobie in London.

Ninehams Organisation gehört zu den Initiatoren der Koalition gegen Islamophobie (Enough Coalition Against Islamophobia). Das Bündnis aus muslimischen Institutionen, Friedensgruppen, Antifaschisten und antikapitalistischen Linken hatte am Samstag in London zu einer Tagung geladen. Rund 300 Menschen – darunter auch Mitglieder jüdischer Organisationen und Sikhs, die eine Kampagne gegen die islamfeindliche English Defense League ins Leben gerufen haben – kamen in das Muslimische Zentrum, das der ältesten Moschee der Stadt in Whitechapel in Ost-London angegliedert ist.

»Islamophobie ist die Legitimationsideologie für die Kriegseinsätze des Westens in Irak und in Afghanistan«, erklärte John Rees, marxistischer Autor und langjähriger Antikriegsaktivist, die Hass-Propaganda gegen Muslime als Bestandteil der neoimperialistischen Agenda. Die historische Aufklärungs- und Emanzipationsmission könne ohne Meinungsfreiheit, die unweigerlich mit Religionsfreiheit verbunden sei, nicht erfüllt werden, begründete Rees seine Forderung nach einer starken politischen Allianz zwischen Muslimen und internationalistischen Linken. Die Bevölkerung wäre für immer mehr Kriege gegen die arabische Welt mobilisierbar, wenn es nicht gelänge, die Islamophobie zu stoppen. »Millionen von Menschen werden sterben«, warnte Tony Benn, Präsident der Stop the War Coalition und Urgestein der britischen Friedensbewegung, in einer bewegenden Rede.

Ein weiterer Höhepunkt der Konferenz war der Auftritt von Kenza Drider, einer französischen Muslimin, die von der Polizei verhaftet worden war, weil sie sich weigert, ihren Vollschleier abzunehmen. »Die Freitagsgebete werden staatlich zensiert, um zu verhindern, dass für die unterdrückten Palästinenser gebetet wird«, berichtete Drider. »Vor einer Moschee wurden Spieße mit abgeschlagenen Schweineköpfen aufgestellt«, nannte sie ein Beispiel dafür, wie tief die von der politischen Klasse durch rigide Gesetzgebung geförderten antiislamischen Ressentiments in die Eingeweide der westlichen Gesellschaften eingedrungen sind. »Muslim-Bashing ist der Nationalsport in meinem Land«, ergänzte Marwan Muhammad vom Komitee gegen Islamophobie in Frankreich.

Rechtsanwältin Aisha Alvi bezeichnete es als »bittere Ironie«, dass in Afghanistan das Recht der Frauen durchgesetzt wird, ihren Schleier abzulegen, während es Musliminnen in Teilen Europas verboten wird, ihn zu tragen. Auch Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung, die über die Stereotype in den sogenannten Islam-Debatten referierte (»Da geht es nicht um den Islam, sondern um unsere Klischees vom Islam«), warnte eindringlich vor dieser Form von Pseudofeminismus. Er befördere nicht die Befreiung der Frau, sondern ein antiemanzipatives Islam-Bild »des Feindes hinter dem Schleier«. Wie es in der Abschlusserklärung der Konferenz heißt, werde »Islamophobie oft als Kulturkritik verbrämt«, doch sei sie »eine Form von Rassismus«.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2011


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